Twin Peaks: Warum klingt die Black Lodge so seltsam?
Es ist eines der ersten Mysterien, dass neue Zuschauer an Twin Peaks‘ geheimnisvolle Geschichte bindet: Als FBI Special Agent Dale Cooper am Ende der zweiten Episode im Traum ein rot verhangenes Wartezimmer sieht, in dem ihm ein kleinwüchsiger Mann und die kürzlich tot aufgefundene Schülerin Laura Palmer begegnen, sprechen seine beiden Gegenüber auf seltsame Art und Weise. Auf Englisch, aber in einem Dialekt, der zwar verständlich ist, aber dennoch absolut fremd wirkt.
Fans der Serie haben sich darüber sicher längst informiert, war doch beispielsweise im DVD-Release von 2001 der ersten Staffel sogar ein Sprechtutorial enthalten: Die Schauspieler der Charakter im Red Room – respektive der Black Lodge – sprechen eigentlich rückwärts. Konkret funktioniert das so: Die Schauspieler sprechen ihre Sätze normal in einen Rekorder ein, die ihnen daraufhin rückwärts vorgespielt werden. Diese wirren Sätze lernen die Schauspieler erneut auswendig und sprechen sie ein. Für die Ausstrahlung werden schließlich diese rückwärts eingesprochenen Sätze erneut rückwärts abgespielt – sodass sie letztendlich wieder vorwärts gesprochen scheinen, jedoch mit den sprachlichen Seltsamheiten, die den Dialekt der Lodge ausmachen.
Das ist keine Erkenntnis, für die sich nach 25 Jahren ein Artikel lohnt. Vielmehr möchte ich euch mit phonetischen Methoden zeigen, was diese Art der Aufnahme tatsächlich an der Sprache verändert. Im Anschluss versteht ihr hoffentlich sehr gut, warum die Sprechweise der mysteriösen Black Lodge so fremd und doch so anziehend vertraut auf uns wirkt.
Ein kurzer Exkurs in phonetische Begrifflichkeiten
Hierfür hilft es, wenn ich euch eine kurze Einführung in die Phonetik gebe. Ihr müsst dafür kein Sprachwissenschaftler sein, die Prinzipien sind einfach verständlich. Wichtig ist nur, die Begriffe mit den richtigen Konzepten zu verbinden.
Die Phonetik beschäftigt sich mit der praktischen Anwendung von Sprachsystemen. Sie bezieht sich also immer nur auf eine konkrete Sprache: In diesem Fall also auf amerikanisches Englisch.
Ich werde einige Zeilen, die in Twin Peaks gesprochen werden, hier aufschreiben und anschließend in der Lautschrift IPA (Internationales Phonetisches Alphabet) transkribieren. Diese in Lautschrift aufgeschriebenen Töne nennt man in ihren Einzelteilen Phoneme: die kleinsten bedeutungsunterscheidenden, jedoch selbst keine Bedeutung tragenden Teile der Sprache. Ein Phonem wird zwischen // aufgeschrieben. Ein Beispiel: Die Worte “Agent Cooper” im amerikanischen Englisch werden in IPA /eɪdʒənt ku:pər/ geschrieben und bestehen aus den Phonemen /eɪ/ (einem Diphtong), /dʒ/, /ə/, /n/, /t/ sowie /k/, /u:/ (Doppelpunkte stehen für einen langen Vokal), /p/ und /ər/. Das Phonem /ə/, das sogenannte ‘Schwa’, wird hier noch öfter auftauchen und bedarf einer Erklärung. Es nimmt üblicherweise den Platz aller Vokale im Wort ein, die nicht ausdrücklich betont werden. Das trägt der sprachlichen Gewohnheit Rechnung, so wenig Betonungsaufwand wie möglich zu betreiben und findet in den meisten Fällen statt (Testet es doch einfach an euch selbst: Wenn ihr versucht, beiläufig “Hallo” zu sagen, ist dann das abschließende “o” genauso betont wie das “a” in der Mitte oder verklingt es geradezu?). Das sogenannte rhotische /r/ deutet einen /r/-Ton mit fließendem Übergang aus dem vorherigen Phonem heraus an und kommt nur in wenigen Umgebungen wie etwa dem /ər/ und nicht in allen Varianten des Englischen vor, im U.S.-Amerikanischen jedoch sehr wohl.
Die Phonetik des Red Rooms
Nehmen wir nun als Beispiel aus Twin Peaks die Worte Sheryl Lees alias Laura Palmers, die Agent Cooper in seinem Red Room-Traum hört und die zu Beginn der ersten Folge der dritten Staffel sogar wiederholt werden (im eingebetteten Video: 0:20 bis 0:47).
Hello Agent Cooper.
I’ll see you again in twentyfive years.
Meanwhile.
Eine normale phonetische Transkription dieser drei kurzen Zeilen sähe wie folgt aus.
/heləʊ eɪdʒənt ku:pər
aɪl si: jʊ əgeɪn ɪn twentɪfaɪv jɪərz
mɪnwaɪl/
Das variiert natürlich je nach Sprachvariation des Sprechers. Die hier unbetonten Schwas könnten etwa dialektbedingt genauso gut als betonte Vollvokale ausgesprochen werden. Es nützt uns hier jedoch sehr, diese Version als Standard festzulegen.
Um nun zu sehen, wie die rückwärts gesprochene Version sich anhören müsste, transkribieren wir jetzt die umgekehrte Buchstabenfolge. Die Reihenfolge der Zeilen behalte ich hier für einen besseren Überblick bei.
Rückwärts vorgegebene Worte:
repooc tnega ollehsraey evifytnewt ni niaga uoy ees ll’I
elihwnaem
Originaltranskription der rückwärts vorgegebenen Worte
/rəpu:k tnegə ɒlehsrəɪj fɪafɪtnewt nɪ nəaga ʊj ɪs lɪə
lɪəwnɪəɪm/
Spulen wir dies rückwärts ab, so müsste es also in etwa so aussehen:
Rückwärtstranskription der rückwärts vorgegebenen Worte:
/helɒ əgent ku:pərəɪl sɪ jʊ agaən ɪn twentɪfaɪf jɪərs
məɪnwəɪl/
Das sieht überraschend verständlich aus. Einige Besonderheiten fallen aber ins Auge: Vor allem stehen an vielen Stellen unbetonte Schwas, die normalerweise betont sein müssten, und Diphtonge, also Vokalphoneme aus zwei ineinander gleitenden Tönen, lassen sich rückwärts nicht gut produzieren, wenn dieser Rückwärts-Diphtong nicht gleichzeitig Teil des üblichen Sprachinventars ist.
Hier ist nun endlich die Transkription der im Video tatsächlich gesagten Worte. Vergleicht sie zunächst mit der vorherigen Transkription, die wir aus dem rückwärts geschriebenen Satz gemacht haben:
Transkription der von Laura Palmer gesprochenen Worte:
/helɔ: æʒɪent gʊpərhaɪl sɪjʊha:gen ən twentɪfa:f jɪərs
mhi:nwaɪl/
Welche Unterschiede fallen auf?
Atmung:
Zunächst einmal stechen die hochgestellten /h/ ins Auge. Diese stehen, simpel ausgedrückt, für Atemgeräusche. Im gewöhnlichen englischen Sprachgebrauch kommen sie vor allem als Variationen von Plosiven vor, jenen Konsonanten wie g, k, t, d, p, und b, die durch das schnelle Durchlassen der Luft an einer bestimmten Stelle des Mundes erzeugt werden. Dies kann mit oder ohne nachfolgenden Luftstrom erfolgen. So kann aus einem /p/ ein /ph/ werden, aus einem /t/ ein /th/ und so weiter. Im hier untersuchten Fall könnten diese Stellen tatsächlich Atemgeräusche darstellen, die durch das Umdrehen sehr verfremdet wirken, oder an diesen Stellen wurde so geschnitten, dass hier ein Phonem nur noch teilweise hörbar ist – genau lässt sich das so nicht feststellen.
Überbetonung:
Zum anderen fällt auf, dass Laura Palmer viel betontere Vokale zu nutzen scheint als in der Rückwärtsaufnahme, die wir selbst erstellt haben. Viele der dort benutzten Schwas sind in der Ausstrahlung Vollvokaltöne. Das lässt sich gut erklären, wenn man bedenkt, dass die Schauspieler wussten, was mit ihrer Aufnahme passiert: Betonteres Sprechen als im Normalfall hilft dabei, die Aufnahmen auch nach der Veränderung noch verständlich zu lassen. Sehr gut lässt sich das an Laura Palmers “Meanwhile” erkennen, dass mit einer leicht erkennbaren Trennung in der Mitte gesprochen wurde: /mhi:n|waɪl/
Diese stärkere Betonung kritischer Stellen ist sicher auf den Lernprozess der Schauspieler zurückzuführen: Dadurch, dass ihnen zuerst eine Rückwärtsaufnahme des ganz normal gesprochenen Texts vorgespielt wurde, konnten Sie ein Gefühl für die Melodie des Rückwärts-Kauderwelschs entwickeln.
Intonation:
Die melodische Struktur oder Intonation ist ein wichtiger Teil der Sprache, den wir meistens gar nicht bewusst wahrnehmen, wenn wir nicht direkt mit jemandem konfrontiert werden, der sie bricht – Zweitsprachenlerner oder generell Menschen mit starkem Akzent. Im Englischen etwa hat jedes Nicht-Füllwort im Satz einen stark betonten Vokal und nur in manchen Fällen noch einige weniger betonte. Da sich Füllworte und Nicht-Füllworte im Sprachgebrauch relativ regelmäßig abwechseln, entsteht auch zwischen den betonten Silben so ein vorhersehbarer Abstand, der zur Wiedererkennung von Sprachen in unserem Gehirn beiträgt. Diesen Rhythmus aktiv zu erlernen und zu manipulieren, kann Sprache verfremden – etwas, das auch in Twin Peaks wohl so stattgefunden hat. Auch das lässt sich an “meanwhile” gut zeigen. Ich markiere euch die Betonungen im nachfolgenden Beispiel mit einem Apostroph vor der betonten Silbe.
Normale Intonation:
/mɪn’waɪl/
Laura Palmers Intonation:
/’mhi:n|’waɪl/
Durch die Überbetonung der /mhi:n/-Silbe verändert Sheryl Lee also bewusst, wie wir das Wort wahrnehmen, und steuert so zusätzlich zur Fremdartigkeit der Sprechweise des Red Rooms bei.
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Nun habt ihr einen Überblick darüber bekommen, wie Twin Peaks sein erinnerungswürdiges Sprachmuster erzeugt. Solltet ihr diesen Text übrigens gelesen haben, ohne die Serie zu kennen, möchte ich euch das Nachholen wärmstens ans Herz legen – trotz des Alters würde ich Twin Peaks als eines meiner besten TV-Erlebnisse überhaupt beschreiben. Wie aktuell die Serie immer noch ist, zeigt ja nicht zuletzt die erst kürzlich erschienene dritte Staffel. Werft einen Blick hinein!
Ein super interessanter Artikel! Ist schon eine Weile her, dass ich Twin Peaks gesehen habe und ich kann mich an dieses Detail nur noch sehr flüchtig erinnern (und ich kannte auch die bereits bekannte Erklärung noch nicht). In Phonetik war ich leider nie gut und könnte so eine Transkription nie selbst hinkriegen. Aber folgen kann ich deinem Artikel allemal. Wenn ich etwas kritisieren sollte, dann den sehr langen Absatz gegen Ende – da wird’s etwas übersichtlich bzw. etwas viel auf einmal. Aber ansonsten hast du das wirklich super erklärt! 🙂
Vielen lieben Dank! Deiner Kritik habe ich mich gleich mal angenommen und den Absatz noch etwas unterstrukturiert.
Ich hoffe, der Artikel gefällt auch Leuten, die keine Vorkenntnisse in der Phonetik haben! Die Lautschrift ist sicher ein Brocken, aber ich habe versucht, die phonetischen Grundlagen möglichst einfach zu erklären… 🙂