Heilige Flammen: Feuer als Heilsbringer
Eine Gastbeitrag-Reihe von Jessica Kathmann.
Ob in Form von Feuerzaubern, Bossgegnern oder brennenden Häusern: Die Reihe an Videospielen, in denen uns Feuer begegnen, ist lang und die Spannweite an Darstellungsformen groß. In dieser dreiteiligen Artikelreihe möchte ich den Versuch unternehmen, verschiedene Aspekte der Feuersymbolik näher zu beleuchten und mit eindrücklichen Szenen aus diversen Spielen in Verbindung zu bringen. Als Richtschnur dienen dabei einige Redewendungen, in denen die Vielfalt der Feuersymbolik bereits ihren Ausdruck findet. Der dritte und letzte Teil thematisiert das Feuer im Kontext von Liebe, Schutz und Religion.
Feuer und Flamme
Ist die Liebe einmal entbrannt, sind die Liebenden Feuer und Flamme füreinander. Feuer als Symbol für heiße Leidenschaft und Passion ist in unserer Sprache weit verbreitet; die Farbe Rot wird nicht umsonst mit der Liebe assoziiert. In Spielen sind mir erstaunlicherweise bisher gar nicht allzu viele Liebes-Szenen untergekommen, die sich in irgendeiner Form dieser Symbolik bedienen.
Vielen bekannt dürfte die Leuchtturmszene aus The Witcher 3 sein. Hexer Geralt trifft sich mit Magierin Triss zu später Stunde zu einem vermeintlichen Abschied in einem Leuchtturm. Je nachdem, wie man als Spieler*in entscheidet, kann aus dem Abschied ein romantisches Stelldichein werden, das in einer heißen Vereinigung der beiden endet. Währenddessen zoomt die Kamera heraus und gibt den Blick auf die nun rhythmisch aufleuchtende Flamme des Leuchtturms frei…
Weniger eindeutig und mit weit mehr Interpretationsspielraum stellen sich die Feuer-Level in Celeste dar. Grundsätzlich verstehe ich den Weg der Protagonistin Madeline als eine Art verdichteten Heilungsprozess. Gegen Ende des Spiels muss die Levelumgebung innerhalb einzelner Level mittels bestimmter “Schalter” zwischen Feuer und Eis hin- und hergeschaltet werden. Im Kontext der immer weniger depressiv wirkenden Madeline erschien mir diese Oszillation wie ein (noch) instabiles Hin- und Herwechseln zwischen depressiver eisiger Erstarrung und durchbrechenden heißen Emotionen wie Liebe und Wut.
Die Szene zwischen Ori, Naru und Kuro aus Ori and the Blind Forest hat bereits im ersten Teil über die Wandlungssymbolik des Feuers einen Platz bekommen, doch lässt sie sich meines Erachtens auch hier einordnen. Am brennenden Horuberg liegt das namensgebende Wesen Ori verletzt auf dem Boden. Ziehmutter Naru bahnt sich einen Weg durch die Flammen und hebt Ori in einer ergreifenden Szene hoch, vermutlich in der Annahme, Ori sei tot. Die Liebe Narus zu dem kleinen, weißen Wesen ist in dieser Szene greifbar und wird wunderbar gerahmt von den lodernden Flammen. Alles um die Beiden herum scheint in diesem Moment irrelevant, die Liebe scheint das einzig Entscheidende.
Im Schutz des Lagerfeuers
Schon in grauer Vorzeit nutzten die Menschen Feuer, um sich vor Kälte und wilden Tieren zu schützen. Feuer ist somit auch in unserem Unbewussten mit Schutz assoziiert und wird in einigen Spielen entsprechend eingesetzt.
Große Schutzlosigkeit erfahren alle Protagonisten in Survival-Games. Besonders eindrücklich erscheint das wärmende und zugleich schutzgebende Feuer dabei in The Long Dark, in dem das Überleben in den eisigen Weiten der kanadischen Wälder gesichert werden muss. Je nach Wetterbedingungen kühlt unser*e Protagonist*in extrem schnell aus. Ist kein Schutzraum in Form einer Hütte, Höhle oder eines Autos in der Nähe, sichert ein an einem windgeschützten Ort entzündetes Feuer das Überleben. Nicht nur kann man sich am Lagerfeuer wunderbar wärmen und heiße Mahlzeiten zubereiten, die Flammen gewährleisten auch, dass Kleidungsstücke ohne Wolfsangriffe repariert werden können. Aber wehe, die Utensilien zum Feuermachen gehen aus!
Wenn es um Lagerfeuer geht, darf selbstverständlich die Dark Souls-Reihe nicht fehlen. Eine Pause an einem Leuchtfeuer in der extrem feindlichen Welt ist die reinste Wohltat: das Rasten stellt die Lebensenergie wieder vollständig her, heilt Vergiftungen und füllt Flakons und Zauber wieder auf. Außerdem bietet sich unter Anderem die Möglichkeit, Levelaufstiege zu vollziehen oder Rüstung zu reparieren. Ein Leuchtfeuer wird daher zu einem sicheren Hort inmitten einer hochgefährlichen Umgebung. Wer schon einmal einen Teil aus der Reihe gespielt hat, wird das erleichterte Gefühl beim Sichten eines Leuchtfeuers sicher kennen.
A Plague Tale: Innocence läuft allerdings vermutlich allen bisher genannten Titeln den Rang ab, was die Wichtigkeit des Feuers fürs Überleben betrifft: In der mittelalterlichen Welt der beiden Protagonisten Amicia und Bruder Hugo treiben menschenfressende Ratten ihr Unwesen, die nur mit Feuerschein auf Abstand gehalten werden können. Lästige Gegner können somit einfach ausgeschaltet werden, indem Amicia mit ihrer Steinschleuder deren Laterne zerstört. Umgekehrt gilt allerdings auch, dass eine verlöschende Fackel das Todesurteil für die beiden Geschwister bedeutet: gegen Ende des Spiels sind es nicht nur Horden von Ratten, sondern ganze hungrige Ratten-Tornados, die es auf alles Lebende abgesehen haben.
“Heiliges Feuer”
Eine prominente Rolle nimmt die Feuersymbolik zudem in Religionen ein. Beispielsweise wird im jüdisch-christlichen Kontext von der Offenbarung Gottes im brennenden Dornbusch berichtet. Das gerne als Geburtsstunde des Christentums bezeichnete Ereignis der Ausgießung des heiligen Geistes wird im zweiten Teil der Bibel mit Feuerzungen dargestellt und im Hinduismus existiert “Agni” als Feuerform des Göttlichen. Auch in Games finden sich verschiedene Kontexte, in denen Feuer mit Göttlichem assoziiert werden kann:
Im Zelda-Universum existiert die Göttin Din, die mit einer oder zwei Flammen in der Hand dargestellt wird. Ihre Flamme wertet Links Schwert mit der Macht auf, das Böse abzustoßen, und verwandelt in Kombination mit dem Segen Zeldas die Klinge in das True Master Sword.
Sehr viel menschlicher, aber durchaus eindrücklich, geht es im bereits mehrfach erwähnten The Evil Within 2 zu: Der sich selbst als Father bezeichnende Theodore scheint den Protagonisten Sebastian in einem sakral anmutenden Raum bereits zu erwarten. Father Theodore stellt sich also vor und die Kamera schwenkt auf das über ihm hängende kreuzartige Symbol, das in Flammen aufgeht. Eindrücklich durch das Feuer in Szene gesetzt, hält Theodore eine flammende Rede, mit der er Sebastian umstimmen will, ihm zu folgen.
Leider führt die Verbindung von Feuer und Religion auch in die dunklen Zeiten der Hexenverfolgung und -Verbrennung zurück. Unter dem Deckmantel der Läuterung werden in The Witcher 3 sogenannte Anderlinge, also nicht-menschliche Bewohner der Welt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Für die öffentlichen Verbrennungen sorgt eine Gruppierung, die sich Tempelwache des ewigen Feuers nennt und ähnlich den realen Hexenverfolgern ihre Tat als Säuberung und Reinigung der Bevölkerung propagiert. Das Feuer wird dabei als heiliges Feuer bezeichnet, das erleuchtet und läutert: “No evil can survive the Holy Fire! The Holy Fire enlightens, burns and cleanses!”. Für jede Person, die außerhalb dieser Gedankenwelt steht, stellt das Feuer an dieser Stelle selbstverständlich eine grausame Form der Vernichtung und Auslöschung dar.
Sowohl in der Sprache in Form von Redewendungen als auch im Videospiel begegnen wir dem Feuer in verschiedensten Bedeutungskontexten. So können wir im Sinne eines Wandlungsprozesses mit Senua durchs Feuer gehen, in Candle einen Neuanfang der Welt begründen oder in Ori and the Blind Forest die Wandlung der Eule Kuro miterleben, die – ganz im Sinne des Phoenix aus der Asche – ein Ei hinterlässt, das neues Leben verspricht.
Selbstverständlich erleben wir Feuer häufig in seiner destruktiven Funktion: als lodernder Hass, hitzige Wut oder brennender Zorn. Wir nutzen das Feuer in Feuerzaubern oder bekämpfen Feuer-Bosse wie Surt in Hellblade: Senua’s Sacrifice oder The Fury in Metal Gear Solid 3. Schreckliche Erlebnisse können sich in die Seele einbrennen und Leben und Beziehungen zerstören, wie The Evil Within 2 an vielen Stellen eindrücklich zeigt. Sind wir Feuer und Flamme für jemanden, können heiße Nächte folgen, wie die Leuchtturmszene in The Witcher 3 darstellt. Manchmal oszillieren unsere Gefühle auch zwischen heißer Liebe und eisiger Erstarrung, wie wir es in Celeste erleben. Im Schutz des Feuers können wir uns aufwärmen, Kräfte regenerieren und uns vor Angriffen schützen, wie es Games wie The Long Dark, A Plague Tale: Innocence oder die Dark Souls-Titel zeigen. Zuletzt können wir Feuer auch in religiösen Kontexten begegnen: In The Witcher 3 als (vermeintlich) heilige Flammen zur Läuterung, im Zelda–Universum in Form der Göttin Din oder abermals in The Evil Within 2 im Zusammenhang mit Father Theodore, der sich mit Feuer in Szene setzt. Die Feuer-Symbolik stellt ein äußerst interessantes Untersuchungsfeld dar, das nicht nur eine Fülle von Spielen, sondern auch einen bunten Strauß an Bedeutungskontexten bietet.
Mit herzlichem Dank an alle Menschen, die meinem Twitter-Aufruf gefolgt sind und Spiele zu dieser Sammlung beigetragen haben!
Wenn ihr den Rest der Serie verpasst habt: Die beiden ersten Teile über Wandlung und Hass findet ihr hier!
Über die Autorin
Jessica Kathmann ist Psychologin und seit einigen Jahren in Ausbildung zur analytischen Psychotherapeutin nach C.G. Jung. Sie hat besonders viel Freude daran, psychologische Ebenen in Computerspielen zu entdecken und über Symbolik in Games zu schreiben. Sie tauscht sich gern bei Twitter aus, ist Redakteurin bei Spielkritik und betreibt einen eigenen Blog.