»We are in Dire Need of Additional Scientists« – Über die Darstellung von Wissenschaftler*innen in Videospielen
Ein Gastbeitrag von Rudolf Inderst.
„Critical thinking is the key to success“, erklärt der fiktive Londoner Archäologe Professor Layton Spieler*innen in dem populären Rätselspiel Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf[1] und greift damit bereits eine Eigenschaft auf, die Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im Allgemeinen zugeschrieben wird – die Fähigkeit, kritisch zu denken und dergestalt Herausforderungen zu meistern sowie Probleme erfolgreich zu lösen. Doch damit nicht genug. In Professor Layton und das Vermächtnis von Aslant[2] spricht Layton, der neben seiner forschenden Tätigkeit auch als freier Berater erfolgreich im Dienst von Scotland Yard steht, eine weitere Maxime an: „Auch ein Fehltritt mag nach vorne führen.“
Die Frage, was Wissenschaftler*innen auszeichnet, welche Eigenschaften, Ambitionen und Arbeitsmethoden sie mitbringen oder entwickeln müssen, um auf ihren Feldern erfolgreich arbeiten zu können, aufgrund welcher Kriterien jener Erfolg überhaupt gekennzeichnet ist und wie ihre Arbeit wahrgenommen sowie medial widergespiegelt wird, ist hochgradig komplex.[3] Es ist zielführend, als Wissenschaftler*innen in ausgesuchten Video- und Computerspielen diejenigen Charaktere in den Blick zu nehmen, die entweder durch die Erzählung und/ oder ihre Funktion in der Spielmechanik für Spieler*innen klar mit wissenschaftlicher Praxis in etwa durch ihren Lebenslauf, ihre Tätigkeit oder die Örtlichkeiten, an denen sie sich aufhält, assoziiert werden.
Die Repräsentation Wissenschaffender in den Medien
Das Bild und die Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen in der Medien konsumierenden Öffentlichkeit unterliegen einem Wandel.[4]
“Since science started to have a major impact upon society – during the Victorian period – it simultaneously began to have an influence upon literature. From Frankenstein to Dr Jekyll , from HG Well’s Time Machine to Ian Fleming’s Dr No, science and scientists form a rich vein that runs through much of our recent literature.”[5]
Auch bleibt die wiederholte Darstellung von Forscher*innen und deren wissenschaftlicher Praxis nicht wirkungslos. Die US-amerikanische Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Diane Waldman erklärt dazu: „‚The only thing that I can say definitively is that no films are ‘just entertainment.’ Even if they’re entertaining they’re still helping to construct ideas about science and scientists“[6]. Weingart stimmt ihr zu: „Films probably never portray scientists (or any other characters) entirely realistically, as they are a form of art with its own rules of dramatization and representation […] but that does not mean that they do not have their own impact.“[7]
Der US-Physiker Peter Eugster weist in seinem Aufsatz auf die erstaunliche Vielfalt in der Darstellung von Wissenschaftlicher*innen in der aktuellen Fernseh- und Filmlandschaft der Vereinigten Staaten von Amerika hin:
„Movies have moved from the cartoonish mad scientist to the “maverick” scientist, and although some of the negative stereotypes have disappeared (unusual appearance, disability, white male), many others have persisted (socially awkward, unorthodox, loner). (…)Interestingly, researchers gave television the greatest credit. Both children’s science programs, and CSI, were identified as (for the most part) portraying scientists accurately and positively. It should be noted, however, that these are only a small portion of the shows on television that depict scientists, and there are certainly still shows where negative images of scientists appear.“[8]
Ebenfalls stellt diese Pluralität und Heterogenität der US-Physiker Stanley Perkowitz in seiner Untersuchung Hollywood Science: Movies, Science, and the End of the World fest – zudem kommt er zu dem Schluss, dass Filmbiographien namhafter Wissenschaftler*innen sich bei aller von Drehbuch, Ausstattung und Regie genommenen inszenatorischer Freiheit die vergleichsweise realitätsgetreuste und authentischste Abbildung wissenschaftlicher Arbeit anböten.[9]Auch bei Video- und Computerspielen sind die Darstellungen sehr vielfältig – sie dienen auch dazu, Wissenschaft und wissenschaftliche Praxis nicht als abstraktes Konzept für Spieler*innen minderverstanden zurückzulassen, sondern jene mit Leben und somit Verständnisfläche auszukleiden.[10] „Members of society judge scientists not only on their deeds, but also in the way their actions compare to those of their literary and cinematic [and ludic] counterparts.“[11]
XCOM: Dr. Moira Vahlen und Dr. Shen
Eine Wissenschaftlerin, auf deren Unterstützung Spieler*innen in einem Science-Fiction-Szenario in der Auseinandersetzung mit feindlich gesinnten Aliens bauen können, ist Dr. Moira Vahlen:
„Hello, Commander. My name is Dr. Vahlen. I oversee the Research Labs. This is where all of XCOM’s research and development takes place. We have already begun analyzing the artifacts recovered from our first encounter with the aliens. Based on our preliminary findings, we believe we can use them to develop some new equipment for our soldiers. With your approval, we will begin immediately.“
Im Herbst 2012 erschien das rundenbasierte Strategiespiel XCOM: Enemy Unknown[12] auf PC und Konsole. Es stellt gleichzeitig ein Remake des klassischen Strategiespiels UFO: Enemy Unknown[13] aus dem Jahr 1994 dar. Spieler*innen übernehmen in diesem Spiel des Entwicklers Firaxis Games die Rolle des Commanders der Geheimorganisation XCOM (kurz für „Extraterrestrial Combat Unit“), welche auf der spielinternen Zeitleiste bereits 1962 als US-Behörde namens The Bureau of Strategic Emergency Command gegründet wurde.[14] Da die Alienbedrohung allerdings schnell als grenzübergreifendes Phänomen wahrgenommen wird, hat die Einheit nun einen internationale Ausrichtung eingenommen.[15] XCOM übernimmt die herausfordernde Aufgabe, sich durch Entsenden von Eingreiftrupps, die aus 29 verschiedenen Nationen stammen, an globalen Schauplätzen eine Alieninvasion entgegen zu stellen:
„Hello Commander, In light of the recent extraterrestrial incursion, this council of nations has convened to approve the activation of the XCOM Project. You have been chosen to lead this initiative. To oversee our first… and last line of defense. Your efforts will have considerable influence on this planet’s future. We urge you to keep that in mind as you proceed. Good luck, Commander.“
Die außerirdischen Angreifer sind den Verbänden der Erde technologisch weit überlegen. Zwischen den Kampfmission liegt es an den Spieler*innen, ihre Basis auf- und auszubauen: Die subterrane Basis von XCOM, auch als Ameisenfarm bezeichnet, kann durch Ausbau-, Herstellungs- und Forschungsprogramme vergrößert werden.[16] Von hier aus können Spieler*innen entscheiden, auf welche Weise Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen Ressourcen einsetzen, welche in den Kampfmissionen sichergestellt wurden oder von Geldgebern der Organisation bereitgestellt werden.[17]
Sowohl die Wertungsergebnisse der Fachpresse als auch die Verkaufszahlen betreffend, war XCOM: Enemy Unknown einer der Spitzentitel 2013.[18] Spieler*innen lernen als Commander Dr. Vahlen bereits in der Einführungsmission namens Operation Devil’s Moon kennen. Diese kann nach Zufall entweder in Berlin, Köln, Hamburg oder München spielen. Vahlen unterstützt in dieser Mission in zweifacher Hinsicht: Nicht nur liefert sie medizinische Ratschläge, sondern ihre Deutschkenntnisse erleichtern zudem die Kommunikation mit dem Team vor Ort. Dr. Vahlen erteilt während des gesamten Spiels über nützliche Ratschläge und gibt Spieler*innen wertvolle Tipps an die Hand, um die Alien-Invasion erfolgreich zu überstehen. So weist sie zum Beispiel deutlich auf eine Unterbesetzung von wissenschaftlichen Fachkräften hin:
„It seems the complexities of our latest research projects are overwhelming the current staff. I hope you’ll consider seeking out additional scientists to bolster the team.“ Reagieren Spieler*innen nicht auf den Hinweis, wird Vahlen deutlicher: „We are in dire need of additional scientists in the lab, Commander. Now is not the time to cut back on resources dedicated to our research projects.“
Dabei weist sie eine erstaunliche Flexibiltät in ihrer Forschung auf: „I understand you’d like to reassess our current research priorities. Just let me know where you’d like us to direct our efforts and we’ll get to work“ und verspricht, dienstliche Anweisungen zeitnah umzusetzen: „This technology has a number of potential applications. I’m sure the science team is eager to begin. I’ll notify you as soon as we have have something significant to report.“ Ihre ergebnisorientierte Arbeitsethik scheint für die Anstrengungen der XCOM-Organisation zielführend zu sein: „The recovered artifacts are being unloaded and the Research Team is awaiting your orders. We’ll get started as soon as you give the order, Commander.“ Dennoch verliert Vahlen dabei nie die Begeisterungsfähigkeit und Neugierde neben ihrer gefährlichen Arbeit: „[A]lien life on Earth… we’re witnessing something never before seen in recorded history!“
Die in XCOM: Enemy Unknown dargestellte Mischung aus hoher Arbeitslast auf der einen Seite und eine erstaunliche, Kräfte freisetzende Selbstmotivation, oder spitzer gesprochen -aufgabe, welche aus der ungebremsten Begeisterung über den eigenen Forschungsgegenstands resultiert, erinnert an die immer wieder in den Medien diskutierten Arbeitsbedingungen für Nachwuchsforscher.[19] Ebenso stärkt die teleologisch, jegliche Forschungsethik unterminierende Handlungs- und Erfolgsausrichtung der Charaktere – hier ist tatsächlich besonders das wissenschaftliche Personal des Spiels als Vertreter eine institutionalisierten und statischen Wissenschaft zu nennen – diese Korrelation. Die hochgradige Funktionalität und Effizienz, die die Forschungsarbeit des Teams rund um den chief scientist an den Tag legt ist buchstäblich unmenschlich, aber selbstredend den Spielmechaniken des Genres geschuldet. Wie bereits dargelegt, lässt auch hier der technologische Determinismus keine „Forschungsabwege“ zu. Stellt man als SpielerIn die Stellschrauben nur richtig wie vorgesehen ein, wird man stets von Vahlen zu hören bekommen: „And if we have succeeded. […] We will have created something… extraordinary.“
Des Weiteren spekuliert und kommentiert Dr. Vahlen auch regelmäßig und lässt dadurch – atmosphärisch-dramaturgisch gesprochen – eine Art von kollegialem Alltag in der Forschungsbasis einkehren. Ihre Gedankengänge sind dabei oftmals Teil des kulturellen Wissens über wissenschaftliches Theorisieren:
„I’ve always thought of science as a way to improve our everyday lives, to answer the long-standing questions of scientific history. The aliens, though… it’s obvious now that they consider science simply as a means to an end, using and discarding life as needed to reach their goal… whatever that may be. […]I have difficulty understanding how such an advanced species could show so little empathy for the lives of other sentient beings… It goes against everything we have ever imagined. The technology is there, but with it comes a callousness we would never have expected.“
Seitens der Entwickler entschied man sich relativ spät, eine Romanze, die sich zwischen Dr. Vahlen und dem leitenden Ingenieur der Basis, Dr. Shen, angebahnt hatte und ursprünglich in einer Eheschließung münden sollte, wieder aus XCOM: Enemy Unknown zu entfernen. Beide Charaktere tauchen in der Fortsetzung des Spiels, XCOM 2[20], nicht mehr auf. Die Verbindung von Vahlen und Shen erinnert an ihre Forschungsgebiete:, richtet sich der Blick auf die wissenschaftlichen Hintergründe der beiden Spitzenforscher, lässt sich hier eine Art der Zusammenführung von theoretischer Forschung und praktischer Anwendung erkennen.
So erklärt Dr. Shen in etwa schmunzelnd: „Ah, Commander. I was wondering when you’d be stopping by. Welcome to Engineering. Anything they can dream up in the Research Labs, we can build it here“ und ergänzt danach: „Despite what the Research team might’ve told you, this is where the real magic happens. Anything they can dream up […] we figure out how to build it here.“ Im Übrigen ist es gerade der Ingenieur in XCOM: Enemy Unknown, dem angesichts der fortschrittlichen, nun für die Menschen zugänglichen und replizierten Alien-Technologie und nicht ganz wohl ist:
„The more I see, the more I don’t want to see. That twisted hulk of flesh and metal… driven by the alien technology, can we still call that life? We have to keep moving forward with the project, but the thought of treading the same path as the aliens… is troubling. What if they were like us once? Are we just part of a continuing cycle? If this is a glimpse of our future, I want no part of it. […] Mark it in the history books… This is the end of an era for mankind. Even after we’ve defeated the remaining aliens, what then? Have we sacrificed our own humanity for a taste of their technology? And if we manage to exploit this power further, do we risk being consumed by it… presumably, just as they were?“
Während Shen also dazu tendiert, die potentiellen Risiken der neuen Hochtechnologie zu diskutieren, gibt sich Vahlen optimistischer: „These advancements could completely change the course of scientific progress… a new, untouched field of study, just waiting for able minds.“ Insgesamt erscheint das Paar damit – nicht nur in dieser Frage – eine Synthese des gesamtheitlichen Wissenschaftsbetriebes und seiner kritischen Anmerkungen sowie Überlegungen bezüglich des Themas Fortschritt abzubilden.
Fallout 3: Dr. Madison Li, Anna Holt und Janice Kaplinski
Die drei Wissenschaftlerinnen arbeiten im Rivet City Lab in Fallout 3[21], in welchem an den Themen mobile Elektrizitätsnutzung und Obst- wie Gemüseaufzucht geforscht und gearbeitet wird. Fallout 3 wurde von dem US-amerikanischen Spieleentwickler Bethesda Game Studios entwickelt und ist das Genre der Rollenspiele einzuordnen. Es ist das nach Fallout[22] und Fallout 2[23] dritte Spiel der Hauptserie. Der Schauplatz ist das durch einen Atomkrieg auf einer alternativen Zeitlinie lebensfeindlich gewordene Stadtgebiet und Umland von Washington, D.C.[24] Der Titel wurde am 31. Oktober 2008 in Europa auf PC und Konsole veröffentlicht und gilt als wirtschaftlich äußerst erfolgreiches Spiel – über zwölf Millionen Exemplare wurden weltweit davon verkauft.[25] Das Urteil der Fachpresse war ebenfalls sehr positiv: So lobte in etwa PC-Games-Redakteur Felix Schütz: „Bethesdas Werk hat mir so viele actionreiche, spannende, motivierende Stunden beschert, in so einer atmosphärischen, clever aufgebauten Welt, dass man schon unter Rollenspiel-Allergie leiden muss, um dabei keinen Spaß zu empfinden“[26], während sein GameStar-Kollege Michael Trier ebenfalls zu Superlativen greift: „Die hochklassige, den Charakter des Vorgängers respektierende Wiedergeburt eines Kult-Klassikers in zeitgemäßer 3D-Grafik bei angemessener Spielzeit – was will die Spielerseele mehr? Ich bin dem Entwickler Bethesda darum zutiefst dankbar für diesen Titel.“[27]
Die braunhaarige Anna Holt ist eine Frau mittleren Alters, ausgebildete Botanikerin und kümmert sich in erster Linie um den Reifungsprozess zukünftiger Lebensmittel auf Obst- und Gemüsebasis im Rivet City Lab. Spieler*innen tritt sie dort kühl und abweisend, auf ihr hohes Arbeitspensum verweisend, gegenüber: „Look, some of us are trying to get work done here. There have been enough disruptions recently.“ Ihrem Arbeitgeber sowie ihrem Forschungsteam gegenüber zeigt sie nur sehr bedingt Loyalität – als eine fremde Fraktion die Wissenschaftlerin entführt, zeigt sie sich über deren technologischen Apparaturen derart begeistert und von den Forschungsansätzen angetan, dass sie kurzerhand dort weiterarbeitet: „You’ve seen the kind of technology these people have. […] I couldn’t pass up an opportunity to work in an environment like this.“ Mit ihrem Leben bezahlt die 29-jährige Kollegin Holts, Janice Kaplinski, ihre Loyalität zu Dr. Madison Lin. Kaplin, welche sie abgöttisch als Heldin der Wissenschaft verehrt: „The work that Doctor Li is doing is just amazing. I might even be able to produce broccoli in the hydroponic gardens next year.“ Ihr Hauptaufgabengebiet als Chefbotanikern ist das Erschaffen unverseuchter Lebensmittelquellen und –grundlagen: „I’ve been with Doctor Li for about ten years now. She needed an assistant, and I needed something to do.“ Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Wissenschaftlerin von Augustus Autumn, Anführer derjenigen Fraktion, welcher sich Kaplinskis Kollegin Holt anschließt, erschossen.
Die Laborleitung des Rivet City Lab ist der fast 50-jährigen Dr. Madison Li vorbehalten. Mit dieser Designentscheidung folgte das Entwicklerstudio einem Trend in der Darstellung von Wissenschaftler*innen, den die US-Kommunikationswissenschaftlerin Jocely Steinke in ihrem Beitrag Gender Representations of Scientists festhielt:
„Historically, media representations of male scientists have shown them as primary investigators or research leaders in the scientific workplace. […] Over time, media portrayals of female scientists’ professional status appear to have improved as women scientists are now more likely to be shown as primary scientists leading a team of reseachers or lead investigators rather than as research assistants or subordinates.“[28]
Fallout 3 stellt Li, die eine nicht näher definierte asiatische Herkunft aufweist als Wissenschaftlerin dar, die in jungen Jahren ebenso talentiert wie idealistisch mit ihrer Forschungsarbeit zur Wasserwiederaufbereitung begann. Obgleich ihre Expertise nicht in Zweifel gezogen wird, entschieden sich die Entwickler, in ihrem Lebenslauf zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere eine unglückliche und unerfüllte Liebe zu einem Kollegen einzubauen. Mit diesem Detail greifen die Entwickler auf ein häufig genutztes Motiv zurück, mit dem in den Medien dargestellte Wissenschaftlerinnen häufig zu kämpfen haben – die Unausgeglichenheit von Privatleben und Berufsleben, welche im Sinne einer Dramaturgiegestaltung ein reichhaltiges Konfliktportfolio bietet.[29]
Als Leiterin der Forschung im Rivet City Lab tritt sie Spieler*innen selbstbewusst gegenüber. Sie ist sich darüber im Klaren, was ihre Forschung im besten Fall für das Ödland bewirken kann: „This is the Rivet City Science lab. It’s taken many long years to put together, but we’ve done well for ourselves. Our work on portable fusion power and hydroponics are coming along quite nicely, if not quite according to schedule.“ Die „obstacles women face working in a male-dominated profession“[30] haben Li in ihrem beruflichen Lebenslauf nicht aufhalten können, sondern spornten sie sogar in ihrem Bestreben, ein eigenes Labor aufzubauen, an, wie die Spieler*innen während der Fallout-3-Geschichte erfahren können. Li stemmt sich damit erfolgreich gegen den „cultural myth of science and engineering as masculine pursuits“[31] Sie ist sich ihrer Schlüsselrolle in der postnuklearen Welt durchaus bewusst: „Rivet City is one of the few bastions of civilization left in the land. We’re working to rebuild our society; to make the world livable again.“
Fallout 3 funktioniert hier als hervorragend insofern als spielerische Vermittlungsinstanz, als dass es eine Bühne für „die Darstellung der Wissenschaftlerin als ritualisierte Orte kultureller Zirkulation“ anbietet und gleichzeitig eine „innerlogische Erzählwelt [aufzeigt], die soziale Verhältnisse weder spiegelt, noch verzerrt“, sondern zum kulturellen Wissen über Wissenschaft und wissenschaftliche Praxis beiträgt.[32] Wie bereits dargestellt, geht es nicht um eine Abbildung von Realität, sondern eine Möglichkeit gesellschaftliche Themen und Diskurse einerseits „in Erzählungen zu transformieren“[33], aber sie dadurch qua Medium Video- und Computerspiel und dem ihm innewohnenden Ludischen ebenso unmittelbar erfahrbar zu machen.
Zwar bleibt dem zu erzielenden Erkenntnisgewinn einer Wissenschaftsbiografik aufgrund mangelhafter Reflexion nicht unwidersprochen, so öffnet sich doch die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und die Technikgeschichte im Speziellen seit geraumer Zeit wieder diesem Forschungszweig. Die Wissenschaftsbiografik verspricht Einsichten in die sozialen, politischen und kulturellen Dimensionen der Zeit, was wiederum in einem Zusammenhang stehend mit kulturellem Wissen rund um Wissenschaft und wissenschaftliche Praxis verstanden werden kann.
Die erstaunliche Vielfalt in der Darstellung von Wissenschaftlicher*innen in der aktuellen Fernseh- und Filmlandschaft findet Ihr Pendant in derjenigen der Video- und Computerspiele.
Über den Autoren:
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[1] Level-5: Professor Layton und das geheimnisvolle Dorf. Nintendo of Europe, 2007.
[2] Level-5: Professor Layton und das Vermächtnis von Aslant. Nintendo of Europe, 2013.
[3] Vgl. Sarah Boon: What is a scientist? In: The Canadian Science Publishing Blog. URL: http://www.cdnsciencepub.com/blog/what-is-a-scientist.aspx Erstellt: 10.02.2015. Letzter Zugriff: 28.05.2016, Katie L. Burke: What Makes a Good Scientist. In: American Scientist. URL: http://www.americanscientist.org/bookshelf/pub/what-makes-a-good-scientist Erstellt: 2013. Letzter Zugriff: 28.05.2016 sowie Axel Meyer: Karriere als Wissenschaftler. In: ZEIT online. URL: http://www.zeit.de/campus/2011/04/tipps-forscherkarriere Erstellt: 14.06.2011. Letzter Zugriff: 28.05.2016.
[4] Vgl. Stephen H. Jenkins: Tools for Critical Thinking in Biology. New York, 2015. S.206 sowie Mark Griep/ Marjorie Mikasen: Reaction!: Chemistry in the Movies. New York, 2009. S.3.
[5] Chris Berry: The scientist in fiction – does science and literature have more in common than we imagine? In: Genotype. URL: http://esrcgenomicsforum.blogspot.de/2012/08/the-scientist-in-fiction-does-science.html Erstellt: 22.08.2012. Letzter Zugriff: 04.06.2016.
[6] Terry Devitt: Science movies: Always science fiction? URL: http://whyfiles.org/147sci_in_film/4.html Erstellt: 11.01.2002. Letzter Zugriff: 23.02.2015.
[7] Ebd.
[8] Peter Eugster: The Perception of Scientists. In: The Science Creative Quarterly. PURL: http://www.scq.ubc.ca/the-perception-of-scientists/ Erstellt: 01.03.2007. Letzter Zugriff: 23.02.2015.
[9] Vgl. Stanley Perkowitz: Hollywood Science: Movies, Science, and the End of the World. New York, 2007. S.7.
[10] Vgl. [-]: Scientists. S.469-S.473. In: Brian M. Stableford (Hg.): Science Fact and Science Fiction: An Encyclopedia. New York/ London, 2006. S.470.
[11] Michael J. Klein: Modern Myths: Science Fiction in the the Age of Technology. S.255-283. In: Daniel Riha (Hg.): Frontiers of Cyberspace. Amsterdam, New York, 2012. S.264.
[12] Firaxis Games: XCOM: Enemy Unknown. 2K Games, 2012.
[13] Microprose: UFO: Enemy Unknown. Microprose, 1994.
[14] Vgl. Ryan Rogers: How Video Games Impact Players: The Pitfalls and Benefits of a Gaming Society. Lanham/ Boulder/ New York, 2016. S.14f.
[15] Vgl. Evan W. Lauteria: Affective Structuring and the Role of Race and Nation in XCOM. In: Analog Game Studies. URL: http://analoggamestudies.org/tag/xcom-enemy-unknown/ Erstellt: 11.01.2016 Letzter Zugriff: 04.07.2016.
[16] Vgl. Achim Fehrenbach: Immer entlang des Abgrunds. In: ZEIT online. URL: http://www.zeit.de/digital/games/2012-10/xcom-enemy-unknown/komplettansicht Erstellt: 16.10.2012 Letzter Zugriff: 04.07.2016.
[17] Vgl. Colin Cremlin: Exploring Videogames with Deleuze and Guattari: Towards an Affective Theory of Form. London/ New York, 2016. S.27.
[18] Vgl. Scott Hurff: Designing Products People Love: How Great Designers Create Successful Products. Peking/ Boston/ Farnham u.a., 2016. S.243 sowie Stephan Freundorfer: Strategiespiel “XCOM: Enemy Unknown”: Weltrettung für Fortgeschrittene. In: Spiegel online. URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/games/xcom-enemy-unknown-macht-der-marke-alle-ehre-a-863552.html Erstellt: 26.10.2012 Letzter Zugriff: 04.07.2016.
[19] Vgl. Anne-Kathrin Gerstlauer: Gefangen im Kreislauf aus Druck, Zeitnot und Angst. In: ZEIT online. URL: http://www.zeit.de/studium/hochschule/2015-01/wissenschaft-forschung-universitaet Erstellt: 13.01.2015 Letzter Zugriff: 04.07.2016, Thomas Thiel: Wege durch den Flaschenhals. In: FAZ.net. URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/tausende-hochschul-assistenten-kaempfen-um-wenige-lehrstuhl-plaetze-13903202.html Erstellt: 11.11.2015 Letzter Zugriff: 04.07.2016 sowie Olaf Jan: Was ist der dritte Stand? Der akademische Mittelbau im postdemokratischen Produktionsbetrieb. In: diskurs. Erstellt: 10.09.2013 Letzter Zugriff: 04.07.2016.
[20] Firaxis Games: XCOM 2. 2K Games, 2016.
[21] Bethesda Game Studios: Fallout 3. Bethesda Softworks, 2008.
[22] Black Isle Studios: Fallout: A Post-Nuclear Role-Playing Game. Interplay, 1997.
[23] Black Isle Studios: Fallout: A Post-Nuclear Role-Playing Game 2. Interplay, 1998.
[24] Vgl. Moritz Blüml/ Caroline Ewen: Das Radio als Mythenträger am Beispiel von „GNR“ und „Enclave Radio“ in Fallout 3. In: Spiel-Kultur-Wissenschaft. URL: https://spielkult.hypotheses.org/200#more-200 Erstellt: 24.05.2016 Letzter Zugriff: 07.07.2016.
[25] Vgl. Philip Kollar: Fallout 4 could be a bigger hit than Skyrim. In: Polygon. URL: http://www.polygon.com/2015/11/10/9673936/elder-scrolls-bigger-than-fallout-sales-data-report Erstellt: 10.11.2015 Letzter Zugriff: 01.07.2016.
[26] Felix Schütz: Fallout 3: Der PC-Games-Test zum Rollenspiel der Oblivion-Macher. In: PC Games. URL: http://www.pcgames.de/Fallout-3-Spiel-23088/Tests/Test-zu-Fallout-3-666711/5/ Erstellt: 11.11.2008 Letzter Zugriff: 01.07.2016.
[27] Michael Trier: Fallout 3 Test. Gelungene Reanimation eines Klassikers. In: GameStar. URL: http://www.gamestar.de/spiele/fallout-3/test/fallout_3,43430,1950893,fazit.html Erstellt: 10.11.2008 Letzter Zugriff: 01.07.2016.
[28] Jocelyn Steinke: Gender Representations of Scientists. S.322-325. In: In: Hornig, 2010. S.324.
[29] Vgl. Jocelyn Steinke: A portrait of a woman as a scientist: breaking down barriers created by gender-role stereotypes. S.409-428. In: Public Understanding of Science. Nr.6/1997. S.412.
[30] Jocelyn Steinke: Women Scientist Role Models on Screen. S.38-63. In: Science Communication. Nr.1/1999. S.41.
[31] Jocelyn Steinke: Science in cyberspace: science and engineering World Wide Web sites for girls. S.7-30. In: Public Understanding of Science. Nr.13/2004. S.8.
[32] Eva-Maria Knoll/ Birgit Sauer: Einleitung: Ritual, Ritualisierung und Geschlecht. S.9-25. In: Eva-Maria Knoll/ Birgit Sauer (Hg.): Ritualisierungen von Geschlecht. Wien, 2006. S.18.
[33] Erik Ziegler: Alte Jungfer, einsame Heldin: Forscherinnen im Film. Interview mit der Mediensoziologin Eva Flicker. In: ORF ON Science. URL: http://sciencev1.orf.at/science/news/153442 Erstellt: 21.11.2008 Letzter Zugriff: 02.07.2016.