Alpha 2 – ein Abenteuer im Weltall zwischen Buch und Spiel
Ein Beitrag zu den Interactive Fiction Days.

Das Cover von Alpha 2 – Irrfahrt im All.
Mein kleines elfjähriges Ich liebte Bücher über alles und sammelte sie damals schon wie Postkarten. Außerdem standen auch Videospiele hoch im Kurs – Harry Potter und die Kammer des Schreckens, Die Sims, Star Wars: Battlefront. Bis dahin hatte ich diese beiden Dinge allerdings immer als getrennt betrachtet: Bücher boten mir fremde Welten und fantastisch formulierte Geschichten aus der Betrachterperspektive; Videospiele machten mich zu einem Teil ebendieser Geschichten, aber es fehlte ihnen trotzdem oft an Tiefe, an Story und an Emotionalität. Heute sieht das natürlich anders aus – Reihen wie Dragon Age, Mass Effect oder The Legend of Zelda schaffen, was meine ersten Videospiele nur zum Teil konnten.
Was mich damals schließlich davon überzeugte, dass Bücher und Videospiele sich nicht ausschließen müssen und zusammen eigentlich unglaublich gut funktionieren, war eine Lesung des Autors Jens Schumacher an meiner Schule. Irgendwann in der fünften oder sechsten Klasse stellte er uns seine Reihe Alpha 2 vor, die im Prinzip ein klassisches Text Adventure in Buchform ist. Unnötig zu sagen, dass ich sofort hin und weg war und die nächsten Tage und Wochen damit verbrachte, mich einmal quer durch die gesamten Bücher zu lesen, angefangen mit dem ersten Band Alpha 2 – Irrfahrt im All, der 2006 erschien.
Auf einen Blick: Alpha 2: Irrfahrt im All
Aber worum geht es bei Alpha 2 überhaupt? Als Leser befinden wir uns im Jahr 3006 – die Menschheit hat die Erde aufgrund von Platzproblemen längst verlassen und sich über das gesamte Weltall verteilt. Unsere Eltern gehören zum sogenannten interstellaren Sternenbund, der für das friedliche Zusammenleben der Menschen und verschiedenen Alienarten verantwortlich ist und die Ordnung aufrechterhalten soll. Wir selbst befinden uns irgendwo am Anfang des Teenageralters, haben die Raumfahrtschule besucht und wollen später mit der Alpha 2, dem ausrangierten Raumschiff unserer Eltern, einmal selbst die Galaxis bereisen. Eines Tages verschwinden unsere Eltern aber plötzlich in der Nähe eines schwarzen Lochs und wir müssen versuchen, sie mithilfe einer kleinen Crew an Freunden zu retten – wie und ob wir das schaffen, bleibt dabei uns als Leser überlassen.
Alpha 2 bedient sich vieler Mechaniken, die wir so auch in vielen anderen Videospielen finden. Der Aufbau der Geschichte entspricht beispielsweise einem klassischen Dreiakter: Exposition, Hauptteil, Schluss. Oder, um es anders auszudrücken: Prolog, Hauptspiel, Epilog.
Vor dem Start
Im Prolog erwartet uns zunächst einmal eine kleine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse; wir erfahren, wer genau unser Charakter ist, wo und in welcher Zeit wir uns befinden und wie die Welt aussieht, in der wir uns im Verlauf der Geschichte bewegen werden. Außerdem werden uns auch gleich noch unsere späteren Crewmitglieder vorgestellt. Anders als in vielen tatsächlichen Videospielen und auch klassischen Büchern lernen wir sie nicht beiläufig während der eigentlichen Handlung kennen, sondern bekommen quasi einen eigenen kleinen Lebenslauf jeder Figur präsentiert.
Diese Ausführlichkeit ist teilweise sicherlich auf das erwartete, junge Alter der Rezipienten zurückzuführen. Zum einen wissen wir als Leser gleich am Anfang, wer uns auf unserem Abenteuer begleiten wird. Zum anderen können wir jederzeit zurückblättern und noch einmal genau nachlesen, weshalb sich welcher Charakter für welche Mission eignen würde. Denn tatsächlich haben wir hier in einem bestimmten Rahmen Entscheidungsfreiheit. Nehmen wir zum Beispiel den Bordmechaniker Bobby mit auf eine Mission, so kann er uns bei eventuellen technischen Problemen helfen; nehmen wir unsere Adoptivschwester Ivy mit, die durch die meisten festen Materialien hindurchsehen kann, werden wir vielleicht rechtzeitig vor Gefahren gewarnt oder können seltene Items finden. Je nach gewähltem Teammitglied eröffnen sich uns so also ganz neue Storylines und Möglichkeiten, ganz ähnlich klassischen RPGs. Auch dort hilft uns in manchen Situationen schließlich ein Schurke, der Schlösser öffnen kann oder ein Magier, mit dem wir Barrieren zerstören.
In Alpha 2 finden wir ebenfalls ein für den Prolog typisches »Tutorial«, das uns die grundlegenden Spielmechaniken erklärt und uns zeigt, wie wir das Buch nutzen und uns durch die Geschichte bewegen können. So besitzen wir äquivalent zum klassischen Inventar beispielsweise ein Bordlogbuch in der hinteren Umschlaginnenseite, das festhält, welche Gegenstände wir auf unserem Abenteuer mit uns führen. Der Platz ist hierbei auf fünf Items begrenzt. Anders als bei einem am PC gespielten Text Adventure oder sonstigen Videospielen müssen wir Ein- und Austragungen hier natürlich selbst vornehmen. Dass wir unser Bordbuch manuell auf dem aktuellen Stand halten müssen, ist allerdings kein Nachteil – vielmehr gibt es uns noch mehr das Gefühl, ein Teil der Geschichte und selbst verantwortlich für unsere Taten zu sein.
Ebenso wird uns im Tutorial der Zufallsfaktor vorgestellt – an manchen Stellen im Buch können wir nicht über die Folgen einer Handlung bestimmen, sondern wählen mit geschlossenen Augen eine Zahl und überlassen unser Schicksal so Fortuna.
Das Abenteuer beginnt
Und dann geht es endlich los – unser Raumschiff hebt ab, wir starten ins Weltall und sind mittendrin. Auf Wikipedia findet sich für »gamebooks«, zu denen ich Alpha 2 zählen würde, folgende Definition:
A gamebook is a work of printed fiction that allows the reader to participate in the story by making choices. The narrative branches along various paths, typically through the use of numbered paragraphs or pages.
So weit so gut – eigentlich trifft das auch alles auf Alpha 2 zu. Im Hauptteil haben wir nun wortwörtlich das Steuer übernommen und entscheiden am Ende jedes nummerierten Textabschnittes, wie es für uns und unsere Crew weitergehen soll. Jede Entscheidung wirft uns in eine neue Situation und konfrontiert uns mit neuen Problemen und Möglichkeiten. Allerdings haben wir trotzdem keine komplette Entscheidungsfreiheit – um es bis zum Ende zu schaffen, müssen wir dennoch einen einzigen ganz bestimmten Weg wählen. Treffen wir falsche Entscheidungen oder lassen wichtige Crewmitglieder im Raumschiff und fehlen uns dadurch wichtige Fähigkeiten, stranden wir irgendwo im Nirgendwo oder verpassen essentielle Missionspunkte. Alpha 2 ist also trotz des uns versprochenen »ganz persönlichem Kurs als Captain der Alpha 2« im Prinzip ein sehr lineares Abenteuer. Es braucht in den meisten Fällen eben einfach nur ein paar Versuche, bis man den richtigen Lösungsweg gefunden hat.
Mindert das jedoch den Lese- beziehungsweise Spielspaß? Hat es mein elfjähriges Ich damals genervt und dazu gebracht, das Buch abzubrechen? Nein, denn seien wir ehrlich: Auch heutige Spiele wie Dragon Age: Inquisition sind eigentlich sehr linear gehalten und täuschen uns die vermeintliche Entscheidungsfreiheit nur vor. Im Endeffekt landen wir nämlich trotzdem immer bei einem grundlegend gleichem oder ähnlichem Ende der Handlung.
Die große Stärke von Alpha 2 liegt darin, dass es einen Großteil der klassischen Videospielmechaniken mit der detaillierten und emotionalen Erzählweise von Büchern verknüpft und so eine spannende, interaktive und gut durchdachte Geschichte erzählt. Der angestrebten Zielgruppe wird so die Möglichkeit gegeben, selbst ein Teil dieser Geschichte zu werden und einen frühen und leichten Einstieg in das Genre der Interactive Fiction zu schaffen. Und das ist wichtig, denn Alpha 2 spricht Kinder und Jugendliche an, die sich zuvor vielleicht entweder nur für Bücher oder für Videospiele interessierten oder beides nur getrennt betrachteten. Dabei ist es egal, dass es eigentlich nur eine begrenzte Entscheidungsfreiheit gibt, dass das Buch auf eine ganz bestimmte Art und Weise gelöst werden muss und dass sich der Leser- respektive Spielercharakter nur im Rahmen der vorgegebenen Geschichte weiterentwickeln kann. Was zählt, ist ein Kernelement von sowohl Büchern als auch Videospielen: Vorstellungskraft. Ausgangslage, Spielmechaniken, Charaktere und Storybausteine geben uns das Grundgerüst – für vollständige Immersion müssen allerdings wir den letzten Schritt machen. Und dafür eignet sich Alpha 2 ganz hervorragend.
Im Epilog von Alpha 2 haben wir unsere Eltern gerettet, den Aufstand einer feindlichen Alien-Rasse niedergeschlagen und mit unserer Crew so manche schwierige Situation überstanden. Als Belohnung übertragen uns unsere Eltern sogar dauerhaft das Kommando über die Alpha 2 und es ist klar, dass unser Abenteuer mit dem ersten Band nicht endet, sondern gerade erst beginnt.
Über die Autorin:
Mara studiert irgendwas mit Medien, ist im Herzen Jedi-Ritter und liebt das Fußballspielen über alles.
Behandelte Texte:
Schumacher, Jens. 2006. Alpha 2 – Irrfahrt im All: Ein interaktives Weltraumabenteuer. KeRLE im Verlag Herder GmbH: Freiburg.
Interessanter Artikel! Das ist das erste Mal, dass ich ein Gamebook sehe, dass speziell auf eine so junge Zielgruppe zugeschnitten ist. Inhaltlich fühle ich mich direkt an “Das Universum der Unendlichkeit” erinnert, dass ich als Kind in den späten 90ern ein paar Mal gespielt bzw. gelesen habe, aber (soweit ich mich erinnern kann) nie erfolgreich abschließen konnte. Das war nämlich ebenfalls ein Gamebook mit Sci-Fi-Setting (alle anderen Gamebooks, die ich je spielte, hatten ein Mittelalter-Fantasysetting) und dort musste man auf erstaunlich non-lineare Weise einen Weg zurück in die Heimat finden, nachdem man von einem Wurmloch oder so in einen unbekannten Teil des Alls verschlagen wurde (also bisschen wie in Star Trek Voyager, allerdings ist Das Universum der Unendlichkeit sogar schon von 1983). Wenn es dich interessiert, Das Universum der Unendlichkeit ist im 6. FantasyAbenteuerSpielBuch enthalten, ISBN 9783522172363, bei Amazon gebraucht zu akzeptablen Preisen zu bekommen.
Falls übrigens jemand ein paar Empfehlungen für andere Gamebooks mit Sci-Fi-Setting oder anderem Nicht-Fantasy-Mittelalter-Setting hat, ich bin ganz Ohr. 😉
Ohh, das kannte ich tatsächlich noch nicht!
Klingt aber sehr spannend; gerade im Bereich Science Fiction habe ich eh noch viel zu wenig gelesen / gespielt. Fantasy ist da wirklich deutlich weiter verbreitet. Gerade deswegen mag ich Alpha 2 aber auch wahnsinnig gerne, denn zumindest bei mir war es damals neben Star Wars eines der ersten Werke, das mich so richtig für Science Fiction begeistert hat!
Tatsächlich gibt es von R.L. Stine Horrorspielbücher, allerdings eher für Kinder. Fantasy ist aber wirklich massiv überpräsent! Sonst fiele mir nur noch die Legenden von Harkuna Reihe so halbwegs ein – das ist zwar Fantasy aber zumindest sehr differenziert und vielfältig und nicht das Übliche.
Toller Artikel, muss mir das Buch mal ansehen 😀 Tatsächlich mag ich diese ganz linearen Texte nicht, vor allem wenn es nur eine Wahl zwischen Fehler und korrekter Entscheidung gibt, aber es ist halt ein Riesenaufwand das richtig zu schreiben.