Das Haus des regenbogenfarbenen Adlers – Fire Emblem: Three Houses, Revolution, Kompetenz und Weiblichkeit
Ein Gastbeitrag zu den Interactive Fiction Days II von Kassandra Hackenberg.
Dieser Text ist Part 1 der dreiteiligen Reihe Fire Emblem: Three Houses: Revolution, Kompetenz und Weiblichkeit. Eine Annäherung an die Inhalte und Rezeption der Edelgard-Route. Er wird innerhalb der Interactive Fiction Days II veröffentlicht, die weiteren Teile folgen nach.
Diese Texte stehen im bewussten Kontrast zu Aurelia Brandenburgs Analyse der Dimitri-Route, die Lektüre wird daher empfohlen!
CN: Trauma, Gewalt, Folter, Krieg, Queerfeindlichkeit, Misogynie, Rassismus, Katholizismus
Das Haus des regenbogenen Adlers
Fire Emblem: Three Houses ist zu einem Drittel Strategiespiel, zu einem Drittel ein Matchmaking Simulator und zu einem Drittel Visual Novel in Form von Dialogen.[1] In einer epischen Fülle von insgesamt mehr als hundert Stunden bei normaler Spielgeschwindigkeit für alle Routen erzählt Fire Emblem: Three Houses von dutzenden politischen Entwicklungen. Die Handlung findet hauptsächlich auf dem Kontinent Fódlan statt. Hauptort der Handlung ist Garreg Mach, ein (zu Beginn noch) als Kloster und Akademie verwendeter Hauptsitz der Kirche von Seiros, einer mächtigen, streng durchhierarchisierten Glaubensinstitution mit Erzbischöfin an der Spitze und mit eigener Armee, den Ritter*innen von Seiros. Unter Erlaubnis und ständiger Bestätigung der Kirche herrschen in vielen Regionen Adelsfamilien. Diese legitimieren ihre Herrschaft mit magischen Fähigkeiten, die an leibliche Kinder übertragen werden können: Die sogenannten Crests, die Personen im Blut tragen, sorgen für magische Fähigkeiten auf dem Schlachtfeld und sind laut der Kirche ein Geschenk der Göttin, welche Personen zur Herrschaft bestimmt. Wenn sich der Player Character Byleth als Trainer*in für das Training der Akademieschüler*innen im Haus des schwarzen Adlers entscheidet, verfolgen die Spielenden den politischen Aufstieg der Prinzessin Edelgard von Hresvelg. Edelgard erbt den Thron des Kaiserreichs Adrestia und startet eine Revolution zur Abschaffung der Crests, der Zerschlagung der Kirche und Beendigung des Adelswesens. Wenn die Spielenden ihre Route wählen, hat die Revolution nach sechs Jahren des Krieges Erfolg.[2]
In der Erzählung innerhalb Fire Emblem: Three Houses erfüllen die Charaktere meist archetypisierte Rollen[3] und sind in ihrer Entwicklung der narrativen Ergründung allgemeinerer Fragen unterstellt. Außer Byleth, sowieso mehr Beobachtungslinse als Charakter, gibt es kaum Figuren, die nicht mit einem Trauma, traumaähnlichem Erwartungsdruck oder einer tiefsitzenden emotionalen Reaktion auf die Vergangenheit zu kämpfen hätten. Im starken Kontrast zum Gesamtwerk von G. R. R. Martin ist Trauma in der Edelgard-Route keine dünn verdeckte Misogynie und Queerness keine Befriedigung des Male Gaze. Die Entwicklung der Gesellschaft spiegelt sich in den Charakteren wider, und einige davon erhalten einen persönlichen Freiraum, in dem sie ihr Trauma aufarbeiten können. Die ursprünglichen Mitglieder des Hauses des schwarzen Adlers machen dies sehr deutlich.
Paradebeispiel ist die junge Adelige Bernadetta, deren Vater sie mittels Gewalt zu einer devoten Ehefrau erziehen wollte, um ihre Heirat als politischen Spielball einzusetzen. Anfangs zeigt sich ihre Traumatisierung in Symptomen wie schwerer Soziophobie. Im Verlauf des Auflösungsprozesses der Aristokratie entwickeln sich die zuvor stark auf ihren Status fixierten Charaktere um sie herum, und entwickeln eine emotionale Sensibilität im Umgang mit Bernadetta. Figuren wie Edelgard und Hubert nehmen Bernadettas emotionale Bedürfnisse von Anfang an ernst, entwickeln aber erst mit der Zeit das Verständnis, eine funktionsfähige Kommunikationsbasis zu erschaffen. Bernadettas Zustand bessert sich deutlich, sie ist im Verlauf der Route wesentlich besser darin, für ihre Bedürfnisse Raum wahrzunehmen und andere Menschen nicht so häufig mit Gefahr in Verbindung zu bringen.
Caspar ist ein Adeliger, der ohne Crest geboren wurde und deswegen sein adeliges Haus nicht erben wird. Er ist von Anfang an sehr auf ständige Selbstverbesserung im Kampf und die Verteidigung von Anderen aus, eine Eigenschaft, die Ferdinand von Aegir unbedingt als adelig interpretieren will. In aus der Revolution erwachsenden sozialen Klima wird sein Streben nach Selbstverbesserung und sein Wille zum Schutz Schutzbedürftiger aus der forcierten Klammer des Adelsstatus entfernt und als Charaktereigenschaft seines Individuums anerkannt. Sein enger Freund und möglicher Lebenspartner Linhardt ist ein Gelehrter mit Schwerpunkt der Erforschung von Crests, der seine Forschungsinhalte nach Lust und Laune treiben lässt und viel schläft. Edelgard erschafft nach einiger Reflektion und Anerkennung von Linhardts Charakter eine eigene Institution, die Linhardt erlaubt, ohne die Veränderung seiner habituellen Verhaltensmuster einen fokussierten Beitrag zur Wissenschaft liefern.[4] Auch sein Verhalten wird vorher im Kontext der Aristokratie reflektiert und als wider der adeligen Ehre verstanden. Erst in der Individualisierung der Gesellschaft kann er eine praktische Freiheit entwickeln.
Ferdinand von Aegir ist Sohn des adrestischen Premierministers, und anfangs designierte zweitwichtigste Person des Kaiserreichs, immens standesversessen und in einem konstanten Beweisdruck, besser als Edelgard zu sein. Die Betonung seines Namens bei Auswahl seiner Figur in Schlachten vor Beginn der Revolution ist so markant, dass sie in der Community um das Spiel herum ein Meme geworden ist; es reflektiert aber die Tatsache, dass er seine adelige Herkunft als Selbsterwartung und Weltbild permanent herumträgt. Sein langsames Ablegen seines Standes und Status als einzige Inhalte seiner Eigendefinition ist bezeichnend für die Bedeutungsverlust des Adels. In seiner Selbstreflektion, welche Edelgard anstößt, entwickelt er sich zu einem politischen Akteur, der sich für eine kostenlose und universelle Grundbildung sowie kostenlose tertiäre Bildung für besonders begabte Schüler*innen ausspricht. Sein Weltbild kann sich von dem Jahrtausend seiner Familiengeschichte lösen und für die Menschen öffnen. Er versucht sich auch an einer ehrlichen, wenngleich auch späten Entschuldigung an Dorothea, gegen die er zuvor seine feudalistische Macht projiziert hat. Hubert von Vestra ist ein interessanter Charakter, weil sein Hintergrund und die schlussendliche Distanz seiner Entwicklung sowohl Erfolge als auch Grenzen der Revolution aufzeigt. Seine Familie, auch bekannt als die Herr(*inn)en des Schattens, stellte über die Jahrtausende die loyalsten und engsten Vertrauten der Kaiser*innen, die für die widermoralischsten Geheimoperationen zuständig waren. Von seinem Vater in emotionale Abhängigkeit zu Edelgard getrimmt, reproduziert er die Unmenschlichkeiten des Status Quo in die persönliche Ebene hinein. Er steht zu Beginn in deutlichem Konflikt mit Ferdinand, da Hubert die Überlegenheit der Krone und damit Edelgard verwendet, um alle anderen Menschen abzuwerten. Erst nachdem Edelgard über Jahre und diverse Gespräche hinweg die in ihr personifizierte imperiale Überlegenheit in Huberts Weltbild etwas demontieren kann, öffnet er sich für die Fähigkeiten und Individualität anderer Menschen und lernt Ferdinand als Freund und möglichen Lebenspartner kennen. Ferdinand und Hubert sind beide in ihre Privilegien hineinerzogen worden und zeigen, dass die Auflösung von Unterdrückungsmechanismen privilegierte Einzelpersonen nicht von der Pflicht der Selbstreflektion entbindet.
Zeigen Hubert und Ferdinand die Entwicklung privilegierter Menschen im Angesicht rapiden gesellschaftlichen Wandels, sind Dorothea und Petra das marginalisierte Pendant. Dorothea Arnault stammt aus der kaiserlichen Hauptstadt und konnte als Straßenkind der Abwertung und sozialen Bedrohung von Seiten der Privilegierten dank ihrer Stimme in einer Opernkarriere entkommen. Aus Angst vor erneutem sozialen Abstieg sucht sie anfangs krampfhaft nach einem reichen Ehemann, lernt aber mit der Auflösung der sozialen Rolle des Adels ein Gefühl von Sicherheit und Hoffnung in die Zukunft kennen. Petra Macneary war als Kind nach der adrestischen Invasion Brigids als Thronfolgerin in Gefangenschaft geraten. Ihrer Individualität beraubt und in einen fremden Kontinent mit unbekannter Sprache ist sie als Geisel permanente Drohung des Kaiserreichs an den neuen Vasallen Brigid. Trotz der Tatsache, dass sie mit am Beginn des Spiels mit gerade fünfzehn Jahren das jüngste ursprüngliche Mitglied des Hauses des schwarzen Adlers ist, spiegelt sich die Gewalt gegen ihre Kultur, auf ihre Person fokussiert, in ihrer Ernsthaftigkeit und ihrem Leistungsstreben. Wie Nicole Hunter in einem Aufsatz verdeutlicht, ist Petra vor der Revolution kein Raum gegeben, sich gegen die Xenophobie und den Rassismus der Gesellschaft, repräsentiert von Hubert, zu wehren.[5] Mit der Zerstörung eines reaktionären Adelsplots und der damit verbundenen Umstrukturierung der Politik des Kaiserreichs in der Revolution eröffnet sich der Raum für die Unabhängigkeit Brigids, welche Petra friedlich erwirkt. Während der feudalistische Klassismus und der imperiale Kolonialismus als Achsen der Marginalisierung kollabieren, finden Dorothea und Petra gemeinsam einen emotionalen Freiheitsraum. Eine emotionale Ehrlichkeit und Verletzlichkeit, die für beide vorher eine sowohl persönliche als auch überpersönliche Lebensgefahr bedeutet hat, ist nun zum ersten Mal eine Option, die sie in sich gegenseitig annehmen. Wenn sie am Ende der Geschichte zusammenkommen, sind sie das explizit queerste Paar, welches nicht Byleth enthält.
Queerness ist in Fire Emblem: Three Houses im Gegensatz zu omnipräsenter nicht-queerer Heterosexualität die absolute Ausnahme. Dorothea und Petra in der Edelgard-Route sind die einzigen beiden gleichgeschlechtlichen Charaktere, zwischen denen explizit in der englischen Übersetzung von Liebe gesprochen wird. Umso bedeutender ist die emotionale Beziehung, die sich zwischen einer weiblichen Byleth und Edelgard entwickeln und schlussendlich in einer romantischen Beziehung aufgehen kann.[6] Noch bevor Byleth eines ihrer seltenen Worte sprechen kann oder überhaupt die Kirche, Akademie oder Crests kennt, versucht Edelgard sie im Tutorial für ihre politischen Absichten zu rekrutieren. Neben der politischen Bedeutung, in der beispielsweise die nichtadelige, nichtkirchliche Byleth den Platz der Erzbischöfin in Edelgard Krönungszeremonie einnimmt, ist die Gegenwart der Protagonistin auch Edelgards persönlicher Rückzugsort. Vor Beginn der Revolution geht sie dabei sehr vorsichtig vor, um ihre Absichten nicht zu verraten. Als Byleth wenige Wochen nach Beginn der Revolution in der Explosion des Klosters Garreg Mach für fünf Jahre verschwunden ist, stagniert der Krieg gegen die Kirche genauso wie Edelgards Handlungswillen. Auch ohne die neckenden Feststellungen Caspars zu Edelgards Verzweiflung in Byleths Abwesenheit sind Edelgards Umarmung und Tränen nach Byleths Rückkehr einer der ehrlichsten und direktesten emotionalen Momente ihres Charakters. Edelgard ist in der Öffentlichkeit auf ihre Rolle als Bannerträgerin der Revolution und Projektionsfläche der Hoffnungen des Kontinents reduziert, die Möglichkeit zu emotionaler Entfaltung und Individualität, die schlussendlichen Werte ihrer Revolution, sucht sie immer wieder mit Byleth. Entschließt sich Byleth gegen Ende des Krieges gegen die Kirche zu einem Antrag an Edelgard, gesteht diese die romantische Natur ihrer Zuneigung. Nach Edelgards Abdankung mehrere Jahre später verbringen beide die Zukunft miteinander. Das Ende der zwölf Jahrhunderte andauernden Hresvelger Blutlinie auf dem kaiserlichen Thron wird also, zumindest in diesem Fall, von einer Beziehung der queeren Kaiserin mit einer dem dritten Stande angehörigen Person besiegelt. Die Kirche ist, trotz einer Frau auf dem Äquivalent des Heiligen Stuhls, in vielen Mustern und symbolischen Punkten der katholischen Kirche nachgezeichnet, die wie keine zweite Institution in der Weltgeschichte fast zwei Jahrtausende globaler Queerfeindlichkeit erschaffen hat. Ihre Zerstörung aus der Planung und Durchführung einer biromantischen Kaiserin und ihrer sapphischen Freundin heraus entbehrt sich nicht einer deutlichen Ironie und Katharsis.

Ob der finale Moment vor dem unwiderruflichen Zusammenbruch der Institution Kirche besonders romantisch ist, lässt sich nur anhand des Blickkontaktes zwischen den Beiden erahnen.
Insgesamt lässt sich auch ohne Zweifel die verhältnismäßig deutliche Queerness in der Edelgard-Route darauf zurückführen, dass Queerness immer in Opposition zum nicht-queeren Status Quo konstruiert wird. Edelgards Angriff auf den Status Quo mit dem Ziel einer auf individuelle Existenz Rücksicht nehmenden Gesellschaft eröffnet automatisch mehr Raum für Queerness als König Dimitris Festklammern an dem alten, unfreien Status Quo.
Über die Autor:in
Kassandra Hackenberg forscht zu politischer Kommunikation und Umbruchsgeschichte, ist wesentlich besser darin, Spiele zu kommentieren als sie tatsächlich zu spielen und wünscht sich mehr Geschichten, in denen eine nuancierte Revolution und cute Queerness zentrale Rollen einnehmen.
Ludographie
Fire Emblem: Three Houses. 2019. Entwicklung: Intelligent Systems/Koei Tecmo. Publisher: Nintendo. Nintendo Switch. Version 1.2.0.
Bibliographie
Brandenburg, Aurelia. 2019. “Fire Emblem: Three Houses”: Ritter, Ehre und Männlichkeit. Language at Play. <https://languageatplay.de/2019/09/09/fire-emblem-three-houses-ritter-ehre-und-maennlichkeit/>.
Hunter, Nicole. 2019. Does Fire Emblem: Three Houses Tackle Xenophobia Adequately?. Black Girl Gaming. <https://www.blackgirlgaming.com/blog/2019/8/21/does-fire-emblem-three-houses-tackle-xenophobia-adequately>.
Gilbert, Brian David. 2019. How to tell apart all 596 Fire Emblem characters | Unraveled. YouTube. < https://www.youtube.com/watch?v=EMVjPDqrkyg>.
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[1] Fire Emblem: Three Houses. 2019. Entwicklung: Intelligent Systems/Koei Tecmo. Publisher: Nintendo. Nintendo Switch. Version 1.2.0. Zum Teil wurden Transkripte von Spielinhalten anhand des Fire Emblem Wikis auf Vollständigkeit überprüft: <https://fireemblem.fandom.com/wiki/Fire_Emblem_Wiki>.
[2] Zu den konkreten Inhalten der politischen Welt des Kontinents Fódlan siehe Teil zwei dieser Analyse.
[3] Eine analytische Feststellung, zu der Brian David Gilbert auch gelangt, die er aber leider nicht zu Ende führt und damit in oberflächlicher und letztendlich auch falscher Interpretation von Fire Emblem: Three Houses verbleibt. Vergleiche Gilbert, Brian David. 2019. How to tell apart all 596 Fire Emblem characters | Unraveled. YouTube. < https://www.youtube.com/watch?v=EMVjPDqrkyg>.
[4] Dies schlüsselt ein Account auf tumblr nochmals deutlicher auf, vergleiche folgenden Screenshot: <https://languageatplay.de/wp-content/uploads/2020/11/KassandraFE3H_0.png>.
[5] Hunter, Nicole. 2019. Does Fire Emblem: Three Houses Tackle Xenophobia Adequately?. Black Girl Gaming. <https://www.blackgirlgaming.com/blog/2019/8/21/does-fire-emblem-three-houses-tackle-xenophobia-adequately>.
[6] Edelgards im Spiel etablierte Biromantik (sowohl eine weibliche als auch ein männlicher Byleth kann sie heiraten) ist auch der Grund, warum ihre Figur und damit ihre Gefühle unabhängig von Byleths Gender queer sind. Im Folgenden wird bei Bedarf von einer weiblichen Byleth ausgegangen, da im Bereich des Shippings und damit in der fandomgebundenen Lesart des Texts eine sapphische weibliche Byleth in einer Beziehung mit Edelgard die absolute Mehrheit der Interpretation der Beziehung stellt und Edelgard auch neben Dorothea die Ausnahme einer weiblichen Beziehungsoption für eine weibliche Byleth stellt. Die einzige männliche Beziehungsoption unter der Vielzahl an Charakteren für einen männlichen Byleth ist, dies nur am Rande, Linhardt. Dies bedeutet das gleich drei der fünf möglichen spielbaren Beziehungen sich zu Beginn in der Edelgard-Route befinden.