Buchvorstellung: Digitale Moderne. Die Modellwelten von Matthias Zimmermann
Die erste Buchvorstellung auf Language at Play ist etwas Besonderes: Mit ihr eröffnen wir eine neue Kategorie an Rezensionen, die garantiert nicht regelmäßig befüllt werden wird. Und dank eines Review-Exemplares des Künstlers Matthias Zimmermann und des Hirmer-Verlags können wir uns zu dieser Premiere mit einem Buch beschäftigen, dass ein ebenso neues und spannendes Feld abdeckt: Digitale Moderne. Die Modellwelten von Matthias Zimmermann.
Digitale Moderne. Die Modellwelten von Matthias Zimmermann kommt zunächst mit einem recht eigentümlichen Format für einen wissenschaftlichen Forschungsband daher. Die Mischung aus Kunstbuch, das im Format 24x30cm die Bilder von Matthias Zimmermann farbgetreu abdruckt, und Anthologie, die sich analytisch mit den Bildern selbst auseinandersetzt, ist in dieser Form wohl einzigartig. Dies kommt dem Buch wie auch den Bildern aber sehr zugute. Denn um die Erkenntnisse der unterschiedliche Foki setzenden Aufsätze zu verstehen, ist es unerlässlich, die Bilder zumindest einmal gesehen oder sie besser noch direkt vor Augen zu haben.
Bei den Werken von Matthias Zimmermann, die in Digitale Moderne behandelt werden, handelt es sich um verschiedene Bildreihen, die sich dahingehend ähneln, dass sie Motive aus unterschiedlichsten, alten wie neuen, digitalen Spielen aufgreifen und verarbeiten. Die Art der Verarbeitung sowie die Wahl der übertragenen Symbole variieren dabei je nach Bildserie. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Serie Pixelpolymorphie findet sich beispielsweise In Christian Hubers Aufsatz für Digitale Moderne, Die Remedialisierung statischer Prozesse, den er hier auf Language at Play als Leseprobe bereit gestellt hat.
Zimmermanns Kunst mischt, ohne zu verwischen
Da sich die Digitale Moderne insgesamt mit den Bildern von Matthias Zimmermann beschäftigt, komme auch ich in dieser Rezension natürlich nicht umhin, zuerst auf die Kunst und ihre Präsentation und nicht nur auf die Sekundärliteratur dazu einzugehen. Es gibt definitiv idealere Formate, um sich Zimmermanns Bilder anzusehen – am deutlichsten sichtbar wird das bei seiner Reihe Die Raummaschine, die in analoger Form auf mehrere Ebenen Aluminium und Acrylglas gedruckt ist und so auch im Bild verschiedene Ebenen des Computerspiels (Von der Energie über die Hardware, den Quellcode und die Engine bis hin zur Spielwelt) dreidimensional auszudrücken vermag. Da sich dies in Papierform unmöglich zeigen lässt, versucht Digitale Moderne das nächstbeste: Es beinhaltet eine schriftliche Erklärung des Verfahrens mit Auflösung des Arbeitsprozesses in einem anschaulichen Diagramm. Das klingt trocken, und ist es auch, wenn man sich stattdessen auch die sogenannten Diasecs in einem Museum anschauen könnte. Aber da diese Möglichkeit den wenigsten Lesern spontan zur Verfügung stehen wird, ist das Wissen um die Herstellung der Bilder beim Betrachten der Print-Version äußerst erhellend.
Eine qualitatives Urteil über Zimmermanns Kunst kann ich, wie es mit Kunst eben so ist, nicht fällen. Ich gebe jedoch unumwunden zu, dass sie mir persönlich sehr gut gefällt. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass ich mich gerne und intensiv mit digitalen Spielen beschäftige und die markante Ästhetik sowohl von Pixelgraphik als auch klobigen Polygonen mich positiv anspricht. Was die Bilder Zimmermanns dabei aber aber definitiv qualitativ auszeichnet ist ihre Möglichkeit, von jeder Betrachter*in visuell entschlüsselt zu werden. Eine Ausführung dessen findet sich im selben Kapitel wie der Hinweis auf die Produktion des Diasec-Verfahrens, Margarete Jahrmanns Forschung im Quellcode: Die “Zimmermann-Methode”. Einfach gesagt versteckt Zimmermann seine Inhalte nicht hinter Allegorien oder Anspielungen, sondern legt sie so offen in seinen Bildern an, dass sie mit Weltwissen und einem üblichen politischen Verständnis gefunden werden können, wenn man die Kunst nur lange genug betrachtet. Durchaus keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass er zu so großen Teilen mit bekannten Videospielmotiven arbeitet.
Forschung am Bild aus unterschiedlichsten Blickwinkeln
Da es sich bei Digitale Moderne um einen Sammelband handelt, ist es naturgemäß schwer, seine Textqualität als Gesamtprodukt zu bewerten. Es gilt, alle Texte der unterschiedlichen Autor*innen zu lesen und zu rezensieren. Obwohl der Band jedoch einen bildwissenschaftlichen Fokus setzt, sind die Interpretationsansätze und Forschungsfelder der einzelnen Autor*innen bewusst multi- und interdisziplinär, sodass ich mir hier nicht anmaßen werde, ein umfassendes fachliches Urteil zu fällen. Was also tun? Das Buch nach seinem schlechtesten Text bewerten? Das erlaubt mir kein Urteil über das Gesamtwerk, aber vielleicht einen Ansatz, an dem ich Digitale Moderne messen kann.
Leider muss ich nicht lange suchen, um auf den meiner Meinung nach am wenigsten gelungenen Teil des Buches zu stoßen. Die ersten beiden Texte (ausgenommen das Vorwort von Herausgeberin Natascha Adamowsky) schwächeln im Vergleich zu den darauffolgenden Aufsätzen sichtlich. Besonders der einleitende Text, ein umfassender zeitlicher Überblick über die Geschichte des digitalen Spiels, bricht sprachlich einige Male sehr ein und bietet daher keine angenehme Leseerfahrung. Fachlich ist das jedoch nicht weiter schlimm. Zum einen sind die darin enthaltenen Informationen dennoch korrekt, zum anderen werden Forscher*innen am digitalen Spiel, die dieses Buch lesen, höchstwahrscheinlich bereits mit der Geschichte ihres Mediums vertraut sein, sodass besagter Aufsatz getrost übersprungen werden kann. Schade ist es dennoch; hier hätte ich mir ein rigoroseres Lektorat gewünscht, dass den Text in den erfreulich einheitlich hochwertigen Sprachstil hebt, den die anderen Beiträge vorweisen können. Auch inhaltlich glänzen die weiteren Texte auf ihren jeweiligen Fachgebieten, soweit ich mir dieses Urteil erlauben kann. Demonstrativ sei hier erneut auf Christian Huberts Volltext hier auf Language at Play hingewiesen.
Das wohl schlauste Coffee Table Book
Optisch muss sich Digitale Moderne. Die Modellwelten von Matthias Zimmermann vor keinem Kunstbuch verstecken. Das große Format des Buches, das immerhin zwei Kilogramm auf die Waage bringt (ja, ich habe es gewogen), ermöglicht die Präsentation von zahlreichen der erwähnten Bilder Zimmermanns über mehrere Doppelseiten hinweg. Wer sich vollständig von Zimmermanns Kunst einnehmen lassen will, sollte sie sich freilich entweder digital, als Leinwanddruck oder als Diasec in einem Museum ansehen, da der Spalt am Buchrücken den panoramischen Landschaften einiges an Imposanz nimmt. Doch innerhalb dieser Buchform lassen sich die Werke kaum schöner abbilden, als es hier geschehen ist. Der schwarze, stabile Hardcover-Einband mit dem ebenso schwarzen Schnitt zieht das Auge an und das Bild Raummaschine 6 auf dem Cover macht auf den ersten Blick klar, dass sich hier alles um Videospiele dreht. Obwohl textuell ganz klar an akademisch Interessierte gerichtet, gibt Digitale Moderne daher graphisch auch als Coffee Table Book einen tollen Blickfang ab. In beiderlei Funktion macht es sich ganz fabelhaft.
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Digitale Moderne. Die Modellwelten von Matthias Zimmermann., herausgegeben von Natascha Adamowsky, ist bei Hirmer erschienen und unter anderem direkt beim Verlag erhältlich (ISBN: 978-3-7774-2388-3).
Klappentext:
“Das erste Kunstbuch über die Geschichte der Computerspiele und die digitale moderne Kultur beschäftigt sich mit der Ästhetik unserer digitalen Welt sowie deren Anwendung und Reflexion in der Kunst. Matthias Zimmermann, Schweizer Maler und Medienkünstler, lässt in seinen vielschichtigen Panoramen klassisch in Acryl gemalte Bilder mit am Computer generierten Szenerien verschmelzen. Seine zentralen Sujets sind dabei Computerspiele, mittelalterliche Malerei und japanische Gärten. Texte von Kunst-, Medien- und Kulturwissenschaftlern sowie Game-Designern flankieren die faszinierenden Bilderwelten.”
vielen Dank für diese tolle Buchvorstellung! Ich bin sehr froh das diese Publikation zu Matthias Zimmermanns Werken derzeit so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, da sonst gerade im bildwissenschaftlichen Bereich die Werke der Game Art leider noch vermehrt belächelt werden und man eine wissenschaftliche Untersuchung dann gerne anderen Disziplinen überlässt (Wobei ich dies jetzt nicht jedem Bildwissenschaftler vorwerfen möchte. Bloß in meiner Umfeld scheint man noch vorwiegend skeptisch zu sein).
Wer schon mal einen klassischen Ausstellungskatalog oder die Monographie eines Künstlers in den Händen hielt, weiß das dieser Band vieles ähnlich, aber vieles auch anders macht. Die Abbildungen sind alle qualitativ hervorragend. Ich hab die Publikation im Zuge meiner Masterarbeit mehrmals in den Händen gehalten und leider war es mir nicht immer möglich die Bilder von Zimmermann im Original anschauen zu können. Die Publikation bietet hierfür eine gute Alternative.
Spannend fand ich die Idee die Publikation anhand Zimmermanns Werke weiter “auszubauen”, nicht alle Texte gehen allein auf die Kunst ein, sondern schaffen auch neue, andere Perspektiven. Einem transdisiplinärer Fokus ist demnach gut gewählt, auch weil die Game Studies sich bisher auch immer so aufstellen und bisher leider nur eine stiefmütterlich Behandlung seitens der Bildwissenschaften geschehen ist (siehe Punkt oben). Der transdisiplinäre Fokus ist auch gerade deshalb richtig gewählt, da Zimmermann das digitale Spiel als “Material” verwendet, und so definitiv auch eine medienwissenschaftliche Komponente in seinem Schaffen eine Rolle spielt.
Leider schade fand ich den auch schon bereits erwähnten Text zur Geschichte des digitalen Spiels. Wer viel im Game Studies Bereich liest, weiß das eigentlich einige Publikation sich in dem Punkt wiederholen. Als Einstieg wird immer die Geschichte des Mediums gewählt, die oft auch chronologisch einfach abgearbeitet wird. Hier würde ich mir einfach mal ein paar neuere Einstiege wünschen. Das Medium ist zwar “neu”, aber noch nicht so neu das man jedes Mal den Lesern seine Geschichte vor Augen führen muss.
Aufgrund der vielen positiven Resonanzen zur Publikation habe ich nun natürlich so ein wenig die Hoffnung das es nun mehr Bücher dieser Art geben wird. Das fördert zum einen das die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem digitalen Spiel präsenter und zum anderen das es so schöne Buchvorstellungen wie diese geben wird.