“Fire Emblem: Three Houses”: Ritter, Ehre und Männlichkeit
“Fire Emblem: Three Houses” erzählt ausführlich eine epische Geschichte von Krieg, Verrat, Intrigen und Heldentum. Interessant wird es allerdings, wenn man sich eben dieses Heldentum einmal im Detail ansieht. Denn dann entpuppt es sich schnell als etwas, das vor allem an Ritterlichkeit gemessen wird und das zieht eine ganze Reihe an Folgen mit sich.
Ein guter Ritter ist ein guter Mann
Im historischen Mittelalter gab es Ritter fast wie Sand am Meer – ganz besonders in burgenreichen Regionen. In lateinischen Quellen heißen diese Personen oft nur miles, also Soldaten oder Kämpfer, und hinter dieser Bezeichnung verbarg sich im Grunde bloß eine Schicht Niederadelige, die ein Gut im Auftrag ihres Lehnsherren unterhielten. Diese Aufgabe war zunächst recht pragmatischer Natur und hatte sehr wenig mit romantischen Ideen von edlen Rittern und lieblichen Burgfräulein gemein. Vielmehr übten hier die mächtigen Lehnsherren ihre Macht durch ihre Vasallen und Dienstleute aus.
Der Ursprung der Ideale, die wir heute noch diffus als “Ritterlichkeit” kennen, haben mehr mit literarischen und künstlerischen Interpretationen des Rittertums besonders im Zuge der Romantik zu tun als mit der mittelalterlichen Gruppe der Ritter. Im modernen Sinne sind Ritter im Idealfall immer die Guten und mit ihrer Referenz auf das Mittelalter immer ein Hinweis auf eine ferne Zeit, in der das Gute mit allen Mitteln verteidigt wird. Das bedeutet nicht, dass es literarisch und popkulturell keine Ritterfiguren gäbe, die damit brechen, sondern viel mehr, dass sie immer an diesem Ideal gemessen werden.
Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass die Jedi in “Star Wars” ein Ritterorden sind, genauso wenig wie es Zufall ist, dass Jaime Lannister in “Game of Thrones” sowohl als einer der Ritter in der Leibgarde des Königs als auch als der Mann eingeführt wird, der moralisch schon allein dadurch verkommen ist, dass er den letzten Targaryen-König, seinen eigenen Herrn, getötet hat. In beiden Fällen wird Ritterlichkeit an Idealen von Ehre und moralischer Unfehlbarkeit gemessen und die Figuren bestehen diesen Test entweder und scheitern daran. Das ändert allerdings nichts an den Maßstäben, denen sie sich stellen müssen.
Zu einem Ritter – ich gendere hier und im Folgenden mit Absicht nur männlich, denn Weiblichkeit wird innerhalb des Rittermythos so gut wie immer zur Ausnahme – gehört es fast immer dazu, dass er die Schwachen schützt. Und die Schwachen innerhalb dieser Logik sind in erster Linie Frauen, Kinder und Leute, die aufgrund ihres sozialen Standes unter einem Ritter stehen und damit auf seinen Schutz angewiesen sind. In diesem Konzept, das nach wie vor popkulturell allgegenwärtig ist, sind Ritter und sozial hochgestellte Damen zwei Seiten derselben Münze. So wie Jaime Lannisters Ritterlichkeit durch seine moralischen Verfehlungen beschädigt ist, so ist die von Brienne of Tarth es von Anfang an allein durch den Umstand, dass sie eine Frau ist. Ihr Geschlecht macht sie zu einer Anomalie in Westeros und um der ideale Ritter zu sein, der sie sein will, muss sie diesen Fehler dadurch ausgleichen, dass sie moralisch allen anderen mehr als überlegen und unumstößlich treu ist.
Diese Spannung zwischen männlicher Ritterlichkeit, der Weiblichkeit im Grunde widerspricht, ist erst einmal nichts Besonderes und steht viel mehr in einer langen kulturellen Tradition, nach der Frauen das schwache Geschlecht sein sollen und dementsprechend schutzbedürftig sind. Weiße (adelige) Weiblichkeit wird hier zu einem romantisierten Ideal, das um jeden Preis vor der grausamen Welt und Einflüssen von außen zu schützen ist. Ein Scheitern dieser Schutzpflicht ist in seiner archetypischen Form erst einmal ein Scheitern von Männlichkeit. Ein guter Ritter ist gut genug ausgebildet, um seine Dame zu beschützen und sich ihrer würdig zu erweisen, was ihn wiederum grundsätzlich zu einem guten Mann macht.
“Fire Emblem: Three Houses” und die Suche nach echten Rittern
Mit der Frage danach, was denn nun ein guter Ritter und damit ein guter Mann ist, beschäftigt sich auch “Fire Emblem: Three Houses”, der neueste Ableger der Reihe. Die Handlung des Spiels dreht sich, wie in “Fire Emblem” üblich, um politische Intrigen, böse Mächte, Auserwählte und strahlende Held*innen, alles eingebettet in einen Weltenbau, der recht lose vom europäischen Mittelalter inspiriert ist und mit verschiedenen Motiven spielt, die relativ typisch für diese Art von pseudo-mittelalterlichen, phantastischen Settings ist. Das Herz der Handlung und des Kontinents Fódlan ist das Kloster Garreg Mach. Dieses Kloster beherbergt sowohl die Militärakademie, auf der die zukünftigen Führungsriegen Fódlans ausgebildet werden, als auch das Zentrum der Kirche von Seiros, von dem aus die Erzbischöfin Rhea schaltet und waltet.
Protagonist*in des Spiels und meine Spielerinnenfigur ist Byleth, bei der es sich sowohl um einen Mann als auch um eine Frau handeln kann, was allerdings nichts an den Dialogen oder am Spiel ändert. Als Byleth zu Beginn gemeinsam mit ihrem Vater Jeralt auf Schüler*innen der Militärakademie trifft und ihnen hilft, wird Jeralt von einem der Ritter von Seiros, einem religiösen Ritterorden im Dienst der Kirche, als dessen ehemaliger Kommandant erkannt. Vater und Tochter kehren daraufhin in das Kloster zurück und während Jeralt wieder für die Ritter zu kämpfen beginnt, wird Byleth Lehrerin an der Akademie. Ich kann mich als Spielerin nun für eines der drei Häuser und damit eine der drei Schulklassen samt ihrer verschiedenen Handlungsstränge entscheiden. Wähle ich nun an diesem Punkt des Spiels die Blauen Löwen aus, die Schüler*innen aus dem Königreich Faerghus und ihren Klassensprecher Dimitri, dann kann ich mich später vor Rittern kaum retten. Die meisten meiner Schüler*innen genauso wie meiner Verbündeten definieren sich entweder über das Streben, Ablehnen, Verlieren oder Wiedererlangen von Ritterlichkeit.
Das Paradebeispiel dafür ist Dimitri, der Thronfolger von Faerghus persönlich, den das Spiel als geradezu archetypischen Prinzen und Ritter einführt: Er ist höflich, kontrolliert, verhält sich ehrenhaft, ist am Gemeinwohl interessiert und scheint rundum mit jeder Faser seines Daseins vermitteln zu wollen, dass ich hier eine Figur vor mir habe, die definitiv zu den Guten gehört. Das Spiel deutet zwar gleichzeitig auch durchgehend an, dass Dimitri eine ‚dunkle Seite‘ habe, aber davon ist zunächst einmal nicht viel zu sehen. Stattdessen präsentiert mir “Fire Emblem: Three Houses” durch den gesamten ersten Teil hindurch eine Figur, die besonders an sich selbst die höchsten Maßstäbe legt und gleichzeitig scheinbar immer oder wenigstens meistens verständnisvoll mit anderen umgeht. Wenn es eine Figur gibt, die sich darum bemüht, ein guter Anführer zu sein und einem dem entsprechenden moralischen Ideal nachzujagen, dann ist es Dimitri.
Treue bis in den Tod
Interessant wird es hier in dem Moment, in dem man einen genaueren Blick darauf wirft, wie all das erzählerisch und spielerisch kommuniziert wird, denn dann wird vage das Set der Eigenschaften deutlich, die Männlichkeit und Ritterlichkeit in “Fire Emblem: Three Houses” bestimmen. Einer der Schatten, die schon zu Beginn über der Handlung schweben und im Verlauf der Handlung nur noch mehr an Bedeutung gewinnen, ist ein Aufstand in der Provinz Duscur vier Jahre vor Beginn der Handlung. Diese “Tragödie in Duscur”, wie die Figuren sie später meistens nennen, kostete dabei sowohl Dimitris Vater und seine Stiefmutter, das Königspaar von Faerghus, als auch Glenn, den Sohn eines wichtigen Adeligen des Königreichs, das Leben.
Während das Spiel hier für das Königreich als Ganzes ein politisches Trauma des Verlusts seines Herrschers und für Dimitri ein persönliches in Form des Verlusts seiner Eltern eröffnet, ist Glenn durch die gesamte Handlung hindurch fast schon allgegenwärtig, obwohl er durch seinen Tod natürlich nicht auftreten kann. Glenn ist das Ideal, an dem sich alle zu messen scheinen: Ein toller Ritter, ein guter Kämpfer und ein treuer Vasall, der für seinen König und seinen Prinzen schließlich sogar gestorben ist. Sein Tod lastet dabei nicht nur von Anfang an auf Dimitris Gewissen, sondern auch auf vielen der anderen Figuren. Sein Vater Rodrigue und sein jüngerer Bruder Felix überwerfen sich und scheinen diese Beziehung auch nie wieder ganz reparieren zu können. Felix beginnt sogar romantisierte Vorstellungen von idealer Ritterlichkeit ganz grundsätzlich abzulehnen und Glenns Verlobte Ingrid trauert noch vier Jahre später um ihn. Sie ist es auch, die ihm schließlich noch Jahre später verzweifelt in seiner Ritterrolle nacheifert. Handlung und Figuren erheben Glenn zu einem Ideal, dem scheinbar alle auf die eine oder andere Art und Weise nachzueifern versuchen.
Auch Dimitri kreist von Beginn an um diese Vorstellung eines idealen Helden und Ritters, wobei innerhalb von “Fire Emblem: Three Houses” beide Begriffe synonym sind. Sowohl Dimitris Vater Lambert als auch Glenn waren denjenigen, die sie zu beschützen geschworen hatten, bis zum letzten Atemzug treu ergeben. Dimitri jagt diesem Vorbild weitgehend hinterher; Wie unzählige Herrscherfiguren vor ihm ringt er mit der Frage, wie er zu sein hat, wenn er ein guter König sein will, während seine Sorgen gleichzeitig als unbegründet präsentiert werden. Doch das muss so sein, denn damit erzählt mir das Spiel etwas über Dimitri, das sehr viel wichtiger ist: Er ist pflichtbewusst bis zum Erbrechen. Egal, wie unangenehm etwas vielleicht ist, er stellt seine Emotionen im Zweifelsfall erst einmal zurück. Stattdessen haben Pflicht und Treue gegenüber seinem Königreich und seinen Untergebenen Vorrang.
Würde sich dieses Ideal nur in Dimitris Figur niederschlagen, wäre das noch nichts Besonderes, denn schließlich ist er ein Kronprinz und Kronprinzen-Figuren drehen sich in phantastischen Settings wie dem von “Fire Emblem” häufiger um diese Art Konflikte. Doch er ist damit nicht allein: Ingrid ist hin und her gerissen zwischen ihrer Pflicht als Tochter und ihrer Pflicht als Ritterin, Dedue wird förmlich nur davon definiert, ein treuer Vasall seines Königs zu sein, Gilbert ringt mit seinem eigenen Scheitern als Ritter, weil er seinen König nicht beschützen konnte, Jeralt hängt sein Dasein als Ritter an den Nagel und wird Söldner, weil seine Herrin seine Loyalität scheinbar betrügt – Oder es ihm wenigstens so vorkommt. Catherine würde eher sterben als ihre Treue zu Rhea aufzugeben und Felix lehnt blinde Treue gegenüber einem Herrn ab, weil er genau aufgrund solcher seinen Bruder verloren hat.
Adel und Männer werden bevorzugt
An diesem Punkt ist es auch interessant, welche Figuren aus diesem ständigen Streben, dem Ideal Glenns nachzujagen, herausfallen. Shamir zum Beispiel ist zwar eine Ritterin von Seiros und unterscheidet sich in ihrem Status aber im Grunde nicht von Catherine, bedient jedoch Merkmale wie das Treuemotiv nur in der Form, dass sie sich damit durch die anderen Figuren konfrontiert sieht. Allerdings ist Shamir auch weder aus Fódlan noch adelig, sondern eine ausländische Söldnerin, die es nur zufällig ins Kloster und in den Dienst der Kirche verschlagen hat. Beides sind Eigenschaften, die sie zur Anomalie machen. Ähnlich sieht es bei Ashe aus, der – anders als die übrigen Schüler*innen der Blauen Löwen – kein gebürtiger Adeliger ist, sondern nur von einem Lord adoptiert wurde und Ritterlichkeit zwar zu erreichen versucht, dabei aber immer in seinem Status und seiner Ritterlichkeit ein wenig zurückgestellt bleibt, eben weil er aus der Schablone fällt. Und auf Mercedes und Annette werden diese Art Maßstäbe ohnehin nicht angewandt, weil sie nicht nur Frauen sind, sondern auch in den Dialogen in erster Linie über ihre Rolle als Heilerin, Magierin und adelige Tochter und nicht über den Kampf mit physischen Waffen definiert werden.
Gerade die Dimension von Status und Gender zieht sich auf die eine oder andere Weise durch die gesamte Handlung und die vielen Momente, in denen diskutiert wird, wie ein idealer Held und Ritter denn nun zu sein habe. Ingrid spricht ständig an, dass von ihr erwartet wird, in eine andere adelige Familie einzuheiraten, um so ihrer eigenen zu deren gesellschaftlichen Wiederaufstieg zu verhelfen. Catherine, die ihren sozialen Status als Adelige verloren hat und deshalb den Rittern von Seiros beigetreten ist, betont auf geradezu fanatische Weise ihre Treue gegenüber ihrer Herrin. Gilbert, der seinen adeligen Status aus freien Stücken aufgegeben hat, weil er der Ansicht war, als Ritter versagt zu haben und deshalb aus Faerghus zur Kirche von Seiros geflohen ist, ringt gerade im Unterstützungsdialog mit seiner Tochter noch immer damit, mit der Aufgabe seines Status auch als Vater versagt und damit seine Familie im Stich gelassen zu haben.
Knapp formuliert bedeutet das also, dass “Fire Emblem: Three Houses” für seine Held*innen nicht nur ausgezeichnete kämpferische Fähigkeiten als Voraussetzung für ihr Held*innendasein definiert, sondern auch Adel, Loyalität gegenüber Land und Herr*in, ein generelles Pflichtbewusstsein in Bezug auf Heimat, Familie und Kirche sowie eine grundsätzliche Moralität als ganz genauso grundlegend behandelt. Selbst Figuren wie Sylvain erfüllen viele dieser Punkte, obwohl sich seine Handlung und Dialoge eigentlich um nicht viel mehr als den Umstand drehen, dass er ein Frauenheld und Chaot ist und das von den meisten anderen Figuren als unmoralisch missbilligt wird. Sylvain kann allerdings noch immer ein Held sein und wird auch als solcher inszeniert, weil er adelig, loyal gegenüber Land und Herrscher und – wenigstens im politischen Sinne – auch halbwegs pflichtbewusst ist. Selbst das, was die anderen Figuren als unmoralisch sehen, ist im Grunde nur ein bewusstes Ausreizen seines eigenen Pflichtbewusstseins, weil er ganz genau weiß, dass er als Erbe seines Vaters wenig Mitspracherecht bei seiner Zukunft hat, und deshalb vorher alle Freiheiten mitzunehmen versucht, solange er sie noch besitzt.
Keine Gefühle und keine Isolation
Wie tief unter anderem diese Merkmale mit den in “Fire Emblem: Three Houses” angesprochenen Idealen eines Ritter und Helden verwoben sind, wird auch in dem Moment deutlich, in dem eben diese anhand seiner Figur umgekehrt werden. Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Handlung liegt ein Zeitsprung von fünf Jahren, in denen Byleth verschwunden ist und ihre Schüler*innen und Fódlan sich selbst überlassen sind. Nachdem schon am Ende des ersten Teils nach dem Verrat des Kaiserreichs Adrestia ein blutiger Krieg über den Kontinent hereingebrochen ist, hat sich dieser Krieg während der letzten fünf Jahre nur verschärft und die ehemaligen Schüler*innen der Militärakademie dazu gezwungen, sehr schnell erwachsen zu werden.
Alle sind nun etwas älter, reifer und zynischer. Allen voran Dimitri selbst, der sich nicht nur äußerlich vom King-Charming-to-Be in den verstoßenen Prinzen verwandelt hat, der er nun ist. Auch charakterlich hat er die meisten Ideale über Bord geworfen, die ihn kurz zuvor noch zum Helden gemacht haben. Plötzlich trägt er eine Augenklappe und wirres, ungepflegtes Haar sowie eine zweckmäßige, aber etwas abgenutzt wirkende und wenig repräsentative Rüstung. Er ist nur noch in düsterer Stimmung aufzufinden,legt keinen Wert mehr auf Gut und Böse oder das Allgemeinwohl und ist nur noch auf seine persönliche Rache aus.
Mit dem Verlust seines treuesten Vasallen, Dedue, sowie seiner Krone hat er gegenüber denen, denen er treu zu sein und die er zu beschützen hatte versagt. Das führt dazu, dass er seine emotionale Kontrolle verliert und sich seinem Rachedurst hingibt, womit er wiederum moralisch erneut versagt. Er lässt sein Reich und seine Untergebenen im Stich und gibt so seinen Status als Prinz und Adeliger auf. All das wird sowohl visuell mit Dimitris veränderten Charakterdesign als auch im Gameplay in Form eines Wechsels in eine neue Klasse dargestellt, die nur Dimitri innehaben kann.
Doch damit nicht genug: Mit dem emotionalen Kontrollverlust ist Dimitri auch noch in weiteren Bereichen des Gameplays für mich als Spielerin verloren. Er steht mir zwar auf dem Schlachtfeld als Einheit zur Verfügung, wenn ich aber zwischen den Schlachten im Kloster versuche, mit ihm zu interagieren, dann blockt er mich ab. Wenn ich an meinen freien Tagen das Kloster erkunde, wobei mir normalerweise verschiedene Aktivitäten mit meinen Verbündeten zur Verfügung stehen, dann kniet Dimitri monatelang nur vor einem Schutthaufen und sagt entweder nichts oder nur, dass ich doch weggehen soll. Bei Aktivitäten wie einem gemeinsames Essen oder der Teestunde nimmt er grundsätzlich nicht Teil, auch beim Einzeltraining zu Beginn jeder Woche steht er mir nicht zur Verfügung und die Beziehungslevel zwischen ihm und allen anderen Figuren lassen sich vorerst nicht erhöhen.
Kurz: Dimitri kennt nur noch seine Rache, weshalb er seinen Status, Ehrvorstellung, Pflichtbewusstsein und Loyalität ablegt und sich zudem auch noch sozial isoliert. Wieder tauchen dieselben Kategorien auf, die schon im ersten Teil des Spiels die Ideale waren, denen er nachgejagt ist, doch dieses Mal markiert ihre Abwesenheit Dimitris Tiefpunkt. Er will kein Held oder Ritter mehr sein und könnte es auch nicht, denn er erfüllt die Voraussetzungen nicht mehr.
Opfer, Treue und Erlösung
Doch “Fire Emblem” wäre nicht “Fire Emblem”, wenn auf diesen Tiefpunkt keine Erlösung folgen würde. Diese Erlösung geschieht in drei Schritten, die wieder das Heldenideal des Spiels bedienen: Der erste und unscheinbarste Schritt ist das Wiederauftauchen von Dedue, dessen angenommener Tod als ein zentraler Grund für Dimitris Abstieg dargestellt wird. Während des Zeitsprungs zwischen Teil eins und zwei werden die beiden gefangen genommen und Dimitri soll hingerichtet werden, kann aber fliehen, weil der ihm treu ergebene Dedue sich für ihn opfert. Die Flucht markiert dabei nicht nur Dimitris Aufgabe seines Status als König, sondern auch den Verlust seines Reiches, seiner emotionalen Kontrolle, seiner Moralität bzw. seines Pflichtbewusstseins und seines treuesten Vasallen und Freundes. All das muss er im Zuge seines Erlösungsplots wiedererlangen. Den ersten Schritt dazu nimmt jedoch nicht er selbst vor, sondern Dedue, indem dieser wieder auf der Bildfläche erscheint.
Auch der zweite Schritt erfolgt durch jemand anderes, nämlich Felix’ Vater Rodrigue, der für Dimitri so etwas wie eine Ersatz-Vaterfigur ist und schon ein treuer Vasall und Freund von Dimitris Vater Lambert war. Im Zuge des tobenden Krieges tötet Dimitri aus Rachedurst einen Mann, dessen Schwester später auftaucht und ihn zu töten versucht, was wiederum von Rodrigue verhindert wird, indem er sich für Dimitri opfert. Sterbend erzählt er Dimitri, dass er Lambert vor dessen Tod aus Treue und Freundschaft versprochen habe, auf Dimitri aufzupassen, was er mit diesem Opfer nun erfüllt. Wieder stirbt jemand aus Treue für einen König und wieder verschwendet er aufgrund von Pflichtbewusstsein keinen Gedanken an alle anderen. Dass Rodrigue ja eigentlich noch einen eigenen, leiblichen Sohn hat, spielt plötzlich keine Rolle, denn er stirbt gerade den ultimativen Heldentod, der außerdem noch Dimitris Erlösung einläutet.
So wie die Last von Glenns Tod und “der Tragödie in Duscur” Dimitri schon im ersten Teil dazu angetrieben hat, seine Pflicht zu erfüllen und ein guter Ritter bzw. Prinz zu sein, so treibt ihn nun Rodrigues Tod in dieselbe Richtung. Er erlangt wieder die Kontrolle über seine Emotionen, wodurch sein Rachedurst wieder für das Allgemeinwohl hinten angestellt werden kann, wägt wieder ab, was richtig und falsch ist und findet mit seinem Pflichtbewusstsein auch wieder seinen moralischen Kompass. Und noch eine Veränderung geht damit einher: Während Dimitri zuvor darauf besteht, dass die Armee direkt auf die Hauptstadt des Kaiserreichs und damit das Ziel seines Rachedurstes zumarschiert, ändert er nun seine Meinung und beschließt, zuerst sein eigenes Königreich und seine Untergebenen zu befreien. Er erobert also nicht nur seine eigene Hauptstadt, sondern auch seinen Status als Adeliger und König zurück, wodurch er nun wirklich seine Pflicht als Herrscher ausfüllen kann. Plötzlich hat er alle Merkmale wiedererlangt, die ihn zuvor schon zum Helden gemacht haben, und kann so wieder ein Held sein und als ein solcher Held das Böse besiegen.
Ritter, Männlichkeit und “Mittelalter”
Damit spiegelt sich in Dimitri schlicht nur das am deutlichsten, worum “Fire Emblem: Three Houses”, besonders im Fall der Blauen Löwen, als Ganzes kreist: Heldentum, Ritterlichkeit und Männlichkeit. Dimitri wird zum idealen König, Held und Mann, weil er bestimmte Merkmale – nämlich ausgezeichnete Fähigkeiten im Kampf, Adel, Loyalität, Pflichtbewusstsein samt emotionaler Kontrolle, Eingliederung in eine Gesellschaft oder Gemeinschaft und natürlich Männlichkeit – erfüllt. In seiner idealen, geläuterten Version schießt er sogar über das Ziel hinaus und ist scheinbar so selbstkritisch, dass er diese Ideale nur noch erfüllen kann, während im Gegensatz dazu bei Figuren wie Ingrid das Problem ihres Daseins als Frau im Gegensatz zu ihrer Ritterlichkeit ständig diskutiert wird. Die Probleme und Fehler von Männern im Kontext der Ritterideale in “Fire Emblem: Three Houses” sind solche von Politik, Moral, Ehre, Krieg oder Verlust. Das Problem der meisten Frauen ist ihr Weiblichkeit und der damit verbundene Widerspruch zu ihrem Heldentum.
Auf diese Weise erfindet “Fire Emblem: Three Houses” das Rad bei weitem nicht neu, sondern bedient viel mehr längst bekannte und diffuse Kategorien von “mittelalterlicher” Authentizität, Minne und einer generellen Mittelalteromantisierung in phantastischen Genres und Medien, gerade weil es darin aber so stereotyp funktioniert, ist das Spiel ein sehr deutliches Beispiel für gängige Vorstellungen von Ritterlichkeit im Allgemeinen. Denn eine männliche, von Pflichtbewusstsein, Loyalität und Ehre getriebene Ritterlichkeit passt vor allem deswegen für wohl viele Spieler*innen so gut in die vage “mittelalterliche” Kulisse von “Fire Emblem”, weil damit popkulturell längst bekannte Knöpfe gedrückt werden.
In “Fire Emblem: Three Houses” steht das “Finstere Mittelalter” immer auf der Schwelle – in Form von Monstern, bösen Herrscherinnen und ruchlosen Schurken – und muss deshalb von den Rittern unter meiner Kontrolle immer in Schach gehalten werden. Dass die beiden zentralen Herrscherinnen, die im Zuge des zweiten Teils als Schurkinnen auftauchen, beides Frauen sind und die Ritterlichkeit der Helden stark mit Männlichkeit verknüpft ist, stellt hier nur die Spitze dar. Genauso ist es vielleicht ein Detail, aber sicher kein Zufall, dass Byleth und ihre Verbündeten zunächst für die Kirche und in dieser Rolle als Unterstützung für Faerghus in den Krieg eintreten. Stattdessen wird das Gute mit um ein ganz bestimmte Ideal von Ritterlichkeit konstruiert und das Streben danach ermöglicht wiederum den Heldenstatus der Figuren. Und damit ist genau dieses Konzept das, was den Weltenbau von Fódlan und sein “Mittelalter” zusammenhält.
Sehr guter Artikel über einen Aspekt von fire Emblem den keine weitere Kritik die ich gelesen habe erwähnt hat. Besonders interessant an dimitris Geschichte finde ich, dass der Moment in der er tatsächlich zu einem würdigen Ritter aufsteigt der ist an dem er seinen Rachedurst dem Allgemeinwohl unterordnet. Rache für den Tod seines Herren ist etwas das die meisten Leute nicht unbedingt mit europäischem Rittertum verbinden (nun zumindest geht das mir so) sondern vor allem mit den Samurai. In Dimitris Geschichte erscheint Rache als wichtiger Teil des Rittertums an dem dimitri jedoch beinahe (in den anderen Handlungssträngen tatsächlich) zugrunde geht. Samurai und Ritter werden ja gerne von westlicher Seite aus als equivalent betrachtet, was natürlich nicht wirklich der historischen Realität entspricht. Dimitris Geschichte scheint mir als eine derartige Gleichstellung aber aus der anderen Richtung, in der Aspekte der Samurai auf europäische Ritter projiziert werden. Natürlich ist das nur Spekulation meinerseits aber es macht die Geschichte für mich interresanter