Namen über Namen: Phantasy Star Online
Ein Gastbeitrag von Alexander Lasch von Lingdrafts.
Alexander Lasch lehrt Linguistik und Sprachgeschichte des Deutschen an der Technischen Universität Dresden und nutzt Gelegenheiten wie diese, um in naher Zukunft das Thema “Sprache und Spiel” und damit eines seiner Hobbies zum Thema wissenschaftlicher Forschung zu machen.
In einer Karriere als Spieler – so sagt man das wohl – gibt es Schlüsselmomente. Für mich waren das unter anderem: Die erste eigene Konsole über die Antennenweiche erfolgreich angeschlossen zu haben (und Alex Kidd in Miracle World durchzuspielen); das erste Labyrinth von Hand zu zeichnen (alle habe ich gehasst, aber bei Shining in the Darkness bin ich drangeblieben); sich zu wundern, warum man einen Track aus einem 8bit-Spiel nicht mehr aus dem Ohr bekommt (Tal Tal Mountain); dank Nintendo (und speziell auf dem N64: Rare Ware) immer wieder zum Hobby zurückzufinden (Super Mario 64, Banjo-Kazooie, Diddy Kong Racing, Zelda: Breath of the Wild); mit Shootern und Racern kostbare Lebenszeit zu opfern (Call of Duty 4, Forza Motorsport) und schließlich mit Dark Souls zu sehen, dass das noch nicht alles war. In diese Karriere gehört für mich zweifelsohne der/die/das glücklose Dreamcast – immer noch, möchte man sagen, 20 Jahre nach Release. Abgesehen von großartigen Arcade-Titeln, Soul Calibur, Shenmue oder Experimenten wie Seaman (ein gefundenes Fressen für Linguist*innen) hat mich ein Spiel nachhaltig beeindruckt: Phantasy Star Online.

Unverwechselbar: der Startscreen von Phantasy Star Online (hier Blue Burst). Alle Bilder des Beitrags sind Eigenaufnahmen aus der privat bereitgestellten Fassung PSO Blue Burst.
Ich habe alles importiert aus den USA, kaufte die Tastatur und fing auf Gamecube noch einmal von vorn an. Was für ein Wahnsinn. PSO brachte alles mit, was mir wichtig war: Ich wollte ein RPG nicht mit einer anonymen NPC-Party bestreiten, sondern gemeinsam mit meinen Freunden. Deshalb (und nur deshalb) steht es in diesem knappen Artikel im Mittelpunkt stellvertretend für die Serie, die Sega leider nicht wieder aufleben lässt bzw. nur noch in Japan fortführt, was auch für die Shining-Reihe gilt.
Heute möchte ich die Möglichkeit nutzen und ein Detail ausbreiten, was schon an anderer Stelle hier im Blog thematisiert wurde: Bildung von Namen. Anders als in anderen Spielen ist die Bildung von fiktiven Namen, die aus Bestandteilen bestehen, die scheinbar eine Bedeutung tragen und die man deshalb als Pseudomorpheme bezeichnen könnte, in der Phantasy Star-Reihe nicht nur auf Zauber beschränkt, sondern auch als namengebendes Prinzip für bestimmte Gegnertypen sowie zum Teil für Klassenbezeichnungenn erkennbar. Für die exemplarische Beschreibung konzentriere ich mich auf PSO – in anderen Titeln der Reihe sind zwar die selben Mechanismen am Werk, aber die einzenen Titel unterscheiden sich teils eklatant voneinander, so dass ein direkter Vergleich in der Sache unsinnig wäre und mit Sicherheit den Rahmen hier sprengen dürfte.
Bevor ich mich nun aber in den Details verliere, die ich im Schluss auch nicht weiter kommentieren werde, möchte ich vielleicht noch zwei Dinge vorausschicken. Zum einen würde ich mich sehr über weitere Studien zum Thema freuen. Zum anderen habe ich den Artikel (bis auf die letzten Anpassungen hier) in einem Online-Pad verfasst. Wer sich für die Genese des Gastbeitrags interessiert, kann diese gern hier nachvollziehen.
Techniken (Zauber)
In PSO werden die Elementarzauber für Feuer-, Eis- und Blitzmagie nach einem ähnlichen Muster gebildet, das Pascal bereits unter anderem für Final Fantasy vorstellte.

Die Elementarzauber in der Schnellauswahl.
Feuer: Foie – Gi-foie – Ra-foie
Blitz: Zonde – Gi-zonde – Ra-zonde
Eis: Barta – Gi-barta – Ra-barta
Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob die Stämme Foie (Fire?), Zonde (Thunder?) oder Barta (vielleicht von der protoromanischen Wurzel *bart-/bard?) irgend einer Sprache nachempfunden sein könnten oder nicht. Das ist nur bis zu einem gewissen Punkt interessant. Spannender ist aus meiner Sicht, dass akzeptiert wird, dass es sich um Namen handelt. Das wiederum ist ein Phänomen, das wir auch aus der Namenforschung generell kennen. Der Einfachheit halber kann man guten Gewissens von der Prämisse ausgehen: Entweder ist die Herkunft unbekannt, oder es handelt sich um Wortneuschöpfungen, die (selbst wenn sie zum Beispiel mit lautlichen Analogien spielen [Zonde ~ Thunder]) eine Rückbindung an einzelsprachliche Traditionen nicht notwendigerweise brauchen.
Bei den Präfixen Gi– und Ra– hingegen handelt es sich um morphologische Marker, die reihenbildend Verstärkungsstufen anzeigen. Auch hier sind wir als Menschen darauf geeicht, dass wir ein bedeutungstragendes Muster unterstellen und dieses dann, wenn wir es entdeckt haben, auch besser erinnern und selbst (re-)produzieren können.
Gegner
Abgesehen von den Techniken werden auch Gegnertypen und -familien über Namen und Pseudomorpheme bezeichnet. In PSO sind im Grundspiel insgesamt vier Welten zunächst in drei Schwierigkeitsstufen (normal, hard, very hard) zugänglich: Forest, Cave, Mine und Ruins. Und in jeder dieser Welten gibt es Gegnertypen, die eine Grundform teilen, aber zu einer Familie gehören — diese wird nicht nur über Aussehen (Form) und Angriffs- und Fluchtverhalten (Funktion) bestimmt, sondern auch über eine gemeinsame Namengebung, die sich – interessanterweise – nicht an dem akronymischen Charakter der Klassenbezeichnungen anlehnt, auf die ich noch komme, sondern eher dem namengebenden Prinzip für die Techniken folgt. Um das namengebende Prinzip zu illustrieren, möchte ich exemplarisch einen Gegnertypus herausgreifen, der in jeder der vier Welten auftaucht. Er ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Er greift nicht allein, sondern in Formation an und geht aufrecht, um mit seinen vorderen Gliedmaßen attackieren oder sich verteidigen zu können.

Angriffsformation von Boomas (Forest).
Forest
Booma – Go-booma – Gi-go-booma
Additiv gereiht sind – wie bei den Elementarzaubern – morphologische Marker, die möglicherweise unterschiedliche Grade an Verstärkungen anzeigen. Aber das wäre nur eine Interpretation. Die Gegner zeichnen sich außerdem durch unterschiedliches Aussehen, unterschiedliche Größe und unterschiedliche Reaktion auf Elementarzauber aus: Gegen einen Booma zum Beispiel setzt man am besten Feuer-, gegen einen Gobooma am besten Blitz- und gegen einen Gigobooma am besten Eiszauber ein.
Cave
Evil Shark – Pal Shark – Guil Shark
Das namengebende Prinzip für die Gegner in den Caves könnten attributiv gebrauchte Adjektive sein. Wenn man versucht ist, diese Einheiten so zu interpretieren, liegt ein Analogieschluss vor, da man evil eindeutig als Adjektiv identifizieren kann. Allerdings – und aus dem Englischen kommend – ist das bei pal und guil schon schwieriger.
Mine
Gill-chic – Dub-chic
Von diesen Androiden gibt es keine dritte Form — das namengebende Prinzip ändert sich auch hier noch einmal. Wie bei den Gegnern in der Cave sind bereits die Grundformen markiert.
Ruins
Dimenian – La Dimenian – So Dimenian
In den Ruins finden wir eine interessante Variante, die die Wortbildung der Techniken sowie der Gegner in Forest und Mine transzendiert. Warum? Die wie Artikel erscheinenden Namensbestandteile La und So könnten als bedeutungstragende (Pseudo-)Morpheme identifiziert werden, die hier noch nicht zum festen Bestandteil des Namens als Präfix ‘geworden’ sind – ich komme unten noch einmal kurz auf die Indizien für eine Pseudo-Sprachgeschichte (hier: Grammatikalisierung) zu sprechen.
Im vierten Schwierigkeitsgrad (ultimate) wird nicht allein an den verfügbaren Stellschrauben für Gegnereigenschaften und -verhalten gedreht (Anzahl, Geschwindigkeit, Stärke, Gesundheit usw.), sondern die Gegner reagieren auch anders auf Elementarzauber. Damit geht einher, dass sie visuell angepasst werden und einen neuen Namen erhalten, der nur noch zum Teil dem erläuterten namengebenden Prinzip folgt.
Forest Ultimate
Bartle – Barble – Tollaw
Cave Ultimate
Vulmer – GoVulmer – Melqueek
Mine Ultimate
Gillchich – Dubchich
Ruins Ultimate
Arlan – Merlan – Del-D
Bis auf die Gegner in der Mine werden alle anderen mit Namen bezeichnet, die nicht nur wenige Gemeinsamkeiten (bis auf Merkmale wie anlautend mit b- oder auslautend auf -n) mit den bisherigen Namen teilen, sondern auch ein neues Prinzip in die Benamung einführen: Die dritten Stufen der Familie werden mit einem vollkommen neuen Namen belegt. Das entspricht der vorgeführten Welt insofern, als dass die Abweichung vom Grundtypus dann bereits so massiv ist, dass diese Distanz auch durch den Namen ausgedrückt wird (und hier vielleicht eine neue Gegnerfamilie entsteht).
Klassen
Neben den Techniken und Gegnern – und das macht das Spiel sehr interessant – werden schließlich auch die Klassenbezeichnungen nach einem konzeptuellen Muster gebaut. Wortbildnerisch funktionieren sie aber ganz anders, da andere Kategorisierungen eine Rolle spielen. Außerdem haben die Klassenkategorisierungen (teil-)akronymischen Charakter, was ihre Erschließung aber nur bedingt erleichtert.

Überblick über die Klassen in der Charaktererstellung.
HUNTER (Nahkampf) | HUmar | Verfügt über einige Angriffs- und Regenerationstechniken. |
[HUmarl] | ||
HUcast | Kann keine Techniken nutzen, aber Fallen setzen. | |
HUcaseal | Kann keine Techniken nutzen, aber Fallen setzen. | |
[HUnewm] | ||
HUnewearl | Verfügt über starke Techniken. | |
RANGER (Fernkampf) | RAmar | Verfügt über einige Angriffs- und Regenerationstechniken. |
RAmarl | Starke Angriffstechniken. | |
RAcast | Kann keine Techniken nutzen, aber Fallen setzen. | |
RAcaseal | Kann keine Techniken nutzen, aber Fallen setzen. | |
[RAnewm] | ||
[RAnewearl] | ||
FORCE (Magie) | FOmar | Starke Angriffstechniken. |
FOmarl | Exzellente Supporttechniken. | |
*[FOcast] | ||
*[FOcaseal] | ||
FOnewm | Exzellent in diversen Techniken. | |
FOnewearl | Exzellent sowohl in Angriffs- wie Supporttechniken. |
Legende: [] Steht nicht in der Klassenauswahl zur Verfügung, *aufgrund der Klassenbeschreibungen nicht möglich.
Schauen wir uns eines der vollständigen Muster genauer an:
HU | mar | |
Hunter | Mensch | männlich |
HU | mar | l |
Hunter | Mensch | weiblich |
HU | cas | t |
Hunter | Android | männlich |
HU | cas | eal |
Hunter | Android | weiblich |
HU | new | m |
Hunter | Newman | männlich |
HU | new | earl |
Hunter | Newman | weiblich |
Eine Systematik ist vor allem über die Funktionen von Klassen ableitbar, ‘races’ spielen eine nachgeordnete Rolle (science fiction?). Die Codierung von Geschlecht und Race folgt je anderen morphologischen Mustern, wobei die der Bildungsform nach ‘älteste’ Form die Differenzierung zwischen Maskulina und Feminina der Menschen ist – hier ist die Ableitung der weiblichen Form direkt von der männlichen Form der Standard. Anders sieht das bereits bei Androiden aus, am komplexesten ist die Markierung bei den “Newman”. Die beiden ‘jüngeren’ Formen – Androiden und Newman – teilen in den weiblichen Formen ein interessantes vokalisches Merkmal, ea. Wer sprachhistorisch vorgeprägt ist, neigt dazu, auf der Basis bestimmter Merkmale verschiedene sprachliche Entwicklungsstufen zum Beispiel der germanischen Sprachen anzunehmen – ea spielt hier im Übergang vom Germanischen in die niederdeutschen Varianten eine entscheidende Rolle bei den Veränderungen im Vokalismus. Wir haben also nicht nur Wortbildung mit Pseudomorphemen zu beschreiben, sondern möglicherweise auch eine Pseudo-Sprachgeschichte als Sinnebene anzunehmen.
Die weiblichen Formen teilen ein gemeinsames Merkmal; im Gegensatz zu den männlichen Formen, die morphologisch nicht identisch sind, verbindet die weiblichen Formen die Endung auf –l. Rätselhaft bleibt die letzte Form: Sie nimmt sowohl morphologische Merkmale der ‘ältesten’ Maskulina wie Feminina auf – eine schöne, aber intransparente Synthese.
In Bezug auf die Kombinatorik der aus mehr oder weniger transparenten Abkürzungen bzw. morphologischen Geschlechtsmarkierungen additiv zusammengesetzten Klassenbezeichnungen ist interessant, dass man freilich auch Forces benennen könnte, die maskuline oder feminine Androiden sind. Allerdings können Androiden keine Techniken verwenden, was in der Logik der Benamung keine Zuordnung zu den Forces gestattet.
Mir ist klar, dass es wie erwähnt nur nebensächlich ist, aber die Namen vieler Techniken in Phantasy Star kommen tatsächlich wie vermutet aus diversen Fremdsprachen, welche die Japaner dann in Romaji gefasst haben und die bei der Rückübersetzung dann skurrile Formen annahmen. Mit Foie war tatsächlich ursprünglich das deutsche Wort “Feuer” gemeint, und der Exit-Zauber mit Namen “Hinas” soll eigentlich “Hinaus” heißen.