ice cream so good – “NPC”-Streamerinnen oder eigene Memeform?
Seit einigen Tagen geht ein seltsamer TikTok-Trend auch durch andere Social-Media-Netzwerke. Ich habe auf Twitter davon erfahren, wo immer wieder bestimmte Trends des chinesischen Videonetzwerkes präsentiert werden, meist, um sich darüber zu wundern, was bei den (meist deutlich jüngeren) User*innen “da drüben” so abgeht.

Das Phänomen NPC Streamer stellt aktuell Cherrycrush (links) und Pinkydoll (rechts) ins Rampenlicht. Mitte: Stockfoto mit Nutzungserlaubnis, Pavel Danilyuk.
Im aktuellen Fall rede ich von Videos, die in der Konversation mittlerweile mit dem Teilsatz “icecream so good” beschrieben werden. Die Rede ist von interaktiven Streams, in denen Frauen von Zuschauer*innen virtuelle Goodies erhalten und in Echtzeit auf diese reagieren. Dabei wippt die Frau – die beiden Beispiele, die meist durchs Internet geistern, sind zwei bestimmte Mitschnitte von Livevideos der TikTokerinnen Pinkydoll und Cherrycrush – auf eine bestimmte Art auf und ab, nutzt stark überzeichnete Mimik und formulaische, sich immer wiederholende Bewegungen und ebenso festgelegte, stets wiederholte Arten nach virtuellem Essen zu schnappen und kommentiert jedes virtuelle Goodie mit einem stets gleichen Kommentar. Daher auch der von außen verliehene Titel: “icecream so good” ist einer der besonders oft wiederholten Sätze aus Pinkydolls Live-TikTok. Die Mechanismen dieser Videos und die dahinterstehende Monetarisierung hat Berit Glanz in ihrem Newsletter wunderbar beschrieben, falls euch das Thema stärker interessiert. Und wenn euch weder meine Beschreibung noch ihre so richtig vermitteln konnte, worum es einfach geht, seht euch am besten einfach einen Ausschnitt aus dem besagten Video von Cherrycrush an:
Video oben: Mitschnitt aus Cherrycrushs Live-TikTok. Quelle: Cherrycrush/Twitter-Account “NPC Streamers”.
Einordnungen dieses Trends auf Twitter sind oft abwertend. Vermutlich aus mehreren Gründen: der Appeal dieser Videos für die Zuschauer*innen, die immerhin Geld dafür bezahlen, kleinere Interaktionen mit der Streamerin auszulösen, ist von außen schwer nachzuvollziehen und leicht lächerlich zu machen. Die ‘Generation TikTok’, junge, hochdigitale Menschen mit Videoaffinität, deren Lebensgewohnheiten so fundamental anders sind als die von Leuten ab 30, wirkt durch diese Distanz auf viele ältere Menschen oft vermeintlich absurd.
Und wahrscheinlich steckt auch eine ordentliche Portion Misogynie in so manchem Lästern, schließlich verdient hier eine Frau, im Fall von Cherrycrush auch noch eine Pornodarstellerin, Geld vor einer Kamera – etwas, das schon auf Twitch für zahlreiche frauenfeindliche Eklats gesorgt hat.
Woher kommt der NPC-Trope?
Warum nun hier darüber sprechen? Nun, ein Hinweis findet sich in Berits Text bereits. Dort ist die Rede von einem NPC-artigen Verhalten. Zitat: “Das TikTok Live-Genre in dem Menschen wie Computerspiel NPCs (Non-player Character) merkwürdige random Dinge tun, wie beispielsweise Maiskörner mit einem Glätteeisen aufpoppen lassen und dabei mit statischem Gesicht auf die erhaltenen Rewards zu reagieren […]” Tatsächlich hat sich für das recht neue Phänomen bereits der Titel “NPC Streamers” eingebürgert.
Ich bin über den Vergleich mit NPCs direkt gestolpert. Der stammt übrigens nicht von Berit und das hier ist keine Kritik an ihrem Text, sondern eine Ergänzung aus der Sicht eines Spiele-versierten Sprachwissenschaftlers. Denn wer intensiv Videospiele spielt und vor allem solche Genres, in denen Spieler*innen viel mit NPCs interagieren, Rollenspiele beispielsweise, wird mir zustimmen, dass NPCs so eigentlich nicht wirken. Das Klischee von Nichtspielerfiguren, von älteren Titeln wie The Elder Scrolls IV: Oblivion oder Star Wars: Knights of the Old Republic bis hin zu modernen wie Dragon Age: Inquisition oder Forspoken, ist nicht, dass sie sich ständig bewegen. Im Gegenteil: Stereotypisch stehen die eher zu unbeweglich rum, haben zu wenig Mimik und Gestik für die jeweilige Situation.
Das formulaische Kontern von Aktionen mit jeweils derselben Reaktion passt wiederum gut, denn meist führt wiederholtes Klicken auf dieselbe Dialogoption auch zur immerselben Antwort, oder das Schenken desselben Items in Spielen mit sozialer Komponente (wie Stardew Valley, etwa) auch zur immer selben Dankesreaktion. Auch sich ständig wiederholende Animationen sind durchaus üblich, gerade in Multiplayertiteln, wo Spielfiguren in Hero-Shootern wie Overwatch oder auch in Fighting Games gerne mal bestimmte Animationen oder ‘Taunts’ zur Schau stellen können, die andere Spieler*innen dann sehen und die gerne mal ‘gespammt’, also immer wieder hintereinander genutzt werden.
Ist das noch NPC?
Die Verbindung zu Games ist also unbestreitbar da: Sie liegt nur nicht so offen, wie von außerhalb der Game Studies gedacht. Tatsächlich erinnert mich die ganz spezielle Art der Verkörperung einer beeinflussbaren, interaktiven Figur eher an digitale Choreographien von VTubern oder den Mitgliedern virtueller Tanzgruppen wie Riot Games’ K/DA. Diese Verbindung aber nur am Rande, denn da verlasse auch ich den Bereich, in dem ich mich wirklich auskenne.
Worauf ich tatsächlich hinaus will, ist ein anderer Gamingtrend, der sich in Form eines Memes in die digitale Gesellschaft integriert hat und auf den ich die Gaming-Einflüsse dieser interaktiven Schenk-Videos zurückführe. Es geht um eine Mischung aus Choose Your Character, einem selbsterklärenden Mitmach-Meme, das es auch in Bildform gibt, und einem Trend um “Idle Poses” – also die Animation, die Spieler*innen-Avatare in Games abspielen, wenn man sie länger nicht bewegt. Auf TikTok hat sich daraus vor einigen Jahren in Verbindung mit dem wohl berühmtesten Fighting Game, Super Smash Bros., ein Video-Template, also ein bestimmtes, immer wieder wiederholtes Format gebildet. In diesem Verkörpern TikToker*innen samt Smash-Bros.-Menümusik verschiedene Ausprägungen irgendeines Stereotyps, wie Urlauber oder Europäer. Charakteristisch dabei: Das Wippen in Position, wie es Fighting-Game-Figuren im Auswahlmenü auch tun, während man sie noch nicht angeklickt hat. Eine ganz spezifische Ausprägung der “Idle Pose” also, die sich über TikTok-Trends ins kulturelle Verständnis der User*innen eingegraben hat. Hier ein Beispielvideo aus TikTok-Stitches, hochgeladen auf YouTube:
Mehr Meme als Game
Und genau diese spezifische Ausprägung der “Idle Pose” finde ich auch in den Videos der Machart “icecream so good” wieder: Eine bestimmte Bewegungsart, die von typischen Ausprägungsformen der meisten Videospiele fast nicht weiter entfernt sein könnte und die doch sofort den Gedanken an Videospiele erweckt. Eine faszinierende Ausprägung von subkulturspezifischen (damit meine ich nicht Gaming, sondern Fighting Games) Markern, die über Umwege in eine andere Kultur eingeblutet sind und dort intuitiv verstanden werden. Vielleicht auch weil sich TikTok in vielen anderen Belangen, etwa in POV-Videos, die zum Beispiel Tavernenbesuche simulieren, viel bei Gaming-Tropes bedient.
Oder ganz plakativ ausgedrückt: Ironisch persiflierte Videospieldetails sind in der Mitte der (Digital-)Gesellschaft angekommen.
Zum Weiterlesen:
Einige spannende Links zum Thema.
- Vor dem US-Trend: Schon 2022 gewann eine japanische Streamerin einen Award als NPC.
- Eine (unvollständige) Sammlung an Fallbeispielen von Marcus Bösch, Research Fellow an der HAW Hamburg.
- Ice Cream So Good! Why the Latest TikTok Trend Is to Have Zero Thoughts von Ej Dickson, Rolling Stone (Große Empfehlung! Über die Ähnlichkeiten von NPC Streamers und dem Bimbo-Trope)
- $7,000 a day for five catchphrases: the TikTokers pretending to be ‘non-playable characters’ von Wilfred Chan, The Guardian (Über die Erotik im NPC-Streamers-Trend)
- In Defense of NPC Livestreams von Magdalene Taylor, Vice
- Viral TikTok NPC Streamer Pinkydoll Doesn’t Care What You Think von Samantha Cole, Vice