Wolfenstein-Nazis, linguistisch erklärt, Teil 1: Wehrmacht-Soldaten
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Wolfenstein: Youngblood mag nicht das gehaltvollste Singleplayer-Spiel der neuen Wolfenstein-Reihe von Bethesda und MachineGames sein, aber es ist eine prall gefüllte Wundertüte voll spannender sprachwissenschaftlicher Besonderheiten. So vieler Besonderheiten, dass ich sie euch in einer kleinen Artikelreihe vorstellen möchte. Dies ist der erste von drei Artikeln über die Sprache von Youngblood. Die weiteren Artikel findet ihr hier verlinkt, sobald sie erschienen sind.
Wir beginnen mit den Namen der Wehrmachtssoldaten, die die Gegner im Spiel darstellen.
Obwohl die internationale Version von Wolfenstein: Youngblood englisch vertont ist und über englische Menütexte verfügt, sind alle Gegnerbezeichnungen bis auf eine komplett auf Deutsch. Das ergibt Sinn, immerhin sprechen auch alle regulären Nazisoldaten intradiegetisch (also innerhalb der Erzählung des Spiels) deutsch. Die Benennung der Soldatentypen macht reichen Gebrauch von der typisch deutschen Komposition (oder auch Compounding), bei der einem den Gegenstand angebenden Nomen (dem Kopf) modifizierende Wörter vorangestellt werden. Donaudampfschifffahrtsgesellschaft ist eine Gesellschaft, der Überkommandant ist ein Kommandant. Dieser Wortbildungsprozess ist wohl das idiosynkratischste Merkmal der deutschen Sprache für englischsprachige Nichtlinguisten neben der Auslautverhärtung, kein Wunder also, dass es in Wolfenstein so gerne genutzt wird. Folgende Tabelle umfasst alle Namen deutscher Soldaten, die sich in Wolfenstein: Youngblood finden lassen. O markiert mögliche Kombinationen, X unmögliche.

Alle Gegnernamen (exklusive einmaliger Bossgegner) aus Wolfenstein: Youngblood, aufgeteilt in Köpfe und Modifikatoren.
Ausgeschriebene Tabelle, für barrierefreies Lesen:
Köpfe → Modifikatoren ↓ | -Soldat | –Supersoldat | -Kommandant | -Garde | -Hund | – Investigator | Zerstörer | Zitadelle | Jäger | Techniker | Akademiker |
Neo- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Gestapo- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Medizin- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Kugel- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Sicht- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Roboter- | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Hammer- | O | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Diesel- | O | O | X | X | X | X | X | X | X | X | X |
Laser- | X | O | X | X | O | X | X | X | X | X | X |
Über- | X | X | O | O | X | X | X | X | X | X | X |
Kampf- | X | X | O | X | X | X | X | X | X | X | X |
Auto- | X | X | X | O | X | X | X | X | X | X | X |
Bomben- | X | X | X | X | O | X | X | X | X | X | X |
Nazi- | X | X | X | X | X | O | X | X | X | X | X |
∅ | X | X | O | X | X | X | O | O | O | O | O |
Die Auswahl der Komponenten ist stereotypisch: Typische deutsche Militär-, insbesondere Wehrmachtsbegriffe wie Soldat, Kommandant und (Kampf-)Hund finden sich hier inklusive popkulturell überzogener Versionen wie Supersoldat, Garde (statt einem üblicheren Wort wie Wache) und Zerstörer. Über die Modifikatoren werden diese ohnehin stereotypischen bis stark übertriebenen Begriffe noch einmal zusätzlich ins Lächerliche verdreht: Kugelsoldat hat keine funktionierende deutsche Semantik, sondern funktioniert eigentlich nur als Lehnübersetzung aus dem Englischen und nur für englische Muttersprachler als bullet soldier. Selbst das ist eigentlich tautologisch (Jeder Soldat verschießt auf die eine oder andere Art Kugeln) und somit semantisch zwecklos. Doch die Semantik spielt in den Namen der Nazisoldaten eine eher untergeordnete Rolle. Hauptaugenmerk ist hier die lautliche Form: Die Phonematik, die wiederum selbst eine gewisse Bedeutung vermittelt. Ein Hammer-Supersoldat mit rollendem /r/, scharfem /s/ und hartem Auslaut oder Jäger und Übergarde mit dem berüchtigten deutschen Umlaut erfüllen so ziemlich jedes Nazisprech-Klischee. Sie klingen zwar aus muttersprachlicher Perspektive reichlich bescheuert, weil sie keiner uns üblichen Bedeutung entsprechen, folgen aber morphologisch der deutschen Wortbildungs- und Silbenstruktur: ein Vokal als Nukleus (Zentrum) jeder Silbe, Anlaut (Anfang) und Auslaut der Silben jeweils offen oder geschlossen und „[größtenteils] zwei Silben [pro Compound-Bestandteil], die erste davon unbetont, und viele Konsonanten-Cluster [in Anlaut und Auslaut]“ (Elsen 2017, S. 494, übersetzt von mir). Da diese Silbenstruktur der englischen sehr ähnlich ist (vgl. Aslam 2011, Summary) fallen die deutschen Namen allerdings nicht ihrer Form wegen innerhalb der englischen Texte auf. Vielmehr ist es die Lautstruktur, die tatsächlich befremdlich auf englische Muttersprachler wirkt und aus der sich der komödiantische Effekt der Nazi-Namen ergibt. So wie der deutsche Flammenwerfer[1] zum Militär-Meme im Internet geworden ist, so „memet“[2] Wolfenstein den nazideutschen Kriegsapparat mit als typisch deutsch wahrgenommen, zackigen und harten Lauten. ÜBeRRgaRRRde, HunT, SCHTILLLGESCHTANDEN!
Schriftlich wirkt diese Analyse allerdings zugegebenermaßen reichlich überdreht. Englische Muttersprachler kennen doch ebenfalls das R und verschiedene Betonungen von S-Lauten, warum also gerade diese Merkmale als „typisch deutsch“ bezeichnen? Hier versagt das lateinische Alphabet, und nicht ohne Grund geben LinguistInnen und PhonetikerInnen Laute normalerweise in einem eigens dafür erfundenen Zeichensystem wie dem International Phonetik Alphabet (IPA) an. Denn obwohl wir in vielen Sprachen einen Laut /r/ mit dem Buchstaben R beschreiben können, reden wir beim englischen R und beim deutschen R eigentlich von unterschiedlichen Lauten. Die folgende kurze Aufnahme zeigt den direkten Vergleich zwischen dem standardenglischen /r/ in gard und dem standarddeutschen /r/ in Garde (beide jeweils so gut ich sie als englischer Nichtmuttersprachler und Süddeutscher betonen kann):
Ein Blick in eine IPA-Tabelle zeigt uns das schriftlich so deutlich wie, wie wir es auditiv wahrnehmen können: Hier gibt es einige unterschiedliche Zeichen, die alle verschiedene R-Typen zeigen: Gerolltes R, zungenschnalzendes R, an unterschiedlichen Stelle der Kehle produzierte R, kurze R, die man nur einen Moment lang aussprechen und nicht verlängern kann und lange, unendlich streckbare R.

Pulmonale Konsonanten, Auszug. Markierung durch mich. Quelle: Wikipedia.de, Internationales Phonetisches Alphabet.
Alle hier mit rot markierten Zeichen sind Variationen von R-artigen Lauten. Und ja, das betrifft auch manche L-Laute, die sehr nah mit einigen R-Lauten verwandt sind. So nah, dass manche Sprachen einen gemeinsamen Laut für beide Buchstaben nutzen, wie das Japanische. Der eigentliche Witz am „deutschen R“ ist also die Aussprache, die man in der Schrift überhaupt nicht erkennt, die aber durch historische Reden von Hitler und Goebbels und zahlreiche Verballhornungen derer aus der Popkultur auch im englischsprachigen Raum sehr bekannt geworden ist.
Haufenweise Soldaten und mächtige Hämmer
Interessant ist auch die Verteilung von Gegnertypen (die wir anhand ihrer die Hauptbedeutung angebenden Köpfe ordnen können). Am meisten existieren reguläre Soldaten, die das Rückgrat der Naziarmee ausmachen und – durch ihre Modifikatoren angezeigt – unterschiedliche Funktionen einnehmen: Medizinsoldaten heilen, Robotersoldaten sind mechanisch, Kugel-, Sicht-, Lasersoldaten und so weiter nutzen jeweils unterschiedliche Waffengattungen. Gerade diese Waffentypen sind jedoch eher obskur angezeigt: Ohne das durch vorherige Begegnung und die den Terror Twins eigene Nazibewaffnung angeeignete Wissen ist es nicht möglich, zu wissen, dass der Kugelsoldat eine Schrotflinte (das Kugelgewehr), der Hammersoldat ein leichtes MG (Hammergewehr) und der Sichtsoldat ein Scharfschützengewehr („Sicht“ -> Späher -> lange Reichweite -> Sniper) trägt. Supersoldaten existieren nur in drei Varianten, jede davon trägt eine von dreien der insgesamt vier ausrüstbaren schweren Waffen des Spiels: Hammergewehr, Laserhammer und Dieselhammer (ein Granatwerfer). Die vierte schwere Waffe, der Überhammer, wird anfangs ausschließlich von den als Bossgegner dienenden Übergarden getragen, später auch von mächtigeren Versionen der Zerstörer und Zitadellen, und ist die stärkste Waffe des Spiels, angezeigt durch den Über-Modifikator.
In gleicher Anzahl wie die Supersoldaten existieren verschiedene Kommandanten. Reguläre Kommandanten tauchen über die gesamte Spieldauer auf, stärkere Kampfkommandanten dominieren die zweite Spielhälfte mit ihrer stärkeren Panzerung und Überkommandanten müssen lediglich hauptquestbedingt als Bossgegner in Verbindung mit Übergarden bekämpft werden.
Eine einzige englische Ausname
Die einzig englische Gegnerbezeichnung in Youngblood, Nazi Investigator, ist auf einen Miniboss beschränkt, der in wenigen Nebenquests auftaucht. Dass dieser eine englische Bezeichnung hat, lässt sich damit erklären, dass dem Namen eine deskriptive Funktion zukommt. Alle anderen Namen sind die „offiziellen“ Titel des Nazi-Kriegsapparates. Nazi Investigator hingegen ist der Begriff, mit dem die Figur Abby Walker, die die Nebenquests für die beiden Protagonistinnen von Youngblood verwaltet, das auszuschaltende Ziel bezeichnet. Der Nazi Investigator ermittelt gegen den Pariser Untergrund und muss deswegen spezifisch von Jess und Zofia Blaskowicz ausgeschaltet werden, um die Gefahr zu bannen. Aus diesem Grund erhält er von den englischsprachigen Widerständlerinnen eine designierte Zielbezeichnung. Alle weiteren Soldaten, Roboter und Kampfhunde patrouillieren lediglich in ihrem eigenen Gebiet und werden den Terror Twins ausgeschaltet, weil sie im Weg sind; sie sind damit keine eigene Bezeichnung wert und werden nach ihren offiziellen Rängen innerhalb der Wehrmacht betitelt.
Dieser Text ist der Beginn einer Mini-Serie über die Linguistik von Wolfenstein: Youngblood. Die weiteren Artikel findet ihr hier verlinkt, sobald sie erschienen sind.
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Bibliographie:
Aslam, Mohammed. 2011. English Syllable Structure. In: „Introduction to English Phonetics and Phonology“. Cambridge University Press: Cambridge. 60-68. <https://www.cambridge.org/core/books/introduction-to-english-phonetics-and-phonology/english-syllable-structure/7869189F82B207DAB0F34CCB771F1E63>
Elsen, Hilke. 2017. The Two Meanings of Sound Symbolism. In: Open Linguistics 2017/3. 491-499.
Phillips, Whitney und Ryan Milner. 2017. The Ambivalent Internet. Mischief, Oddity, and Antagonism Online. Cambridge und Malden: Polity Press.
Shifman, Limor. 2014. Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
[1] „This is a Flammenwerfer. It werfs Flammen“ persifliert das deutsche Compounding, in dem das nominalisierte Verb, das als Kopf dient, in seiner Verbform in einen englischer Syntax folgenden Satz eingebaut wird. Vgl. https://knowyourmeme.com/memes/this-is-a-flammenwerfer-it-werfs-flammen
[2] Meme wird hier im allgemeinsprachlichen Sinne verstanden, nach Shifman (2014, S. 14) als „(a) eine Gruppe digitaler Einheiten, die gemeinsame Eigenschaften im Inhalt, in der Form und/oder der Haltung aufweisen; (b) die in bewusster Auseinandersetzung mit anderen Memen erzeugt und (c) von vielen Nutzern über das Internet verbreitet, imitiert und/oder transformiert werden“. Oder um es, auf englisch, simpler auszudrücken: Memes are „shared in-jokes, catchphrases, idiosyncratic habits, and of course participants’ tendency to caption countless pictures of cats“ (Phillips & Milner 2017).
3 Antworten
[…] Wagner, Pascal. 2019 (1). Wolfenstein-Nazis, linguistisch erklärt, Teil 1: Wehrmacht-Soldaten. Language at Play. <https://languageatplay.de/2019/11/18/wolfenstein-youngblood-nazis-linguistisch-erklaert-teil-1-wehrm…> […]
[…] gedacht war, hat ein neues Heim gefunden. Wenn euch meine Fallreihe zu Wolfenstein: Youngblood, Wolfenstein-Nazis, linguistisch erklärt Teil 1 über Soldatennamen und Teil 2 über Produktwerbungen gefallen hat, dann aufgemerkt: Teil 3 wird […]
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