Die Interactive Fiction Days II: Visual Novel im Gesamtrückblick
In den letzten acht Wochen haben wir euch jeden Montag einen neuen Gastartikel über das allgemeine Thema Visual Novels und viele wunderbare Facetten innerhalb eines Genres präsentiert, das vielen Menschen noch wenig vertraut ist. Es ging um Horror, um Geschichte und Geschichten, um Gender-Identität und Sexualität; und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass selten mit einer so kompakten Anzahl an Texten so viele Aspekte einer Spielegattung und einiger seiner wichtigen Ableger beleuchtet worden sind. Bevor ich euch die sechs Texte jedoch in diesem Wrap Up noch einmal vorstelle und ans Herz lege, möchte ich ein paar Worte über den Entstehungsprozess dieser Artikelreihe verlieren.
Die ersten Interactive Fiction Days waren ein Experiment zum ersten Geburtstag von Language at Play, mit ich einerseits ein erfolgreiches erstes Jahr feiern, andererseits das Interesse an unserem teils akademischen, teils unterhaltsamen Ansatz, über Spiele zu schreiben, austesten wollte. Die Resonanz war unglaublich! 14 Menschen haben Artikel zum allgemein gehaltenen Thema “Interactive Fiction” eingereicht, über Spielbücher, Text-Adventures, Point & Click-Spiele und Visual Novels. Die immer noch ganz wunderbaren texte könnt ihr hier und hier zusammengefasst finden und nachholen.
Zwei Jahre später: Language at Play wird drei! Und immer noch sind wir nicht nur online, sondern aktiver, größer und bekannter als je zuvor. Weil es großen Spaß macht, diese Seite zu betreuen und wachsen zu sehen, wollte ich die erfolgreiche Interactive Fiction Days-Aktion also wiederholen. Diesmal mit einem etwas anderen Ansatz: Da ich seit 2018 viel redaktionelle Erfahrung gesammelt habe und mir das Herausgeben wissenschaftlicher Sammelbände großen Spaß macht – schließlich habe ich mit Kolleg*innen einen zu Dark Souls veröffentlicht und arbeite grade an einem zweiten zu Wolfenstein – wollte ich ein Experiment wagen. Ein Sammelband aus Blog Posts zu einem bestimmten Thema: Visual Novels. Akademisch im Anspruch, aber unterhaltsam, und so einsteigerfreundlich, dass sich nicht nur Doktorand*innen und etablierte Wissenschaftler*innen, sondern auch Student*innen in den ersten Semestern und Kulturbloggende ganz ohne Erfahrung im Schreiben von Seminararbeiten trauen, etwas einzureichen! Ein halbes Jahr ist es nun her, dass ich die zweite Runde der Interactive Fiction Days mit einem Call for Articles eröffnet habe, der genau diesen offenen Fokus zu vermitteln suchte. Und ganz offensichtlich hat es funktioniert: sechs wunderbare Menschen haben Texte abgegeben, die ich mir besser nicht hätte wünschen können. Gemeinsam mit meiner eigenen Einführung ins Thema und einer Wiederveröffentlichung der ersten Interactive Fiction-Action sind so ein acht Artikel zusammengekommen, die in ihrer Qualität denen in einer wissenschaftlichen Publikation in nichts nachstehen. Und deswegen, finde ich, sollen sie genau das auch werden: Ein Sammelband, vollständig herunterladbar und hoffentlich eine Freude nicht nur für Menschen, die damit akademisch arbeiten wollen, sondern auch solche, die gerne gute Artikel zu Videospielen auf ihr Smartphone oder Tablet herunterladen wollen! In nicht allzu ferner Zukunft möchte ich euch also die folgenden Texte als eBook präsentieren können. Wann genau das passiert kann ich noch nicht sagen, aber stay tuned; hier auf Language at Play werdet ihr es als erstes erfahren.
Nun wird es aber wirklich Zeit, die Artikel vorzustellen, die diese zweiten Interactive Fiction Days zu ihrem erfolgreichen Abschluss gebracht haben! Für einen kleinen Teaser der Inhalte könnt ihr jederzeit das Vorschaubild der Word Cloud zu jedem Artikel anklicken, um die häufigsten verwendeten Begriffe darin wiederzufinden.
Begonnen haben wir die Serie mit einer kleinen Einführung von mir ins Thema, die euch ein wenig provozieren sollte: Wenn alles eine Visual Novel ist, ist dann nichts eine Visual Novel? Was braucht ein Spiel und was darf es nicht haben, um in die Nische zu passen? Unter Was ist eigentlich »keine« Visual Novel? könnt ihr euch anregen lassen – ich freue mich auch jetzt noch auf eure Ideen und Proteste in den Kommentaren!
Den zweiten Artikel, und ich möchte sagen genau den richtigen Text, um auf diese unwissenschaftliche, augenzwinkernde Einleitung zu antworten, liefert Tobias Unterhuber mit Found(ed) in translation? – Eine mögliche Geschichte der Gattung der Visual Novel, in dem er den historischen Kontext von Vorläufern und ersten Spielen des Genres in Japan, Inspirationen im Westen bis hin zu heutigen Titeln hervorragend recherchiert nachzeichnet. Meines Wissens nach gibt es im deutschsprachigen Raum keine vergleichbar gute Aufarbeitung der Geschichte der Gattung Visual Novel; ein echter Schatz für die Forschung!
Artikel Nummer drei eröffnet uns ein Themenfeld, das in der Hälfte der eingereichten Texte auf unterschiedliche Weise besprochen und vertieft wird; ein Hinweis darauf, wie wichtig es für die Gattung Visual Novels, aber auch Videospiele an sich ist. Es geht um queere Identitäten und Definitionen von Weiblichkeit, aber auch um Revolutionen gegen den unterdrückenden Status Quo in Kassandra Hackenbergs Artikel Das Haus des regenbogenfarbenen Adlers – Fire Emblem: Three Houses, Revolution, Kompetenz und Weiblichkeit. Außerdem werdet ihr von Kassandra nicht das letzte Mal gelesen haben: Ihre Expertise ist nämlich mit diesem einen Text über Fire Emblem noch lange nicht erschöpft.
Am vierten Montag der Reihe kehrten wir zurück in die akademische Tiefenbetrachtung: Wo Tobias uns eine Gattung Spiele nahebrachte, untersucht nun Kristin Karl das Horror-Genre auf Metareferenzen und den Grusel im Computer hinter dem Spiel. Und welcher Titel wäre dafür besser geeignet als Doki Doki Literature Club!? Wenn ihr Schocker mögt, dann schaut rein in Wie Doki Doki Literature Club! Horror inszeniert – Der Versuch einer Genreeinordnung.
Der fünfte Text greift auf, was Kassandra in der dritten Woche begonnen hat: Mit ihrer Betrachtung von queerem Antifaschismus in Queer und gegen die Welt – Extreme Meatpunks Forever ermöglicht Lena Maximilian Siess uns einen sehr persönlichen Einblick ins Writing von Heather Flowers avantgardistischer Visual Novel. Gerade auch aus der Perspektive von Keinen Pixel den Faschisten!, an dem viele der Autor:innen dieser Aktion ehrenamtlich mitwirken, ein unglaublich bereichernder Text!
Den nächsten Beitrag zur zweiten Runde der Interactive Fiction Days machte in Woche sechs unsere Haushistorikerin Aurelia Brandenburg mit Schatz, willst du mit mir eine Mordwaffe kaufen? – Dating Sims, Authentizität und Realismus. Darin spricht sie nicht nur über weibliche Handlungsmacht in historischen Settings, sondern auch über Vorurteile gegen Dating-Simulatoren mit weiblichem Zielpublikum und die ewige Ausrede “historischer Authentizität”, die meist dazu genutzt wird, Frauen und queere Identitäten aus Spielen verbannen zu wollen. Absolute Pflichtlektüre!
Als kleines Bonbon haben wir außerdem Jan Heinemanns Beitrag zu den ersten Interactive Fiction Days aus dem Jahr 2018 noch einmal hervorgehoben: Der geschichtswissenschaftliche Text über 80 Days, antikolonialistisches Game Writing und nichtlineare Spielstrukturen passt perfekt in den Fokus, den die vorherigen Texte für diese Aktion gesetzt haben. Wenn ihr Zwischen Anti-Kolonialismus und imperialem Subjekt: Geschichtsbilder in 80 Days damals nicht gelesen habt, empfehle ich euch einen Blick hineinzuwerfen: Der Artikel ist heute noch ebenso gut!
Als krönenden Abschluss der Reihe schließlich untersucht Dominik Hellfritzsch einen der Überraschungshits aus 2020 auf die Darstellung einer der wenigen queeren Figuren. In 13 Sentinels: Aegis Rim und seine Lippenbekenntnisse an queere Identitäten findet er eine eher misslungene Umsetzung der englischen Übersetzung und vergleicht sie mit dem japanischen Original und japanischen Gesellschaftsbildern.
Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass die zweiten Interactive Fiction Days ein solch rundes Paket an Beiträgen zu einer solch nischigen Themenvorgabe produzieren würden. Ein Blick in den oben verlinkten Aufruf zum Mitschreiben verrät ja bereits, dass die Veröffentlichung als eBook im Nachgang der Aktion von Beginn an geplant war. Dass dieser digitale Sammelband eine so großartige Verknüpfung der großen Schlaglichter Genreeinordnung, Antifaschismus und LGBTQIA+ ergeben würden, ohne dass sich die Autor:innen untereinander abgesprochen hätten, zeugt nicht nur von der Expertise unserer Teilnehmer:innen, sondern wird auch die Buchveröffentlichung zu einer machen, über die man hoffentlich noch eine ganze Weile sprechen wird. Ich freue mich schon jetzt darauf, die Veröffentlichung ankündigen zu können, wenn das Design steht und ich das Cover präsentieren kann.
Bis dahin danke ich euch allen für die letzten drei Jahre und allen Autor:innen, die auf Language at Play veröffentlicht haben für die unglaublich gute, ehrenamtliche Arbeit. Auf die nächsten drei Jahre!
Eine Antwort
[…] startete als Geburtstagsaktion 2018 und dann erneut 2020. Im Februar und März 2021 erblickten die Ende 2020 eingereichten Artikel dann das Licht der Öffentlichkeit, und ich kann ohne Übertreibung behaupten, dass sich jeder einzelne davon zu lesen […]