Wo Geschichten herkommen – Die Säulen der Erde
Eine Geschichte um einen jungen Architekten, der umzieht und dabei einen heimatlosen Jungen und dessen Mutter aufnimmt, zusätzlich zu seinem eigenen, grausamen Sohn. Ein neues Leben in einer neuen Stadt, ein vernichtender Brand, einer der Söhne selbst der Brandstifter. Missbrauch, Massenmord, Krieg. Dann ist da noch die Kirche, denn nur Gott mag über sie richten. Was in Kinomaßstäben erst einmal recht unspektakulär klingt, ist der Plot eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten. Ken Folletts Die Säulen der Erde geht immer noch täglich über den Ladentisch. In den letzten Jahren ist das Interesse gestiegen. Was man dem, hier zugegebenermaßen stark gerafften, Plot nicht entnehmen kann: es Spielt im 12. Jahrhundert in England – Hochmittelalter. Die meisten schalten wohl spätestens in dem Moment ab wenn sie die Anzahl der Seiten des ersten Bandes hören: 1295. Doch dann entschied sich das deutsche Entwicklerstudio Daedalic kurzerhand dafür, diese Geschichte in ein Videospiel zu packen. Das mag zuerst ein wenig verrückt klingen, funktioniert aber fantastisch. Verantwortlich dafür sind das nicht nur das Team, sondern auch die Geschichte und die Zeit, über die sich diese entfaltet.
Videospiele erlauben Zeitreisen
Das Mittelalter ist in! Drachen, Missbrauch, Blut, viele Tote, Eisgiganten. Den Seitenhieb gegen George R.R. Martins erfolgreiches pseudo-mittelalterliches Epos mal beiseite geschoben: Das Mittelalter ist zugänglicher denn je. In Videospielen ist es ohnehin ein etabliertes Setting. Sei es in Kingdom Come: Deliverance, Age of Empires 2, Stronghold, ja, sogar Teile Assassin’s Creeds spielen im Mittelalter. Denn Videospiele erlauben Zeitreisen. Doch die meisten dieser Darstellungen beschränken sich aufs noble Rittertum und heroische Minnesänger. Was passiert jedoch, wenn man auch die widerwärtigen Seiten des Mittelalters zeigt? Wenn man Abstand von Rittern und Königinnen nimmt und sich die Materie von einer anderen Seite ansieht?
Ken Follett schuf mit seinem Buch eine Welt, die umfangreicher kaum sein könnte. Sie lebt von Folletts geschriebener Sprache. Und so tut es auch das Spiel, denn das haben sich Daedalic einfach zu Nutzen gemacht und Die Säulen der Erde kurzerhand zum Spiel gemacht. Erfreulicherweise bedient sich dieses an den bekannten Stärken des Buches. Die Wucht der Worte, Folletts Begabung für Beschreibungen, das Talent, Stimmung und Spannung mit einfachsten Mitteln aufzubauen. Folletts Stärke liegt im Ausdruck, in den starken Adjektiven, dem sparsamen Nominalstil. Die Stärke des Spiels wiederum liegt in der Visualisierung derer.
Jedes Point & Click lebt von gutem Story Writing. Während andere Spielegenres fehlenden Inhalt, Tiefe und Schreibtalent durch Gameplay und Mechaniken wettmachen können, sind die Adventures auf eine gutes Writing als Basis angewiesen. Es liegt also nicht so fern, sich an einem der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten zu bedienen. Die Anzahl der Charaktere ist groß, jedoch absolut nötig. Die Chance eben diese Anzahl im Spiel zu visualisieren erschafft neue Möglichkeiten. Mehr sogar noch als in Filmen. Denn sich die schiere Menge an Personen merken zu müssen, ohne die Möglichkeit, ein Glossar aufzuschlagen, wie es Daedalics Die Säulen der Erde ermöglicht, kann entschieden überfordern. Ja, auch Game of Thrones ist eine Herausforderung und zeigt durch die Reduktion innerhalb der Serie im Vergleich zur Buchreihe, dass es möglich sein kann, wenn Opfer gebracht werden. Die Möglichkeiten nach Hinweisen oder Twists zu suchen, die vielleicht durch Foreshadowing schon mal erwähnt worden sein könnten, sind auch im Medium Videospiel groß. Viel Zeit, viele Möglichkeiten, viel Liebe fürs Detail. So lässt das Spiel von Daedalic keinerlei Charaktere unerwähnt. Fast jeder Charakter wird genannt, und sollten welche übergangen worden sein, ich könnte sie nicht nennen.
Fehlende Konzentration als Verkaufsargument
Liest du noch? Setzt du dich hin und liest Bücher? Tauchst in Welten ein, gibst dich starkem Schreibstil und mächtigen Wortkonstrukten hin? Seit ich exzessiver Videospiele spiele, lese ich weniger. Meine Konzentration rinnt mir durch die Finger wie Wasser. Die Säulen der Erde schlägt eine Brücke für uns. Für die, deren Konzentration nachlässt, die, deren Kopf dauerhaft neue Nahrung benötigt. Es fühlt sich an wie ein erste Schritt, um zurück zum Spaß an Büchern zu kommen. Denn das Spiel lässt sich Zeit. Trägheit ist ein Parasit, dem etliche Geschichten zum Opfer fallen. So lernen wir auch in Die Säulen der Erde, sowohl im Buch, als auch im Spiel, dass wir, bevor wir in einer Stadt neu starten dürfen, erst mal dorthin kommen müssen. Das heißt auf der Reise dorthin hungern, leiden, frieren, ja sogar Verluste in Kauf nehmen. Denn wir sind immer noch im Mittelalter. Menschen sterben. Manchmal an den scheinbar unspektakulärsten Sachen. Manch einem heilt der Glaube die Wunden, andere bleiben reglos im Dreck liegen. Tiere fressen die Kadaver. Die ausgedehnte Darstellung dieser makaberen Brutalität zwingt die Geschichte dazu, zu entschleunigen. Und irgendwann merken wir, dass nicht die Narration von der Entschleunigung betroffen ist, sondern wir. An den starken visuellen Eindrücken, die Folletts Worte in jeder Sequenz stolz wiederspiegeln, merken wir, dass Geschichten nicht in 5 Stunden mit viel Action, Cut-Scenes und Druck erzählt werden können. Reale Geschichten brauchen Zeit: Jahre, Jahrzehnte. Kinder wachsen auf, übernehmen selbst das Erzählen ihrer eigenen Geschichte. Geliebte sterben, Macht wird weitergereicht. Manche Jahrzehnte sind blutrot getränkt von den Verstorbenen des Krieges. Ganz plötzlich geht es im Spiel eine Szene weiter, Blutflecken werden weggewischt und wir sitzen an einer Mühle. Mit der Frau die wir lieben. Der Moment ist still. Wir führen einfach nur ein Gespräch. Wir müssen keinen Kaugummi vom Boden kratzen, um ein Centstück herauszulutschen, um damit ein Bett zum Vibrieren zu bringen, wir brauchen keinen Topf, um mit einer Kanone verschossen zu werden. Wir können nur reden. Oder schweigen. Wir entscheiden.
Ohne sich überhaupt darauf zu konzentrieren bringt uns Die Säulen der Erde bei, was Worte mächtig macht. Sei es über zitierte Bibelverse oder die Entscheidung, manche Teile der Geschichte eben nicht zu spielen, sondern erzählt zu bekommen, sowie durch die Möglichkeit, vielleicht auch einfach einmal nichts zu sagen. Denn zu schweigen, wie beim Genuss der Sonnenstrahlen am kühlen Morgen im Kloster in Die Säulen der Erde, ist in diesen schnellen Zeiten etwas, das wir fast schon vergessen haben zu beherrschen.
»To someone standing in the nave, looking down the length of the church toward the east, the round window would seem like a huge sun exploding into innumerable shards of gorgeous color.«
Die Säulen der Erde erinnert uns daran, wo Geschichten herkommen. Aus Worten, aus Gedanken. Daran, dass Bücher immer der Kern sind, der Ausgangspunkt, aus dem andere Formen der Erzählung wachsen. Seien es Drehbücher, die Bibel oder der Ursprung dieses Spiels. Und wenig ist ehrlicher, realer und authentischer als ungesagte Worte. Außer vielleicht die Worte, die uns dazu bringen zu hinterfragen, zu entschleunigen, uns mitreißen und die Gedanken an andere Welten in uns sprießen lassen wie Blumen.
Über die Autorin:
Carolin Aufermann, 23, spielt zu viele Spiele und macht zu viel Sport. Irgendwo dazwischen wird auch fürs Journalismus-Studium gelernt. Über Spiele schreiben ist ihre Verbindung zu Gleichgesinnten und eine tolle Möglichkeit aller Liebe, Aufregung, allen Erfahrungen und Erlebnissen eine angemessene Plattform zu bieten. Twitter
Behandeltes Spiel
Die Säulen der Erde. 2017. Entwickler/Publisher: Daedalic Entertainment. Plattform: PC/Mac/Linux/PS4/Xbox One.