Spiele an der Wahlurne: Demokratie in Videospielen und der Industrie
Demokratie! Die schlechteste Regierungsform, abgesehen von all den anderen. Was schon Churchill angeblich wusste, das macht uns auch heute noch Probleme. Ob rechtsnationale Parteien, die es in die Parlamente schaffen und dort Sand in die Getriebe der Regierungsprozesse streuen oder korrupte Präsidenten und Premierministerinnen, die die Staatsführung zu ihrem eigenen Vorteil nutzen: Die Republik ist kein Wunderkind. Und doch können wir uns etwas besseres als die Herrschaft des Volkes durch gewählte Vertreter nicht vorstellen. Seltsam also, wie stiefmütterlich die res publica in Videospielen behandelt wird. Kaum Spiele lassen eine tatsächliche Repräsentation von Wahlen, Bürgerbegehren und parlamentarischer Arbeit zu. Der vermeintlich simple Grund – der, nach Occams berühmtem Rasiermesser, vermutlich gar nicht so falsch ist – ist schnell ausgemacht. Demokratie, das steht für Herrschaft von unten, von vielen einzelnen in der Form eines gewählten Elements, das seinen Posten bei unzufriedener Bevölkerung ebenso schnell wieder verlieren kann. Die meisten Videospiele geben die Machtposition allerdings an eine Kraft von oben ab, eine von außen, die nur durch den Kauf des Spiels bereits das Privileg der Herrschaft erworben hat: den Spielenden. Machen wir also eine kleine Rundreise durch die Welt der Demokratie in Videospielen und sehen uns an, wo sie wie gezeichnet wird.
Dieser Artikel erschien zuerst im unabhängigen Printmagazin GAIN, Ausgabe #9. Wenn er euch gefällt, könnt die aktuelle Ausgabe #10 hier bestellen oder die GAIN abonnieren. Wenn ihr euer Abo über Steady abschließt, helft ihr uns ganz besonders! Disclaimer: Pascal Wagner ist Chefredakteur und Autor bei der GAIN.
Demokraten, die Alleinherrscher von Außen
Am einfachsten lassen sich Hinweise auf demokratische Strukturen wohl in Strategiespielen finden. Globale, mehrere Ären umspannende Riesenspiele wie »Sid Meier’s Civilization« können die Weltgeschichte nicht anreißen, ohne auf die Demokratie des Antiken Griechenlands oder das Frauenwahlrecht hinzuweisen. In »Civilization V« wird die Demokratie vor allem im Endgame etwas interessanter, wenn sie in Form einer Ideologie zwei anderen Formen der Weltordnung gegenüber gestellt wird. Freiheit, im Kontrast zu Ordnung und Autokratie, beginnt in der Zeit des kalten Krieges die Staaten zu formen, die sich für sie entscheiden. Natürlich ist diese freiheitliche Ideologie stark von westlich-parlamentarischen Idealen geprägt und geht besonders auf die nordamerikanische und mitteleuropäische Form der vom Kapitalismus getriebenen Demokratie ein. Hier hat kein einziger Bürger, die in »Civilization« ohnehin nicht mehr als eine Nummer darstellen, ein tatsächliches Wahlrecht. Stattdessen sicher sich der Herrschende einer Nation mit Hilfe von Edikten unter dem Schirmbegriff der Demokratie wirtschaftliche Vorteile. Gewählt wird in »Civilization« eben doch nur von einem: vom Spielenden.
Auch Aufbaustrategiespiele wie »SimCity« liebäugeln desöfteren mit einem Deckmäntelchen der Demokratie. So wird derjenige, der die Stadt erbaut – erneut, der Spielende – gerne als Bürgermeister bezeichnet, ein prinzipiell auf kommunaler Ebene demokratisch gewähltes Amt. Die Wahl gewinnt der Spielende aber automatisch mit Starten der Partie. Mit etwas Glück lässt das Spiel Demonstrationen gegen den Bürgermeister zu, wenn die Luft zu schmutzig ist oder das Wasser zu hoch steht. Diese Unruhen werden dann als steigende rote Zahlen in einem Menü abgeheftet, wo sie für sinkende Steuereinnahmen sorgen. Den Posten des Bürgermeisters verliert der erfolglose Städteplaner deswegen aber nicht. Konsequent ist in dieser Hinsicht hingegen »Frostpunk«: Sorgt der Bauverwalter in dieser vereisten britischen Postapokalypse nicht für genug Wärme, Nahrung und Hoffnung, dann trifft ihn der geballte Wählerwille – in Form einer Verbannung ins frostige Exil und damit in den Tod. Ihr könnt es dem flapsigen Ton meines Textes bis hierhin sicher entnehmen: All das hat reichlich wenig mit echter Demokratie zu tun.
Der stärkste Hoffnungsträger in dieser Hinsicht ist und bleibt wohl die treffend benannte »Democracy«-Reihe. Die komplexe Verschaltung unterschiedlicher Wünsche, von sich konträr gegenüberstehenden Wählergruppen bis hin zu individuellen Bürgern sorgt für ein hektisches Abwägen von dem, was ich als Politiker gerne erreichen würde und dem, was ich mit Hilfe von großzügigen Geschenken diverser Lobbyisten für diese ermöglichen soll. Mehr als dieses Abwägen von Wählerwillen und Milliardärswunsch lässt die Serie auch in ihrer aktuellsten Interation, »Democracy 3«, nicht wirklich zu. Aber diese Simplifizierung des Politikerberufs auf ein Level, das immerhin noch als Politik erkennbar ist, ist dennoch besser als die meisten anderen Strategiespiele, die sich dieses Themas annehmen.
Die Macht geht vom Spielenden aus
Auf der Produktionsebene hingegen hat die Demokratie das Verhältnis von Spielenden und Entwickler*innen längst verändert. Die Kickstarter Economy ist die Direktwahl der Spieleentwicklung. Davon, wie viele Spielende mit der Brieftasche für das Versprechen eines guten, noch nicht entwickelten Spieles stimmen, hängt maßgeblich dessen Chance auf Verwirklichung ab. Dabei gelten ungeschriebene Gesetze, deren Einhaltung die Backer meist erwarten, und auf die sie sich auch gerne berufen, wenn Ihnen der Fortschritt des unterstützten Projekts nicht gefällt. Dazu gehören regelmäßige Rundbriefe, in denen der Verlauf der Entwicklung offen gelegt wird; die Sitzungsprotokolle des Crowdfundings. Obsidian Entertainment erzählt dem Journalisten Jason Schreier für dessen Buch Blood, Sweat and Pixels« von der Hürde, die die Erwartungshaltung der Spielenden im Crowdfunding von »Pillars of Eternity« darstellte: Allen voran die Einhaltung von Strech Goals und die Erwartung, regelmäßig durch Newsletter über den aktuellen Stand der Entwicklung informiert zu werden. Obsidian hatten sich vorgenommen, völlig transparent mit ihren Unterstützern umzugehen. Das hieß auch, Probleme einzugestehen. Und auch, die Verschiebung der Veröffentlichung nicht mit PR-Gerede zu beschönigen. Denn als Obsidian beschloss, »Pillars of Eternity« um einige Monate nach hinten zu verschieben, war diese Zeit bitter nötig. Einigen Unterstützern und vermutlich einer ganzen Menge anonymer Internetnutzer war diese Ehrlichkeit nicht genug, um die Verzögerungen zu rechtfertigen. Erzürnte Proteste und zurückgeforderte Geldbeträge waren die Folge. Zum Glück zahnlos, denn Kickstarter war und ist keine Vorverkaufsplattform und Unterstützer haben keine Möglichkeit, ihr Geld zurückzufordern, wenn ein Projekt ihrer ursprünglichen Hoffnung nicht entspricht. Direkte Demokratie, aber eben nur in eine Richtung: Wer hinterher gegen die Entwickler*innen vorgehen möchte, von dem er sich betrogen fühlt, der muss andere Mittel ergreifen.
Spielerwut als Antrieb für Missbrauch
Und das tun mehr und mehr Spieler (ich sage hier bewusst nicht Spielende, denn wir reden hier zum größten Teil von Männern), indem sie eine Eigenheit des momentanen Marktführers Steam ausnutzen. So waren kürzlich tausende Fans erzürnt, weil 4A Games’ neuestes Spiel »Metro: Exodus« auf dem PC exklusiv im konkurrierenden Epic Games Store erscheint. Kurzerhand kauften sie die beiden Vorgängerspiele, »Metro 2033« und »Metro: Last Light«, wenn sie sie nicht bereits besaßen, und schrieben eine schlechte Benutzerrezension auf der Shopseite. Anschließend ließen sie sich das Spiel über Steams Rückgabeformular wieder erstatten. Das Geld aus den Verkäufen wanderte zurück, die schlechte, oft bösartig geschriebene Rezension blieb. Innerhalb weniger Stunden fiel der Punktedurchschnitt der Spiele von überwiegend positiv auf größtenteils negativ – ein Todesurteil für Spiele auf Steam, deren Sichtbarkeit ganz wesentlich davon abhängt, wie gut Valves Werbealgorithmus ihre Bewertungen einschätzt. Für große, von einem Publisher unterstützte Titel ist dieses sogenannte Review Bombing nicht zwingend der Untergang. In diesen Fällen besteht ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit, und die im Vorfeld durch massive PR angekurbelte Hypemaschine wird trotz Aufschrei einiger fanatischer Fehlgeleiteter für genügend Verkäufe sorgen. Wenn dieses Bombing allerdings kleinere Entwickler und Entwicklerinnen trifft, Indies, die aus irgendeinem Grund ins Fadenkreuz des wütenden Mobs geraten sind, dann können dabei ganze Existenzen zerstört werden. Die »Firewatch«-Entwickler wie Campo Santo, die dem YouTuber PewDiePie die Nutzung ihrer Spiele in Videos untersagt haben, nachdem dieser vor der Kamera wiederholt mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus aufgefallen war, bekamen für diesen Schritt ebensoviel Hass wie Anerkennung und positive Berichterstattung. Und Amanita Design, die Designer von »Chuchel«, mussten sich Review Bombing und den Vorwurf des Einknickens vor der sogenannten »politischen Korrektheit« gefallen lassen, weil sie ein an Blackfacing erinnerndes Design aus ihrem Spiel gepatcht hatten. Dabei ist diesen Indie-Entwicklern in beiden Fällen vor allem eines gemeinsam: Sie haben etwas Anständiges getan und wurden dafür von der »direkten Demokratie der Käufer« abgestraft. Rückschlüsse auf die generelle Effektivität einer direkten Einflussnahme von Spielenden und Interessierten auf die Entwicklung von Videospielen sollte man daraus keine ziehen. Einflussnahme und Partizipation der Spielenden funktioniert, wenn sie mit Verantwortung einhergeht. Aufpassen, dass man sich nicht selbst aus fehlgeleitetem Frust dazu verleiten lässt, allen Anstand fahren zu lassen und eine vermeintliche Machtposition auszunutzen, sollte man als Käufer also schon.
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2 Antworten
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[…] und keiner Absprachen bedürften. Am häufigsten erklärt sich beim Review Bombing vermeintlich im Namen der Demokratie eine kleine Gruppe von Personen zur „Stimme des Volkes“, die den Status Quo aufrecht erhalten […]