Wie ein Phönix aus der Asche: Feuer als Wandlungssymbol
Eine Gastbeitrag-Reihe von Jessica Kathmann.
Ob in Form von Feuerzaubern, Bossgegnern oder brennenden Häusern: Die Reihe an Videospielen, in denen uns Feuer begegnen, ist lang und die Spannweite an Darstellungsformen groß. In dieser dreiteiligen Artikelreihe möchte ich den Versuch unternehmen, verschiedene Aspekte der Feuersymbolik näher zu beleuchten und mit eindrücklichen Szenen aus diversen Spielen in Verbindung zu bringen. Als Richtschnur dienen dabei einige Redewendungen, in denen die Vielfalt der Feuersymbolik bereits ihren Ausdruck findet. Der erste Teil bespricht die Wandlungssymbolik des Feuers.
Phönix aus der Asche
Während wir um ein Lagerfeuer sitzen oder das Knistern des Kamins genießen, durchläuft das verbrennende Holz in gewisser Weise einen Wandlungsprozess. Nach einiger Zeit ist aus den Holzscheiten ein Haufen Asche geworden und manches hat sich im Rauch davongemacht – durch die Reaktion mit Sauerstoff sind neue chemische Verbindungen entstanden. Auch der Vogel Phönix verbrennt nach der griechischen Mythologie am Ende seines Lebens und hinterlässt dabei ein Ei, aus dem nach kurzer Zeit wieder ein Phönix schlüpft. Der Phönix wurde dadurch zu einem Symbol für Wiedergeburt und Wandlung, da aus etwas Altem etwas Neues hervorgeht.
Wer Hitman 2 gespielt hat, dem oder der wird mit Sicherheit die The Ark Society-Mission in Erinnerung geblieben sein. In einer opulenten Zeremonie will eine junge Frau mit einem Trick den Eindruck erwecken, bei lebendigem Leibe in einem Käfig zu verbrennen und später wieder aus diesem herauszutreten – ganz wie ein Phönix aus der Asche. Dieses Spektakel ist als “a stirring ode to rebirth and the enduring spirit of mankind” gedacht, wie man aus einem Gespräch von Gästen der Veranstaltung entnehmen kann. Eben jene junge Frau ist allerdings das Ziel des Agenten, also unserer Spielfigur, und muss getötet werden. Was bietet sich also besser an, als den Türmechanismus zu manipulieren, mit dem sie – rechtzeitig bevor die Flammen sie erreichen – den Käfig verlassen will? Dem Agenten gelingt die Manipulation selbstverständlich, woraufhin aus dem als Täuschung gedachten Spektakel eine Todesfalle wird. Hier geschieht also etwas besonders Spannendes: Die Neugeburts- bzw. Wandlungssymbolik wird an dieser Stelle also geradezu in ihr Gegenteil verkehrt; der destruktive Aspekt steht am Schluss der Mission doch wieder im Vordergrund.
Einem weiteren Vertreter der Phönix-Symbolik, aber mit mehr Fokus auf dem Aspekt der Unsterblichkeit, begegnen wir in CD Project Reds The Witcher 3 in Gestalt von Olgierd von Everec. Auf diesen trifft Protagonist Geralt vor einem brennenden Herrenhaus. Bei einem dann stattfindenden Kampf wird Geralt auf eindrückliche Weise Zeuge von der Tatsache, dass Olgierd nicht getötet werden kann: Dieser setzt seinen durch Geralt abgeschlagenen Kopf einfach wieder auf und kommentiert: “I don’t easily lose my head”. Mit den Flammen im Hintergrund berichtet Olgierd, das sei das Resultat eines nicht vollständig durchdachten Wunsches gewesen, der – wie wir später erfahren – von Gaunter O’Dimm erfüllt wurde. Gleichsam wie Olgierd nicht getötet werden kann, wird auch das Herrenhaus in dieser Szene nicht von den Flammen verzehrt.
Gleich mehrere eindrückliche Feuerszenen begegnen uns in Ninja Theorys vielfach ausgezeichnetem Hellblade: Senuas Sacrifice (2017). Dort erleben wir die Welt durch die Augen der jungen keltischen Kriegerin Senua, die unter einer Psychose leidet. Diese äußert sich unter Anderem durch akustische und optische Halluzinationen. Senuas Dorf wurde bei einem Angriff der Wikinger zerstört und ihr Geliebter Dillion wurde auf grausame Weise ermordet. Alleine und verzweifelt macht sie sich auf den Weg in die Unterwelt in der Hoffnung, ihn zurückholen zu können. Ein Teil ihrer Reise besteht darin, den Feuergott Surt aufzusuchen und zu besiegen. An mehreren Stellen muss sie dabei einer flammenden Hölle entfliehen. Ein verstorbener Krieger, vermutlich eine Halluzination, spricht zu Senua: “Du sagst, dass deine Welt zusammengebrochen ist. Gut. Lass sie zusammenbrechen und sei so mutig zu weinen. Und dann tilge sie aus deinem Gedächtnis! Nur dann, als Neugeborener, wirst du die Welt mit anderen Augen sehen”. Diese Sätze im Kontext der um Senua lodernden Flammen wirken äußerst eindrucksvoll. Auch hier wird wieder von Neugeburt und damit von Wandlung gesprochen. In einer weiteren Szene brennt Senua sogar selbst und erlebt – vermutlich beides in einer Halluzination – noch ein Gespräch mit Dillion, bevor sie dann bereit ist, dem Feuergott Surt gegenüberzutreten und ihn zu besiegen. Die vorausgegangenen “Feuerproben”, das wortwörtliche “Durchs-Feuer-Gehen” scheinen sie gleichsam auf diesen Kampf vorbereitet zu haben.
Feuer als Zeichen für einen Neuanfang
Ein weitaus unbekannteres Spiel stellt sicher Teku Studios Candle aus dem Jahr 2016 dar. Zu Beginn des Spiels wird uns der Entstehungsmythos der Welt des jungen Protagonisten Teku erzählt: Nach der Erschaffung der Welt und der darauf lebenden Bewohner durch die Götter entstanden mit der Zeit Zivilisationen. Mit dem Wissen wuchsen allerdings Gier und Machtbedürfnis unter den Bewohnern. Die Erkenntnisse wurden fortan dazu genutzt, sich gegenseitig zu unterdrücken und sich Schaden zuzufügen. Die Götter vernichteten daraufhin in großer Wut alles intelligente Leben in einem verzehrenden Feuer. Auf die Vernichtung durch das Feuer folgt allerdings ein Neuanfang; die Welt wird abermals mit Leben erfüllt. Neben dem vernichtenden Aspekt des Feuers steht hier also “Neubereitung” der Welt, womit der Wandlungsaspekt im Vordergrund steht.
In heilsam wandelndem, läuterndem Kontext erleben wir das Feuer in Ori and the Blind Forest am brennenden Horu-Berg. Über das gesamte Spiel hinweg verfolgt Eule Kuro das Lichtwesen Ori mit erbittertem Hass durch den Wald Nibel: Kuros Küken sind aufgrund eines strahlenden Lichts verstorben, dessen Ursprung auch der Ursprung Oris ist. Im letzten Akt liegt Ori verwundet vor Kuros Füßen – umgeben vom Feuer des brennenden Horubergs. Oris Ziehmutter Naru taucht zwischen den Flammen auf, hebt das leblos wirkende Wesen auf und trauert. Bewegt von dieser Szene erinnert sich Kuro an ihre eigenen Küken und entschließt, Naru nicht denselben Schmerz zuzufügen, den sie selbst durchleben musste. Die Eule opfert sich, indem sie das verlorene Licht des Waldes zurück an seinen angestammten Platz bringt und daraufhin im gleißenden Licht stirbt. Der Wald Nibel ist damit gerettet und Regen löscht die Flammen. Hier bietet das Feuer folglich die Bühne für einen bewegenden Wandlungsprozess eines Wesens, das schlussendlich seine blinde Wut loslassen und ein selbstloses Opfer bringen kann.
Mit herzlichem Dank an alle Menschen, die meinem Twitter-Aufruf gefolgt sind und Spiele zu dieser Sammlung beigetragen haben!
Im zweiten, bereits erschienenen Teil bespricht Jessica die Vernichtungssymbolik des Feuers.
Über die Autorin
Jessica Kathmann ist Psychologin und seit einigen Jahren in Ausbildung zur analytischen Psychotherapeutin nach C.G. Jung. Sie hat besonders viel Freude daran, psychologische Ebenen in Computerspielen zu entdecken und über Symbolik in Games zu schreiben. Sie tauscht sich gern bei Twitter aus, ist Redakteurin bei Spielkritik und betreibt einen eigenen Blog.
2 Antworten
[…] erste Teil der Reihe ist bereits hier lesbar. Im dritten, bald folgenden Teil bespricht Jessica das Feuer im Kontext von Liebe, Schutz […]
[…] ihr den Rest der Serie verpasst habt: Die beiden ersten Teile über Wandlung und Hass findet ihr […]