Lodernder Hass: Feuer als Vernichtungssymbol
Eine Gastbeitrag-Reihe von Jessica Kathmann.
Ob in Form von Feuerzaubern, Bossgegnern oder brennenden Häusern: Die Reihe an Videospielen, in denen uns Feuer begegnen, ist lang und die Spannweite an Darstellungsformen groß. In dieser dreiteiligen Artikelreihe möchte ich den Versuch unternehmen, verschiedene Aspekte der Feuersymbolik näher zu beleuchten und mit eindrücklichen Szenen aus diversen Spielen in Verbindung zu bringen. Als Richtschnur dienen dabei einige Redewendungen, in denen die Vielfalt der Feuersymbolik bereits ihren Ausdruck findet. Der zweite Teil bespricht die Vernichtungssymbolik des Feuers.
Verzehrende Flammen
Die prominenteste Rolle spielt das Feuer in Videospielen sicher in seiner destruktiven Form: In den meisten Rollenspielen finden wir vernichtende Feuerzauber, mit denen wir Gegnern den Feuertod bescheren können; daneben sind explodierende Fässer und Molotowcocktails ein probates Mittel, Feinde auszuschalten. Vom Himmel regnendes Feuer zerstört Welten und Bosskämpfe mit flammenden Überwesen bleiben oft lange im Gedächtnis. Auch im Sprachgebrauch nutzen wir mit Feuer assoziierte Begriffe gerne, um zerstörerische Aspekte in den Vordergrund zu rücken: Neben dem bereits genannten Feuertod sprechen wir mitunter von hitziger Wut, glühender Scham, brennender Eifersucht oder loderndem Hass.[1]
Die Aufzählung und Analyse von (Rollen-)Spielen, in denen Feuerzauber vorkommen, würde wahrscheinlich Stoff für ein ganzes Buch liefern, daher seien an dieser Stelle nur exemplarisch einige Titel genannt: Im The Witcher-Franchise nutzt Geralt das Zeichen Igni, das einen Feuerstoß entstehen lässt. Ebenso lassen sich im The Elder Scrolls-Universum Feuerzauber wirken, in Skyrim beispielsweise Flammen, Feuerball oder Verbrennen. Auch die Gothic-Reihe wartet mit Feuerzaubern auf, genauso wie Dungeon Siege, Dungeon Lords und mit ihnen wahrscheinlich beinahe alle Fantasy-Rollenspiele. Häufig bringen Feuerzauber zusätzliche Effekte mit sich, die Gegner beispielsweise über eine längere Zeitspanne brennen und damit Schaden nehmen lassen oder die Rüstung permanent schwächen.
Feuer in der Hand mächtiger Wesen: Bosskämpfe und Götter
Besonders eindrücklich gestalten sich selbstverständlich Boss-Gegner, die in Flammen gehüllt sind oder gar als Personifikation des Feuers auftreten. Entsprechend präsentiert sich beispielsweise The Fury aus Metal Gear Solid 3, der in Flammen und Funken ein Sinnbild für Rache, Verfolgung und Zerstörung ist. Der ehemalige Astronaut, nun als The Fury bezeichnet, verbrannte wegen eines Unfalls beinahe während des Wiedereintritts in die Erdatmosphäre und sah in einem Nahtoderlebnis die Erde in Flammen stehen. Nach und nach wurde aus dem inneren Bild des Feuers eine Obsession und der Zorn darüber, am Leben zu sein, wuchs ins Unermessliche. The Fury tritt dem Spieler mit einem feuerfesten Raumanzug und einem Flammenwerfer entgegen und spricht selbst von den “Flames of my fury”.
In Hellblade: Senua’s Sacrifice trifft die junge keltische Kriegerin Senua auf den Feuergott Surt, der als der oberste Feuerriese bezeichnet wird und dessen Name laut Spiel Der Schwarze bedeute, was auf sein verbrannt aussehendes Äußeres zurückzuführen sei. Laut Mythologie soll Surt in den Ragnarök (der nordischen Vorstellung des Weltuntergangs) den Weltenbrand herbeiführen, der alles Leben vernichtet. Auch in der ägyptischen Mythologie findet sich eine zerstörerische mit Feuer assoziierte Gestalt: Laut Erzählungen spuckte die Göttin Sachmet Feuer auf Feinde des Pharaos[2] und tötete im Blutrausch unzählige Menschen.
Und auch in virtuellen Welten beschreiben Mythen die Vernichtung von Zivilisationen und Planeten durch Götter, die Feuer schicken. So erzählt das Puzzle-Adventure Candle davon, wie die Götter den Planeten im Zorn über die Bewohner mit einem alles verzehrenden Feuer vernichten. Das Bild des glühenden Zorns wird durch die Lava-Assoziationen weckende Farbgebung nochmals unterstrichen.
“Es brennt sich in die Seele”: Zerstörte Leben
The Evil Within 2 bietet gleich mehrere eindrucksvolle Szenen, in denen Feuer seine zerstörerische Wirkung offenbart. Der Protagonist Sebastian Castellanos durchlebt in der Opening Scene in einem Albtraum den schrecklichen Hausbrand, den seine Tochter Lily vermeintlich das Leben gekostet hat. Sebastian bahnt sich im Traum einen Weg durch die äußerst bedrohlich wirkenden Flammen, die das Haus und alle Erinnerungen in ihm nach und nach verzehren. In Lilys Zimmer angekommen, steht diese vor ihm und wirft ihm vor, sie nicht gerettet zu haben, wobei sie gleichzeitig äußerst eindrucksvoll und verstörend selbst in Flammen aufgeht und mit ihm verbrennt. So, wie das Haus und Lily vom Feuer vernichtet zu sein scheinen, stellt sich auch das Leben Sebastians seit der Tragödie dar: Er wirkt depressiv und dem Alkohol verfallen und spricht von sich selbst als “washed-up ex-cop”. Das Feuer hat ihm also nicht nur Tochter und Haus geraubt (seine Frau ist im Übrigen auch verschwunden), sondern damit sein ganzes Leben zerstört.
In einer weiteren Szene wird Sebastian mit seinen Selbstvorwürfen konfrontiert, die in die ihn umgebenden Wände eingebrannt zu sein scheinen. Dort lassen sich Sätze wie: “Your daughter is lost because of you” oder “You are a failure” lesen, die im wahrsten Sinne des Wortes als “brennender Schmerz” verstanden werden können, der sich in Sebastians Seele eingebrannt hat. Doch damit nicht genug: Diese Selbstvorwürfe und die nicht veränderbare Vergangenheit scheinen sich direkt danach in einem Feuermann zu manifestieren, der Sebastian die Kehle zudrückt und ihn anschließend zu Boden schleudert.
Eindrücklich in Erinnerung bleiben auch die brennenden Fußabdrücke, die Lily in einer anderen Szene auf dem Boden hinterlässt, als sie sich Sebastian nähert. Es wirkt, als ob sich jeder Satz Lilys so in Sebastians Seele einbrennt, wie dies ihre Fußabdrücke auf dem Teppichboden tun.
Ein weiteres Beispiel für die zerstörerische Wirkung mancher Feuer-Erlebnisse auf die Psyche findet sich im bereits erwähnten Hellblade: Senua’s Sacrifice: Im Verlauf des Spiels erfahren wir, dass die Mutter der von optischen und akustischen Halluzinationen gezeichneten Senua ebenfalls psychotisch war und von ihrem Stamm auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Senua musste das damals mit ansehen, was wir mit ihr gemeinsam in einer Art Flashback erleben können. Unter Umständen spielte diese traumatische Erlebnis auch beim Ausbruch von Senuas Psychose eine Rolle.
Nicht ursächlich, wie bei Sebastians brennendem Haus in The Evil Within 2, sondern sinnbildlich für die Zerstörung einer (Lebens-)Welt, gestaltet sich der Waldbrand in Life is Strange: Before the Storm. In der Teenager-Geschichte beobachtet die Einserschülerin Rachel, Freundin der Protagonistin Chloe, in einem Park einen Kuss zwischen ihrem Vater und einer fremden Frau. Für Rachel, die von außen betrachtet in einer perfekten Familie aufgewachsen ist, zerbricht eine Welt. Ihr Vater hat eine Andere?! Voll Trauer verbrennt sie in einem Mülleimer des Parks ein Foto von einem Vater-Tochter-Ausflug, das sie lange Jahre bei sich trug. Die Trauer schlägt in Wut um und Rachel tritt gegen den brennenden Mülleimer, woraufhin erst der berühmteste Baum der Umgebung und kurz darauf der gesamte Wald brennt. Die aufflammenden Emotionen spiegeln sich folglich im Brand wider: Der brennende Wald kann als Sinnbild für die plötzlich zerstörte heile Welt der häuslichen Situation von Rachel gedeutet werden. Dass zuerst der berühmteste Baum brennt, kann auf zwei Weisen verstanden werden: einerseits kommt Rachels Vater in Rachels Bild der heilen Welt eine besondere Rolle zu, andererseits ist der Vater durch seinen Beruf als Bezirksstaatsanwalt tatsächlich eine gewisse lokale Prominenz.
Mit herzlichem Dank an alle Menschen, die meinem Twitter-Aufruf gefolgt sind und Spiele zu dieser Sammlung beigetragen haben!
Der erste Teil der Reihe ist bereits hier lesbar. Im dritten, bald folgenden Teil bespricht Jessica das Feuer im Kontext von Liebe, Schutz und Religion. Seid gespannt!
Über die Autorin
Jessica Kathmann ist Psychologin und seit einigen Jahren in Ausbildung zur analytischen Psychotherapeutin nach C.G. Jung. Sie hat besonders viel Freude daran, psychologische Ebenen in Computerspielen zu entdecken und über Symbolik in Games zu schreiben. Sie tauscht sich gern bei Twitter aus, ist Redakteurin bei Spielkritik und betreibt einen eigenen Blog.
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[1] Riedel, I. (Hrsg.) (1993). Die vier Elemente im Traum. Mit Beiträgen von Karin Anderten, Verena Kast, Giesela Riess, Viktor Zielen. Solothurn und Düsseldorf: Walter.
[2] The Archive for Research in Archetypal Symbolism (2010). Das Buch der Symbole, S.82f. Köln: Taschen.
Eine Antwort
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