Ein Sachbuch in leichter Sprache: Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern
Diese Buchvorstellung bricht aus dem Rahmen der Game Studies: Statt um Spiele geht es in diesem Werk um Astronomie. Da es jedoch linguistisch hochinteressant ist, wollte ich euch meine Einschätzung von Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern nicht vorenthalten.
Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern ist die 2015 im Verlag C. H. Beck erschienene deutsche Übersetzung von Andreas Wirthensohn des 2014 von Roberto Trotta veröffentlichten The Edge of the Sky: All You Need to Know About the All-There-Is. Da die Prämisse des Buches stark auf Wortwahl und Satzbildung der Zielsprache, in diesem Fall des Deutschen basiert, schätze ich den Übersetzer Wirthensohn hier als ebenso essentiell ein wie den originalen Schriftsteller Trotta und werde daher beide als gleichwertige Autoren behandeln.
Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern nimmt sich zum Ziel, die Regeln für Leichte Sprache zu nutzen, um den für Laien durchaus schwierigen Themenkomplex der Astronomie verständlich zu machen. Leichte Sprache ist ein vom Netzwerk Leichte Sprache aufgestelltes Regelwerk, das eine inklusive Grammatik für Menschen mit Verständnisschwierigkeiten schaffen soll. Die Regeln für leichte Sprache erklären dies so:
Leichte Sprache verstehen alle besser.
Zum Beispiel:
- Menschen mit Lern-Schwierigkeiten
- Menschen mit der Krankheit Demenz
- Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen
- Menschen, die nicht so gut lesen können
Viele Menschen verstehen schwere Sprache nicht. Leichte Sprache hilft vielen Menschen.
Leichte Sprache vermeidet also alles, was als “schwere Sprache gilt”. Das heißt:
Das ist zum Beispiel schwere Sprache:
- Fremd-Wörter
- Fach-Wörter
- Lange Sätze
Ein simpler Wortschatz über schwierige Themen
Wie der Name des Buches schon nahelegt, konzentriert sich Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern auf das Lexikon, also Fach-Wörter und Fremd-Wörter: Die einfachsten 1000 Wörter des Deutschen nutzt Andreas Wirthensohn in der Übersetzung der 1000 einfachsten Wörter des Englischen. Die dialogförmig geschriebenen Einleitungen jedes der zehn Kapitel helfen dabei, den Wortschatz simpel, aber dennoch nicht nach kindlichem “Baby-Sprech” wirken zu lassen. Problematischer wird es in den erklärenden Teilen der Kapitel, wenn die Dialogform in eine Monologform übergeht und historische sowie astronomische Eckpunkte angesprochen werden: Es ist enorm schwierig, Fachbegriffe hier zu umschiffen, ohne sie wenigstens kurz anzusprechen. Trotta und Wirthensohn nutzen hier eine Strategie, wie sie auch in den Richtlinien zu einfacher Sprache empfohlen wird: Fachtermini werden ersetzt durch erklärende Komposita aus zwei deutlich leichter verständlichen Wörtern. Diese werden mit einem Bindestrich klar als Komposita erkenntlich gemacht. Beide Teile des Wortes sind also in sich leicht verständlich, und sie einzeln zu verstehen genügt auch, um den Sinn des Wortes zu erfassen. Die Wichtigeren dieser durch Komposita ersetzten Fachbegriffe werden in einem nachgestellten Glossar noch einmal ohne leichte Sprache detaillierter erklärt, sodass Eltern und Betreuer*innen besser durchdringen können, was sie ihren Kindern und Schützlingen da vorlesen. So werden aus Wissenschaftler “Such-Menschen”, aus Jupiter der “Hauptgott” und aus dem Large Hadron Collider der “Große Ring”, was den mythologischen Benennungscharakter vieler Himmelskörper gut zur Geltung bringt. Das Ganze verleiht der Erzählung schon beinahe märchenhafte Züge, was Alles über das All als Vorlesebuch erst recht sehr geeignet macht.
Einer der Grundsätze leichter Sprache ist zudem die Vermeidung von Fremdworten. Alles über das All hält sich daran und deutscht konsequent alle Anglizismen ein. Manches davon gelingt gut und passend, wie der erwähnte “Große Ring”. Gerade streng wörtliche Eindeutschungen wirken jedoch durch ihre Nähe zur Position des rechtskonservativen Vereins für deutsche Sprache, der immer wieder durch fremdenfeindliche Positionen, Nähe zur sogenannten AfD und präskriptive Sprachpolitik auffällt, etwas kritisch. Stark im Gedächtnis geblieben ist mir hier das in der Einleitung erwähnte “Weltnetz”, wo man den Autoren Roberto Trotta über den “kleinen blauen Vogel, der fliegt” erreichen kann. Ich kann nur wohlwollend vermuten, dass diese Assoziation aus Versehen und etwas aus der Not heraus geboren ist, um lange erklärende Nebensätze zu vermeiden, durch die das Auslassen der Anglizismen seinen vereinfachenden Sinn wieder verloren hätte.
Zu schwierige Satzstellung trübt die leichte Sprache
Leider hat das Buch damit auch so nicht immer Erfolg. Denn auf syntaktischer Ebene kränkelt Alles über das All ein wenig an seiner Prämisse. Was auf lexikalischer Ebene im Wesentlichen sehr gut gelingt, nämlich die Vereinfachung durch Einhalten der Regeln für Leichte Sprache, gelingt hier nicht immer. Oft verliert sich Wirthensohn in langen Nebensatzkonstruktionen oder ausführlichen, das Verb nach hinten verschiebenden Objektphrasen, die trotz des sehr simplen Lexikons schwierig verständlich für Leute sein können, die auf leichte Sprache angewiesen sind. Ein Beispiel aus dem Buch:
Von ihrem Schreibtisch aus kann sie sehen, wie Groß-Seher still in seinem Raum auf der anderen Seite eines großen Fensters steht, sein großes Auge geschlossen.
Das ist auch mit dem komplexen Thema eigentlich nicht zu entschuldigen, da die deutsche Sprache in solchen Fällen eigentlich beliebig lange Hauptsatzketten zulässt, die mit “und” und “oder”, noch besser aber mit Satzendpunkten in klare, einzeln verständliche Einheiten trennbar sind. Die folgende, von mir umgestellte Version wäre beispielsweise deutlich leichter:
Von ihrem Schreibtisch aus kann sie Groß-Seher sehen. Er steht in seinem Raum auf der anderen Seite eines großen Fensters. Sein großes Auge ist geschlossen.
Als Lesebuch für die oben vom Netzwerk Leichte Sprache zitierten Menschengruppen eignet sich Alles über das All also eher mit Unterstützung, sollten Fragen aufkommen. Dennoch halte ich die grundsätzliche Prämisse für ausgesprochen gelungen umgesetzt, und ich würde gerne noch mehr Themenbereiche in ähnlicher Weise in leichter Sprache und spanned les- und vorlesbarer Erzählform aufbereitet bekommen. Von mir erhält Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Wörtern also eine sprachwissenschaftliche und wissenschaftskommunikative Empfehlung.
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