Das Motiv des Erhabenen in Journey
Das Motiv des Erhabenen in Journey
ein Gastbeitrag von Adriana Pavel
Adriana Pavel studiert englische Literatur- und Sprachwissenschaft in München. Sie interessiert sich besonders für romantische Literatur und Gothic Fiction und untersucht das Auftauchen literarischer Konzepte in Filmen und Videospielen. Der folgende Essay entstand als Paper im Rahmen eines Game Studies-Seminars im Sommer 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität. Es kann unter diesem Link als PDF kostenlos heruntergeladen werden.
Das Erhabene ist seit Jahrhunderten ein weit umstrittenes Thema. Bereits Philosophen der Antike wie Aristoteles versuchten, eine Definition dafür festzulegen. So hat das Motiv nicht nur seinen Platz in der Literatur der Romantik gefunden; Es hat sich bis heute gehalten und findet auch in modernen Medien wie Filmen oder Computerspielen Anklang.
In dem PlayStation-exklusiven Spiel Journey begibt sich der Avatar auf seine individuelle Reise durch die Welt. Sein Ziel ist es, den Gipfel des heiligen Bergs (vgl. Ascher, 2012, S.1) zu erreichen. Mit Hilfe von magischen roten Stoffteilen, die in Form von Teppichen, Tieren und dem immer länger werdenden Schal des Avatars vorhanden sind, kann dieser in einem begrenzten Zeitrahmen fliegen. Journey ist optisch sehr ansprechend gestaltet und bietet aufgrund seiner Ästhetik die Möglichkeit zur näheren Betrachtung des Motivs des Erhabenen an.
Friedrich Schiller definiert das Erhabene folgendermaßen:
Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein, das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert, und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann […]. Wir erfahren also durch das Gefühl des Erhabenen, daß sich der Zustand unsers Geistes nicht nothwendig nach dem Zustand des Sinnes richtet, daß die Gesetze der Natur nicht nothwendig auch die unsrigen sind, und daß wir ein selbständiges Principium in uns haben, welches von allen sinnlichen Rührungen unabhängig ist.(1801, S.39)
Der erhabene Gegenstand ist […] eine Macht, gegen welche die unsrige in Nichts verschwindet. […] Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt […]. (1801, S.5)
Untermauert wird diese Definition von Edmund Burke. Nach ihm ist das Erhabene eine ästhetische Kategorie, etwas Übergroßes, eine potenzielle Gefahr in der Natur, die Bewunderung und Schrecken zugleich auslösen kann. Zum Erhabenen wird es jedoch erst, wenn der Beobachter dieses Phänomen aus möglichst sicherer Entfernung beobachten kann, also, wenn er im entscheidenden Augenblick nicht direkt von der Gefahr betroffen ist und er sich dadurch umso mehr seiner Machtlosigkeit bewusst wird. Das Beobachten eines Sturms auf dem offenen Meer zum Beispiel kann solch ein Gefühl auslösen. Durch den Aspekt der Gefahr und Größe lässt sich die Definition des Erhabenen von der des Schönen abgrenzen (vgl. Landow, 1988, Burke 1759 [1980]).
In Journey taucht das Motiv des Erhabenen wiederholt auf, da der Avatar auf seiner Reise durch unterschiedliche natürliche Umgebungen wandert, welche auch Gefahren mit sich bringen. Zu Beginn des Spiels durchquert er eine verlassene Wüste, in der sich bis auf unendlich viel Sand nur Grabsteine befinden; nach kurzer Zeit stößt er auf mysteriöse Ruinen. Das mag zwar optisch beeindruckend und gleichzeitig bedrohlich auf den Spieler wirken, entspricht aber noch nicht dem Erhabenem, da lediglich die Erwartung des Spielers auf eine tatsächliche Gefahr hinzielen könnte, nicht jedoch die Erfahrung des Avatars. Bei genauerer Untersuchung der Ruinen im Verlauf des Spiels erscheinen Hinweise auf die weitere Narration des Spiels in Form von Wandmalereien und Visionen. Diese bilden eine Art Prophezeiung, in der wiederholt erst eine, später mehrere in weiß gekleidete Figuren auftauchen, die dem eigenen Avatar ähnlich sehen, aber nach jeder Vision größer und göttlicher zu werden scheinen. Dadurch, dass anfangs noch nicht ersichtlich ist, ob von ihnen nicht doch eine Gefahr ausgehen könnte und der Spieler zunehmend das Bewusstsein darüber erlangt, wie klein die eigene Spielfigur im Gegensatz zu dieser möglichen Mutterfigur ist, kann sie als erhaben bezeichnet werden.
Hat sich der Spieler an die Spielregeln gewöhnt und mit seinem Avatar die ersten Umgebungen erkundet, verändert sich die Spielwelt schrittweise zum Düsteren. Von der anfänglichen gelb-roten Wüste gelangt der Avatar in den Abschnitt ‘The Tunnels’, der sich durch ein dunkles Blau sowie durch aus dem magischen Stoff geformte Algen und Quallen zu einem aquarienartigen Szenario wandelt. Von dort an tauchen Feinde im Spiel auf: metallene Drachenfiguren, von denen der Avatar ferngehalten werden muss, um nicht verletzt zu werden. Solange dies gelingt, strahlt die Umgebung wiederholt eine Erhabenheit aus, da das Gefühl, sich unter Wasser zu befinden, erzeugt wird. Die Gesetze der Natur entsprechen an diesem Ort dadurch nicht den uns bekannten (vgl. Schiller, 1801, S. 3). Bestärkt wird das Ganze in ‘The Temple’, dem darauf folgenden Abschnitt des Spiels. Hier wird die Rolle des Wassers zentral: Um an die Spitze des Tempels im Raum zu gelangen, muss die Spielfigur spiralförmig von einem Teppich zum anderen schweben, um zu ihrem Ziel, dem Tempelausgang, hinaufzusteigen. Mit dem Aufstieg der Spielfigur steigt auch der Wasserspiegel, welcher einen tiefen Fall des Avatars verhindert.
Das Element Wasser ist ebenso paradox wie der Begriff des Erhabenen – es ist eines der wichtigsten Voraussetzungen für das Leben und notwendig zum Überleben, es steht für Heilung und Reinheit und kann dennoch tödlich sein, da der Mensch keine Macht darüber hat. Bereits seit der Antike wurde das Meer aufgrund dessen von verschiedenen Kulturen verehrt oder gefürchtet, je nachdem ob es Leben ermöglichte (z.B. Fisch als Nahrung, Trinkwasser) oder Tod brachte (z.B. verseuchtes Wasser, Stürme). Daraus entstanden zahlreiche Mythen und Sagen um das Meer und dessen Gottheiten. Als Beispiel hierfür wäre etwa Homers Odyssee zu nennen. In Journey findet diese Dualität Anwendung, indem die aquarienartigen Höhlen von Monstern behaust werden, während das Wasser gleichzeitig den einzigen Ausgang öffnet.
Die weitere Reise wird dem Avatar erschwert durch Wind- und Schneestürme, durch die er sich nur noch mühsam in Richtung Berggipfel bewegen kann. Der magische Stoff ist in der kalten Welt kaum noch auffindbar und gefriert letztendlich vollständig, sodass der Spielfigur nichts anderes übrig bleibt, als mit letzter Kraft geradeaus in den Sturm zu laufen, bis sie das Bewusstsein verliert. Nach einer abschließenden Vision mit den weißgekleideten, nun eindeutig wohlgesonnenen Mutterwesen und dem letzten Kapitel des Spiels, welches wieder deutlich heller und farbenfroher erscheint, erreicht der Avatar die Spitze des heiligen Bergs und steigt als Stern in den Himmel hinauf. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass Journey das Thema Wiedergeburt behandelt. Nicht nur dem Berg an sich können also aufgrund seiner überwältigenden Größe und Funktion als scheinbar heiliges Ziel der Reise schon die Merkmale des Erhabenen zugesprochen werden. Vielmehr ist es auch die essenzielle Thematik der Wiedergeburt, die für Tod und Leben zugleich steht, die solch paradoxe Eigenschaften aufweist und entsprechende Gefühle der Konfrontation mit dem Erhabenen im Beobachter auslöst. Zusammenfassend lässt sich also das Erhabene nicht nur in der Ästhetik, sondern auch in der Erzählung von Journey auffinden, weshalb eine nähere Betrachtung dieses Motivs in dem Spiel durchaus relevant ist.
Behandelte Spiele
Journey. Erstveröffentlichung 2012. Entwickler: thatgamecompany. Publisher: Sony Interactive Entertainment. PS3/PS4.
Alle Screenshots anhand der PS4-Version erstellt von Adriana Pavel & Pascal Wagner.
Genutzte Literatur
- Ascher, Franziska. 2012. Journey – Der Weg ist das Ziel. Paidia.de.
- Burke, Edmund. 1980. Philosophische Untersuchungen unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Übers. von Friedrich Bassenge. Neu eingel. u. hrsg. von Werner Strube. Hamburg: Meiner. S. 127–167.
- Landow, George P.. 1988. Edmund Burke’s On the Sublime. [Based upon Landow: The Aesthetic and Critical Theories of John Ruskin. 1971].
- Schiller, Friedrich. 1801. „Ueber das Erhabene“. In: Sammlung kleiner prosaischer Schriften. Leipzig: Crusius.
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