‘Ze Germans’: Deutscher Akzent in englischen Tonspuren
Es gibt sie in so gut wie jedem Medium, und sie werden als Symbol schon so lange genutzt, dass sie ganz automatisch für bestimmte Dinge zu stehen scheinen: Die deutschen Professoren, Wissenschaftler und Doktoren. Ob Dr. Strangelove, Albert Einstein in Command & Conquer Red Alert oder ‘Ze Professor’ in Conker’s Bad Fur Day, ‘die Deutschen’ sind immer genial und nicht selten verrückt. Der Stereotyp geht vermutlich bis ins 19. Jahrhundert zurück, auf Viktor Frankenstein, Mary Shelleys skrupellosen Wissenschaftler aus Bayern.
Deutsch = Gefährlich
Ob Landshuter Monsterschaffer, Nazi-Atomfanatiker oder genialer Physiker: Sie alle eint ihre Sprache. Denn als Deutsche in der Popkultur sprechen sie zwar meist Englisch, aber mit schwerem deutschem Akzent. Es soll hier also eigentlich überhaupt nicht um das Bild des verrückten Wissenschaftlers gehen – schließlich hat sich damit Eugen Pfister schon ausgiebig befasst – sondern um die deutsche Sprache aus den Augen englischer Popkultur.
I must do some experiments I sink, ja ja, and we will sort zis out.
-Von Kriplespac, ‘Ze Professor’, in Conker’s Bad Fur Day
Ein forcierter deutscher Pseudo-Akzent wird gerne benutzt, um gewisse Stereotypen zu bedienen. Das Abziehbild des genialen, bösartigen Deutschen ist eine Mischung diverser Stereotypen aus dem preußischen Reich mit Erfahrungen und Überspitzungen des zwanzigsten Jahrhunderts: Die Grausamkeiten der Experimente in den NS-Konzentrationslagern und die Arbeit deutscher Wissenschaftler am U.S.-amerikanischen Atomwaffenprojekt bilden gemeinsam mit der militärischen Präzision und Pünktlichkeit des bismarckschen Preußen den Stereotypen des unmenschlich kalkulierenden Oberbefehlshabers. Mit diesem Bild sind seit jeher auch die markanten sprachlichen Merkmale des Standarddeutschen verknüpft. Seine im Vergleich zum angloamerikanischen Englisch harten K-Laute am Ende eines Wortes (die sogenannte Auslautverhärtung), die zischenden S-Laute und das Unvermögen vieler deutscher Muttersprachler, einen der beiden th-Laute ð (wie in “this”) und θ (wie in “thief”) zu artikulieren, passen hervorragend zum Bild des rational kalkulierenden, humorlosen Deutschen. Ein deutscher Akzent wird also entsprechend gerne für böse Wissenschaftler*innen oder nationalsozialistische Antagonist*innen verwendet. Über die Erweckung alter Klischees lassen sich somit sofort direkt Charaktereigenschaften etablieren, ohne sie erklären zu müssen.
Diesem hartnäckigen Stereotypen mit realistischen deutschen Akzenten entgegenzutreten, ist keine leichte Aufgabe. Solche Spiele müssen sich nicht nur den stets präsenten Nazi- oder Preußen-Vergleichen erwehren, ein ‘echter’ deutscher Akzent wird außerdem oft als schlechtes Englisch wahrgenommen und entsprechend kritisiert.
Zu Deutsch für Berlin
Wie etwa in Sea of Solitude, dem preisgekrönten Spiel unter Cornelia Gepperts Leitung. Im dortigen überfluteten Berlin sprechen alle Figuren Englisch, jedoch mit hörbaren deutschen Akzenten. Der gesamte Cast des Spiels wird von den deutschsprachigen Mitgliedern des Entwicklungsteams eingesprochen.
Diese deutschen Muttersprachler*innen, die als Synchronsprecher auf Englisch arbeiten, waren einer der größten Kritikpunkte an JoMei Games’ Sea of Solitude. Kritik an der Deutsch gefärbten Synchronisation des Spiels wurde besonders oft von deutschen Muttersprachler*innen laut: Auch in unserer Podcastepisode auf Polyneux, in der ich Sea of Solitude besprochen habe, führte dieser Punkt zu regen Diskussionen. Das Hauptargument: Der deutsche Akzent würde billig wirken, wäre schwer zu ertragen und würde den Dialogen ihren ernsten Ton nehmen. Sicher nicht zuletzt deswegen hat die neue Version Sea of Solitude: Director’s Cut, die unter einem neuen Publisher und bisher nur auf der Nintendo Switch veröffentlicht wurde, einen ausgetauschten Cast an Sprecher*innen – komplett ohne deutschen Akzent. Und das wohl nicht auf Wunsch der Entwickler*innen, denn JoMei Games hat den deutschen Akzent der Figuren durchaus bewusst gewählt. “Ich wollte ein modernes Bild von Deutschland fernab von diesen Standard Klischees, z.B. dem harten ‘Nazi’-Akzent in Film und TV, von uns zeigen.” so Cornelia Geppert, Gründerin von JoMei Games und Creative Director von Sea of Solitude. Schade, dass dieses Vorhaben nicht gefruchtet zu haben scheint.
Englisch-Sprecher*innen sind mehr Varianz gewohnt
Ähnliche Reaktionen musste ein weiteres Indie-Team erleben: In SmokeSomeFrogs’ Intra-System: Trust Issues, dem audiolastigen Erstlingswerk von Daniel da Silva und Angela Reinert (die nun unter dem Namen Uncreative Development ihr eigenes Indiestudio führt), spricht der deutsche Youtuber und Hörbuchautor Devon Wolters den Protagonisten, sowohl in der deutschen wie auch in der englischen Version des Spiels.
Der interessante Kniff an der englischen Version ist folgender: Der Protagonist beginnt zunächst Deutsch zu sprechen, merkt jedoch schnell, dass er nicht verstanden wird, und wechselt zum Englischen. Er wird also direkt im Spiel als deutscher Muttersprachler und damit als englischer Second Language Learner etabliert, was seinen Akzent sofort verortet. Kritik an der englischen Synchro wurde hier nur von einigen Deutschen in den Kommentaren laut. Englischsprachige Kritik bezog sich nie auf die Vertonung, eher auf andere sprachliche Details wie die Menge an Flüchen in der Sprachausgabe. “Ich glaube dadurch, dass Englisch so plural ist und überall auf verschiedenen Arten gesprochen wird, sind die meisten Leute relativ offen, was Akzente angeht” vermutet da Silva.
Sprachliche Selbstkritik
Wir Deutschen scheinen unserem eigenen Akzent im Englischen also sehr kritisch gegenüber zu stehen. Tatsächlich gibt es in Studien Hinweise darauf, dass deutsche Muttersprachler*innen Englisch mit deutschem Akzent deutlich negativer einschätzen als andere Muttersprachler*innen ihren eigenen Englisch-Akzent oder englische Muttersprachler*innen deutschen Akzent im Englischen. Deutscher Akzent wird im englischen Sprachraum zwar ebenfalls sehr ambivalent wahrgenommen, aber konsistent deutlich positiver als andere Akzente und teilweise sogar explizit positiv. Anders gesagt: uns missfällt unser eigener Akzent tendenziell deutlich stärker als anderen.
Woran das liegt, lässt sich nicht einfach sagen. Sind wir von medialen Darstellungen unserer Kultur im anglophonen Raum so stark beeinflusst, dass wir satirische oder kritische Darstellungen internalisiert haben? Liegt es an der Art, wie im deutschen Schulsystem der Spracherwerb vermittelt wird und welche Ziele beim Erlernen einer neuen Fremdsprache gesetzt werden? Ich möchte mich da ungern auf eine Theorie festlegen, würde mich aber über Vermutungen in den Kommentaren sehr freuen. Was denkt ihr, woher das deutsche Selbstbild den Akzent betreffend stammt? Und wie steht ihr zu dem Thema?
Ich würde, einfach mal so, vermuten, dass es auch am Medium liegt und wer es konsumiert. Was ich sage bezieht sich natürlich nur auf meine persönlichen Eindrücke. Ich habe das Gefühl, dass es gerade im Spielebereich, aber auch im Filmbereich sehr hoch angesehen ist etwas im Original zu konsumieren. Also in englischer Sprache. Mal abgesehen davon, wie gut man dann versteht was dort gesagt wird oder ob die sprachlichen Feinheiten und Unterschiede wirklich verstanden werden. Englisch ist ja auch nicht gleich Englisch. So wie Deutsch ja auch nicht gleich Deutsch ist. Dazu kommt sicher noch die gelernte Darstellung des Deutschen in der Darstellung.
Ich bin auch glaube ich einer der wenigen, die das deutsch-englisch in Sea of Solitude besser fanden, als die Neuauflage . Eben, weil es für mich besser zur Optik passte. Von Monstern erwarte ich kein perfektes Englisch. Da kann sprachliche Varianz für mich nur von Vorteil sein. Wie sieht es eigentlich in anderen Ländern aus? Wird es da auch kritisch gesehen, wenn man versucht eine Sprache zu verwenden, die nicht die eigene ist?
Danke für deinen guten Kommentar, Lenny!
Zu anderen Sprachen weiß ich aus der Recherche für diesen Artikel, dass die niederländische Wahrnehmung ihrer eigenen und anderen (besonders romanischen) Akzente im Englischen gut erforscht ist. Tendenziell stehen die Niederländer ihrem englischen Akzent ähnlich kritisch gegenüber wie wir unserem, aber sie werten auch andere Akzente eher ab, während wir andere Akzente eher weniger bestrafen. Um das ordentlich zu vergleichen müsste man allerdings wohl sowohl phonetische Ähnlichkeiten zwischen Deutsch und Niederländisch als auch politische, soziokulturelle Vorurteile der Niederlande gegen im diesem Beispiel v.a. romanischsprachige Kolonialmächte “rausrechnen“, da kann ich also aus dem Stand nichts zu sagen 🙂