Queer und gegen die Welt – Extreme Meatpunks Forever
»Uh… I’m… «, stammelt Sam. Er hat der Gruppe offenbar etwas Wichtiges zu gestehen: »I’m gay.«
Lianna lacht für einen Moment, fängt sich aber als sie merkt, dass er es ernst meint. »I’m gay, too.«, stimmt sie ein. Brad greift das Thema auf: »I’m bi and, uh, also trans lmao«. Cass, das letzte Mitglied der Sundown Meatpunks, gibt zu, keine Label für sich zu haben. »Sure as shit ain’t straight« ist das Fazit.
Extreme Meatpunks Forever von Heather Flowers ist eine Visual Novel über vier queere Figuren auf der Flucht vor einem faschistischen Regime. Es besteht größtenteils aus Visual-Novel-Passagen, in denen man sich regelmäßig entscheiden muss, welchen Gesprächen in der Gruppe man lauschen möchte.
Den Rest machen Kampfpassagen aus. Darin wählt man einen der vier aus, der:die dann in einem übermenschlich großen Roboter aus Fleisch, Blut und Knochen gegen andere Roboter dieser Art kämpft, in denen Angehörige des Regimes stecken – Faschist:innen also.
Vertraue nur deinen Freunden und deinen Fäusten
Die namensgebenden Meatpunks sind eine anti-faschistische Bewegung, von der es in mehreren Ortschaften eine lokale Organisation gibt. Brad, autodidakter Mechaniker der Fleisch-Roboter, veranstaltet zum ersten Mal eine Versammlung für eine Gruppe der Meatpunks in der Heimatstadt der Protagonist:innen: Sundown. Diese wird von einer kleinen Armee von Faschist:innen unterbrochen, die von der Veranstaltung Wind bekamen. Einer davon gibt sich als Anführer des Hassmobs zu erkennen. Daraufhin sucht man sich als Spieler:in aus, mit welcher Figur man ihm eine Abreibung verpassen darf.
Der Sieg wird sofort durch die Erkenntnis untergraben, dass die Meatpunks den Sohn des Sheriffs von Sundown vermöbelt haben. Die kreischenden Sirenen der Polizei im Ohr, fliehen die vier damit aus der Stadt in die Wüste. Nächstes Ziel: Hopeville, um die Meatpunks dort um Hilfe zu bitten.
Damit beginnt der Hauptteil der Geschichte: Der Roadtrip, die Gespräche zu Beginn und Ende jedes Tages, den kauzigen Figuren, denen man auf dem Weg begegnet, und den Faschist:innen in ihren Fleisch-Robotern, denen man mit eigenen Fleisch-Robotern entgegen tritt.
Diese Kämpfe sind schnell, ruckartig und nicht selten wirr. So geht es um nichts weiter als das blanke Überleben: Fortschritt ist erst erlaubt, wenn man alle Gegner in der Arena über eine Klippe in ihren Tod gestoßen hat oder selbst das gleiche Schicksal erleidet.
Jede der vier Protagonist:innen hat dazu auch ihre eigene Meinung: Cass ist durch das Aufwachsen im Regime schon so niedergeschlagen, dass sie um ihr Leben nicht mehr fürchtet und keinerlei Mitleid spürt. Brad gibt zu, dass es ihm Unbehagen bereitet, Lilianna hingegen geht im Töten von Faschist:innen sichtlich noch stärker auf als B. J. Blazkowicz in Wolfenstein: The New Order.
Eine weiche Sicht auf die harte Welt der Meatpunks
Die Welt von Extreme Meatpunks Forever ist bereits in ihrer Ausgangssituation eine Extrapolation unserer eigenen: Die Faschisten sind an der Macht, überall zu finden und erbarmungslos. Die Protagonist:innen haben die ersten Episoden über nur einander, um menschliche Zuflucht zu finden.
Trotzdem wird der Ton zwischendurch auch schnell wieder leicht. Die Figuren drücken sich aus wie queere Menschen auf Social Media. Je nach Figur bleiben Groß- und Kleinschreibung und Rechtschreibung außen vor. Selbst Smileys (zum Beispiel »:D«) oder der berüchtigte Keysmash (z.B.: »hsdfgshjk«) sind keine Seltenheit. Dadurch ziehen die Dialoge einen echten Vorteil daraus, nicht vertont zu sein. Sie gewinnen die schnippische Ausdruckskraft eines guten Tweets oder Tumblr-Posts. Auch tendiert der Stil dadurch zu natürlich wirkender, leichtherziger Comedy.
So überraschend wie erfrischend legt Heather Flowers in ihren Texten nicht nur Wert darauf, die Unterdrückung der Protagonist:innen darzustellen, sondern auch die Spieler:in keiner Replikation von echter Hassrede auszusetzen. Meatpunks genügt sich zu Beispiel damit, auf Rassismus durch ein eingeblendetes »[incredibly racist joke]« zu verweisen. Es vertraut darauf, dass das Publikum versteht, warum das Brad zum Kampf motiviert. Damit wagt sich das Spiel auf einen seltenen Spagat zwischen queer-freundlicher Erzählung und der Thematisierung von existenziellen Sorgen, denen queere Menschen (noch) nicht entkommen können.
Darüber hinaus scheut sich Flowers auch nicht, die vierte Wand zu durchbrechen. Oft pausiert sie die Geschichte, um die Spieler:in zu informieren, dass die nächste Entscheidung beeinflussen wird, ob man einem leichten, aufbauenden Gespräch teilhaben wird oder einem thematisch schwerwiegenden Gespräch über Suizid. Flowers lässt uns mit der gleichen Sorgfältigkeit über unser eigenes psychisches Wohlergehen entscheiden, mit der die Entwickler:innen von The Witcher 3 den regulären Spielfluss brechen, um die Spieler:in wissen zu lassen, dass man den letzten Teil des Spiels beginnt. Ähnlich wie bei den Verweisen auf Hassrede entsteht der Eindruck, dass Meatpunk ein queeres Spiel für ein queeres Publikum sein möchte. Es schließt dabei jedoch anderen niemanden aktiv aus.
Fleisch anstelle von Metall
Es wäre ein Versäumnis, die überlebensgroßen Fleisch-Mechs nicht zu besprechen. Sie stehen als Metapher für eine mögliche trans* Erfahrung, in der wir einen Körper steuern, den wir nicht direkt als unseren eigenen anerkennen. Schnallt sich eine Figur jedoch in einen von ihnen hinein und, wie das Spiel es ausdrückt, wirft ihr Genick in den ›Nerv-Stachel‹, ist zwischen »eigenem« und »fremden« Körper nicht mehr zu unterscheiden.
Generell besteht ein großer Teil des Meatpunks-Universum daraus, dass Maschinerie aus Fleisch und Knochen besteht. Mechaniker wie Brad schaufeln an einer Tankstelle Blut in den Bauch der Mechs wie Kohle in einen Ofen. Ich habe selbst oft Phasen, in denen ich de-assoziiere und meinen Körper als von mir selbst losgelöst wahrnehme. Mit Sicherheit lässt sich es nicht sagen, aber ich vermute schon seit einiger Zeit, dass diese Dissoziation mit meiner transgender Identität beziehungsweise einer Art von Geschlechtsdisphorie zusammenhängt. Daher kann ich mir die Idee, einen Fleisch-Roboter zu steuern, wenn ich über den mechanischen Aufbau meines Körpers nachdenke, gut vorstellen.
Was Meatpunks sagen will, sagt es laut und unmissverständlich
Ohne dabei auf alle Elemente von Extreme Meatpunks Forever eingegangen zu sein, die seine Queerness offenlegen, wird dennoch bereits deutlich: Heather Flowers scheut sich nicht, genau zu sagen, was sie meint: Faschismus und dessen Konsequenzen sind die größte Bedrohung für die Menschen, die uns nahestehen. Wenn Kunst nicht selbst einen unmissverständlichen Standpunkt gegen Faschismus einnimmt, werden die Faschist:innen sich die Kunst aneignen.
Trotz des bedrückenden Szenarios und den düsteren Twists der Geschichte formuliert das Spiel stets lebensbejahende Momente: Seien es die ruhigen, verletzlichen Interaktionen innerhalb der Gruppe oder die unheimlichen Begegnungen in der Wüste, die sich als harmlos und auf ihre eigene Weise charmant herausstellen.
Diese Perspektive haucht der apokalyptischen Erzählung die benötigte Hoffnung ein. So wie wir unsere eigene Welt nicht alleine ändern können, geht es auch in der Welt von Meatpunks jeden Tag aufs Neue darum, zu überleben. Für so viele Menschen, die von einem faschistisch (oder kapitalistisch) vorgegebenen Vorbild abweichen, kann jedoch selbst das zum Kampf werden.
Meatpunks zeigt, dass sich dieser Kampf lohnt und dass er gerechtfertigt ist. Es spricht sich dafür aus, dass Verteidigung an erster Stelle steht. Egal, ob die der eigenen Rechte, des Lebens anderer oder schlicht die Verteidigung, einen Morgen gemeinsam erleben zu können. Schließlich will man den nächsten Abend mit diesen albernen Weirdos um nichts in der Welt verpassen.
Über die Autor:in:
Auf ihrem YouTube-Kanal Gescheit Gespielt untersucht Lena Maximilian Siess vorrangig Rollenspiele und Adventures auf Menschlichkeit – seien es Gewaltbeziehungen in Neo Cab oder die Rolle von Maskulinität in den Reihen Gothic und Risen. Wer ihre Reise dabei unterstützen möchte kann das unter tosendem Applaus ihrerseits auf Patreon tun.
Behandelte Spiele:
- Extreme Meatpunks Forever, 2017, Entwickler: Heather Flowers, Publisher: N/A, PC(Win/Mac/Linux). <https://hthr.itch.io/extreme-meatpunks-forever>
Ein klasse Beitrag! Das Spiel klingt wirklich nach was besonderem, und die Message stimmt absolut – es braucht mehr explizite Medien, die klar machen, dass Faschismus am zunehmen ist und dass er explizit marginalisierte Personen und deren Existenz gefährdet.
Der Vibe klingt auch echt spaßig, und ich find’s cool, dass sowas wie rassistische Witze nicht für Schock value gezeigt werden. Macht das Spiel wesentlich zugänglicher, finde ich.
Mit dem Schreibstil mit Smileys und Keysmashes ist das natürlich ein Risiko, dass es sich schnell veraltet anfühlt, aber mir persönlich gefällt es.
Danke für deinen super Beitrag!