Nachlese zum Talk & Play #2: Mental Health in München
Am Mittwoch, 10.10.2018 fand das zweite Münchner Talk & Play im Werk1 am Ostbahnhof statt. Das von Games/Bavaria organisierte Event übernimmt das in Berlin gegründete Konzept des Talk & Play und Vorträge zu einem zuvor festgelegten Thema verbunden mit Anspielsessions und Entwicklergesprächen hinterher. Nachdem das Thema des ersten Münchner Talk & Plays, “Killerspiele”, in den Vorträgen eher journalistisch angegangen wurde (Eine kurze Nachlese habe ich hier veröffentlicht), stand das zweite Thema, “Mental Health”, dieses Mal ganz im Zeichen der Game Studies. Eine Nachlese hier auf Language at Play erscheint mir also sinnvoll.
“Eine Entgrenzung dessen, was als krank gilt”
Den ersten der beiden Vorträge zum Thema Mental Health in Video Games hielt Medizinhistoriker Arno Görgen, der sich in seiner zweiten Doktorarbeit genau damit beschäftigt. Zunächst erklärte Arno dem Publikum die Theorie der Medikalisierung, nach der erst die Gesellschaft und schließlich auch die Popkultur eine Verschiebung des Diskurses hin von Abweichungs- zu Krankheitsbeschreibungen erfahren. Was also zunächst als “anders” gegolten hat, könnte irgendwann als “krank” beschrieben werden. Auf diese Weise findet eine Pathologisierung diverser Daseinszustände statt: Beispielsweise kann schon das Altern, ein völlig natürlicher Zustand, sofort Bilder von Pillen, Vorsorgeuntersuchungen und erhöhten Krankheitsrisiken wecken.
Die Grenzen des Zustands “Krankheit”, wie sie im Diskurs wahrgenommen werden, verschieben sich also. Und das, so Arno, kann sich auch in der Darstellung von Krankheiten in Medien wie dem Videospiel wiederspiegeln.
So werden psychisch Kranke im digitalen Spiel generell auf eine von zwei Arten dargestellt: sehr häufig objektiviert und gelegentlich subjektiviert. Objektivierte psychisch Kranke finden wir oft als Gegner, die ohne eigene Identität der Spieler*in als Hindernis entgegen geworfen werden, etwa die Splicer in BioShock oder die Angels in Far Cry 5. Diese Figuren sind eigentlich Opfer ihrer Umgebung, des Systems oder der medizinischen Behandlung, in der sie sich befinden, und doch werden sie als Täter, als Monster inszeniert.
Subjektivische Betrachtungen von Betroffenen psychischer Krankheit finden sich dagegen deutlich seltener. Als Paradebeispiel führt Arno The Town of Light an, in dem Renee, eine ehemalige Patientin eines italienischen Sanatoriums der 1940er Jahre im Alter zurück in die Ruine der Klinik kehrt, um ihre verdrängten Erinnerungen zurück zu gewinnen. Auch in der auf den Vortrag folgenden Diskussion wurde ein interessantes Beispiel aus dem Publikum genannt: Kann nicht etwa Octodad, in dem man alle Gliedmaßen eines Octopusses steuert, der sich als Mensch ausgibt und nicht erkannt werden darf, als Darstellung einer Depression gesehen werden? Eine interessante Überlegung, wenn man die die Mühsamkeit der Spielmechaniken von Octodad auf die oft beschriebene unüberwindbare Antriebslosigkeit mancher Betroffener überträgt.
“We need these games in our lives because they save people”
Der zweite, auf Englisch gehaltene Vortrag kam von Jean Leggett, Indie-Entwicklerin aus Toronto, Kanada. Mit ihrem kleinen Studio One More Story Games entwickelt sie Interactive Fiction-Spiele mit Frauen als Zielgruppe. Ihr derzeitiges Projekt ist eine Spielumsetzung des Romans Shakespeare’s Landlord von Charlaine Harris. Darin klärt die Überlebende einer Entführung und Vergewaltigung, Lily Bard, einen Mord in der verschlafenen fiktiven Stadt Shakespeare auf und setzt dabei ihre unterdrückten Erinnerungen an ihr Trauma wieder zusammen. Das Spiel setzt sich vor allem zum Ziel, Posttraumatische Belastungsstörungen authentisch darzustellen, ohne Betroffene damit erneut zu triggern. Jean argumentiert, dass Medien wie Shakespeare’s Landlord von Betroffenen geschrieben werden müssen, dass es ihnen zusteht, ihre eigenen Geschichten selbst zu erzählen. Und dass es helfen kann, zu sehen, dass andere Betroffene ihre Geschichten offen erzählen und in medialer Form verarbeiten können.
Games/Bavaria hat das Talk & Play #2: Mental Health in Gänze auf Video aufgenommen. Sobald die Aufnahme online gestellt ist, werde ich sie hier verlinken.