Intra-System: Trust Issues – Über Spielererwartungen und die Unzulänglichkeiten bestimmter Designformen von Spielen. Postmortem von Indie-Dev Daniel Spieker (SmokeSomeFrogs)
Als ich vor kurzer Zeit den Beitrag Warum rote Fässer explodieren müssen veröffentlichte, trat der Indie-Entwickler und Youtuber Daniel Spieker auf Twitter an mich heran und plauderte über seine Erkenntnisse über die Vorerfahrungen von Spielern und wie sich die Spielwelten auf die Erwartungen der Spieler auswirken. Aus dem kurzen Gespräch entwickelte sich alsbald ein ausführlicher Beitrag, und ich darf mit Freude sagen, dass sich Daniel dazu entschieden hat, diesen hier auf Language at Play als eine Post Mortem zu seinem Spiel Intra-System: Trust Issues zu veröffentlichen. Daniel Spieker ist Teil des dreiköpfigen Indiestudios SmokeSomeFrogs und dort für Sound und Storytelling sowie fürs Marketing verantwortlich. Ihr erstes veröffentlichtes Videospiel Intra-System: Trust Issues habe ich in meiner Spielvorstellung als Audio Novel analog zum Genre des Visual Novels bezeichnet. Im nachfolgenden Video erklären SmokeSomeFrogs kurz, was ihr Spiel ist. Schaut es euch an, wenn ihr eine Vorstellung vom Konzept haben wollt. Wenn ihr ungeduldig auf das Post Mortem harrt oder das Spiel bereits kennt, scrollt einfach runter – viel Spaß beim Lesen.
Wie Spielervorwissen und Erwartungen kollidieren können: Designgrundsätze in Intra-System: Trust Issues
Intra-System: Trust Issues ist ein minimalistisches Audio-Adventure mit einem starken Fokus auf Entscheidungen. Es wurde von Juli 2016 bis Anfang 2017 entwickelt und am 26.4.2017 kostenlos auf Itch.io und Gamejolt veröffentlicht. Es ist das erste Spiel unseres kleinen Indiestudios SmokeSomeFrogs, das aus drei Leuten besteht; Angela Reinert, Christopher Schmidt und mir, Daniel Spieker.

In Intra-System: Trust Issues navigieren Spieler einen über Audio dargestellten Akteur mithilfe ihren Entscheidungen durch einen Laborkomplex.
Als wir Intra-System: Trust Issues konzipiert und die erste Version umgesetzt haben, hatten wir einige Annahmen an das Verhalten der Tester, die uns eigentlich sehr selbstverständlich vorkamen. Diese Erwartungen bezogen sich teilweise auf recht simple Design-Stereotypen. Wir gingen etwa davon aus, dass Spieler wissen, dass man die Escape-Taste drücken muss, um ins Menü zu kommen. Tatsächlich war das für die meisten Spieler auch intuitiv, aber ich musste darüber immer wieder nachdenken. Spielt man häufig experimentelle Spiele aus GameJams, dann ist Escape nicht immer das Menü, sondern schließt etwa direkt das Spiel. Aber angenommen man entwickelt ein Spiel, dass auf eine bizarre Art mit Erwartungen spielt? Dann könnte man der Escape-Taste vielleicht eine ganz andere Funktion zuweisen. Ich merke auch an mir selbst immer wieder, dass ich sogar genervt sein kann, wenn mit gewissen Konventionen gebrochen wird. Als ich etwa FEZ durchgespielt hatte, hat es mich immer wieder irritiert, dass ich Enter statt Escape drücken musste, um ins Menü zu kommen.
Eine weitere Annahme war, dass unser Design intuitiv genug war, um den Spieler zu leiten. Der große Play-Button im Interface sollte keiner Erklärung bedürfen, so dachten wir zumindest, um als solcher registriert und gedrückt zu werden. Als unser Sprecher, Devon, damit jedoch anfänglich Probleme hatte, haben wir eine Systemnachricht eingefügt, die ertönt, wenn der Spieler eine Minute nicht mit dem Playbutton interagiert.
Es mag irritieren, dass man so etwas testen muss, aber selbst Dinge, die man eigentlich für selbstverständlich hält, halten der Realität nicht immer stand. Dennoch unterstellten wir den Spielern immer eine grundsätzliche Neugier, die dazu führen würde, dass sie sich einige Zeit mit unserem Spiel beschäftigen würden, um auch Unklares herauszufinden. Wir mussten also die Grenzen testen, an die wir uns wagen konnten, ohne Erklärungen an den Spieler zu liefern. Das war so gesehen unser Designgrundsatz.
In unserem ersten größeren Testlauf hatte ich am Ende diverse Fragen gestellt und einige Leute ihren Spielverlauf aufnehmen lassen. Das wurde mir alles zugeschickt und ich habe es ausgewertet und aufbereitet. Das folgende Feedback von Kjartan, einem der Tester, hat uns besonders beeinflusst.
Er hatte bemängelt, dass der Akteur am Ende von Raum 11 immer den Strom ausschaltet und dass er auf dutzenden Wegen versucht hat, dieses Ende zu umgehen. Das war natürlich unser Fehler, denn wir hätten davon ausgehen müssen, dass die Spieler auch ein entsprechend anderes Ende des Raumes erwarten. Statt aber nachträglich einen regulären Weg einzubauen, den Akteur davon abhalten zu können, entschieden wir uns dazu ein Secret zu designen. Das hatte unter anderem den praktischen Grund, dass wir die bisherige Vertonung und die Geschichte nicht so massiv ändern und anpassen konnten und wollten. Gleichzeitig fanden wir aber die Idee eines gut versteckten geheimen Endes ansprechend. Streng genommen haben wir damit nicht das beste Gamedesign bewiesen, da das eigentliche Problem nicht gelöst wurde: Reguläre Spieler sind weiterhin gefrustet, denn sie finden keinen Weg, das abrupte Ende zu umgehen. Ohne aber diesen Fehler gemacht zu haben hätten wir vielleicht nie so übers Gamedesign nachgedacht, wie wir es jetzt tun.
Ich muss dazu sagen: Das Secret einzubauen war viel Arbeit und ich weiß nicht, ob es im Nachhinein weniger Aufwand gemacht hat als einen der regulären Wege anzupassen. Angela hat neue Grafiken dafür gemacht, ich habe extra noch einmal eigene Musik produziert und noch einiges mehr. Christopher und ich haben oft darüber diskutiert, ob wir das Secret offensichtlicher machen sollten. Das führte dann auch zu einem zusätzlichen Hinweis im Spiel, der aber für die meisten Spieler immer noch zu abstrakt ist und meist entweder zufällig gefunden oder komplett übergangen wird. Tatsächlich scheint neben diesem Hinweis der eigentliche Antrieb vieler Spieler ihre Erwartungshaltung zu sein, dass es in einem entscheidungsbasierten Spiel doch grundsätzlich möglich sein muss, diese eine Entscheidung am Ende zu beeinflussen.Das alles für ein Secret, dass zwar theoretisch von jedem erreichbar ist, in der Praxis aber von nahezu niemandem gefunden wird.

Das im Spiel versteckte Geheimnis auf dem Shopseiten-Screenshot. Die gesperrte Schaltfläche erregt Aufmerksamkeit, da man sie im üblichen Spielverlauf nicht erreicht.
Hier wird es außerhalb des Spiels interessant. Zum einen hatten wir auf einem Screenshot für die Shopseiten auf itch.io und Gamejolt einen Teil des Secrets gezeigt. Nicht weil wir den Leuten einen Tipp geben wollten, sondern weil die Gamesszene eher visuell veranlagt ist und wir sonst wenig auf Screenshots zu zeigen hatten, da unser Spiel nun einmal hauptsächlich über die Audio-Features funktioniert. Zum anderen haben wir unseren Zuschauern davon erzählt. Dazu muss man erwähnen, dass wir in der speziellen Lage sind, eine kleine Community auf YouTube zu haben, weil Angela (MadameYavi) und ich (Weltenbruch) beide Creepypastas vertonen und teilweise auch selbst schreiben. In den Kommentaren dort wurde das von Kjartan angesprochene Problem nach Release des Spiels erneut aufgebracht. Es war also auch allgemein ein Anliegen, das Ende zu verändern. Wir antworteten, es wäre möglich, dass die Methode allerdings ein gut verstecktes Geheimnis sei. Wozu das führen würde, war uns nicht bewusst: Leute haben das Spiel viel öfter gespielt als wir angedacht hatten. Ursprünglich gingen wir bei einem durchschnittlich interessierten Spieler von drei bis sechs Spieldurchläufen aus. Die einzelnen Durchgänge sind mit etwa fünfzehn Minuten recht kurz, das erschien uns realistisch. Damit lagen wir auch in etwa richtig. Sehr wenige Spieler haben das Secret innerhalb dieser Spanne oder mit ein klein wenig mehr Aufwand gefunden. Wir wissen aber auch von mindestens einer unserer YouTube-Zuschauerinnen, die das Secret auch nach über vierzig Spieldurchgängen noch nicht gefunden hat. Soweit ich weiß, sucht sie immer noch.
Ich will das nicht beschönigen: Es war ein Fehler, dieses ‘Ende’ auf diese Weise eingebaut zu haben, das sehen wir nun auch so. Aber es war ein Fehler, der uns für die Zukunft viel Interessantes gelehrt hat. Wir gehen davon aus, dass ungefähr jeder zweihundertste, der das Spiel runterlädt, das Secret tatsächlich findet. Ob wir das für Verschwendung halten? Nein, das nicht. Denn für die Leute, die das Secret gefunden haben, haben wir einen erinnerungswürdigen Spielmoment geschaffen, einen WTF-Moment, auf dessen Entdeckung sie oft stolz sind. Wir werden sogar des Öfteren privat angeschrieben, wenn ein Spieler es endlich findet. Unser Fehler lag also nicht in der Existenz des Secrets, sondern darin, dass wir es als Ersatz beziehungsweise Ausrede genommen haben, den Endteil nicht zu verändern.
Ich habe früher einem Freund oft beim Spielen von The Elder Scrolls III: Morrowind zugesehen. Weil wir das Tutorial ignoriert hatten, wussten wir bis zum Ende nicht, dass man Magie verwenden kann und dass es eine Taste zum Rennen gibt. Uns fehlten also nicht nur große Teile des Kampfsystems, wir wussten sogar über einige Basisfunktionen nicht Bescheid, die die Bewegung vereinfacht hätten. Aber wir hatten trotzdem Spaß mit dem Spiel, indem wir uns unsere eigenen Wege gesucht haben: Wir sprangen die ganze Zeit herum, das war schneller als Gehen. Bald war unser Akrobatik-Wert auf 100 und wir es mittlerweile gewohnt, uns nur noch so zu bewegen. Es war nicht wichtig, ob wir alles über das Spiel wussten oder schnell genug herausfinden konnten. Das grundlegende Spiel war spannend genug, um uns selbst bei mühsamem Fortschritt bei der Stange zu halten. Der Anfang des Spiels, das Setting, die Neuheit hatten unsere Neugier geweckt, und jede weitere Entdeckung hat sie nur befeuert, erst recht dann, wenn diese Entdeckungen hart verdient waren. Genau das wollten wir bei Intra-System auch erreichen. Aber wenn man diesen Weg geht, dann setzt man diese Form von Neugier bei Spielern voraus, oder erhofft sie sich zumindest. Ohne zerfällt das Spiel, ein gelangweilter Spieler, der sich nur mal durchklickt ohne Entdeckerdrang zu spüren, hat nicht viel Spaß mit Intra-System. Das muss man testen, die Quote an Spielern, deren Interesse geweckt wird, abwägen gegen diejenigen, die sich mehr erwartet haben. Ein guter Weg, die Anzahl interessiert bleibender Spieler zu erhöhen, sind eben beispielsweise Secrets. Denn wenn Spieler nicht das Gefühl bekommen, dass es wirklich etwas zu entdecken gibt, wie soll ein auf Exploration basiertes Spiel sie dann zum Erkunden bewegen? Wir waren von Anfang an überzeugt davon, dass man Spielern keine konkreten Ziele geben muss, damit ihr Interesse geweckt wird und sie mit dem Medium interagieren. Wir geben weder auf den Shopseiten noch im Menü des Spiels irgendwo die Zahl der sammelbaren Collectables an, um einen Anreiz zu schaffen, Intra-System mehrfach durchzuspielen. Stattdessen hoffen wir, dass wir es geschafft haben, den ersten Durchgang so belohnend zu machen und darin genug Hinweise zu geben, dass die Spieler tiefer ins Spiel eintauchen möchten. Der Ansatz ist ein völlig anderer als bei vielen Collectables in größeren Spielen. Würden wir zum Beispiel “Finde alle zwanzig Münzen” als Ziel vorgeben, die Münzen selbst hätten aber keinen Effekt, keine Auswirkung auf die Erzählung, dann wäre das Ziel nur extern interessant, das Komplettieren der Aufgabe würde zum Selbstzweck. Zahlen sind starke Motivatoren, aber wir wollten einen subtileren Ansatz wählen. Gleiches gilt für die Enden. Zwar weckt jedes unserer Enden unabhängig eine interessante Frage an den Spieler und kann so auch für sich stehen, denn wir können ja nicht wissen, welche Entscheidung jeder Spieler in seinem ersten Spieldurchgang trifft. Dennoch bauen die Enden aber aufeinander auf, auf eine Art, die die Reihenfolge flexibel macht und trotzdem den Komplettierungswillen der Spieler anspricht: Einzelne Puzzleteile, zu deren Vervollständigung immer noch ein weiteres Stück des großen ganzen fehlt; der Story.
- Das Plakat, einer der sammelbaren Gegenstände mit möglichem Hinweis auf das geheime Ende von Intra-System.
- Die Karte, einer der sammelbaren Gegenstände mit möglichem Hinweis auf das geheime Ende von Intra-System.
- Die Akte, einer der sammelbaren Gegenstände mit möglichem Hinweis auf das geheime Ende von Intra-System.
Wiederholung ohne Ermüdung: Das The Stanley Parable-Problem
Unser größtes Problem ist eines, das ich intern immer als The Stanley Parable-Problem bezeichnet habe.
Ich liebe The Stanley Parable. Was Davey Wreden und William Pugh damit geschaffen haben ist meiner Meinung nach ein Meisterwerk, dessen Existenz uns auch im Design unseres Spiels sehr beeinflusst hat. Aber es hat ein Problem, dass mir immer ins Auge stach und dass wir auch bei unserem Spiel nicht lösen könnten. Nicht, dass wir uns mit The Stanley Parable vergleichen wollen. Es geht mir dabei ausschließlich um den unterliegenden strukturellen Aufbau des Spiels, der so auch bei uns zu finden ist, in dem Sinne, dass man mehrere Enden freispielen kann und aus dem Spiel heraus niemals sicher weiß, wie viele es noch zu entdecken gibt.
Es gibt meiner Auffassung nach zwei Grundformen von explorationbasierten Games, die keine konkreten Ziele für die Spieler vorgeben. Zum einen offene Spiele wie Minecraft, in denen sich Spieler von Beginn an ihre Ziele selbst abstecken und in denen ein großer Teil des Reizes aus dem freien Erkunden der offenen Welt entsteht. Zum anderen lineare Erkundungsspiele, die ein wenig wie diese alten Choose Your Own Adventure-Bücher funktionieren, mit verschiedenen, aber doch klar abgesteckten und endlichen Auswahlmöglichkeiten, die zu unterschiedlichen Enden führen. Der markanteste Unterschied zwischen vielen Spielen dieser Struktur und diesen Abenteuerspielbüchern ist der Umstand, dass im Buch die möglichen aufschlagbaren Seiten direkt vermerkt sind und nur das Ergebnis unsicher ist, im Spiel aber die Methoden, die auf einen anderen Pfad führen, erst selbst vom Spieler herausgefunden werden müssen und damit selbst Bestandteil der Spielerfahrung sind. In dieser Hinsicht ähnelt also auch ein Spiel wie The Stanley Parable einem alten Text-Adventure, wo das Herausfinden der passenden Wörter zum Spielen gehört.

Das Stanley Parable-Problem, Teil 1:
Zu entdecken, dass die möglichen Wege begrenzt sind und wie viele es gibt, ist Teil der Spielerfahrung.
Natürlich weiß jeder Spieler in The Stanley Parable sofort, dass man durch eine der zwei Türen am Anfang gehen kann, aber kann man auch zurückgehen? Ändert das etwas? Gibt es außer den Türen gar noch mehr mögliche Wege? Oder beginnen die sich aufteilenden Pfade zu den Enden erst dahinter, muss man den ersten Abschnitt mehrfach spielen? Solche Fragen halten den Anfang spannend, aber das Problem ist ersichtlich: Je mehr die Spieler verstehen, wie das System funktioniert, desto größer die Gefahr, dass es langweilig oder nervig wird, die gleichen Pfade erneut abzugehen. Besonders kann das für Frust sorgen, wenn sich die Spieler gar nicht sicher sind, ob am Ende der Wiederholung überhaupt neue Entdeckungen stehen. The Stanley Parable kompensiert das ganz gut durch Zufallselemente zu Beginn des Spiels, aber es ist dennoch ein Problem, das einfach in der Natur der Sache liegt, weil man nie weiß, ob man genug oder gar schon alles gesehen hat. Ich muss dazu allerdings sagen, dass das Problem auch den Machern selbst bewusst ist und sie in diversen Interviews verschiedene Ideen formuliert hatten, wie sie das Problem im Nachhinein adressiert hätten.
Intra-System: Trust Issues hat natürlich nicht das Durchhaltevermögen von The Stanley Parable, unsere Spieler sind sicher schneller genervt; das liegt unter anderem daran, dass wir einen Hauptpfad haben an dem sich der Spieler immer wieder entlanghangeln muss statt mehrere räumliche Abzweigungen. Wenn wir also davon ausgehen, dass ein durchschnittlicher Spieler maximal sechs Durchläufe spielt, spätestens ab dem siebten also entweder befriedigt oder zu genervt ist, um weiterzuspielen, ergibt sich daraus ein Problem: Wann und warum hören Spieler auf zu spielen? Aus Frust oder weil sie ihre Spielerfahrung abgehakt haben? Das Spiel selbst vermittelt ja nicht, dass alles erledigt ist, es könnte ja immer noch ein neues Ende zu sehen geben. Aber egal wie viele Collectables oder Enden wir einfügen, irgendwann werden Spieler genervt sein, sei es, weil sie nichts mehr finden oder weil ihnen die Wiederholung zu viel ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass diese Wiederholung kaum zu vermeiden ist. Gäbe es in The Stanley Parable zu Anfang fünfzehn Türen statt zwei, würde das nicht nur die Entscheidung erheblich erschweren, es würde sie sogar entwerten: Bei einer solchen Anzahl ist Spielern ohnehin klar, dass sie zurückkommen und alle Optionen regelrecht abarbeiten müssen. Andersrum funktioniert die Überlegung genauso: Die schiere Anzahl an Büchern in den The Elder Scrolls-Titeln verhindert, dass sich die meisten Spieler so intensiv mit ihnen beschäftigten, wie sie es tun würden, gäbe es nur zehn verschiedene. Durch die Seltenheit oder Besonderheit der einzelnen Gegenstände und Entscheidungen wird ihr intrinsischer Wert erhöht. Würden wir den Spielern in jedem Raum fünf Collectables vorsetzen, würden sie sich nicht mehr so darüber freuen und sich mit ihnen beschäftigen wie jetzt, selbst wenn in jedem genauso viel Arbeit stecken würde wie jetzt. Es ist ein schmaler Grad zwischen exakt so viel Content, dass es genug zu erkunden gibt und Überfluss, bei dem das Einzelne seinen Wert verliert.

Das Stanley Parable-Problem, Teil 2:
Die Entscheidung zwischen zwei Türen wiegt schwerer als zwischen zehn, eröffnet aber die Gefahr des Frusts durch Repetition.
Wie ließe sich das lösen? Eine Möglichkeit wäre, dass sich die Spielwelt in aufeinanderfolgenden Durchläufen abhängig von der Spielerhandlung persistent verändert, beispielsweise indem eine Explosion während eines Durchgangs einen neuen Weg im nächsten öffnet. Diesen Weg sind wir bei Intra-System zum Teil gegangen (wer das Spiel gespielt hat, wird mit dem Stichwort ‘Hebel’ etwas anzufangen wissen), aber nicht genug. Eine andere Möglichkeit wäre, dass man tatsächlich ein finales, als solches erkennbares Ende hinzufügt, nach dem man aber dennoch weiterspielen kann, wenn man möchte. Klar ist aber, dass das je nach Art des Spiels nicht funktioniert und entsprechend zu völlig neuen Problemen auf der Erzählebene führen kann. Wenn wir Intra-System: Trust Issues irgendwann einmal neu designen oder ein weiteres Spiel in einem ähnlichen Stil entwickeln, werden wir uns mit diesen Punkten auf jedem Fall noch intensiver beschäftigen als bisher.
Gezogene Lehren und der Blick in die Zukunft: Devastated: Andrew’s Dictaphone
Alles in allem glaube ich, dass es wichtig ist, Secrets und verborgene Spielabschnitte einzubauen. Insbesondere bei einem erkundungsbasierten Spiel, aber eben nicht nur da. Damit meine ich auch keine klassisches Easter Eggs, bei denen etwas Lustiges, aber narrativ Belangloses ausgelöst wird. Wir hatten am Anfang einige herkömmliche, recht witzige Easter Eggs, aber ich bin froh, dass wir diese entfernt haben. In einem Fall gab es etwa eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Endsequenz nicht unser Sprecher zu hören war sondern ich selbst, mit einem kurzen Abschnitt darüber, dass der Akteur gerade Pause hätte. Das hätte die Immersion des Spielers natürlich vollkommen gebrochen. Die Secrets und Collectables, die es ins fertige Spiel geschafft haben, unterstützen alle auf ihre Weise die Geschichte und die Atmosphäre des Geschehens und stehen ihnen nicht im Weg. Für uns muss ein ideales Secret genauso viel zum Spiel beitragen wie ein regulärer Inhalt und nicht einfach nur kurz erheitern.
Was haben wir also an Lehre aus Intra-System herausgezogen? Zunächst, dass es durchaus in Ordnung ist, Spielern gewisse Details zu verschweigen und in Kauf zu nehmen, dass diese erst durch besonders engagierte Spieler ans Licht geholt werden. Als ein so kleines Indie-Studio mit einem recht unbekannten Spiel sind wir da paradoxerweise in einer eher vorteilhaften Rolle. Wenn ich die Geheimnisse von erfolgreichen Spielen wie Braid, Spelunky, Frog Fractions oder The Stanley Parable herausfinden will, reicht eine simple Google-Suche. Teilweise wird man sogar ungewollt gespoilert, wenn man eine Review oder ein Let’s Play zu einem Spiel ansieht. Bei uns geht das nicht. Es gibt keine Video-Walkthroughs zu Intra-System, die alle Endings und Secrets zeigen. Das kann natürlich frusten, wenn man von der Existenz des Geheimnisses weiß, es aber einfach nicht findet, aber es macht eine gewisse Form von Exploration überhaupt erst möglich. Dieses Gefühl, dass da noch ein Stück mehr sein könnte, halte ich persönlich für einen der spannendsten Punkte am Spielen. Doch als Entwickler wird es immer schwerer, dieses Gefühl zu erzeugen, weil es bereits auf so viele Arten versucht wurde, oder ungeduldige aber fähige Menschen einfach im Code nachsehen. Da hilft dann auch der extremste Weg nicht beim Verstecken. Ein so gut verstecktes Secret wie unseres funktioniert noch, das haben wir festgestellt, aber nur solange das Spiel ein absoluter Nischentitel bleibt. Und ich bin davon überzeugt, dass es den Aufwand wert ist, selbst wenn nur ein winziger Teil aller Spieler die Sequenz je erleben wird. Es ist trotzdem wichtig, einerseits die Möglichkeit offen zu lassen, dass es da noch mehr zu finden gibt, und andererseits diejenigen Spieler auch deutlich dafür zu belohnen, den Aufwand auf sich genommen zu haben. Und wenn ein Spieler das geheime Ende nicht findet, auf der Suche aber diverse Dinge erlebt hat, die etwas in ihm auslösen, dann ist das nicht weniger wert als die erfolgreiche Suche. Ohnehin finden Spieler ja meist ihre ganz eigenen Wege und Ziele. Und die Dinge, die sie dabei auch wirklich selbst entdecken und erkunden haben einen völlig anderen persönlichen Wert als über eine Quest markierte Gegenstände.
Gerade arbeiten wir an unserem nächsten Spiel, Devastated: Andrew’s Dictaphone, einer mehr linearen Exploration einer düsteren Geschichte.
Intra-System: Trust Issues ist ein kostenloses, experimentelles Indie-Spiel von SmokeSomeFrogs. Wenn euch der Artikel angesprochen hat und ihr das Studio unterstützen wollt, ladet euch das Spiel über Itch.io oder Gamejolt herunter.
Inhalt & Screenshots: Daniel Spieker, SmokeSomeFrogs
Redaktion, Layout & weitere Medien: Pascal Wagner, Language at Play
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