JRPG-Zauber, linguistisch erklärt
Elementare Zauber, mit denen man in unterschiedlichen Kampfsystemen die Gegner beharkt, sind seit jeher Standard in japanischen Rollenspielen (JRPGs). Mitunter gehören die spezifischen Zaubernamen und -effekte gar zu den besten Erkennungsmerkmalen der entsprechenden Spiele. Ihre Namen sind daher beinahe genauso wichtig wie der Titel des eigentlichen Spiels, wenn es um den Wiedererkennungswert bestimmter Feinheiten in der Spielmechanik geht. Kaum eine Rollenspieler*in, die nicht bei den Begriffen LIMIT BREAK oder All Out-Attack sofort erkennt, um welche Spielereihe es sich handelt. Doch während solche “Finisher” oft einfach nach einer bestimmten Auffassung von Coolness benannt sind und deswegen verständlicherweise leicht im Gedächtnis bleiben, folgen die im Spiel deutlich häufiger eingesetzten Standardzauber oft einem in sich logischen System, dass ebenfalls markante Namen produziert. Und ich wäre kein Linguist, wenn mich diese Systeme nicht interessieren würden. Lasst uns also gemeinsam einen Blick auf die Entstehung der Namenskategorien der Final Fantasy– sowie der Shin Megami Tensei-Reihe werfen.
Die Zauber von Final Fantasy
Sehen wir uns zunächst das bekannteste und zugleich verständlichste Beispiel an. Typischerweise benennt die Final Fantasy-Reihe ihre Zauber in der deutschen Version nach einem konsistenten Muster. Die Grundformen der Elementzauber sind schlichtweg nach dem entsprechenden Element benannt: Eis, Feuer, Blitz, Aero und so weiter. Stärkere Stufen derselben Elemente basieren ebenfalls auf dieser Benennung, werden jedoch mit einem Suffix, also einer Nachsilbe, versehen, das ihren Stärkegrad anzeigt. Eisra ist die zweitstärkste Stufe von Eis, Eisga die drittstärkste, analog dazu existieren Feura und Feuga, Blitzra und Blitzga und so weiter. Manche Titel und Spin Offs der Final Fantasy-Serie führen sogar noch eine vierte Stufe ein, so etwa die Kingdom Hearts-Reihe, in der der vierte, mächtigste Zauber jeder Elementstufe mit einem -ja markiert wird: Eisja, Feuja, Blitzja.
Wir können also, am Beispiel von Eis, folgende Tabelle anlegen:
Basis/Wurzel | Suffix | Bedeutung Suffix |
Eis | Ø | Elementstufe 1 |
-ra | Elementstufe 2 | |
-ga | Elementstufe 3 | |
-ja | Elementstufe 4 |
Eis ist damit die Basis des Wortes, der semantische Kern der Worteinheit, der die eigentliche Bedeutung beinhaltet: Zauber des Elements Frost. Die Suffixe sind sogenannte derivative Morpheme. Derivativ lässt sich grob mit “ableitend” übersetzen und bedeutet, dass sie der Basis, an die sie andocken, eine neue Bedeutung hinzufügen: In diesem Fall “Zweitstärkster Zauber”, “Drittstärkster Zauber” und so weiter. Das Gegenteil von derivativen sind flektierende, also “beugende” Phoneme, die den Bedeutungsinhalt des Wortes nicht ändern, sondern an einen Kasus anpassen. Ein Beispiel wäre -es, dass aus dem Nominativ ‘Eis’ den Genitiv ‘Eises’ macht.
Das Ø-Zeichen in der Tabelle zeigt dabei eine sogenanntes Nullmorphem an: Eine Leerstelle, an der aber etwas sein könnte, in manchen Theoriesystemen auch etwas sein müsste. In diesem Fall zeigt das Fehlen einer Endung die Elementstufe 1 an. Solche “bedeutungsvollen Fehlstellen” markieren Linguisten gerne als Nullmorphem, um ihre Relevanz zu unterstreichen.
In manchen der Zaubernamen fallen uns zudem noch weitere kleinere Veränderungen auf. Feuer etwa verliert das -er und ersetzt es durch die Suffixe zu Feu-ra etc. *Feu existiert nicht als korrekte Wortform (deswegen markieren Linguisten es mit einem * als sogenannte ungrammatikalische Form), es ist jedoch die Wurzel der Reihe Feuer, Feura, Feuga. Vita bekommt hingegen kein zusätzliches Suffix, sondern inkludiert die unterscheidenden Merkmale der Suffixe direkt in seine Basis: Vit-r-a, Vit-g-a. Das ist phonetisch bedingt, also durch unsere Art der Lautproduktion; eine simplere Art, die Zauberreihe zu bilden, ist hier möglich, weil Vita zufällig ohnehin schon auf den Laut [a] endet und wir das problemlos beibehalten können, ohne dass es komisch klingt oder schwerer auszusprechen ist.
Machen wir einen kurzen Exkurs in die englischen Bezeichnungen der Zaubernamen, finden wir einen weiteren, recht häufig genutzten Mechanismus der Wortbildung. Aus der Grundform Fire im Englischen wird hier etwa erst Fira, dann Firaga, aus Blizzard Blizzara und Blizzaga, aus Thunder Thundara und Thundaga, aus Cure Cura und Curaga. Wie ihr seht, wird hier vor dem Anhängen der Nachsilben jeweils ein [a] eingefügt, teilweise ersetzend für einen anderen Vokal. Das liegt zum einen daran, dass es in der englischen Lautproduktion generell einfacher ist, einen Konsonanten auf einen Vokal folgen zu lassen als auf einen anderen Konsonanten. Thund-a-ga ist also schlichtweg einfacher auszusprechen als Thund-ga, weil der Luftfluss, den wir beim Sprechen produzieren, weniger unterbrochen wird. Dass ausgerechnet ein a an die Stelle dieses Vokals tritt, liegt an der Existenz des a im Suffix, dass die Sprachproduktion an dieser Stelle zu möglichst ähnlichen Tönen hin beeinflusst. Linguisten nennen dies Assimilation.
Die Zauber von Shin Megami Tensei
Deutlich komplexer werden die Zauberbezeichnungen, wenn wir uns eine andere, beliebte japanische Rollenspielserie ansehen: Shin Megami Tensei, im Westen insbesondere durch die Persona-Subreihe bekannt. Auch hierin wird ein Elementarsystem nicht unähnlich dem von Final Fantasy eingesetzt, die Zaubernamen basieren jedoch auf einem System aus mythologischen und philosophischen Konzepten in unterschiedlichsten Sprachen wie Griechisch, Japanisch und Sanskrit. Das klingt kompliziert für europäische Spieler, wird jedoch ein wenig einfacher, wenn man weiß, dass alle Namen einem strengen System an Vor- und Nachsilben folgen, von dem sich die Effekte der einzelnen Zauber einfach ablesen lassen. Es existieren also, wie bei Final Fantasy, zunächst einmal die Grundformen der Elementzauber: Bufu für Eis, Agi für Feuer, Garu für Wind und Zio für Elektrizität. Ebenfalls wie in Final Fantasy existieren auch hier Stärkestufen, die auch in Shin Megami Tensei mit einem Suffix markiert werden: Mit -la für Stufe 2 und -dyne für Stufe 3.
Zusätzlich verfügen die Zaubernamen hier jedoch auch noch über Präfix-System: Wird an irgendeinen der so entstandenen Zauber die Vorsilbe Ma- angefügt, so wirkt er auf die gesamte Gruppe an Feinden, nicht nur auf einen einzigen Gegner. Mabufudyne ist also ein Gruppen-Eiszauber der Stufe 3, Magarula ein Gruppen-Windzauber der Stufe 2. Die entsprechende Tabelle analog zu der obigen würde also folgendermaßen aussehen:
Bedeutung Präfix | Präfix | Wurzel | Suffix | Bedeutung Suffix |
Einzelziel | Ø | Bufu | Ø | Elementstufe 1 |
Gruppenziel | Ma- | -la | Elementstufe 2 | |
-dyne | Elementstufe 3 |
Auch der speziellere Zauber Megido, der elementlosen Schaden verursacht, folgt einem festen Muster, allerdings mit anderen Suffixen, die sich nicht gegenseitig ersetzen, sondern aufeinander folgen. Die Grundstufe des Zaubers ist Megido, die zweite Megidola, die dritte schließlich Megidolaon. Da die Megido-Reihe grundsätzlich auf alle Gegner gleichzeitig wirkt, ist außerdem keine Vorsilbe nötig.
Wurzel | Suffix 1 | Suffix 2 | Bedeutung Suffix(e) |
Megido | Ø | Elementstufe 1 | |
-la | Elementstufe 2 | ||
-la | -on | Elementstufe 3 |
Die beiden Instant Kill-Zauber Hama (Licht) und Mudo (Schatten) sind in ihrer Deklination mit Megido verwandt, werden allerdings erneut mit der Ma-Vorsilbe versehen und verfügen darüber hinaus nur über zwei statt über die in Shin Megami Tensei üblichen drei Stufen:
Bedeutung Präfix | Präfix | Wurzel | Suffix | Bedeutung Suffix |
Einzelziel | Ø | Hama, Mudo | Ø | Elementstufe 1 |
Gruppenziel | Ma- | -on | Elementstufe 2 |
Exkurs: Die darunterliegende linguistische Methode
Sowohl bei den Präfixen als auch bei den Suffixen handelt es sich hier also bei all diesen Partikeln um derivative Morpheme, da sie die Bedeutung der Wurzel verändern. Dabei gilt grundsätzlich: Erst das Suffix, dann das Präfix. Klingt erst einmal egal und übermäßig kompliziert, ist aber in vielen Sprachen, darunter dem Deutschen und dem Englischen, eine essentielle Regel. Auch an den Zauber der Persona-Reihe lässt es sich gut erklären: Bufu, Bufula und Bufudyne sind die “Grundversionen” ihrer entsprechenden Zauberstufe, Ma- macht aus ihnen anschließend jeweils einen Gruppenzauber. Sie alle basieren wiederum auf Bufu als kleinste bedeutungstragende Einheit. Es lässt sich also eine Hierarchie aufstellen:
Bufu ist die Wurzel der hier betrachteten Reihe.
Bufu, Bufula und Bufudyne sind sogenannte Basen, das heißt “Grundversionen” von weiter modifizierbaren Wörtern (Ja, Bufu steht hier bewusst noch einmal. Worte können durchaus gleichzeitig Wurzel und Basis sein!)
Mabufu, Mabufula und Mabufudyne schließlich sind sogenannte Stämme. Das sind Basen, die mit allen zusätzlichen nötigen Prä- und Suffixen versehen worden sind. Ganz grob und reichlich unlinguistisch lässt sich also also das Bild eines Baumes erwecken: Wurzeln sind die grundlegendsten, kleinsten Einheiten, die in einem Wort bedeutungstragend sind, und Stämme sind die mächtigen, fertig gewachsenen Pflanzen.
Buffs und Debuffs von Shin Megami Tensei
Nun haben wir nicht nur ausführlich über die Elementzauber von Final Fantasy und noch ausführlicher über die von Shin Megami Tensei gesprochen. Wenden wir uns also der Königsdisziplin zu: Den Buffs und Debuffs von Shin Megami Tensei. Die Benennung der die eigenen Kämpfer stärkenden und die Gegner schwächenden Magie verwirrt selbst Veteranen der Serie oft noch nach mehreren Spielen. Aber mit dem Wissen, das wir uns bis hierher angeeignet haben, können wir ein wenig Verständnis für die komplizierteren Silbenstrukturen schaffen. In Shin Megami Tensei gibt es drei Grundarten von Buffs und Debuffs, so wie es vier veränderbare Statuswerte gibt. Tarukaja und Tarunda stärken den Angriff eines Verbündeten beziehungsweise schwächen den eines Gegners. Rakukaja und Rakunda tun das entsprechende für Verteidigung, Sukukaja und Sukunda für die Ausweichfähigkeit.
Wie hier bereits sichtbar wird, sind die Nachsilben -kaja und -nda für die Markierung von Buff und Debuff zuständig, die Wurzeln Taru-, Raku- und Suku- hingegen dafür anzuzeigen, welcher Wert betroffen ist. Im Vergleich zu Bufu, Megido et cetera fällt allerdings auf, dass die Wurzeln nicht allein stehen können, sondern immer erst mit Hilfe ihrer Suffixe zu einem vollständigen Wort werden. In der Tabelle markieren wir sie also als ungrammatikalisch. Ferner können alle sechs Zauber wie gewohnt mit der Vorsilbe Ma- zum Gruppenzauber werden:
Bedeutung Präfix | Präfix | Wurzel | Suffix | Bedeutung Suffix |
Einzelziel | Ø | *Taru, *Raku, *Suku | -kaja | Wertsteigerung Verbündeter |
Gruppenziel | Ma- | -nda | Wertminderung Gegner |
Hat man also die zuvor erklärten Systeme verstanden, sind auch die statusverändernden Zauber von Persona und co. kein Problem mehr. Lediglich die Bedeutung der einzelnen Wurzeln muss man sich, wie eben bei Bufu, Agi et cetera, bewusst einprägen. Glücklicherweise bieten alle Spiele der Shin Megami Tensei-Familie ausführliche Beschreibungen ihrer Systeme und Zaubereffekte, entweder direkt im Kampfmenü wie die sehr einfach zu verstehenden Persona 4 und Persona 5 oder in irgendeinem Menü.
Sehr sehr interessanter Artikel! Im Japanischen wird das, im Falle von Final Fantasy, aber noch deutlicher.
ファイア (Fire) wird Fa-i-a geschrieben. Die Steigerungen? ファイラ (Fa-i-ra) und ファイガ (Fa-i-ga). Man ändert ausschließlich das letzte Kana. Ganz genauso die anderen Sprüche: ブリザド (Blizzard) ist Bu-ri-sa-do, die Steigerungen ブリザラ Bu-ri-sa-ra und ブリザガ Bu-ri-sa-ga. Thunder spar ich mir mal. 😉
Vita ist hingegen etwas anders – der Spruch heißt ケアル (Cure), kearu. Daraus wird dann ケアルラ, kearura. Alsue “Curera”. Das geht natürlich schlecht von den Lippen …
Noch anders: Dia (ディア) – das wird nämlich zu アディア, Adia, und ダディア, Dadia. In neuern Übersetzungen aber Dia, Diara, Diaga. Und, ums komplett zu machen, Engel レイズ, Reisu – als Raise. Und die stärkere Version? アレイズ – Araise (oder Arise). Und wie heißt der Spruch auf Deutsch? Erzengel.
Final-Fantasy-Magiegrammatik ist nicht viel leichter als altes Latein. Da ist die Megami-Tensei-Reihe ja richtiges Esperanto dagegen. 🙂
Was für ein großartiger Kommentar, danke Matze! Hierauf muss ich am Ende des Artikels unbedingt hinweisen 🙂
In welchen FF-Teilen wird denn statt “Cure” die “Dia”-Reihe verwendet? Das erinnert mich natürlich sofort an den gleichnamigen Grund-Heilzauber der Shin Megami Tensei-Reihe: (Me)Dia, (Me)Diarama, (Me)Diarahan.
Ich meine mich außerdem zu erinnern, vor langer Zeit auch in einem englischen FF auf die japanische Form “Curera” gestoßen zu sein. Ich tippe entweder auf das erste Final Fantasy oder auf die berüchtigte FF V-Erstübersetzung, kann es aber grade nicht mehr nachvollziehen…
Dia ist aus den früheren FFs ein Spruch, der nur Untoten schadet. Auf Englisch “HARM”, glaube ich. Aber irgendwnan konnte man ja auch Items/Zaubersprüche auf Gegner awenden, da hatte Vita auf Zombies den gleichen Effekt und den Zauber brauchte man nicht.
Leider kenne ich nicht alle Übersetzungen, da gibt es sicher auch immer Unterschiede. Im Deutschen wurde erstmals bei FF VIII dieses System genutzt, bei FF VII heiß es noch “Feuer2”.
Ich kenne “Feuer2” usw tatsächlich ausschließlich aus FF VII. Mag aber daran liegen, dass die Versionen, in denen ich FF I bis FF V (an VI kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern…) gespielt habe, nicht die originalen englischen oder deutschen Übersetzungen waren. Eigentlich müsste man ja auch noch einmal ganz streng nach Deutsch und Englisch trennen und innerhalb des Deutschen nach Übersetzungsweg: übers Englische oder direkt aus dem Japanischen… Aber dafür fehlt mir einfach die Zeit.
FF VII war ja das erste deutsche Final Fantasy, vorher gabs hier ja eh nichts. Und seit FF VIII macht mans richtig. Obs aus dem Englischen ist … ich nehme an, dass spätestens seit FF IX direkt aus dem Japanischen übersetzt wurde, aber das ist nur ein Gefühl. In FF VIII wurde in der englischen Version ja für Squall immer ein “… whatever” eingefügt, was es im Japansichen nicht gab – und das gabs dann ja auch in der deutschen Version (wobei mir entfällt, was er da sagt).
Lirum, larum: Feura, Feuga etc. sind seit FF VIII fester Bestandteil im Deutschen und eigentlich in allen Sprachen.