Was können wir vom Gaming lernen? Wie Online-Veranstaltungen einfacher erträglich werden
Ein Gastbeitrag von Martina Gerdts.
Seit Beginn der COVID-Maßnahmen, die u.a. dafür gesorgt haben, dass Veranstaltungen über Videokonferenzen stattfinden und wir den Großteil unseres Umfeldes nicht mehr persönlich treffen, haben mich unterschiedliche Gedanken beschäftigt. In diesem Artikel soll es nun um die Gedanken gehen, die die Organisation von Online Events betrifft.
Probleme mit klassischen Videokonferenzen
Im Rahmen meiner Kurse an der Universität habe ich gemerkt, dass Videokonferenzen anstrengend und ermüdend sind und die Motivation, an Treffen teilzunehmen geringer war als bei Präsenzveranstaltungen. Aus meinem Umfeld habe ich öfter Stimmen gehört, die sich nach Gesprächen auf Fluren oder an der Kaffeemaschine sehnten, während bei Videokonferenzen kein Raum für Smalltalk gegeben wurde. Ein bestehendes technisches Problem ist, dass man bei den meisten Videodiensten zu allen Anwesenden zeitgleich spricht, was für eine andere Art von Kommunikation sorgt als Gespräche zu zweit oder zu dritt auf dem Weg zum nächsten Hörsaal. Durch Chatprogramme, Sprachnachrichten und E-Mails habe ich versucht, diese Art von Kontakt trotzdem herzustellen, doch die persönliche Komponente fehlte weiterhin.
Ich kam ins Zweifeln. Jahre zuvor hatte ich ein Online Multiplayer-Spiel namens „Aion“[1] gespielt, wodurch enge Kontakte entstanden sind. Die meisten der Menschen, die ich dort kennengelernt hatte, habe ich nie persönlich gesehen, selbst gute Freunde teilweise erst nach über einem Jahr Kontakt. Mir ist bewusst, dass ich die Situationen schlecht vergleichen kann, da aktuell eine weltweite Pandemie besteht, während ich damals auch in der analogen Welt jederzeit Leute besuchen konnte. Trotzdem denke ich, dass sich ein Vergleich lohnt.
Fokussieren wir uns für einen Moment nur auf die Art von Kommunikation: Beim Online Gaming bestand Kommunikation vor allem durch Sprachchats (hier haben wir das Tool „Teamspeak“[2] verwendet), in denen man sich mit einzelnen Personen oder mit Gruppen unterhalten konnte, und durch schriftliche Chats im Spiel. Der schriftliche Chat (erkennbar in Bild 2) lässt sich mit Chatprogrammen vergleichen, die ich auch in der Pandemie mit meinem Umfeld verwendet habe. Was ist nun mit den Sprachchats? Hier sieht man zwei grundlegende Unterschiede zu Videokonferenzen. Bei Sprachchats im Gaming wurde keine Kamera verwendet, inwiefern dies ein Vorteil oder ein Nachteil ist, hängt in erster Linie von jedem selber ab. Mit schwarzen Kacheln im Videochat zu sprechen ist zum Beispiel wesentlich anstrengender als mit Menschen zu sprechen, deren Videos sich entsprechend der gesprochenen Wörter bewegen, aber ständig im Blick der ganzen Gruppe zu sein sorgt auch für Ermüdung. Ein elementarer Unterschied besteht jedoch zwischen der Kommunikation, die ich beim Gaming gewohnt war und der Kommunikation, die bei Online Veranstaltungen über Videochats das neue „Normal“ wurde. Für Kommunikation bevorzugen wir ein Gegenüber, welches wir sehen können. In den eigenen vier Wänden ist beobachtet zu werden jedoch nicht unbedingt für jeden angenehm. Wie wurden diese Aspekte beim Gaming angegangen? Das Spiel bestand daraus, dass wir mit Avataren durch digitale Welten gelaufen sind. Wenn wir mit einer Gruppe zusammen Quests erledigen wollten, mussten wir uns als Gruppe an einem Ort mit unseren Avataren treffen und selbst wenn wir an verschiedenen Orten in der digitalen Welt zu tun hatten und via Sprachchat miteinander geredet haben, hatten wir Ablenkung auf dem Bildschirm, indem wir gegen Monster oder andere Spieler kämpften oder die Welt erkundeten. Man fühlte sich also nicht von der gesamten Gruppe beobachtet, weil kein Videochat genutzt wurde und trotzdem sprachen wir nicht einfach mit schwarzen Kacheln, sondern mit Avataren, die sich auf dem Bildschirm bewegen konnten. Zusätzlich war es über die Sprachchat-Programme einfacher zwischen Einzelgespräche und Gruppengespräche zu wechseln. Videokonferenzprogramme versuchen dem mit Break-Out-Rooms entgegenzuwirken, je nach Programm funktioniert dies besser oder schlechter.
Bringen wir die Gaming-Kommunikation in die Hörsäle
Dieses Wochenende habe ich an einer studentischen Konferenz für Linguistik teilgenommen, der 69. StuTS[3], bei der das Veranstaltungs-Tool „Gather.Town“[4] (Bild 3 ist ein Screenshot aus diesem Tool) verwendet wurde. Die Besonderheit dieses Tools ist es, dass jede teilnehmende Person einen Avatar bekommt, mit der durch ein digitales Gebäude bzw. eine digitale Welt gelaufen werden kann. In dieser Welt können verschiedene Räume gestaltet werden, bei der StuTS wurden so zum Beispiel unterschiedliche Räume für Vorträge eingerichtet. Wie bei einer Konferenz in Präsenz gab es also Seminarräume, in denen sich versammelt wurde, um einem Vortrag zu lauschen. Bei diesem Tool gibt es auch einige Möglichkeiten, kleinere private Räume zu erstellen, damit man in den Pausen auf den Fluren auch mit einzelnen Leuten sprechen kann. Es gibt die Möglichkeit, das Kamerabild und den Ton zu teilen, alle die in der Nähe sind, können einen dann hören und sehen, eine Nachstellung der Eindrücke, die wir auch bei persönlichen Begegnungen hätten.
Wie waren nun meine Eindrücke bei dieser Tagung? Die Vorträge selber liefen sehr ähnlich zu Vorträgen bei anderen Videokonferenzen ab. Die Vortragenden hatten ihr Video angeschaltet und die Präsentation über den Bildschirm geteilt. Das Publikum hatte aber auch die Möglichkeit, den Bildschirm umzustellen, so dass man die geteilte Präsentation nicht mehr sah und stattdessen den Raum mit den Avataren sehen konnte und es trotzdem möglich war, weiter zuzuhören. Für Pausen bin ich in den Flur zwischen den Vortragsräumen gegangen und habe mit eingebautem Chat Leuten geschrieben, die ich kannte. Zusätzlich zu der Kommunikation via Chat, über die wir auch während Vorträge über Inhalte schreiben konnten, war es in den Pausen möglich, sich mit Anderen zusammenzustellen und über Sprachchat und Video zu sprechen. Es war aber genauso möglich ohne Bild und Ton sich dazu zustellen und per schriftlichem Chat an Gesprächen teilzunehmen. Zusätzlich gab es auch die Möglichkeit, Poster im Raum zu verteilen, wodurch Dateien angesehen werden konnten, wenn man wollte. Auch Links und Whiteboards zum Schreiben konnten implementiert werden. Ähnlich wie auch bei Ausstellungen ein Plakat nach dem anderen angesehen werden kann. Vergleichen wir dieses Szenario mit den zuvor beschriebenen beiden Szenarien des Multiplayer-Spiels und der klassischen Videokonferenzen, wird klar, dass bei dem Tool „Gather.Town“ versucht wurde, die Vorteile der Kommunikation und des Aufbaus der digitalen Welt genommen wurden und in die Welt der klassischen Videokonferenzen geholt wurde. Dieses Tool ersetzt keinen analogen Menschenkontakt, genauso wenig, wie Online Gaming dies tut. Darum soll es in diesem Artikel auch nicht gehen. Das Ziel dieses Artikels ist es, dass wir darüber nachdenken, wie wir digitale Veranstaltungen so angenehm wie möglich gestalten können.
Best Practice auch für die Zeit nach Kontaktbeschränkungen
Im Rahmen der Diskussionen über digitale Veranstaltungen kommen neben dem Mangel an persönlichen Kontakt und der anderen Aspekte, die ich zuvor erwähnt habe, auch Punkte auf, die Inklusion betreffen. Bei Präsenzveranstaltungen werden Menschen ausgeschlossen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht vor Ort sein können. Fehlende Transportmittel, zu lange Anfahrtswege, körperliche Beschwerden, häusliche Verpflichtungen, keine Möglichkeit für internationale Reisen, einiges kann dafür sorgen, dass wir nicht mitmachen können. Auch bei der Organisation von Veranstaltungen müssen wir bei Präsenzveranstaltungen auf mehr Aspekte, z.B. Unterkünfte, Verpflegung und Räumlichkeiten, achten, als bei Online Veranstaltungen. Während ich mich hiermit keineswegs dafür aussprechen möchte, dass wir alle Veranstaltungen auch nach Kontaktbeschränkungen durch die Pandemie weiter digital durchführen sollten, halte ich es für sinnvoll, die Möglichkeiten des digitalen Raums nicht direkt wieder zu vergessen. Für weitere Online Veranstaltungen empfiehlt es sich also, über Best Practice Methoden nachzudenken. Im Weiteren soll dieser Text nicht als Lobgesang für das Tool „Gather.Town“ verstanden werden, vielmehr für die Idee, auf der das Tool aufgebaut wurde. Es geht nicht darum, Gamification in den Hörsaal zu bringen, die Situationen Gaming und Studium (sowie andere Kontexte, bei denen klassische Videokonferenzen eingesetzt werden) haben ihre ganz eigenen Umstände, weshalb sich Tools aus dem einen Kontext nie komplett im anderen Kontext eingesetzt werden und dort dieselben Ergebnisse des Tools erwartet werden, der Einsatz des Tools „Gather.Town“ bei der studentischen Konferenz, von der ich berichte, aber auch bei anderen Konferenzen in anderen Bereichen, zeigt jedoch, dass es sich lohnt, dass wir uns auch in der Wissenschaft Tools, die aus dem Gamingbereich stammen, ausleihen und auf unsere Bedürfnisse anpassen.
Worüber ich in diesem Artikel nicht spreche, sind detaillierte Eigenschaften des Tools „Gather.Town“, wie Datenschutz, Serverstandort, Kosten, die Frage, wie gut deutsche Internetleitungen mit der Verbindung zu den Servern klarkommen und den Punkt, dass einige Browser nicht für dieses Tool geeignet sind. Wie bereits erwähnt, liegt der Fokus dieses Artikels auf der Idee hinter dem Tool und nicht an der exakten Umsetzung hiervon, weshalb ich diesen Artikel auch nicht als Werbung für dieses Tool verstanden sehen möchte. Dafür sind diese speziellen Aspekte, die eben nicht besprochen werden, zu wichtig. Vielmehr soll es darum gehen, dass wir darüber nachdenken, wie wir unsere Kommunikation in digitalen Zeiten gestalten wollen.
In diesem Artikel geht es um meine persönlichen Erfahrungen. Die Auswirkungen verschiedener Arten von digitaler Kommunikation können bei anderen Personen anders aussehen. Auch wissenschaftlichen Ergebnissen der Kommunikationswissenschaft oder anderen benachbarten Wissenschaften möchte ich hiermit nicht vorgreifen.
Über die Autorin:
Martina Gerdts ist Masterstudentin in Romanistischer Linguistik mit einem Bachelor of Arts in Portugiesisch und dem Nebenfach Spanisch. In der Linguistik verfolgen sie Adjektive und Adverbien, während sie in ihrer Freizeit fröhlich vor sich hin tweetet. Als selbsternannte Gamerin im Ruhestand ist sie nach einer langen MMO-Zeit aktuell nur noch ab und zu beim Handy- und Browserspiel „Forge of Empires“ zu finden. Mehr Infos über sie findet ihr über ihre Homepage.
Fußnoten:
[1] Das Spiel auf das ich mich hier beziehe ist zwar „Aion“, viele andere Multiplayer funktionieren jedoch nach einem ähnlichen Prinzip. Link zur Website: https://de.aion.gameforge.com/website/ (letzter Zugriff: 09.05.2021).
[2] Link: https://www.teamspeak.com/de/ (letzer Zugriff: 09.05.2021)
[3] Link zur Veranstaltung: https://69.stuts.de (letzter Zugriff: 09.05.2021)
[4] Link zum Tool: https://gather.town/ (letzter Zugriff: 09.05.2021)
2 Antworten
[…] der Link: https://languageatplay.de/2021/05/17/was-koennen-wir-vom-gaming-lernen-wie-online-veranstaltungen-ei… (externer Link, Gastbeitrag bei „Language At Play“ vom […]
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