Wie Rechtsradikale den Steam-Shop zum Werben nutzen
Auf Steam wird derzeit ein Spiel zweier offen rechtsradikaler Bewegungen beworben. Die Identitäre Bewegung und der vom Verfassungsschutz beobachtete Ein Prozent e.V. bedürfen kaum einer Vorstellung. Als Triebfedern der Neuen Rechten in Deutschland und Österreich fehlen sie auf keiner Pegida- oder Coronaleugner-Demo und haben feste Bande zur AfD und FPÖ. Nun versuchen sie, als Auftraggeber des “neuen rechten Entwickler-Kollektivs” (Zitat aus dem Twitterprofil, übersetzt) kvltgames die Online-Verkaufsplattform Steam zu erschließen.
Antifaschistische Initiativen wie Good Gaming und Keinen Pixel den Faschisten! haben Spiel, Shop-Seite und Homepage bereits bei Valve, der Bundeszentrale für jugendgefährdende Medien und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia gemeldet. Das Spiel hätte ursprünglich am 10. September 2020 erscheinen sollen, wurde nun jedoch auf den 18. September 2020 verschoben. Ob das etwas mit dem bereits aufgekommenen Protest gegen das Spiel und die Meldungen zu tun hat, lässt sich nicht sagen.
Warum jedoch sollte man gegen die Schaltung einer Verkaufsseite vorgehen, noch bevor das Spiel veröffentlicht ist? Die folgende Analyse zeigt, dass bereits die Verkaufsseite samt Trailer als Propagandainstrument dient, das auch dann seinen Zweck für die Rechtsradikalen erfüllt, wenn das Spiel noch vor Erscheinen gesperrt werden würde. An diesem Beispiel soll hier gezeigt werden, wie sich Steam durch seine kaum vorhandene inhaltliche Moderation von Rechtsradikalen instrumentalisieren lässt.
Steam ist in seinen Diskussionsforen bereits seit Jahren ein geeigneter Rekrutierungsgrund für rechte Gruppen wie die AfD und ein freies Feld für die Glorifizierung des Nationalsozialismus, da seine Foren, Nutzergruppen und Usernamen so gut wie unmoderiert bleiben. Seit einiger Zeit werden auch die im Shop angebotenen Spiele nicht mehr moderiert, sondern von Steams Inhaberfirma Valve nur noch aus dem Verkehr gezogen, wenn sie eindeutig illegal sind oder gegen Valves Hausregeln verstoßen. Jeder Mensch, der bereit ist, 100 U.S.-Dollar zu bezahlen, kann sein Videospiel auf Steam zum Verkauf anbieten. Günstige Bedingungen also für ein Propagandaspiel, einen potenziell gigantischen Kundenstamm zu erreichen.
Einsprachiges Zielpublikum
Betrachten wir zunächst die Meta-Informationen der Steam-Seite. Das Spiel wird nur auf Deutsch erscheinen, eine englische Fassung soll es nicht geben. Das leuchtet ein. Erstens richtet sich das Spiel explizit an ein deutschsprachiges Publikum. Sowohl unbedarfte Spielende als auch gezielt angesprochene Rechtsradikale stammen damit aus dem Zielpublikum, dass die Verweise auf die Figuren im Spiel verstehen kann. Zum anderen macht man es so internationalen antifaschistischen Bewegungen schwerer, das Spiel überhaupt zu bemerken oder zu kritisieren.
Aufschlüsselung des Beschreibungstexts
Wenden wir uns nun der Spielbeschreibung zu, die neben einem Trailervideo und Screenshots den Großteil der Shopseite ausmacht. Arbeiten wir uns von oben nach unten, Absatz für Absatz hindurch.
Die Welt des [redigiert] ist dystopisch: Ein global agierender Konzern hat die Macht übernommen und beginnt systematisch, die Bürger in hirnlose NPCs umzuwandeln. Doch es regt sich Widerstand…
Woher die Aufregung, könnte man fragen? Diese Beschreibung trifft im Groben auf jedes einzelne Werk im Cyberpunk-Genre zu, sei es Buch, Film oder Spiel. Tatsächlich ist das Auflehnen gegen einen alles kontrollierenden Großkonzern eines der entscheidenden Gründungsmerkmale des Cyberpunks. Genau dieser bekannten Annahmen bedient sich die Spielbeschreibung hier, indem sie so vage bleibt, dass sie auf den ersten Blick harmlos erscheint. Und doch beinhaltet bereits dieser Satz die erste rechte Dogwhistle. Als Dogwhistle bezeichnet man sprachliche Signale, die für Uninformierte harmlos klingen, von Angehörigen der eigenen Gruppe jedoch als Code erkannt werden. “Finanzelite” oder “Weltverschwörung” beispielsweise sind vermeintlich weltpolitisch klingende Begriffe, die jedoch nichts anderes bezeichnen als das Klische vom ‘bösartigen Juden’. “Hirnlose NPCs” ist ebenfalls eine solche Dogwhistle. Eigentlich lässt sich der Hinweis auf die Nichtspielercharaktere hervorragend in der Beschreibung eines Videospiels verorten. Der Begriff stammt schließlich aus dem Bereich der Spiele! Warum sollte er hier auffallen?
Man betrachte den Satz genau: Der Konzern greift keine NPCs an – er macht aus Bürgern (die keine Spielercharaktere sind, wie wir im nächsten Abschnitt der Beschreibung erfahren werden) NPCs. Er macht aus Nichtspielercharakteren Nichtspielercharaktere. Dass es sich dabei nicht um einfachen Gaming-Jargon handeln kann, wird spätestens jetzt ersichtlich. Denn “NPC” ist außerdem ein Kampfbegriff der rechten Verschwörungsmythiker- und Truther-Szene: Darin werden Menschen, die ihrer Sicht der Realität nicht zustimmen, als NPCs, also als fremdbestimmte, hirnlose Lakaien bezeichnet. Plötzlich ergibt die seltsame Benutzung des Begriffs “NPC” in der Beschreibung also Sinn: Er wird hier als Dogwhistle benutzt, um Eingeweihten klarzumachen, wofür der “global agierende Konzern” steht. Und in diesem Licht wird auch die Formulierung “global agierend” deutlich interessanter. Was soll das heißen? Google agiert global. Amazon agiert global. Skynet agiert auch global. Aber klingt “global agierend” nicht unnötig umständlich, ja sogar gestelzt? “Multinational” wäre mir eher eingefallen. “Monopolistisch” vielleicht, um die Vormachtstellung zu betonen, die ein dystopisches Cyberpunk-Unternehmen braucht. Doch es geht hier nicht um die Handelsform des fiktiven Konzerns, sondern vielmehr um das unscheinbare Wörtchen “global”. Als Globalisten bezeichnen Rechtsradikale nämlich die geheime Finanzelite, die angeblich die Geschicke der Welt aus dem Dunkeln kontrolliert und die Vernichtung der ‘weißen Rasse’ plant. Wen sie damit meinen: Juden. Das jahrhundertealte, hasserfüllte Zerrbild des Juden als Brunnenvergifter und Geldschacherer wird hier kaum verändert, sondern lediglich in einen weiteren Verschwörungsmythos eingebettet.
Übernehmen Sie die Kontrolle über die vier Widerstandskämpfer Alex Malenki, Outdoor Illner, Martin Sellner und den dunklen Ritter und bahnen Sie sich ihren Weg durch die düstere Zukunftsvision eines Europas, wie wir es hoffentlich nie erleben werden!
Die “düstere Zukunftsvision Europas”, die im Spiel dargestellt wird, bekommt hier eine Verknüpfung mit der realen Welt: “wie wir sie hoffentlich nie erleben werden!” Besagte Dystopie wird also im echten Leben im Bereich des Möglichen angesiedelt. Die verschwörerische Angst vor der linken Diktatur und der Umvolkung der ‘weißen Rasse’ ist ein altgedientes Werkzeug zur Erzeugung von Angst im Publikum der Rechtsradikalen. Hier wird sie angesprochen.
Die vier spielbaren Figuren sind ebenfalls vollgeladene Symbole rechtsradikaler Kampagnen. Martin Sellner ist der Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, dessen Online-Profile so voller Irreführungen und menschenverachtendem Hass waren, dass sie von Facebook, YouTube und Twitter gelöscht worden sind. Alex “Malenki”, der mit Nachnamen eigentlich Kleine heißt, ist Teil der IB Leipzig und war maßgeblich an Pegida beteiligt. Die rechtsradikale YouTube-Kunstfigur “Outdoor Illner” verbindet Preppertum und die Romantisierung von NS-Ideologie, wurde von Sellner massiv beworben und produzierte unter anderem Videos für die AfD. Der schwarze Ritter ist eine Umschreibung des extrem-rechten Verlegers Götz Kubitschek, der vom Spiegel als “Der dunkle Ritter Götz” betitelt wurde. Außerdem dürfte er ein Zugeständnis an die rechtsoffenen Chan- und Reddit-Foren sein, in deren Gaming-Boards die Vermengung von christlicher Pseudo-Historie wie dem Schrei “Deus Vult” aus Crusader Kings 2 und rechter Verklärung gewachsen ist. Alle vier sind wenig überraschend weiße Männer.
Wichtig ist hier auch die Rahmung der vier Figuren als “Widerstandskämpfer”. Sie werden somit zu positiven Akteuren, die sich gegen ihnen angetanes Unrecht erwehren. Diese Defensivhaltung ist einer der Grundpfeiler der rechtsradikalen Bewegungen, die von sich behaupten, sich gegen eine Weltverschwörung wehren zu müssen, um den ‘Großen Austausch’ der ‘weißen Rasse’ aufzuhalten.
Vier spielbare Charaktere: Jeder hat besondere Fähigkeiten, jeder erfordert eine ganz eigene Spielweise.
11 spektakuläre Levels, 4 Bosskämpfe: Springe, renne, schwebe, teleportier und klettere durch die Straßenschluchten der Megastädte der Zukunft. Einige Orte werden dir bekannt vorkommen, aber sie sind nicht mehr dieselben…
“Einige Orte werden dir bekannt vorkommen, aber sie sind nicht mehr dieselben…” Eine direkte Ansprache der Leser:innen. Der Verweis auf Orte, die die Leser:in kennt, ja vielleicht sogar liebt, und die durch den Einfluss der Globalisten jetzt verändert worden sind. Die bedeutungsschwangere Ellipse am Ende des Satzes zeigt: zum schlechteren verändert. Etwas, das von den vier Protagonisten unbedingt verhindert werden muss.
Zahlreiche Feinde: Die unterschiedlichen Gegnertypen machen dir das Leben schwer. Besieg‘ und kämpfe dich so bis zu den vier Endbossen durch, die am Ende jedes Abschnitts auf dich warten!
Meist wird der als Verschwörungsglaube verpackte Antisemitismus der Neuen Rechten auch mit George Soros in Verbindung gebracht, der in den Augen der Rechtsradikalen eine der Führungspersonen dieser ‘jüdischen Weltelite’ sein soll. Und siehe da: Der “global agierende Konzern”, der “GLOBO HOMO” oder etwas ähnliches zu heißen scheint, wird von einer Imperator Palpatine-ähnlichen Monsterfigur geleitet, die Soros bis auf seine markanten Wangenfalten hin ähnelt. Auch ein böser Bill Gates-Roboter darf in der Dystopie einer Hassbewegung, die Lügen über Zwangsimpfungen mit gedankensteuernden Chips durch die Bill and Melinda Gates-Stiftung natürlich nicht fehlen. Ein drittes Bossmonster zeigt dagegen einen vermeintlichen Jan Böhmermann, Moderator und Initiator der Online-Aktion Reconquista Internet, der vor einer jubelnden Masse aus Antifa- und Regenbogenflaggen hämisch lacht. Das Feindbild der Rechtsradikalen wird hier offengelegt und mit Galionsfiguren versehen, von der nationalen Ebene bis hin zu den “Globalisten”.
Power Ups und mehr: Halte die Augen offen, und die Levels halten mehr für dich bereit als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Wer sucht, der findet!
“Mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist” ist die Glaubensgrundlage der Verschwörungsgläubigen, an die sich rechtsradikale Propaganda verstärkt richtet. Eine Widerholung hier schadet nich.
Ein einzigartiger Soundtrack: RetroRebel legt ein unfassbares Soundtrack-Debüt hin. 80er Jahre, Industrial, Synthie-Pop, Retrowave: Alle kommen auf ihre Kosten.
Der genannte Synthwave-Musiker ist “keine unbekannte Persönlichkeit im kontrakulturellen Spektrum”. “Synthwave erobert die patriotischen Kreise”, und so ist es kein Wunder, dass eine rechtsradikale Gruppierung sich eine so nostalgische Stilrichtung der 80er und 90er aussuchen. In Verbindung mit der Retro-Nostalgie, die 2D-Plattformern mit Pixel-Optik gerne anhaftet, ist sie ein idealer Träger für die nostalgische Verklärung, die die Identitäre Bewegung und Ein Prozent e.V. auch der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zukommen lassen. Beide wörtlichen Zitate stammen übrigens aus einem Release-Artikel einer rechtsradikalen Webseite einem Album des Musikers. Die Website, die ich hier wie den Titel des Spiels nicht nenne, geht dort mit ihrer und seiner Verbindung zur Nazi-Szene ganz offen um.
“Reconquista Internet” schreibt: “geile immersive Gaming Experience“!
Hier kann man stutzen, denn Reconquista Internet ist eine antifaschistische Bewegung gegen Rechtsradikale im Internet. Warum sollte Reconquista Internet dieses Spiel bewerben? Wenig überraschend tun sie das nicht, denn das Zitat stammt aus einem Tweet des Reconquista-Twitteraccounts explizit gegen besagtes Spiel. Die Identitäre Bewegung und Ein Prozent e.V. übernehmen die Formulierung einfach aus dem Kontext gerissen, wohlwissend, dass ihr angestrebtes Publikum sowieso keine Quellen prüft, oder um sich über Reconquista Internet lustig zu machen.
Plattformen müssen handeln
Die detaillierte Analyse der Spielbeschreibung zeigt also, dass bereits der Online-Auftritt des Spiels als möglichst effektives Propagandamittel für die neuen Rechten dienen soll. Ein harmloses Lesen der Steamseite soll bereits die Grundlagen dessen vermitteln, worauf rechtsradikaler Hass basiert. Aus der Psychologie wissen wir, dass das wiederholte Hören und Lesen von Aussagen ihre Akzeptanz erhöht, egal als wie falsch wir sie erkennen. Ein positives Framing wie das des Widerstandes gegen Unterdrückung erhöht diese Akzeptanz noch weiter. Dagegen helfen nur positive Rahmung der echten Fakten und Hintergründe und eine kritische Beleuchtung der Verschwörungsmythen, auf denen das Glaubensgerüst der Rechtsradikalen basiert. Egal, ob das Spiel auf Steam veröffentlicht werden und bleiben darf oder nicht – Valves Verkaufsplattform hat sich schon jetzt als Propagandamedium missbrauchen lassen und wird auch in Zukunft weiter als solches verwendet werden, wenn der Konzern keine strenge Durchsetzung seiner Nutzungsbedingungen veranlasst. Offizielle Stellen wie die FSM geben die Verantwortung oft an die Beschwerdestellen von Plattformen wie Facebook, YouTube und Steam ab – solange diese nicht effektiv funktionieren, bleibt das Einfallstor für rechtsradikale Falschinformation und Rekrutierung offen.
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