Warum rote Fässer explodieren müssen
Was würdet ihr am liebsten mit diesem formschönen Fass tun?
Ist doch klar: darauf schießen und es zum Explodieren bringen. Ähnlich wird es euch mit Kisten, Holzfässern und Wassermelonen ergehen: Der Drang, sie zu zerschlagen oder zu zertreten wird meist mit dem lohnenden Inhalt oder einer schönen Animation belohnt.
Wenn man darüber einmal aus verhaltenspsychologischer Sicht nachdenkt, fühlt man sich schnell ziemlich dressiert. Entwickler*innen malen ihre Benzinfässer bewusst rot an, weil sie wissen, dass die Spieler*innen dann sofort Bescheid über ihre destruktive Funktion wissen. Und nicht nur das. Welche*r Spieler*in erwartet denn nicht sogar, dass ein rotes Fass beim Draufschießen in die Luft geht? Passiert das dann nicht, so fühlen wir uns oft hereingelegt; manchmal, wenn der sonst rettende Schuss in in eine solche portable Bombe den Gegner unerwartet nicht wegsprengt, werden wir sogar regelrecht sauer und verfluchen dieses unfaire Spiel.
Dressur ist nicht einmal das falsche Wort; wir sind natürlich darauf konditioniert worden, bestimmte Dinge vom roten Fass zu erwarten. Rote Fässer dürfen nicht Hintergrund sein, keine Deko und schonmal erst recht keine Deckung, hinter der man sich sicher vor feindlichen Schüssen verstecken kann. Sie dürfen nicht einfach da sein, nicht nur vorhanden sein. Das widerspricht einfach unserer Gewohnheit, sie als zuhanden wahrzunehmen: Nicht um ihrer eigenen Existenz willen existent, sondern um uns, dem Spieler, bestimmte Möglichkeiten zu bieten.
Diese und ähnliche Überlegungen lassen sich übrigens bereits beim Soziologen George Herbert Mead finden, den Begriff der Zuhandenheit prägte jedoch der nationalsozialistische Philosoph Martin Heidegger, wenn auch lieber am Beispiel eines Hammers als am roten Fass. Aber hey, bei einem aufhebbaren Hammer in einem Videospiel würden wir auch sofort vermuten, er ließe sich als Waffe einsetzen, richtig? Ob der Hammer hämmert oder das Fass fasst, ist also eine philosophische Frage. Ob es in einem Videospiel überhaupt irgendetwas gibt, dass lediglich vorhanden und nicht zuhanden ist, ist übrigens eine weitere. Schließlich hat selbst den Boden unter den Füßen der Spielfigur jemand dort hingesetzt, damit sie nicht ins unprogrammierte Nichts stürzt, nicht wahr?
Mir kam beim lesen des Artikels der Gedanke auf, ob es dieses Phänomen nicht auch in anderen Bereichen von Videospielen gibt und da fielen mir sofort diverse Kletterpassagen ein. Wie zum Beispiel bei Uncharted oder Prince of Persia. In Uncharted sind Haltegriffe oder Griffkanten optisch hervorgehoben um mir zu signalisieren, dass ich mich dort guten Gewissens festhalten kann. Außer natürlich es ist ein Griff der die Unart besitzt sich zu lösen. Bei Prince of Persia The Sands of Time zeigen mir Kamerafahrten wo lang der Weg des Prinzen führt. So werde ich darauf Konditioniert nach solchen Merkmalen Ausschau zu halten. Beiden gemein hat die Sache ihre ulkige Eigenart, dass die Ruinen gerade soweit zerstört sind, dass sie perfekt zum Klettern geeignet sind.
Da hast du natürlich recht! In dem Fall ist dann eben nicht nur eindeutig der Kletterstein zuhanden, sondern deutlich sichtbar auch die gesamte Architektur darum herum. Man kann ja, wie ich bereits im Artikel angedeutet habe, ohnehin argumentieren, dass auch die gesamte Spielwelt pauschal nicht einfach nur vorhanden ist – bei solchen Ruinen lässt es sich aber eben auch optisch sehr schön nachvollziehen. Erst recht wenn man besonders markante Formen von Tempelanlagen vor sich sieht – Stufenpyramiden o.ä. – bei denen man einfach nicht umhin kommt zu denken, dass genau dieses Setting ausschließlich für die Kletterfreude der Spieler ausgewählt wurde. Schönes Beispiel finde ich da das Kollosseum in Assassin’s Creed: Brotherhood, dessen Einbindung in die Zukunts-Geschichte gegen Ende des Spiels so wirklich gar keinen weiteren Sinn hat, als den Spieler noch einmal durch die Torbögen springen zu lassen.
Nicht, dass das pauschal was schlechtes wäre. Spielwelten dürfen ja sehr gerne darauf ausgerichtet sein, maximalen Spielspaß zuzulassen. 3D-Plattformer wie Jak & Daxter und Super Mario Odyssey sind ja in ihrer ganzen Essenz nichts anderes. Da sticht es durch das fiktionale Setting nur einfach nicht so hervor wie bei tibetischen Tempelruinen.
Sehr spannendes Thema, mir persönlich ist so etwas in der Richtung der “Dressur”, von der du schreibst, bei mir selbst zuletzt vor allem beim Looten aufgefallen, als ich aus purer Gewohnheit sowohl in Dragon Age: Inquisition als auch in Assassin’s Creed: Origins ein Grab gelootet habe und beide Male das Spiel auf narrativer Ebene mich “bestraft” hat. (In Origins entschuldigt sich Bayek eben bei seinen Göttern, in DA:I sind die Elfen, deren Gräber das waren, dann sauer auf den Inquisitor.) Ich habe beide Male gar nicht darüber nachgedacht, sondern war/bin einfach darauf konditioniert, dass ich hier einen Button drücken kann, hinter dem mir die Entwickler ingame-Gegenstände hinterlegt haben, ohne überhaupt an die narrative Ebene in diesem Moment zu denken.
Solche Arten der Strafe finde ich ja dann wieder ganz super. Mit Konditionierung spielen ist ohnehin in der derzeitigen Spielelandschaft einer der effektivsten Wege, wirklich erinnerungswürdige Momente zu schaffen. Entweder um die Involvierung zu erhöhen, wie in deinen Beispielen, weil vorher strikt mechanisches plötzlich narrative Einflüsse hat, oder um sie zu brechen, wie ich es zum ersten Mal in der BioShock-Reihe gesehen habe und was beispielsweise auch in Nier: Automata zelebriert wird.
Vor allem schön finde ich deine Beispiele, weil Gräber eigentlich so eine Steilvorlage für eine ganz andere Art von Strafe sind. Wenn ich in einem Fantasy-Spiel ein Grab plündere, ist mir vollkommen bewusst, dass da genauso gut ein Untoter rauskommen kann – ich kann also statt mit Items belohnt mit Kämpfen bestraft werden. Dass es sich dagegen narrativ auswirkt, ist eine wirklich coole Überraschung.