Wolfenstein-Nazis, linguistisch erklärt, Teil 3: Propaganda und Werbung in Wolfenstein und darüber hinaus
Trete der Armee bei
Dieser Text erschien zuerst in der GAIN-Magazin Ausgabe 13.
»Ich kann Deutschland lieben und den Kapitalismus hassen. Ich kann nicht nur, ich muss«, soll der spätere Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1932 in einer Rede proklamiert haben. Dass es allerdings in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft letztendlich nicht weit her war mit der Trennung von Kapitalismus und Staat, ist schon beinahe eine Binsenweisheit. Dieser Widerspruch lässt sich als zentrales Thema auch im Weltenbau der »Wolfenstein«-Spiele wiederfinden. Poster und Radiodurchsagen werben in »The New Order«, »The New Colossus« und »Youngblood« an jeder Ecke für das schnellste Fertiggericht oder die beste neue technologische Errungenschaft. Und sie bieten uns ein hervorragendes Fenster in die Geschichte der Propaganda und die Ursprünge der Werbung.
Die Erfindung der Propaganda
Das Wort »Propaganda« selbst stammt vom lateinischen ›propagare‹ ab und bedeutet ›verbreiten‹. Seine erste Nennung findet sich im Jahre 1622 durch die »Congregatio de propaganda fide«, einer vom Papst ins Leben gerufenen Kongregation, die den Glauben ›propagieren‹, also verbreiten sollte. Die organisierte Propaganda hingegen ist eine Schöpfung des US-amerikanischen Kapitalismus des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Der Werbepionier Edward Bernays, Neffe von Siegmund Freud, entwickelte in einer Kombination aus Gustave Le Bons »Psychologie der Massen« und der Psychoanalyse seines Onkels Methoden, mit denen sich große Menschenmengen über die Medien zu Konsumenten machen ließen. Er hatte Erfolg. Bernays’ Propaganda machte das männlich konnotierte Rauchen zum phallischen Machtsymbol und legte es dadurch einer ganzen Generation Frauen nahe. Sie brachte Bacon als Teil eines gesunden nahrhaften Frühstücks auf den Tisch. Bernays‘ gleichnamiges Buch »Propaganda« war so ein Erfolg, dass Adolf Hitler und Joseph Goebbels sich davon inspirieren ließen. Sie wollten damit die Zustimmung der deutschen Bevölkerung für ihr faschistisches Regime sichern. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Bernay unter Druck. Um sich von der Assoziation mit den Nazis zu distanzieren, benannte er sein Erfolgsrezept – mittels Propaganda – in Public Relations um.
Wenn wir heute also den Begriff Propaganda hören, dann verbinden wir ihn zumeist mit Politik, meistens sogar sehr direkt mit Diktaturen. Public Relations hingegen begegnen uns an jeder Bushaltestelle, auf Twitter und bei Pressekonferenzen in so banaler Form wie Werbung oder Community Management. Zwei Bedeutungen, eine Herkunft. Die beeinflussenden Mechanismen beider unterscheiden sich dennoch nicht wesentlich, weder was die Sprachwissenschaft hinter den Aussagen, noch die Psychologie angeht. Die Gemeinsamkeiten beginnen bereits beim Übertragungsmedium: Propaganda und Public Relations wirken immer vor allem über die Massenmedien ihrer Zeit.
Massenmedien als Instrumente der Beeinflussung
All these media provide open doors to the public mind. Any one of us through these media may influence the attitudes and actions of our fellow citizens.
Edward Bernays in »The Language of Consent«
Die Zeitung. Das Radio. Das Fernsehen. Jeder Durchbruch in der Massenverteilung von Informationen, vom Buchdruck bis zum heutigen Internet, wälzte auch die politische Kommunikation um. Sie veränderten, was von Menschen als modern und verlockend wahrgenommen wurde – und diese Veränderungen griffen wiederum Werbetreibende und Informationsministerien auf. Im Nationalsozialismus wurde etwa schnell erkannt, dass sich über das Radio jubelnde Massen simulieren ließen, wo keine waren – und das wurde für Propagandazwecke eingesetzt.
Kommen wir nun zu »Wolfenstein«, und damit zurück zu den digitalen Nationalsozialisten. Die vom schwedischen Entwickler MachineGames unter dem US-amerikanischen Publisher ZeniMax mit »The New Order« neugestartete »Wolfenstein«-Reihe zeichnete sich im Vergleich zu seinen direkten Vorgängern und zahlreichen anderen Shooter-Franchises durch ihre komplex gebaute Welt und Hintergrundgeschichte aus. Die Levels waren nicht nur Kulisse für Schießbuden, sondern belebte Räume – mit ehemals bewohnten, detailliert gestalteten Wohnungen, Ladenfronten und voller Werbung. Die Designer und Künstler von MachineGames denken sich für jedes neue Spiel fiktive Produkte aus, für die auch Werbekampagnen ihren Weg ins Spiel finden.
Werbung kann Produkte verkaufen – oder Hass
Aus »The New Orders« sehr plakativer nazideutscher Knackwurst mit Sauerkraut im Glas wurde im Laufe der Spiele eine immer komplexer aufgebaute Pseudo-Historie eines Nazi-Kapitalismus gebaut, der in »Wolfenstein: Youngblood« seinen bisherigen Höhepunkt findet. Denn »Youngblood« spielt in einer fiktiven Parallelversion der 1980er und führt dabei eine Version unserer Nachkriegszeit vor, die einer grundsätzlichen Frage entsprang: Wie würde unsere Welt aussehen, wenn sich der Kapitalismus nicht ausgehend von den USA, sondern vom siegreichen Deutschen Reich entwickelt hätte? Da schon diese Prämisse des Spiels davon ausgeht, dass sich der Kapitalismus als Wirtschaftsform gleich entwickelt haben würde, lässt sich die Frage schnell beantworten: Die zahlreichen Werbeplakate für Mikrowellen, Taschenrechner und Disketten unterscheiden sich in ihrer Optik und Wirkung kaum von realen Werbeversuchen der echten Nachkriegszeit.
Spannender wird es, wenn wir uns die Übertragungsleistung der Werbung auf propagandistische Zwecke ansehen, die MachineGames gelungen ist. Denn angelehnt an die Adaption des realen Nazideutschlands von Bernays’ Werbepropaganda auf eine Propaganda zur Legitimierung eines faschistischen Regimes bedient sich auch MachineGames’ Drittes Reich an den Werbestrategien des Spätkapitalismus, um seine Gesellschaftsform zu legitimieren. Plakate, die zum Beitritt in die Armee oder die Gestapo animieren sollen, sind visuell ähnlich gebaut wie jene, die den Kauf eines tragbaren Radios empfehlen. ›Coole‹ Slogans wirken vor ebenso ›coolen‹ Hintergründen von Soldaten im Einsatz, die in alternativ oder gefährlich codierten Farbkombinationen deutlich ins Auge stechen. Die brandneue Technologie der VHS-Kassette wird gewinnbringend über fiktive Spielfilme wie ›Kader Kumpels‹ propagandistisch eingesetzt. Die beeinflussende Botschaft dieser Kriegsfilme liegt in ihrer Geschichte und den Figuren versteckt, statt offen ausgesprochen zu werden. Damit wird nicht nur die nationalsozialistische Praxis von echten Propaganda-Filmen wie »Jud Süß« oder »Die Feuerzangenbowle« weitergeführt, sondern auch die wiederholte Propagierung bestimmter Gesellschaftsbilder oder Gender-Klischees aufgegriffen, die Kritiker dem Hollywood-Kino seit Jahrzehnten vorwerfen.
Propaganda durch das Medium Videospiel
»Wolfenstein: Youngblood« hört jedoch nicht bei der VHS-Kassette auf, ins Schwarze zu treffen, sondern führt eine weitere Innovation der 80er Jahre ins »Wolfenstein«-Universum ein: Videospiele. Eingedeutschte Arcade-Automaten sollen möglichst spaßbringend Fleischwaren verkaufen (›Wurstwurm‹ spielt sich vermutlich ähnlich wie »Pac-Man« oder »Snake«), aber auch das kolossale Umbauprojekt von Paris hin zu Neu-Berlin legitimieren (auf dem Cover von ›Blockturm‹, der Naziversion von »Tetris«, wird der Eiffelturm durch bunte Blöcke neu gebaut).
Mit Kultur- und Unterhaltungsprodukten für Militarismus zu werben, ist nichts ausschließlich Nationalsozialistisches, ganz sicher nichts Deutsches. Wissenschaftler machen seit Jahrzehnten auf die Vernetzung von Militär und Unterhaltungsindustrie in den USA aufmerksam, auch bekannt als »The Military-Entertainment Complex«. Dieser erstreckt sich von den militärverherrlichenden Kriegs-Epen Hollywoods bis zu den boomenden Militärshootern der Spielebranche, oftmals ist das US-Militär direkt an den Produktionen beteiligt.
Während Propagandaspiele wie »Americas Army« offiziell der Rekrutierung dienen, reproduzieren Franchises wie »Call of Duty«, »Ghost Recon«, »The Division« und »Battlefield« die Propaganda des neokonservativen »Krieges gegen den Terror«, besonders der Bush-Ära. Das US-Militär und seine Geschichte fragwürdiger Kriege werden einerseits verherrlicht und oftmals gut dokumentierte Kriegsverbrechen andererseits bagatellisiert und umgeschrieben. Im 2019er Reboot von »Modern Warfare« werden beispielsweise von der USA im Golfkrieg begangene Kriegsverbrechen ins fiktive Urkistan übertragen, dabei jedoch Russland zugeschrieben.
Die Verzahnung des Militärs mit der Industrie ist tief. Ein Entwickler von »Call of Duty« wechselte vor Jahren als Berater zum US-Militär. Activision Blizzard, der Publisher der beliebten Shooter-Reihe, unterhält ein Jobvermittlungsprogramm für Veteranen. Es gibt eigene »Call of Duty«-eSports-Ligen für das Militär. Anspielevents und Festivals werden zur Rekrutierung junger Menschen für den Dienst an der Waffe benutzt.
Mit Videospielen wird also auch in unserer Zeit für Kriege und ihre Legitimation geworben. Eine gewisse Ironie lässt sich jedoch nicht abstreiten, wenn man einen Blick auf die Werbestrategien einer gewissen deutschen staatlichen Militärorganisation wirft: der Bundeswehr.
Bundeswehr-PR als gamescom-Attraktion
Auf der gamescom 2018 geriet die Bundeswehr in starke Kritik, da sie auf Plakaten die Ästhetik von Videospielen und deren Rezensionsformaten nutzte, um Werbung für die Arbeit im Heer zu machen: »Multiplayer at its best« und »Mehr Open World geht nicht« titelten die Werbebanner, und zeigten Soldaten im weltweiten Einsatz. Schon zuvor war die Bundeswehr jahrelang Daueraussteller auf der gamescom gewesen, wo sie mit Panzern und Soldaten in voller Einsatzmontur für die Rekrutierung warb. Trotz heftiger Kritik war die Bundeswehr auch 2019 wieder auf der gamescom vertreten.
Videospieler scheinen eine wertvolle Zielgruppe für das deutsche Militär zu sein. Die Presseabteilung der Bundeswehr argumentierte, die Plakate sollten den Gegensatz »Frieden stiften statt Krieg spielen« in den Köpfen der Rezipienten aufwerfen. Das setzt allerdings eine ganze Reihe an Vorannahmen voraus, die wohl kaum in der Gesamtheit der möglichen Rezipienten alle aufeinandertreffen: Zum einen die Annahme, ein Heer, das diverse Auslandseinsätze führt, deren friedensstiftende Wirkung bereits seit Jahren weltweit kritisch diskutiert wird, würde mit der Friedensstiftung assoziiert. Zum anderen das Vorurteil, Videospiele zu spielen würde sich stets auf das digitale Ausführen von Gewalt und Krieg reduzieren lassen, und dass die digitale Darstellung von Gewalt in irgendeiner Weise mit echten kriegerischen Handlungen vergleichbar wäre.
Die Bundeswehr hat es hier auf eine ganz spezifische Gruppe an Menschen abgesehen: Als eines von nur noch wenigen Ländern weltweit akzeptiert Deutschland offiziell Menschen unter 18 Jahren im Wehrdienst. Über 1500 Minderjährige traten allein 2019 den Dienst an der Waffe an, wie eine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung offenlegte. Und Minderjährige finden sich auf der gamescom zuhauf. Zwar wirbt die Bundeswehr an ihrem Stand dort explizit um Fachkräfte, und sie sucht dabei vor allem IT-Personal, welches die Verantwortlichen dem Klischee entsprechend ebenfalls besonders stark in Videospieler-Kreisen vertreten sehen. Der ›Kollateralschaden‹, dass Kindern und Jugendlichen durch den Messeauftritt die vermeintliche Coolness von Panzern und Uniformen nahegelegt wird, dürfte jedoch keinesfalls Zufall oder gar unerwünscht sein.
Es wäre absolut vermessen, die Bundeswehr mit der Wehrmacht oder auch nur der fiktiven Wehrmacht von »Wolfenstein« zu vergleichen. Dass ihre Werbemethoden, auf Edward Bernays’ Prinzipien der Propaganda basierend, die gleichen Mechaniken nutzen, und sich dabei sogar in der Plakatwerbung ganz ähnliche Bildsprache finden lässt, sollte uns jedoch zu denken geben. Kapitalistische Verkaufswerbung kann und soll Menschen ohne entsprechend gefestigte Medienbildung dazu verleiten, Dinge zu kaufen. Genauso wirkt auch Heereswerbung auf Menschen, deren Erkennungs- und Abwehrmechanismen gegen propagandistische Beeinflussung (noch) nicht gut gefestigt sind. Solche Menschen gilt es aufzuklären, damit sie sich ein informiertes Urteil bilden können. »Wolfenstein: Youngblood« hält unserer kapitalistischen Gesellschaft durch seine Werbung und Propaganda einen Spiegel vor. Sie bezieht sich zwar eindeutig auf den fiktiven Nationalsozialismus, demaskiert jedoch die Realität. Wir lachen über die plumpen »Tritt der Armee bei«-Poster, weil wir sie für ein Relikt vergangener Zeiten und für ineffektiv halten. Doch das sind sie nicht. Wir müssen pausenlos Medienbildung betreiben für diejenigen, die nach uns mit solchen Manipulationsversuchen konfrontiert sind.