Wie werden digitale Spiele aus dem Japanischen übersetzt?
Dieser Beitrag ist ein Kapitel meines frisch erschienenen Buches “Faia, Fira, Feuga: Kulturübergreifende Benennungsverfahren von Kunstworten in digitalen Spielen – Am Beispiel von Final Fantasy und Shin Megami Tensei“. Wenn ihr das gesamte Buch lesen möchtet, könnt ihr es direkt beim Verlag Werner Hülsbusch, auf Amazon oder auf Booklooker bestellen, oder ihr fragt die ISBN in der Buchhandlung eures Vertrauens an.
ISBN-13: 978-3864881602
Auszug aus dem Vorwort
Dieses Buch lebt außerdem, wie jede andere Forschung auch, von der Vorarbeit zahlreicher Forscherinnen und Forscher, insbesondere aber auch von der Leistung noch viel zahlreicherer Videospiel-Journalistinnen und -Journalisten und Online-Community-Mitglieder, die ihre Lieblingsspiele mitviel Hingabe katalogisieren. Genauso, wie sich diese Arbeit in die Ränge derLokalisationslinguistik einreiht und als Bindeglied zur sprachwissenschaftlichen Videospielforschung dient, versteht sie sich auch als Verbindungsstück zwischen journalistischen und fangemeinschaftlichen Anstrengungenzur Erschließung und Interpretation von Videospielen und der Forschung. Ohne Wiki-Seiten, Komplettlösungen, Video-Spieldurchgängen und Screenshot-Galerien wären wir Forscherinnen und Forscher ein gutes Stück hilfloser. Diesen Fakt sollten wir uns gelegentlich ins Gedächtnis rufen.
Übersetzer-Intentionen des Englischen in Shin Megami Tensei und Final Fantasy
Obwohl sich die japanische Videospielindustrie im Allgemeinen verschlossen zeigt, wenn es darum geht, Interna der Entwicklung im Westen zu veröffentlichen, beweist die Sparte der Übersetzer in japanischen Entwicklerstudios ein deutlich aufgeschlosseneres Verhalten gegenüber der US-amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit. Es ist kaum möglich, die Motivation der Autoren und Entwickler, die die Pseudolexeme im Japanischen erfunden und ausgewählt haben, nachzuvollziehen. Von verschiedenen Übersetzern aus den Lokalisationsteams der beiden Reihen lassen sich jedoch Interviews und Studien finden, die sich mit der Intention der Übersetzungen befassen. Daher sollen diese hier näher beleuchtet werden; der Autoren-Intention hingegen soll sich im Verlauf der Arbeit anhand der gefundenen Daten über Rückschlüsse angenähert werden.
In ihrer Fallstudie zu Square Enix befragten O’Hagan und Mangiron (2013: 179 ff.) den ehemals dort angestellten Übersetzer Alexander O. Smith, der hauptsächlich für Übersetzungen der Final Fantasy-Serie vom Japanischen ins Englische zuständig war. Des Weiteren hatten sie Zugriff auf eine Präsentation des ehemaligen ,Localisation Directors‘ von Square Enix, Richard Honeywood, zur allgemeinen Lokalisationskultur des Unternehmens. Als einschneidendes Ereignis für die Lokalisationsanstrengungen Square Enix’ wird die internationale Veröffentlichung von Final Fantasy VII 1997 bezeichnet. Die englische Version erlangte berüchtigten Ruf unter Spie-lern, da sie „voller grammatikalischer Fehler und seltsamer Satzstellungen und Phrasen war“ (Fenlon 2011; zit. nach O’Hagan/Mangiron 2013: 180, Übers. P. W.). Obwohl Final Fantasy VII nicht das erste Final Fantasy mit fehlerhafter Übersetzung war, hinterließ seine Rezeption aufgrund seines großen internationalen Erfolgs als erstes dreidimensionales Final Fantasy und erstes Final Fantasy auf der 1994 veröffentlichten, ausgesprochen erfolgreichen PlayStation einen bleibenden Eindruck bei Square Enix. Mit der nachfolgenden Entwicklung von Final Fantasy VIII entstanden die Lokalisationen für den internationalen Markt nun während des Entwicklungprozesses direkt im Unternehmen (vgl. O’Hagan/Mangiron a. a. O.). Interessant ist hier die Korrelation mit der Entstehung der Pseudolexeme: Final Fantasy VIII (1999) ist der erste Teil der Final Fantasy-Hauptreihe, der das in dieser Arbeit besprochene Suffix-System für seine Zaubernamen nutzt. Vorherige Titel markierten ihre Zauber mit Nummerierungen: Eis1, Eis2, Eis3. Erst in späteren Veröffentlichungen der früheren Titel auf neuen Plattformen wurde das heute standardisierte Suffix-System rückwirkend eingefügt. Diese Neuausrichtung der Benennung korreliert mit einer deutlichen Steigerung des nutzbaren Speicherplatzes. Final Fantasy VII war das erste originäre Final Fantasy der ersten PlayStation und damit das erste Final Fantasy, das extra zur Auslieferung auf optischen Disks ausgelegt war statt auf die bei den bis dahin belieferten Nintendo-Konsolen NES und SNES genutzten Modulen. Sowohl Final Fantasy VII als auch VIII wurden auf jeweils vier CDs ausgeliefert. Das durch die Beliebtheit von Final Fantasy VII aufgeworfene Problem der Notwendigkeit einer verbesserten Lokalisation konnte nun also auf der Basis reichlich vorhandenen Speicherplatzes gelöst und mit einer sehr viel freieren Auslebung der Künstler-Intention verknüpft werden.
Die durch die Inhouse-Lokalisation ermöglichte Kontrolle über den Übersetzungsprozess ermöglichte Square Enix, mit konsistenten Richtlinien zu arbeiten und den Übersetzern deren Erfüllung mit technischen Mitteln zu ermöglichen. Consalvo (2006: 120, Kursivierung i. Orig.) stellt in ihrer Untersuchung des Unternehmens fest: “[Their products] designed for global consumption are carefully localized, to ensure that their international flavour is not too foreign for non-Japanese tastes.” Besonderes Augenmerk fällt hierbei auf Namen von Figuren und Orten sowie die Fähigkeitsnamen, also die hier betrachteten Pseudolexeme. Nach Honeywood (vgl. O’Hagan/Mangiron 2013: 182) ist die Erstellung eines Glossars der Fantasiewörter mit ausführli-cher Beschreibung des beschriebenen Konzepts integraler Bestandteil der Vorbereitung dieser Übersetzungen. Dieses Glossar hat den zusätzlichen Vorteil, dass es spielübergreifende Konsistenz innerhalb der Serie ermöglicht, indem auf ältere Glossare auch später jederzeit zurückgegriffen werden kann. Honeywood bezeichnet diese wiederkehrenden Begriffe, zu denen sich auch die betrachteten Pseudolexeme zählen lassen, als „legacy properties“ (ebd.).
Auch die Shin Megami Tensei-Reihe wird von Atlus inhouse lokalisiert. Im Interview mit Gamasutra (2009) sprechen die bei Atlus USA angestellten Übersetzer und Localisation Editors Yu Namba, Nich Maragos und Scott Strichart über eine Neuübersetzung von Shin Megami Tensei: Persona für die PSP. Die ursprüngliche internationale Version des Spiels litt unter ähnlichen grammatikalischen Fehlern wie die von Final Fantasy VII (Berühmtheit in SMT-Internetforen erlangte etwa der Satz „Mark danced crazy.“). Ferner wurde das ursprüngliche Shin Megami Tensei: Persona auch inhaltlich stark für den nordamerikanischen Markt angepasst: Aus dem japanischen Setting wurde durch die Umbenennung beinahe aller Orte und Figuren ein US-amerikanisches gemacht. So wurde aus der Hauptfigur Takahisa Kandori im japanischen Original der US-Amerikaner Guido Sardenia. Die Neuübersetzung sollte nun, laut Namba, Maragos und Strichart, das im japanischen Original produzierte Spielgefühl für den internationalen Markt wiederherstellen. Hierfür wurde das Setting in Japan beibehalten, ebenso wie die Namen der Figuren. Einen signifikanten Grund dafür, wie wichtig die Verortung in der japanischen Kultur für das Verständnis der Shin Megami Tensei-Spiele ist, liefert Maragos. Er stellt fest, dass die Thematik der Spiele einen wichtigen Teil des Verständnisses der Geschichte und der Spielmechaniken ausmacht, und hält das Setting für integral, um die Thematik von Persona zu vermitteln: “[T]o better flag up the Hindu motif running through a lot of the story” (ebd.). In einem Interview mit Spencer Yip (2014) über das 1992 in Japan erschienene, jedoch 2014 zum ersten Mal offiziell ins Englische übersetzte Shin Megami Tensei I sprechen Nich Maragos und Übersetzer Mai Namba über die „legacy properties“ ihrer Arbeit. So werden Begrifflichkeiten, die bei der Übersetzung von Shin Megami Tensei: Persona 3 und Shin Megami Tensei IV eingeführt wurden, die aber Events aus Shin Megami Tensei I beschreiben, nicht nur in neueren Teilen wie Persona 4 und 5 genutzt, sondern auch bei der Übersetzung von Shin Megami Tensei I eingesetzt. Somit wird eine Kontinuität evoziert, die englischsprachigen Spielenden ohne das Vorwissen um die nicht-chronologische Übersetzung der Spiele das Gefühl gibt, eine chronologische, zusammenhängende Version der gesamten Reihe zu erleben.
In den Aussagen lassen sich also gewisse Tendenzen in den Übersetzungen aus dem Japanischen ins Englische beider Reihen feststellen. Die englischen Versionen der Final Fantasy-Spiele sollen „nicht zu fremd“ auf westliche Zielgruppen wirken, die der Shin Megami Tensei hingegen sollen gezielt das japanischen Flair beibehalten und die mythologischen Themen der Spiele betonen.
Lokalisation und kulturelle Lokalisation
Zunächst muss der Prozess der Lokalisation näher definiert werden. Umgangssprachlich wird darunter meist das Übersetzen von Text aus einer Sprache in eine andere verstanden, oft von einem wahrgenommenen Kulturkreis in einen anderen. Im Zuge dessen werden solche Konzepte aus der „Quellen[sprache]“ angepasst, die in der „Zielsprache“ (Walter 1986: 54) unverständlich erscheinen mögen, und durch verständliche ersetzt. Diese Laiendefinition ist nicht grundsätzlich falsch, jedoch bei weitem nicht vollständig. Carlson und Corliss (2010: 64) definieren Lokalisation folgendermaßen:
[Video games] are ‘localized’ or altered for their international distribution. They are translated, and they are adapted for national regulatory boards, and regional software requirements. Images, animations, and overall design aesthetics, game mechanics and interface, narrative and even button mapping might be modified to accommodate the perceived differences between regional markets.
Zunächst muss also darauf hingewiesen werden, dass Lokalisation nicht nur die Übersetzung von Texten betrifft, sondern auch technische, künstlerische oder spielmechanische Änderungen umfasst, die sich auf die Gegebenheiten des Zielmarktes einstellen. Gerade bei digitalen Spielen, aber beispielsweise auch bei Filmen, sind diese Ebenen eng verzahnt und meist untrennbar mit der Übersetzung von Texten und Dialogen verbunden. Die Entscheidung etwa, bestimmte Button-Funktionen eines japanischen Spiels bei der Übertragung in den nordamerikanischen Markt auf andere Tasten zu verlegen, weil Spielende aus den USA das Gamepad anders halten und die Symbole auf den Tasten anders assoziieren als japanische Spielende, ist eine Lokalisationsentscheidung, die sich ebenfalls auf die Übersetzung auswirkt, indem Texte entsprechend auf die neuen Tastennamen hin geändert werden müssen (vgl. Wagner 2019: 18). Auch ob Spiele überhaupt vollumfänglich oder nur teilweise übersetzt oder lediglich mit angepasster Verpackung und Begleitmaterial wie Handbüchern ausgeliefert werden, wird in der Lokalisation je nach Zielmarkt entschieden.
Eine wichtige Entscheidung jedes einzelnen Lokalisationsschrittes ist die zwischen Domestication und Foreignisation.[1] Hui Teo und Tjahjadi (2018: 45) fassen die beiden von Venuti (2008: 5 f., 14–16) definierten Konzepte folgendermaßen zusammen:
[T]he domestication approach involves rendering the cultural specific elements in the source culture to equivalent elements in the target culture […]. [T]he cultural elements in the source culture are mapped to the elements of the target culture, which the players in the source culture are more familiar with.
The foreignization approach, on the other hand, would retain the culture-specific elements in the source culture, when translating the text for a target culture. Using this approach, the atmosphere and flavor of the source culture are recreated in the target culture by the translator, thus preserving the foreign characteristics of the game in the localized version.
Die Entscheidung zwischen Domestication und Foreignisation ist also eine Abwägung, ob man Angehörige der Zielkultur Konzepten, Traditionen und Begriffen der Quellenkultur aussetzt, um die Stimmung und Atmosphäre der Originalversion einzufangen (auch wenn diese eventuell durch Erklärungen und in Paratexten wie etwa Handbüchern vermitteltem Zusatzwissen unterstützt werden muss), oder ob man die möglicherweise Verwirrung stiftenden Verweise auf die den Spielenden unbekannte Quellenkultur ersetzt, indem man verwandte Konzepte, Traditionen und Begriffe der Zielkultur auf die entsprechenden Vorkommen ‚mapped‘. Dieses Mapping lässt sich vergleichen mit der gängigen linguistischen Theorie zum Aufbau konzeptueller Metaphern, nach der Eigenschaften einer Quellendomäne (etwa ‚Geld‘) auf die von der Metapher erfasste Zieldomäne (etwa ‚Zeit‘) übertragen werden, um die abstrakte Zieldomäne mit den Konzepten der konkreten Quelldomäne zu beschreiben (etwa ‚Zeit ist Geld‘: „Zeit verschwenden“, „spend time“, etc.). Unabhängig von der Wahl der Methode ist dieser Lokalisationsprozess Teil einer „Kulturalisierung“ eines Spiels, also der Adaption für und Aufnahme in einen Kulturkreis mit bestimmten Konventionen und Vorausset-zungen (vgl. O’Hagan/Mangiron 2013: 211). Es erscheint daher sinnvoll, generell von „kultureller Lokalisation“ zu sprechen, wie von einigen Loka-lisations-Linguisten und -Linguistinnen vorgeschlagen wird, um den besonderen Fokus auf die kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Ziel-marktes hervorzuheben (vgl. ebd.: 210).[2] In der Analyse der Korpus-Daten dieser Arbeit werden beide Methoden, Domestication und Foreignisation, festgestellt und untersucht.
Zuletzt muss an dieser Stelle eine wichtige Erweiterung der Definition von Domestication und Foreignisation durchgeführt werden. Die Übersetzungslinguistik geht dabei grundsätzlich, ihrer Expertise nach, von Prozessen der Übersetzung aus: Prozessen, in denen die Übersetzer einen vorgegebenen Begriff bearbeiten und im Übersetzungsbegriff die Wahl der Übertragung haben. Dieser Prozess lässt sich jedoch bereits auf die Konstruktion eines Fantasiewortes in der Ursprungssprache des Werkes anwenden. Hier ist lediglich das irgendwie in ein Wort zu fassende Konzept vorgegeben, das durch ein Pseudolexem ausgedrückt werden soll – also seine semantische Motivation – und den Benennenden steht die Benamung in gleicher Weise frei wie den Übersetzenden später die Übertragung. Insofern lässt sich also bereits auf der Motivationsebene der Pseudolexeme in der Ursprungssprache – hier im Japanischen – nach Foreignisation und Domestication unterscheiden.
Problematisierung des Markt-Begriffs
Carlson und Corliss (2010: 65) setzen den Lokalisationsprozess zudem bereits bei der Entscheidung an, in welchen Markt ein Produkt lokalisiert werden soll: „A game developer might decide not to invest in a Japanese localization, if market research predicts low enough sales in Japan, and this is a localization decision.” Lokalisation ist insofern ein kapitalistischer Begriff, wie auch der beständige Verweis der Übertragung von einem Markt in den anderen im Gegensatz zu von einem Land, Staat oder einer Nation in ein anderes, einen anderen oder eine andere andeutet. Eine Problematisierung des Begriffs des Marktes ist somit unumgänglich, will diese Arbeit sensibel mit den behandelten Kulturen umgehen. Im Zuge dieser Arbeit ist der Begriff des Marktes bereits gefallen und wird wiederholt fallen, weil und wie er bei der Besprechung von Lokalisierungen gebräuchlich ist. Es ist also von der Übertragung eines Spiels bspw. in den internationalen beziehungsweise deutschen Markt die Rede. Gemeint ist damit die Anpassung des Spiels gemäß den zuvor definierten Regeln der Lokalisation an eine entsprechende Sprache (Englisch respektive Deutsch) und Kultur (anglo-amerikanisch respektive des deutschen Sprachraums).
Wie sich bereits aus dieser Erläuterung feststellen lässt (etwa in der Gleichsetzung des ‚internationalen Marktes‘ mit einer ‚anglo-amerikanischen‘ Kultur), ist diese Auffassung des Marktes ausgesprochen problembehaftet. Zum einen werden die kulturellen Unterschiede verschiedener Märkte als „eindeutig und einfach durch die Grenzen von Nationen trennbar“ (Carlson/Corliss 2011: 65, Übers. P. W.) wahrgenommen, andererseits werden ganze Sprachräume staatenübergreifend als gemeinsamer Markt verstanden, wie etwa der lateinamerikanische, in dem nicht für jedes spanischsprachige Land separat übersetzt und lokalisiert wird. Sprachliche und sozio-kulturelle Nuancen beispielsweise des Kolumbianischen gegenüber dem Chilenischen gehen so in dieser Marktsicht vollkommen aus einer Lokalisation verloren (vgl. Hui Teo/Tjahjadi 2018: 46). Selbiges lässt sich für den sprachlich anglo-amerikanisch definierten internationalen Markt kritisieren, unter den nicht nur alle englischsprachigen Kulturen unabhängig ihrer Dialekte und kulturhistorischen Vergangenheit eingeordnet werden, sondern dem auch – dem Status des Englischen als Lingua Franca des Internets[3] entsprechend – alle Möglichkeiten der digitalen Distribution weltweit zugeordnet werden können. Je nach Lokalisationsentscheidung erhält also der gesamte, internationale Markt‘ eine lokalisierte Spielversion, die sich besonders stark an eine als dominant (kulturell oder hinsichtlich der Kaufkraft) wahrgenommene Kultur richtet, oft etwa eine US-amerikanische oder britisch-englische. Gleichzeitig ist auch diese keinesfalls homogen, wenn sie auch von außen gerne so wahrgenommen wird. Der ‚deutsche Markt‘ etwa deckt sich keines falls (nur) mit Deutschland, sondern vielmehr mit dem deutschsprachigen Raum, bestehend aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und Teilen der Schweiz (Deutsch-/Ostschweiz), Italiens (Südtirol), zu kleineren Teilen und nicht-exklusiv auch Belgiens und Luxemburgs, Frankreichs (Elsass und Lothringen) sowie Dänemarks (Nordschleswig).[4] Eine kulturelle Lokalisierung in solch einen Markt orientiert sich also immer an einer wahrgenommenen „Leitkultur“ innerhalb dessen und vernachlässigt so gezwungenermaßen tatsächliche kulturelle Diversität in dem vom Markt umfassten Gebiet.
Bei der Lokalisation in den internationalen Markt stellt sich also die Frage, ob diese ‚kulturell‘ sein kann. Dies ist insbesondere bei japanischen Spielen von Belang. Beispiele, in denen Spiele japanischer Entwickler und Publisher neben einer internationalen, englischen Version mehrere weitere lokalisierte, meist auf große europäische Vertriebsgebiete ausgelegte Versionen erhielten, gehören immer öfter der Vergangenheit an oder finden nur noch bei besonders renommierten Spiele-Serien statt. Die Spiele des Publishers Square Enix (wie Dragon Quest [1986–heute] oder die in der Arbeit behandelte Final Fantasy-Reihe) erhalten etwa auch heute noch deutsche Lokalisationen, in denen zwar nicht die Synchronspur ausgetauscht, jedoch zumindest die Dialogtexte und Menüs übersetzt werden.[5] Aktuelle Spiele von japanischen Unternehmen, die oft nicht mehr auf physischen Datenträgern, sondern digital im Internet vertrieben werden, verfügen dagegen oft nur noch über englische Sprachversionen und keine weitere Lokalisierung in anderssprachige Märkte. Prominente Beispiele hierfür sind alle Spiele des Publishers SEGA, wie die Yakuza-Reihe (2005–heute) oder die SMT-Spiele, derzeit aktuell Shin Megami Tensei: Persona 5 (Atlus 2016). Eine solche englischsprachige Allgemeinversion für alle Märkte außerhalb des japanischen[6] kann also nicht flächendeckend eine erfolgreich kulturelle Lokalisierung darstellen. Sie benötigt zwingend eine dominante „Leitkultur“, an deren Konventionen und Herausforderungen sie sich orientiert. Fernández Costales (2016: 186) identifiziert als diese wahrgenommene „global culture“ „the U.S. culture, which is supported by the world’s lingua franca, the economic and technological hegemony, and the dissemination tool provided by Hollywood’s film industry”. Zur Filmindustrie als Verteilungswerkzeug gesellt sich in der Sphäre der digitalen Spiele die US-amerikanische Videospielindustrie, die die Filmindustrie sowohl national als auch global als Marktführer überholt hat. 2018 gaben US-Amerikaner allein 35,8 Milliarden US-Dollar für Spielesoftware aus (vgl. phys.org 2019), im Vergleich zu 11,8 Milliarden US-Dollar für Kinotickets (vgl. Wilkonson 2019).
Dieser Beitrag ist ein Kapitel meines frisch erschienenen Buches “Faia, Fira, Feuga: Kulturübergreifende Benennungsverfahren von Kunstworten in digitalen Spielen – Am Beispiel von Final Fantasy und Shin Megami Tensei“. Wenn ihr das gesamte Buch lesen möchtet, könnt ihr es direkt beim Verlag Werner Hülsbusch, auf Amazon oder auf Booklooker bestellen, oder ihr fragt die ISBN in der Buchhandlung eures Vertrauens an.
ISBN-13: 978-3864881602
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Bibliographie dieses Ausschnitts:
Carlson, Rebecca; Corliss, Jonathan (2010): Imagined Commodities: Video Game Localization and Mythologies of Cultural Difference. In: Games and Culture, Volume 6, Issue 1.
Consalvo, Mia (2006): Console Video Games and Global Corporations: Creating a Hybrid Culture. In: New Media & Society 8 (1), S. 117–137.
Fernández Costales, Alberto (2016): Analyzing Players’ Perceptions on the Translation of Video Games. In: Esser, Andrea; Bernal-Merino, Miguel; Smith, Ian Robert (Hrsg.): Media Across Borders. New York: Routledge, S. 183–201.
Gamasutra (2009): Interview: Atlus Talks Translating Shin Megami Tensei: Persona for PSP. Gamasutra.com. <https://www.gamasutra.com/view/news/115731/Interview_Atlus_Talks_Translating_Shin_Megami_Tensei_Persona_for_PSP.php>
GamesWirtschaft (2018): Hakenkreuze in Games: USK-Altersfreigabe ab sofort möglich. Gameswirtschaft.de. <https://www.gameswirtschaft.de/politik/hakenkreuze-in-games-sozialadaequanz-usk-oljb/>
Hui Teo, Kah; Tjahjadi, Joelle (2018): Culturalization, game localization and China. In: MultiLingual Aug./Sept. 2018, S. 44–49.
Kuhr, Hanna (o. J.): Secret of Mana: Die deutsche Version. Askendia.de. <https://askendia.de/spiel/som/>
Lommel, Arle (2018): Aiming high in Japan for successful localization. In: MultiLingual Aug./Sept. 2018, S. 28–31.
O’Hagan, Minako; Mangiron, Carmen (2013): Game Localization. Amsterdam: John Benjamins.
Phys.org (2019): US video game industry scored $ 43.4 bn record sales in 2018. <https://phys.org/news/2019-01-video-game-industry-scored-bn.html>
Venuti, Lawrence (2008): The Translator’s Invisibility: A History of Translation. 2nd Ed., London: Routledge.
Wilkonson, Alissa (2019): Hollywood’s record-busting 2018, explained. Vox.com. <https://www.vox.com/culture/2019/1/3/18165250/2018-box-office-top-movies-hollywood-netflix-black-panther>
Wagner, Pascal (2019): Die Motivation des Gamepad-Layouts: Eine diachrone bildlinguistische Betrachtung der Knopfbelegung und -benennung. In: Paidia.de. <http://www.paidia.de/motivation-des-gamepad-layouts/>
Walter, Hilmar (1986): Probleme vergleichender Darstellung der Systeme zweier Sprachen am Beispiel einer deutsch-bulgarischen vergleichenden Grammatik. In: Zeitschrift für Slawistik 31 (1), S. 53–62.
Yip, Spencer (2014): Atlus USA On What It Was Like To Localize The First Shin Megami Tensei. Siliconera.com. <https://www.siliconera.com/2014/03/21/atlususa-like-localize-first-shin-megami-tensei/>
Fußnoten:
[1] dt. Verheimatung und Verfremdung; hier sollen die englischen und deutschen Fachbegriffe synonym genutzt werden
[2] In Teilen der Lokalisationslinguistik wird zudem diskutiert, den Begriff der Kulturali-sierung ersetzend für den der kulturellen Lokalisation zu nutzen, anstatt als Dachbegriff der Adaption (vgl. etwa Chandler/Deming 2012: 20 f.). Dem entgegen steht im Zuge dieser Arbeit, dass sich auf die linguistischen und örtlichen Faktoren konzentriert wer-den soll, und weniger auf technische Aspekte oder den Austausch von Grafiken und Audiodateien. Obschon betont werden soll, dass der Autor die Diskussion für sinnvoll hält, legt er sich für den Verlauf dieser Arbeit auf die Begrifflichkeit der kulturellen Lokalisation fest.
[3] Englisch stellt gemeinsam mit vereinfachtem Chinesisch die am meisten genutzte Sprache des katalogisierbaren Internets dar, dicht gefolgt von Japanisch (vgl. Lommel 2018: 29).
[4] Gelegentlich werden für Teile dieses Raumes unterschiedliche Lokalisierungen ange-fertigt. So mussten etwa bis zur sogenannten Sozialadäquanz-Entscheidung der Un-terhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) 2018, verfassungsfeindliche Symbole im Kunstwerk digitales Spiel nicht mehr pauschal zu zensieren, alle Hakenkreuze aus der deutschen, nicht jedoch aus der österreichisch-schweizerisch-liechtensteinischen Ver-sion von Spielen wie Wolfenstein: The New Order (MachineGames 2015) entfernt werden (vgl. GamesWirtschaft 2018).
[5] Berühmte Beispiele deutscher Lokalisationen von Square Enix stammen insbesondere aus der experimentierfreudigen Zeit der 1990er, wie das Zitat „Hey schnell, die LINDENSTRASSE fängt gleich an!“ aus Secret of Mana (Squaresoft [heute Square Enix] 1993). In der internationalen Version des Spiels und späteren deutschen Über-setzungen möchten sich die hier sprechenden Goblins eine Fußballübertragung an-sehen (vgl. Kuhr o. J.).
[6] Teilweise abgesehen von der Volksrepublik China, deren Zensurbehörden einerseits und besonders hohe Kaufkraft andererseits separate Versionen in vereinfachtem Chinesisch erfordern bzw. rechtfertigen.
2 Antworten
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