The Zium Museum: Ein Spaziergang durch die virtuelle Kunstgalerie
Das auf der A MAZE 2018 vorgestellte Zium, eine Wortneuschöpfung aus Zine und Museum nach dem digitalen, kostenlos verfügbaren, oft nur lose thematisch sortierten Magazinen, ist ein virtuell durchlaufbares Museum gefüllt mit den Werken von 37 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern.
Wer Christian Huberts kürzlich hier veröffentlichtes Remedialisierung prozeduraler Atmosphäre zu statischen Gemälden bereits gelesen hat weiß, dass es möglich ist, aus digitalen Motiven berührende und vielschichtige Bilder zu produzieren, die auch in materieller Form zu überzeugen wissen. The Zium nimmt einen anderen Ansatz in seiner Verknüpfung von bildender Kunst und digitalem Spiel. Kurator Michael Berto hat es sich zum Ziel gesetzt, die Schlagkraft einer materiellen Kunstgalerie in die digitale Welt zu übertragen und damit langfristig die ausgestellten Kunstwerke nicht nur zu archivieren, sondern auch weltweit und barrierefrei für möglichst viele Menschen verfügbar zu machen.
Landscape for October (2017). Künstler/in: Gareth Damian Martin. Screenshot: Pascal Wagner
Das Konzept so eines digitalen Museums ist nicht neu. The Beginner’s Guide nutzt genau dieses Setting, um mit seinen wechselnden Spielwelten die Schaffensgeschichte eines fiktiven Autors durch einen realen Kurator zu erzählen und lässt damit schlussendlich tief in die Lebensrealität von Entwickler Davey Wreden blicken. Das museale Durchstreifen ausgestellter Szenarien dient in The Beginner’s Guide als das Werkzeug zur Vermittlung der Botschaft. Diese Szenarien haben zwar eine Relevanz, die sich aber aus der Gesamtkonstruktion speist. Anders gesagt: Hier ist der Museumsbesuch Werkzeug zum Verstehen. Darin war The Beginner’s Guide zu Beginn nicht immer erfolgreich. Es gab Menschen, die den musealen Charakter des Spiels als so reell empfanden, dass sie die darin angedeutete Untat für echt hielten. Diese Menschen erreichte Wreden mit der Ausstellungseben des Spiels, jedoch nicht mit deren Kontextualisierung der Verarbeitung von Wredens eigenen Erfahrungen als schlagartig berühmt gewordener Entwickler von The Stanley Parable. Ob das dem Spiel zu Schulden kommt oder der unkritischen Rezeption jener Menschen zuzuschreiben ist, ist an dieser Stelle nicht der Punkt. Denn so oder so hat The Beginner’s Guide klargemacht, dass auch digitale Museumsbesuche einen starken Eindruck hinterlassen können.
The Beginner’s Guide. Screenshot: Pascal Wagner
Wenn The Beginner’s Guide die erste öffentlichkeitswirksame Offenbarung dahingehend war, dass digitale Museen einen Einfluss auf ihre Besucher nicht unähnlich einer klassischen Galerie haben können, dann ist The Zium Museum die Einlösung desselben. Zium imitiert eine Kunstausstellung nicht nur, es ist eine vollwertige Galerie. Zusammengestellt und gepflegt von einem einzelnen Kurator führt das Zium Museum Besucher in verschiedene Themenräume voller diverser Kunstwerke. Darunter finden sich, gerade zu Beginn in den zentralen Räumen, viele Werke klassischer Kunstformen, deren Konsum dem Rezipientinnen aus Gewohnheit nicht schwerfällt. Gemaltes, Gedrucktes und Modelliertes werden hier ausgestellt, nur eben nicht auf Leinwand und in Stein und Holz, sondern als Textur und dreidimensionales Computermodell.
Darunter findet sich nicht weniger Atemberaubendes als in materiellen Ausstellungen kontemporärer Kunst. Doch sein volles Potenzial schöpft das Zium dort aus, wo die virtuelle Museumshalle nicht nur zur Bühne wird, sondern ihre spielhafte Interaktivität das Erschaffen und Betrachten von Kunstwerken fördert, die es so nur virtuell geben kann. Innerhalb des Museums können Besucher mehrere separat instanzierte Ausstellungen betreten, die effektiv nichts weniger tun, als eine gesamte Welt zum Kunstwerk zu wählen und damit die unterschiedlichsten Lebensrealitäten auszudrücken.
In A Night of Sensation etwa wird ein Wohnblock zum Nachtclub. Wo zwischen Palmen und vermeintlich ärmeren Mietwohnungen die Nacht zum neonblauen Tag wird, da lässt sich hinter den wenigen, mit warmem gelbem Licht beleuchteten Fenstern wohl kaum ruhig schlafen.
In Home wird der Büroaufzug zum Flur der eigenen Wohnung, in dem wir schon einmal damit beginnen, es uns gemütlich zu machen, bevor wir uns an den Klapp-Küchentisch von IKEA setzen. Wie groß der Kontrast zwischen ‘daheim’ und ‘zuhause’ werden kann, zeigt spätestens der Aufstieg zum Dach des brutalistischen Wolkenkratzers über die Feuertreppe, mit dem Home sein Ende findet.
Andere Werke im Zium lassen sich weniger gut beschreiben, sondern müssen schlichtweg erlebt werden. Dazu gehört das beinahe komplett auditive Apartment von Vaida Plankyte mit der Aufführung ihres Songs Crumbs, den es meines Wissens nach auch nicht auf einer Videoplattform, sondern nur im Zium zu Hören gibt.
Besonders eingenommen hat mich, als Sprachwissenschaftler wenig überraschend, die Modellserie Prompts, die von einem dutzend Künstlern in Form von dreidimensionalen Objekten verwirklicht wurde. Dabei erhielten die Künstler je einen Lexikoneintrag zu den Begriffen Pflanze, Mahlzeit und Technologie als Referenz für ihre Modelle. Die dabei entstandenen Objekte lassen sich am besten selbst erfahren und nicht gut beschreiben. Denn in Prompts spielt The Zium seine einzigartige Stärke gegenüber materiellen Museen besonders gut aus: Hier können Besucher die Ausstellungsstücke in die Hand nehmen. Leider fehlt einem solchen digitalen Exponat das haptische Feedback, dass zu einer solchen Erfahrung idealerweise dazu gehört. Doch die Möglichkeit, die einzelnen Interpretationen der Künstler beliebig zu drehen, ihre einzelnen Teile neu zu arrangieren und sie gar in die Luft oder auf den Boden zu werfen, ohne die Angst, etwas kaputt zu machen, trägt sehr zur Nähe zwischen Objekt und Betrachter bei.
The Zium Museum könnte wie wenige andere Walking Simulatoren den oft geäußerten, sinnfreien Vorwurf auf den ersten Blick entkräften, solche dürften sich nicht Spiel nennen, weil ihnen die Interaktivität fehle. Die Ausstellung von The Zium ist so interaktiv wie nur die wenigsten materiellen Museen und darin eher mit den großartigen Kinder-Ausstellungen von Naturkunde- und Technikmuseen zu vergleichen. Zum einen ist das Zium mit Fug und Recht kein Spiel und stolz darauf, aus diesem oft fanatisch eng gesteckten Rahmen auszubrechen. ‘Das Spiel’ ist hier eine elaborierte Plattform, die den eigentlichen Inhalt nicht nur präsentiert, sondern auch ermöglicht. Wer The Zium aber ‘spielt’, die spielt nicht. Sie flaniert, sie erkundet ein virtuelles öffentliches Gebäude, nimmt aber dabei vor allem die ausgestellten Werke in sich auf. Die seit einiger Zeit immer beliebter werdende Erscheinung des Video Game Tourisms macht sich die digitalen Welten verschiedenster Spiele zu Eigen, indem sie sich ihrer narrativen und spielmechanischen Vorgaben so gut wie möglich entledigt und eigene Geschichten durch das schlichte Gehen erzeugt. Autoren wie etwa Rainer Sigl und Sebastian Standke beschreiben in ihrer Reihe über Die Spaziergänger aus den interaktionslosen Reisen durch virtuelle Welten heraus vorhandene Kunst und erschaffen dabei eigene. Streifzüge durch eigentlich für den Konflikt gebaute Welten, wie sie Dominik Schott auf Archaeogames gerne präsentiert, nehmen der Spielumgebung ihren mechanischen Sinn und öffnen sie für vom Spielenden selbst angelegte Regeln. The Zium gibt sich diesem Videospieltourismus vollkommen hin, indem es sich gleichzeitig dem Videospieldasein so vollständig wie möglich entzieht. So wie schon Spiele wie Proteus gezeigt haben, dass das schlichte Existieren innerhalb einer Spielwelt genug sein kann, bringt mich Zium dazu, den Aufenthalt in diesem digitalen Museum genauso wertzuschätzen wie einen Besuch in den Pinakotheken, Tates und Portrait Galleries dieser materiellen Welt.
The Zium Museum (2017) ist kostenlos von itch.io herunterladbar. Dort finden sich zudem die Kontaktdaten der teilnehmenden Künstler. Eine 2018er Ausgabe des Museums ist bereits in Arbeit. Ihr Entwicklungsprozess kann unter diesem Link mitverfolgt werden.
Sehr toller Artikel, will mir das Spiel auf jeden Fall ansehen ?
Fand die Referenz auf Beginner’s Guide sehr cool – was mir noch einfiel: In Stanley Parable gibt’s ja auch ein Museum, wo der Development Prozess ein bisschen gezeigt wird; frage mich, ob es sowas immer öfter geben wird in Zukunft ?
Danke für das Lob, Daniel! 🙂
Ich kenne das vor allem aus alten Spielen. Die Ratchet & Clank und Jak & Daxter-Spiele hatten jeweils freischaltbare Museen (meist sehr kreativ versteckt – R & C 3 etwa öffnete sein Museum nur zu bestimmten Uhrzeiten, die sich an den Einstellungen der PS2 orientierten). Das Museen-Ende in Stanley Parable war auch ein tolles Ding, ja. Grundsätzlich ist sowas immer super, da stimme ich dir zu!