Wie Gaming-Slang das WWE-Universum regiert
Das Prowrestling-Imperium WWE (“World Wrestling Entertainment”) und die Welt der Videospiele sind sich nicht fremd. Seit 1989, damals noch unter dem Gründungsnamen World Wrestling Foundation (kurz WWF, ratet, warum der Name geändert wurde) suchen diverse Wrestling-Games so ziemlich jede Konsole heim, die bisher je erschienen ist. Der Klischee-Gag stimmt bis heute, denn die jährlich erscheinenden WWE-2K-Titel von Publisher Take-Two kommen auch 2024 noch für die vorherige Konsolengeneration aus PS4 und Xbox One heraus.
In den letzten paar Jahren ist die Verzahnung von Games und Wrestlingshow jedoch um einiges enger geworden, als sie all die langen Jahre zuvor je war. Bei so gut wie jedem der fast monatlich aufgeführten Wrestling-Großevents, die man früher als “Pay per View” bezeichnete, bevor der hauseigene WWE-Network-Channel ein Abomodell einführte, wird die jeweils aktuelle Version der WWE-2K-Reihe mindestens erwähnt, meist beworben und hin und wieder sogar für zusätzliche Werbung genutzt. Beim kürzlich stattgefundenen Größt-Event WrestleMania XL (das XL steht, ihr wusstet es natürlich, für die Zahl 40) etwa wurde WWE 2K24 während Wiederholungen in Matches eingeblendet und bekam einen Werbespot.
2023 nutzte WWE die damalige Iteration – wenig überraschend WWE 2K23 genannt – sogar für Glücksspielwerbung, denn eines der Partnerunternehmen des Konglomerats ist seit 2021 der Gamblingriese Draft Kings. So spielte dann in einem Werbespot der Wrestler Xavier Woods Titelmatches, die im Event später folgen sollten, im Spiel nach, um augenzwinkernd die Wettquoten zu ermitteln. Woods ist übrigens Host eines eigenen Gaming-YouTube-Channels namens UpUpDownDown, der regelmäßig mit der WWE kooperiert (und auch im Spiel WWE 2K23 selbst aufgegriffen und angepriesen wurde). Sein Tag Team The New Day, das aktuell älteste ununterbrochen existierende Team, nutzt außerdem Pixeloptik in seiner Präsentation, die stark an 16- und 32bit-Sidescroller erinnert. Wie anfangs erwähnt – die Verzahnung von Games und WWE-Universum ist eng.
Beim Wrestlingschauen über die letzten beiden Jahre fiel mir jedoch auf, wie stark gerade aktuell eine von Gaming beeinflusste Sprache gerade in die wichtigsten und größten Werbeerfolge der WWE eingeflossen sind. Ich spreche von zwei der bekanntesten und größten Wrestler der aktuellen und früherer Generationen. Von Roman Reigns, dem wohl bekanntesten und erfolgreichsten Wrestlingstar dieser Generation, und Dwayne “The Rock” Johnson, den wohl jeder kennt, wenn nicht aus seiner mittlerweile 31-jährigen Wrestlingkarriere, dann als Schauspieler.
Kurzer Abriss: Roman Reigns hält zwei der Heavyweight-Titel in der WWE schon so lange, dass man sie kurzerhand zusammengelegt hat und er seit mehreren Jahren als “Undisputed Universal Champion” Kampf um Kampf gewinnt. Längst schon hat er sein eigenes Stable (eine Crew aus Wrestler*innen, die unter gemeinsamen Namen und gemeinsamen Design auftreten). In Reigns’ Fall ist das die Bloodline, deren Ästhetik stark auf der samoanischen Herkunft der Mitglieder aufbaut. Und Teil dieser Bloodline ist seit seinem Comeback dieses Jahr auch The Rock. Die beiden verbindet also neben ihrer Familiengeschichte (ihre beiden Großväter waren nicht nur jeweils Wrestler und haben zusammengearbeitet, sondern waren auch tatsächlich gut befreundet) ein aktueller Story-Arc.
An dieser Stelle der Hinweis, der offensichtlich sein sollte: Prowrestling ist kein kompetitiver Sport, sondern Schauspiel. Die Wrestler sind vielmehr Schauspieler und Stuntmen als Athleten. Nicht, weil sie keine sportliche Höchstleistung erbringen würden (denn das tun sie), sondern weil die Kampfausgänge und Storylines von einem Writer’s Room vorgegeben sind. Wer also aktuell ganz oben ist, wer mit wem kämpft und wessen Verbündeter ist und wer wie inszeniert wird, entscheiden weder die Wrestler noch ihr Können, sondern das Unternehmen (in dessen Board of Directors übrigens ein gewisser Dwayne “The Rock” Johnson sitzt).
Vielleicht hängt es also zusammen, vielleicht ist es aber auch Zufall, dass ausgerechnet Roman Reigns und The Rock aktuell und seit einiger Zeit unter stark an Videospiele angelehnten Ästhetiken auftreten.
God Mode
Seit 2022 wird Roman Reigns, auch da schon Undisputed Universal Champion, immer wieder mit dem Zusatz “God Mode” in Verbindung gebracht. “Roman Reigns is operating in God Mode” sprach etwa einer der Kommentatoren in der Rückschau auf Reigns’ Bloodline-interne Fehden. Reigns trug 2022 sogar und trägt immer noch gelegentlich ein Shirt mit dem Aufdruck “God Mode”, wobei das “God” in diesem Fall als Akronym dargestellt wird: Greatness On a Different Level soll es heißen. Da “God Mode” aber ein Begriff aus dem Videospielwesen ist, dürfte es sich bei dem Aufdruck eher um ein sogenanntes Backronym handeln, also ein Akronym, bei dem erst einmal die Abkürzung feststand und man sich dann eine Bedeutung ausdachte. Als God Mode bezeichnet man in Games einen oft für Developer-Arbeit eingebauten Spielmodus, bei dem die Spielfigur unverwundbar ist, keine Tragebeschränkung mehr hat und ähnliches. Hiermit testen Entwickler*innen ihre Levels. In vielen Spielen, gerade älteren wie Doom oder The Elder Scrolls III: Morrowind, ließ sich dieser Modus von Spieler*innen durch Cheats aktivieren. Die Message bei Roman Reigns ist klar: Reigns, der zum Zeitpunkt des Shirts und auch lange danach schon seit Monaten keinen Kampf verloren hatte, sei unbesiegbar, so stark, als hätte man eine Spielfigur mit Cheats geboostet. Eigentlich ganz clever, bedenkt man, dass Reigns vor allem durch die Eingriffe seiner Crew in seine Matches, also streng genommen durch Cheating, so lange unbesiegt geblieben war.
Levels Above
Noch klarer wird der Gaming-Bezug eigentlich bei einem Spruch, den Roman Reigns seit Anfang 2024 auf der Brust trägt, denn er erklärte ihn im Februar 2024 sogar selbst in einem Video. “Levels Above”, deklariert ein T-Shirt des damaligen Champions bei diversen Auftritten vor und hinter der Bühne. In einem (sehr offensichtlich geskripteten) Social-Media-Video spricht Reigns über die Bedeutung, die er dem zuschreibt. Zitat:
“You think I just wear this for no reason? I told you I’m very honest with you people. I’m not lying. I’m not making up stories. This ain’t ‘creative.’ We run it. I’ve been saying that. Who’s got the juice around here? Who’s got the stroke? A vice grip on this Game’s throat. Can’t nobody do anything about it now.”
‘This Game’ – “Dieses Spiel” also. Gemeint ist natürlich der innerhalb des WWE-Universums inszenierte Machtkampf, die Hierarchisierung der Wrestler*innen durch ihr Talent, nicht durch ihre Schauspielkunst. Als jemand, der die Spitze dieser fiktiven Machtpyramide seit mehr als drei Jahren hielt, konnte sich Roman Reigns mit fleissiger Beteiligung der PR-Abteilung als “levels above”, also Ebenen, oder eben auch (Spiele-)Level über seiner Konkurrenz inszenieren. Der Rückgriff auf den Begriff “game” für die Wechselwirkung aus Kämpfen, Fehden und Storylines innerhalb der WWE-Welt ist dabei in Kombination mit dem Shirt-Aufdruck sicher kein Zufall. Während seiner Championship-Zeit wurde Roman Reigns ganz bewusst als der Protagonist, die Spielerfigur innerhalb des WWE-Universums inszeniert. Er galt als der Strippenzieher diverser Matches seiner Konkurrenten, führte seine eigene “Party” an, verhandelte mit den (ebenfalls schauspielernden) Managern der Shows um Privilegien für sich und um Bedingungen für seine Feinde. Im Gegensatz zu Reigns sollten alle anderen nur NPCs sein – Support-Figuren zum Voranbringen seiner Geschichte. Klar, dass das nicht nur eine wunderbare Basis ist, um die Arroganz einer Kunstfigur wie Reigns zu demonstrieren, sondern auch der perfekte Setup für andere Videospiel-Vokabeln – und für das früher oder später einsetzende Ende von Reigns’ Höhenflug. Denn keine gute Geschichte kommt ohne Tiefen aus.
The Final Boss
Wenn nun also ein neuer Oberboss die Bühne betritt, dann sollte man meinen, er wurde dem Protagonisten entgegenstehen wie in jedem guten Videospiel. Doch hier erlauben sich die Writer der WWE-Show einen Kniff, der vielleicht auch damit zusammenhängt, dass jener “Boss” und der “Protagonist” eine familiäre Verbindung haben, die sich storytechnisch hervorragend ausschlachten lässt.
Im Vorfeld von WrestleMania XL sah das WWE-Universum die Rückkehr von “The Rock”. Dwayne Johnson, seit über einem Jahrzehnt eher Schauspieler als Wrestler, hatte zwar in den letzten Jahren sogar seinen Spitznamen “The Rock” nicht mehr in Hollywood genutzt, kam nun aber zurück in den Ring – nachdem er, wie erwähnt, im Hintergrund eigentlich nie weg war, denn Johnson ist einer der Executives der WWE-Führungsebene. Johnson kam als Teil von Reigns’ “Bloodline”-Stable zurück, da die samoanischen Großväter der beiden bereits enge Freunde waren und sich solche Familienbande in der Telenovela, die WWE nun einmal ist, hervorragend ausschlachten lassen.
Einschub: Keine Ahnung, was Prowestling und Soap Operas gemeinsam haben?
Dann schaut meinen Talk zu genau dem Thema vom Play Festival 2023 auf YouTube an.
Einschub Ende.
Zum großen Kampf zwischen Titelanwärter Cody Rhodes und Verteidiger Roman Reigns bei Wrestlemania Nummer 40 kam dann also “The Rock” zur Unterstützung Reigns auf die Bühne. Und das natürlich inszeniert, wie es dem größten Wrestlinevent des Jahres würdig ist. In einer sehr langsam startenden Sequenz füllte sich auf dem großen Bildschirm, unter dem die Wrestler*innen einlaufen (der sogenannte “Titantron”, falls ihr dieses nutzlose WWE-Wissen mal für ein Pub-Quiz gebrauchen könnt) ein Ladebalken, an deren Ende sich als “Version 10.0” von “The Rock” (vermutlich bezogen auf seine diversen Gimmicks im Laufe der nunmehr drei Jahrzehnte, die Johnson bereits wrestlet) Wayne “The Rock” Johnson als “Final Boss” vorstellen ließ.
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich oben ein wenig verkürzt habe, um schneller auf Roman Reigns und das eigentliche Thema des Artikels zu sprechen kommen zu können. Denn Roman Reigns als Zentrum des populären WWE-Universums ist durchaus nicht der einzige “Protagonist” im Story Arc rund um die Bloodline, und somit ergibt Johnsons Status als “Final Boss” gegenüber Reigns Hauptgegner durchaus Sinn. Cody Rhodes, Posterboy des US-Amerikanischen WASP, nur in nett, ist neben Reigns der wohl hochprofilierteste Wrestler der aktuellen WWE-Generation. Und sein Gimmick ist das des Protagonisten nicht nur seiner eigenen Geschichte, sondern der seiner Familie als Sohn des 2015 verstorbenen Altwrestlers Dusty Rhodes (Cody hat übrigens auch einen wrestlenden Bruder, der definitiv den schlechteren Schneider hat). Und da in einer ordentlichen Geschichte natürlich meist auch der Gute gewinnt – so auch hier, denn seit WrestleMania XL ist Cody Rhodes Champion und Roman Reigns abgetaucht – aber erst wenn der finale Struggle überwunden ist, braucht es eben genau das: Einen Endgegner.
Videospiele sind also well and truly in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Nicht nur im eigentlichen Sinne dieses furchtbar ausgeleierten Klischees, das auf keiner Bingokarte zum Deutschen Computerspielpreis fehlen darf, sondern auch, weil sich jede Woche 2,2 Millionen Viewer, und zu Großevents wie Wrestlemania noch einmal deutlich mehr, eine Sopa Opera mit eingeölten Muskelmännern zu Gemüte führen, die Videospieltropes crossmedial ausnutzt und möglichst pompös in Szene setzt.