Warum tragen alle Clerics Streitkolben?
Wahrscheinlich habt ihr das schon oft wahrgenommen, ohne wirklich darüber nachzudenken: Clerics, also Kleriker*innen, tragen in Rollenspielen fast immer eine ganz bestimmte Art Waffe, nämlich Streitkolben, Keulen oder Morgensterne: Rabiate stumpfe Gegenstände, die eher zum groben Zertrümmern geeignet sind als zum zielgenauen Duellieren. Aktuelles Beispiel: Shadowheart, Klerikerin aus Larians Baldur’s Gate 3, startet mit einem Streitkolben in der Gruppe der Spieler*innen und hat auch als Startskill einen Punkt in der Fähigkeit Morgensterne.
Das hat sich Larian nicht ausgedacht, sondern ist dem darunter liegenden Dungeons-and-Dragons-Skillsystem zu verdanken: In DnD 5E, also der Advanced-Version von Dungeons and Dragons Fifth Edition, ist der Streitkolben als Startskill zwar nicht mehr vorgegeben, Streitkolben oder Kriegshammer sind jedoch die einzigen Nahkampfwaffen, mit denen ein Cleric dort starten kann. Auch hier zeigt sich also noch eine Eigenschaft, die in älteren Versionen des Regelwerks deutlich restriktiver ausgeprägt ist: Dnd 2E, als die Advanced Second Edition, auf deren Regeln beispielsweise die ersten beiden Baldur’s Gate-Spiele basieren, macht klar:
Weapons: Allowed to use: Only blunt, bludgeoning weapons. (Quelle: ADnD2E-Wiki)
Nur stumpfe Waffen, die zertrümmern statt zu schneiden, also. Auch andere Spielreihen übernehmen diese Verbindung aus Priester*innen-Figuren und stumpfen Waffen. Ein weiteres Paradebeispiel: Die Dark– und Demon’s-Souls-Reihe, wo zwar keine Spielfigur an irgendwelche Waffen gebunden ist, die Cleric-Startklassen jedoch ausnahmslos mit Streitkolben starten. Eine der wohl besten Waffen in Demon’s Souls, der Mirdanhammer, ein Streithammer an einem Speerschaft, wird von seinem Item-Text ebenfalls mit einem Priesterorden in Verbindung gebracht, Zitat: “This weapon holds special significance for those of the faith.” (Quelle: DS-Wiki) Auch in Diablo wird die dem Cleric am nächsten stehende Paladin-Klasse vor allem mit Kriegshämmern in Verbindung gebracht.
Es scheint also ein etablierter Fantasy-Trope zu sein, dass Priester*innen Streitkolben oder Hämmer schwingen. Doch wo kommt’s her? Gut möglich natürlich, dass sich Gary Gygax und Dave Arneson diese Einschränkung ganz arbiträr ausgedacht haben, als sie DnD erschufen, und dass sich seitdem alle Fantasywelten mehr oder weniger explizit darauf berufen – Souls-Schöpfer Hidetaka Miyazaki zumindest geht ganz offen damit um, dass die Lektüre von DnD-Regelheften in seiner Jugend ihn zu seinen Spielen inspiriert haben. Doch so einfach erklärt – und so jung! – ist die Verbindung auch stumpfem Kloppen und Priesterschaft tatsächlich nicht.
Odo, der Bischof mit der Keule
Denn: Sie besteht beziehungsweise bestand auch in der realen Welt, zumindest in Teilen. Lasst uns einen der berühmtesten kämpfenden Priester des europäischen Mittelalters als Beispiel nehmen. Odo von Bayeux, Bischof der normannischen Kathedralenstadt, späterer Earl von Kent und Regent von England, war der Halbbruder seines Lehnsherren, des normannischen Herzogs William dem Bastard. Dieser sollte als William der Eroberer in die englische Landesgeschichte eingehen. 1066 segelte Odo gemeinsam mit seinem Halbbruder über den Ärmelkanal, um den englischen Thron von Harold Godwinson zu erobern, dem letzten angelsächsischen König des Inselreiches. Abgesehen davon, dass Odos Kirchenschatz die Invasion überhaupt bezahlbar machte, ist er als einer der wenigen Waffengefährten Williams in der entscheidenden Schlacht von Hastings gesichert. Der Wandteppich von Bayeux, ein siebzig Meter langer Streifen bestickten Leinens, der wahrscheinlich von Odo selbst in Auftrag gegeben wurde, um in der Kathedrale von Bayeux ausgestellt zu werden und als Propagandainstrument Williams Eroberung von England zu legitimieren, zeigt Odo kämpfend in der Schlacht sowie an mehreren anderen Stellen mit einer Keule bewaffnet zu Pferd oder auf einem Schiff. Das Schlachtbild, das Odo in Aktion zeigt, sieht so aus:
Odo hält dort eine Keule und steht mitten im Schlachtgeschehen. Das ist unüblich für einen Kleriker, insbesondere so offen und gefeiert, wie es auf diesem von Odo wahrscheinlich selbst in Auftrag gegebenen Wandteppich gezeigt wird. Denn Kleriker durften eigentlich nicht an Kriegen teilnehmen. Beziehungsweise, und hier setzt sowohl die historische Diskussion als auch die Darstellung von Kleriker*innen in historischen und Fantasy-Rollenspielen an: Priester durften laut kirchlicher Vorgaben kein Blut vergießen. Damit Odo also ohne verdammt zu sein am Krieg seines Halbbruders teilnehmen durfte (und wohl auch später in seinem Leben, denn als Regent in Abwesenheit Williams schlug er mehr als einen Aufstand in England nieder) tat er genau das: Kein Blut vergießen, also keine Klingenwaffe nutzen. Mit einer stumpfen Keule floss schließlich beim Zuschlagen (theoretisch) kein Blut, sondern das blieb im Wesentlichen, wo es hingehörte. Nämlich im Körper, auch wenn der Keulenschlag die genaue Anordnung von Knochen, Fleisch und Blut durchaus negativ beeinflusst haben dürfte. Diese klerikale Spitzfindigkeit soll im Einklang mit biblischen Geboten gestanden haben, vermuteten in den 1950ern und 1960ern Historiker*innen, die sich mit der Schlacht von Hastings beschäftigten. Das Narrativ war besonders stark just in der Zeit, in der Gygax und Konsorten begannen, ihre Rollenspiele zu designen – und so fand vermutlich die Keule als Standardwerkzeug des Klerikers Einzug in Dungeons and Dragons und von dort aus nicht nur in heutige Iterationen der Reihe, sondern auch in viele andere Fantasy- und Rollenspielwelten.
Unsicher, aber weit gestreut
Ganz sicher ist dieser klerikale Kniff zum blutlosen Kloppen freilich nicht. Schon seit den 1980ern wird eine andere Theorie als deutlich wahrscheinlicher eingeschätzt, die besagt, dass die Keule eher als Herrschaftsymbol gilt denn als tatsächliche Kriegswaffe genutzt wurde. Zum einen, weil auch William selbst auf dem Wandteppich mit Keule abgebildet ist. Zum anderen, weil der oben gezeigte Abschnitt von Odo in der Schlacht darauf durchaus Hinweise zulässt. Darüber steht auf Latein nämlich HIC ODO EP[ISCOPU]S BACULU[M] TENENS CONFORTAT PUEROS, zu Deutsch wörtlich: “Hier Bischof Odo, eine Keule haltend, wie er den Jungen Kraft gibt”. Gut möglich also, dass Odo hier eher angefeuert hat, als selbst Schädel zu brechen. Einfluss auf die Popkultur genommen haben dürfte die Keulen-Theorie aber auf jeden Fall, entweder durch Dungeons and Dragons oder durch weiter gefasste kulturelle Osmose. Variationen derselben finden sich nämlich in so manchem Setting, sogar in der Science Fiction. In Firefly etwa gibt Sheperd Derrial Book, Priester und Teil des Main Casts der kurzlebigen Sci-Fi-Serie, eine recht artverwandte Antwort, die zwar nicht das Blutvergießen, aber das Töten in ähnlicher Weise einordnet.
Zoë : Preacher, don’t the Bible have some pretty specific things to say about killin’?
Book : Quite specific. It is, however, somewhat fuzzier on the subject of kneecaps.
(zitiert nach IMDB)
Weil es nicht in der Bibel steht, Kniescheiben nicht zerschießen zu dürfen, hat Gott also nichts dagegen – klingt wie das oben beschriebene priesterliche Schlupfloch, auf Schusswaffen angewandt.
Literatur
Douglas, David C & Greenaway, George W. (Herausgeber). 1959. English Historical Documents 1042–1189. London. S. 238.
Lemagnen, Sylvette. 2015. La Tapisserie de Bayeux. A Step-by-Step Discovery, Bayeux.
Oakeshott, Ewart. 1980. European Weapons and Armour. Woodbrige. S. 62–63.