Schatz, willst du mit mir eine Mordwaffe kaufen? – Dating Sims, Authentizität und Realismus
Historische Dating Sims und andere von Liebesgeschichten getriebenen Visual Novels in historischem Setting fliegen oft unter dem Radar, wenn es um Spiele geht, die sich an Geschichte bedienen. Dabei verdeutlichen sie eigentlich überraschend klar, wie sehr auch Kategorien von historischer Authentizität und Realismus gegendert sind.
Irgendwann Anfang 49 v. Chr.: Ganz Gallien ist von den Römern besetzt und anders als bei Asterix und Obelix ist dem in A Courtesan of Rome, einer Dating-Sim im Visual Novel-Gewand, wirklich so. Während Caesar nun in Richtung Rom marschiert, entspinnen sich in der Stadt rund um eine Kurtisane ein paar scheinbar harmlose Entwicklungen, die letztlich zu seinem Tod beitragen sollen. Besagte Kurtisane heißt Arin und ist eigentlich die Tochter eines gallischen Stammesoberhaupts, wurde aber vor acht Jahren gefangen genommen und in die Sklaverei verkauft. Inzwischen ist sie wieder frei, hat eine ausgiebige römische Bildung genossen und schmiedet heimlich ihre eigenen Rachepläne, während sie mit Senatoren schäkert und Generäle um den Finger wickelt.
Arin ist die Hauptfigur, die wie für diese Art Dating Sims typisch nicht nur optisch, sondern auch namentlich angepasst werden kann und mit der ich mich als Spielerin durch 21 Kapitel flirte und intrigiere. Die auftretenden Figuren sind insgesamt recht vorhersehbar: Da wäre z.B. Cassius, der als einer der Anführer der Verschwörung gegen Caesar in die Geschichte eingegangen ist und auch hier als Verteidiger der Römischen Republik auftritt. Cassius ist im übrigen auch einer von vier möglichen Love Interests für Arin. Die anderen drei sind niemand anderes als Marcus Antonius – für dessen Romance es übrigens das Achievement “Watch out, Kleopatra!” gibt – für Anhänger:innen des “Enemies to Lovers”-Trope, Arins Leibwächter Syphax sowie Cassius’ Cousine Sabina als weiblichen Love Interest. Abgesehen davon kann Arin über eine zusätzlich kaufbare Szene auch noch mit Caesar, Kleopatra oder beiden gleichzeitig anbandeln. Und nebenbei strengt Arin sich auch noch an, ihre Familie wieder zu vereinen und ihre Feinde umzubringen. Es gibt also viel zu tun.
Watch out, Kleopatra!
Natürlich ist es leicht, Witze über dieses Spiel und seine Figuren zu machen, genauso wie es leicht ist, dasselbe bei vergleichbaren Spielen zu tun. Während alles, das sich im Medium Spiel verzweifelt als “erwachsen” und “seriös” zu positionieren versucht, darauf fixiert ist, möglichst genau an eine angenommene historische “Wahrheit” – was auch immer das sein soll – heranzukommen, spielen Apps wie Choices, zu der auch A Courtesan of Rome gehört, nach anderen Spielregeln. Ihre Geschichten sind meistens figurengetrieben und orientierten sich oft stärker an Genrekonventionen aus Liebesromanen als an Versprechen von historischer Korrektheit oder Authentizität. Das historische Setting dieser Geschichten ist vielleicht eine dankbare Kulisse, aber oft genug auch nicht mehr als das. Die Handlung selbst kreist um die (meist weibliche) Hauptfigur und auch das Verhalten der anderen Figuren richtet sich meistens vollkommen danach, was für Beziehungen diese Hauptfigur zu ihnen pflegt.
Dass das alles dann nicht immer historisch vollkommen Sinn ergibt, geschenkt. Der Caesarmörder Cassius war zum Beispiel um 50-44 v. Chr. herum kein junger Mann mehr und hatte seinen Sitz im Senat auch nicht wie einen Adelstitel von seinem Vater geerbt. Stattdessen unterstreichen diese Spiele immer und immer wieder, wie stark Forderungen nach und eine Versessenheit auf historische Korrektheit in Spielen auch mit der Zielgruppe verbunden sind. A Courtesan of Rome, genauso wie die Jane Austen-esquen Desire & Decorum-Geschichten desselben Studios oder auch kostenlose Indie-Visual Novels wie The Lady’s Choice erzählen alle frauenzentrierte Liebesgeschichten und versuchen sich damit ziemlich sicher stark an eine weibliche Zielgruppe zu richten. Und alle sind dabei auch noch verhältnismäßig divers in ihrer Figurenauswahl aufgestellt. A Courtesan of Rome und Desire & Decorum bieten so zum Beispiel jeweils auch eine Frau als Love Interest an und nicht-weiße Figuren sind ohnehin gang und gäbe.
Das ist noch kein Grund, diese Spiele – oder ihr Subgenre – übermäßig für ihre Vielfalt zu loben oder grundsätzlich ernster zu nehmen als sie sich selbst verkaufen, aber es ist bemerkenswert, wie eben dieses Subgenre konsequent unter dem Radar zu fliegen scheint, aber gleichzeitig doch ein vergleichsweise interessantes Verhältnis zu ihren historischen Inspirationen aufmachen. Statt zu fragen, wie “es” denn nun “wirklich” war, scheinen diese Spiele zu fragen, was ich mir als Spielerin denn wünschen würde, wie eine Geschichte denn hätte sein können.
Denn natürlich ist es irgendwo absurd, wenn mir ein Spiel die Option bietet, mit Cassius auf ein Date zu gehen, um den Dolch zu kaufen, mit dem er sich an Caesars Ermordung beteiligen will, aber hey, es ist auch absurd, mich in den digitalen Schuhen eines Assassinen von einem Turm in einen Heuhaufen zu stürzen oder eine schreiende Lucrezia Borgia in ihrem eigenen Garten als Geisel zu nehmen. Trotzdem ist das selbstironische Augenzwinkern in Richtung der eigenen Geschichtskonstruktionen interessant, schon allein weil es indirekt einen spannenden Gegensatz aufmacht: “historisch authentisch” oder “realistisch”, das sind scheinbar ernste Geschichten, in denen ernste Menschen ernste Dinge tun, und eine Abweichung davon braucht eine freundliche Relativierung, die daran erinnert, dass das alles ja nur Fiktion ist.
Realismus, Authentizität und selbsterfüllende Prophezeiungen
Dabei ist diese Verknüpfung von Realismus bzw. Ernsthaftigkeit mit einer narrativen Konzentration auf weiße cis Männer vielleicht nicht überraschend, aber im Grunde paradox. Und auch wenn “Authentizität” und “Realismus” gerade unter Spielenden gerne mal synonym verwendet werden: Hier geht auch nicht einmal primär um Authentizität. Ein Desire & Decorum, das insgesamt vor allem von Tropes aus Regency- beziehungsweise generell Liebesromanen über die Zeit des 18.-19. Jahrhunderts in England lebt, ist aufgrund dieser Genre-Traditionen und den damit verknüpften Bildern vermutlich für viele seiner Spieler:innen halbwegs authentisch, inszeniert sich aber insgesamt nicht als realistisch.
Begreift man Authentizität als eine Atmosphäre, die durch historisch anmutende Codes erzeugt wird, dann kann diese Atmosphäre auch z.B. durch Motive und Tropes erzeugt werden, die geschichtswissenschaftlich nicht haltbar sind. Gleichzeitig hat Realismus, gerade im Kontext von Spielen, häufig etwas mit Marketing und Selbstinszenierung zu tun. Realismus ist das Versprechen, möglichst nah an einer in irgendeiner Form konstruierten Realität zu sein, was auch immer diese Realität situationsbedingt dann nun sein soll. Authentizität wäre damit also ein Bauchgefühl von Vergangenheit, Realismus ein Bauchgefühl von Realität.
Die Unterscheidung ist wichtig, weil sie uns zurück zu der selbstironischen Geschichtskonstruktion zum Beispiel von Romance-Visual Novels und Dating-Sims bringt. Solche Spiele, aber selbst Historien-Schinken wie Crusader Kings 3, distanzieren sich im Grunde mit diesen Kniffen primär von gängigen Realismus-Vorstellungen und damit insbesondere von gritty realism in seinen verschiedenen Ausführungen. Derselben Art Realismus, die in den letzten Jahren immer wieder in Kritik geraten ist, besonders Frauen und Marginalisierte als Requisiten für Misery Porn zu benutzen und in denen Diversität oder auch nur narrative Konzentration auf weiße cis Frauen eher Ausnahme als Regel ist.
Diese Selbstironie verdeutlicht auch, wie stark Realismus mit Identität verbunden ist und wie in Erweiterung auch viele Authentizitätsentwürfe Spiegel von identitätspolitischen Diskussionen sind. Realismusentwürfe bedienen sich auch immer in erster Linie in stilisierter Form Mitteln, von denen angenommen wird, dass sie die Vorstellungskraft der eigenen Zielgruppe nicht sprengen oder auch nur zu sehr beugen. Bei historischer Authentizität passiert etwas ähnliches, aber die Imagination, die hier den Rahmen liefert, besteht aus Bildern und Vorstellungen von einer bestimmten Vergangenheit. Beides funktioniert in seiner Konstruktion über Erwartungen. Die erwähnte Selbstironie dient eigentlich immer dazu, Elemente zu relativieren, die entweder aus Erzähltraditionen von Liebesromanen, einem historisch sehr weiblichen und zum Teil auch queeren Genre, stammen oder ganz grundsätzlich Soziales abbilden, und selten geht es tatsächlich um rein Humoristisches wie das mittelalterliche Tinder in Crusader Kings 3.
Daraus resultieren letztlich fiktionalisierte Geschichtskonstruktionen, die an sich nicht überraschend oder ungewöhnlich sind, aber popkulturell zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen führen. Ernsthaftigkeit wird oft scheinbar mit den Unmöglichkeit verknüpft, marginalisierte Figuren außerhalb einer Leidensgeschichte existieren zu lassen, und wenn sie außerhalb so einer Leidensgeschichte existieren, dann scheint das häufig im Kontext einer distanzierenden Selbstironie zu geschehen, die wiederum eine Verknüpfung von Kategorien wie Realismus indirekt als unwahrscheinlich bis unmöglich deklariert. Und damit schließt sich auch der Kreis, weil so innerhalb der Spielregeln von Realismus auch wieder ganze Personengruppen unvorstellbar bleiben und schneller zu unpassenden Elementen erklärt werden, womit sie wiederum unauthentisch werden.
Der Fantasie überlassen
Und wie immer ist an dieser Stelle interessant, wie viele von diesen Mechanismen sich erst dann offenbaren, wenn überhaupt ein Vergleich da ist, der sie indirekt hervorhebt. Die Relativierung des eigenen historischen Bezugs und der eigenen Ernsthaftigkeit z.B. durch A Courtesan of Rome verdeutlicht u.a., wie stark gegendert historische Authentizität sein kann. Egal ob narrativ auf der Handlungsebene, durch die sprachliche Konstruktion eines Weltenbaus oder schlicht durch bewusst gesetzte Überspitzungen, die letztlich auch an solche anknüpfen, mit denen auch historische Liebesromane immer mal wieder kämpfen.
Dabei können diese Spiele, wenn sie die Gelegenheit bekommen, durchaus einen interessanten Ansatz offenbaren. Am Ende der Handlung von A Courtesan of Rome, nachdem Rom mehr oder weniger im Chaos rund um Caesars Ermordung versunken ist und Arin dramatisch ihre eigene Rolle darin gespielt hat, skizziert ein kurzer Abschlusstext den weiteren Verlauf der Ereignisse in den folgenden Jahren. Marcus Antonius hält seine berühmte Totenrede, ein Bürgerkrieg bricht aus und schließlich wird Octavian als Augustus Kaiser. In einer abschließenden “Writer’s Note” bedanken sich die Autor:innen bei ihren Spieler:innen dafür, das Spiel gespielt und sich damit vorgestellt zu haben, dass “one smart, beautiful, and vengeful woman might have had [a role] on a pivotal moment in Western history”, und schlagen vor, sich weiter vorzustellen, wie Arins Geschichte danach geendet haben könnte. Ein wenig ist genau das bittersüß: Ein Spiel, das klar sein historisches Setting dazu benutzt, um eine frauenzentrierte Geschichte für ein vermutlich sehr weibliches Publikum zu erzählen, zieht sich selbst in seinem Versuch eines weiblichen Empowerments auf die Vorstellungskraft seiner Spieler:innen zurück. Und auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob man diese Spannung anders (oder besser) hätte auflösen können, so steht diese Art Abschluss doch ein wenig exemplarisch für das Verhältnis von Authentizität, weiblichem Empowerment und Spielen. Weibliches Empowerment gibt es häufig nur oder primär zum Preis einer Markierung als reine Fiktion, männliches Empowerment ist dagegen Standard.
Auch wenn Arin für mich trotzdem mit Marcus Antonius als mordendes Power-Couple in den Sonnenuntergang reitet.
Über die Autor:in
Aurelia Brandenburg ist Historikerin mit Schwerpunkt auf Mittelalter und Digital Humanities. Sie bloggt außerdem manchmal auf ihrem Blog geekgefluester.de über Popkultur und ist als @hekabeohnename auf Twitter zu finden.
Behandelte Spiele
- Choices: Stories You Play. 2016-. Pixelberry Studios. Android / iOs. Version Oktober 2020.
- The Lady’s Choice. 2016. Seraphinite. Windows / Linux / macOS. Version 2.0.
- Crusader Kings 3. 2020. Paradox Development Studio. Publisher: Paradox Interactive. Windows / Linux / macOS. Hotfix 1.1.3.1.
Bibliographie
- Dausacker, Alena / vom Ort, Ann Kristin. 2014. Where All Avatars Are Created Equal. Eine Betrachtung gegenderter Sprache in Videospielen mit wählbarem Avatar-Geschlecht. In: kultur & geschlecht 12, S. 1-16.
- Gries, Katharina. 2019. Queering History: Wie man LGBTQ Figuren im historischen Roman (nicht) schreibt. In: Zeitfäden. Geschichte(n) zwischen den Zeilen. https://zeitfaeden.de/2019/08/08/queering-history-wie-man-queere-figuren-im-historischen-roman-nicht-schreibt/
- Young, Helen. 2016. Race and Popular Fantasy Literature. Routledge.
- Zimmermann, Felix. 2019. Digitale Spiele als historische Erlebnisräume. Ein Zugang zu Vergangenheitsatmosphären im Explorative Game. vwh.
2 Antworten
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