Eine Renaissance für Textadventures?
Ein Beitrag zu den Interactive Fiction Days von Sascha Kretzschmar.
Virtuelle Welten sind inzwischen so realistisch wie noch nie zuvor in der Geschichte von Videospielen. Technologisch beeindruckende Videospiele übertrumpfen sich noch immer mit einer Regelmäßigkeit, wodurch eine fotorealistische Zukunft für Videospiele greifbar nah zu sein scheint. Allerdings ist ein solcher technologischer Fortschritt durch steigende Entwicklungskosten nicht für jedes Studio in greifbarer Nähe. Stilisierte Videospielwelten, die Realismus lediglich abstrahieren, erfreuen sich dadurch ebenso großer Beliebtheit und führen das Medium weiter in die Zukunft. Visualität ist demnach offensichtlich ein wichtiger Grundpfeiler für das Videospielmedium. Allerdings spielen wir Videospiele. Wir nehmen aktiv am Geschehen eines Spieles teil. Interaktion ist immerhin das, was ein Spiel von anderen Medien abhebt und Videospiele seit ihrer Erschaffung definiert.
Wie sich das äußert zeigt das Genre von Interactive Fiction besonders gut. Ein Mangel an komplexen Grafiken hielt den Boom von Firmen wie Intercom in den 70ern und 80ern nicht auf. Interaktion zwischen Spieler und Spiel standen im Vordergrund. So wurde Intercom zu einer der ersten amerikanischen Firmen, die sich pur auf Computerspiele konzentrierten. Interactive Fiction (wir kennen sie als Text Adventures) war ein essenzieller Teil der Videospielhistorie. Wo ist sie also hin und warum ist jetzt die beste Chance für ein Revival?
Was sind Text Adventures? Was ist Interactive Fiction?
Auf dem ersten Blick lässt sich die Ästhetik von Interactive Fiction-Games schnell erkennen. Große Textboxen füllen den Bildschirm und der Spieler muss durch manuelle Eingabe von Befehlen, zum Beispiel „Go North“ und „Open Door“, durch die Welt navigieren. Die Erzählperspektive in zweiter Person lässt uns anschließend das Ergebnis unserer Eingabe wissen. Durch logische Schlussfolgerungen und einer guten Portion Trial and Error entfaltet sich dann nach und nach die Geschichte des Spiels. Ein Vorteil ist die unendliche Flexibilität für Autoren und Programmierer bei gleichzeitig sehr geringen Kosten. Die Tiefe des geschriebenen Wortes ist unendlich und verleiht einem Videospiel eine Stimme ähnlich der eines klassischen literarischen Werkes. Doch obwohl das Spiel einem solchen nun ähnelt, ist es noch immer kein pures Buch. Wir spielen Videospiele. Wir interagieren mit der Spielwelt oder wie im Falle von Interactive Fiction mit dem Text-Parser. Obwohl moderne IF-Werke auch diverse Grafiken bieten können, definiert sich das Genre durch einen Fokus auf Text.
Die technologisch bedingte simple Ästhetik eines klassischen IF-Spieles erlaubte die Simulation von gigantischen imaginären Welten und der Erzählung von komplizierten Handlungssträngen. Sie war allerdings auch der Grund, aus dem das Genre nach kurzer Zeit wieder in einer Nische verschwand. Computer wurden schneller, Grafiken ausgefeilter und Spielwelten immer lebendiger ohne sich rein auf Text verlassen zu müssen. Es gab schlicht für viele keinen Grund mehr sich durch tausende Worte Text auf dem Computerbildschirm zu kämpfen, wenn dieselben Informationen nun auch grafisch dargestellt werden konnten. Die Kommunikation zwischen Mensch und Computer, die Interactive Fiction bereits in den frühen Jahren dargestellt hat, bleibt aber ein wichtiges Merkmal für die Zukunft.
Der Wandel von Interaktion
Wie wir mit Computern interagieren hat sich nämlich mit zunehmenden technologischen Fortschritt extrem geändert. Frühe Computer waren schon von Natur aus auf kommandozeilenähnliche Eingaben angewiesen. Als Benutzer in dieser Zeit mussten wir uns auf diese Art von Interaktion einlassen um den Computer zu bedienen. Ein Spiel zu spielen, das einer ähnlichen Form der Eingabe folgt, war also kein großer Schritt. Ganz im Gegenteil sogar, ein Text basiertes Spiel wertete die Interaktion mit einem Computer auf und präsentierte eine Neuheit, die interessant war. Damit soll nicht gesagt sein, dass moderne IF-Werke uninteressant sind. Sie passen nur nicht mehr zu der Art und Weise, wie wir Computer heute bedienen.
Niemand liest einen Roman mit tausenden von Wörtern auf seinem PC-Monitor. Wir lesen lieber auf Tablets, Netbooks oder eBook-Readern. Oder wir hören Audiobücher auf unseren Handys oder im Auto. Oft wird das Ende des Buches als Medium prophezeit und traditionelle Printmedien kämpfen damit, sich noch relevant zu halten. Wahrscheinlicher ist aber, dass diese Medien niemals sterben werden. Es ist schlicht so, dass sich die Art und Weise, wie wir mit Technik umgehen und wie wir längere Texte im Alltag konsumieren, geändert hat.
In den USA zum Beispiel schätzten Wissenschaftler der U.C. San Diego in 2009, dass der durchschnittliche Amerikaner 34 Gigabyte an Medien pro Tag konsumiert. Diese Menge erhöht sich nur noch mit der Entwicklung neuer Technologien. Ein klassisches Text Adventure in einem solchen Alltag unterzubringen ist unattraktiv. Fände man aber eine Möglichkeit die klassischen Abenteuer mit der modernen Technik zu vereinen, sähe ich durchaus eine Chance für eine Renaissance von Interactive Fiction.
Amazon veröffentlichte 2016 den Quellcode eines Tools, dass es Entwicklern erlaubt, Adventure-Spiele für Amazon Alexa zu programmieren. Ein sprachgesteuertes Text Adventure wie Runescape Quests könnte so zum Beispiel während einer Autofahrt gespielt werden. Eine solche Art von Videospiel ist noch völliges Neuland. Die Grenzen und Möglichkeiten sind ungetestet und könnten eine neue Plattform für Interactive Fiction bieten. Aber auch Amazons Kindle und andere eBook-Reader bieten Möglichkeiten auf Geräten, die ohnehin schon zum Lesen genutzt werden. Es gilt, die alte Ästhetik vergangener Text Adventures mit neuen Plattformen zu vereinen. Technischer Fortschritt beeinflusst aber natürlich nicht nur, wie die Spieler mit dem Genre umgehen. Auch das Genre selbst erhält Möglichkeiten zur Weiterentwicklung.
Künstliche Intelligenz als Autor und Charakter
Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology entwickelten in 2015 die Künstliche Intelligenz mit dem passenden Namen Scheherazade-IF. Diese KI war in der Lage ein Werk von IF zu erzeugen, das Menschen als schlüssig genug empfanden, um es nicht vom Werk eines menschlichen Autors unterscheiden zu können. Scheherazade-IF las dafür hunderte von Menschen geschriebene Geschichten und erkannte schnell, welche Merkmale interessant sind und wie sie selbst ein spannendes Text Adventure daraus produzieren konnte. Aus tausenden Fan Fictions konnte so völlig automatisiert ein theoretisch unendlich langes und stimmiges IF entstehen. Der Zeitaufwand, ein solches Spiel zu produzieren, wird also immer geringer.
Aber nicht nur auf der Produktionsseite spielt künstliche Intelligenz eine Rolle. Text-Parser werden auch immer intelligenter und bieten immer bessere Formen von Interaktion mit dem Spieler. Das 2016 erschienene Event [0] ist ein solches Beispiel. Auf dem ersten Blick ist das Spiel zwar nicht als eine Form von Text Adventure erkennbar, da Grafik und Perspektive eher an moderne Puzzle- oder Adventure-Spiele erinnert. Dennoch liegt der Fokus eindeutig auf der Interaktion mit Text, genauer gesagt mit einem Text-Parser, der als KI getarnt ist.
Das Spiel findet in einer verlassenen Raumstation statt. Es liegt nun beim Spieler herauszufinden, warum die Raumstation verlassen ist. Er muss sich dafür auf die KI der Station mit dem Namen Kaizen verlassen. Im Laufe des Spiels spricht der Spieler durch manuelle Eingabe von Text in Computerterminals mit Kaizen und baut nach und nach eine Beziehung auf. Abhängig von der Art und Weise der Interaktion verhält sich Kaizen auch anders. Welche Persönlichkeit die KI hat, hängt daher vom Spieler ab. Wie man in den Bildschirm hinein ruft, so kommt es auch wieder heraus.
Natürlich kann man als Spieler schnell an die Grenzen des Vokabulars von Kaizen stoßen und die Illusion einer echten künstlichen Intelligenz brechen. Dennoch zeigt Event[0] einen innovativen Umgang mit Text in einer modernen Medien- bzw. Videospielwelt.
Offen sein für Neues
Es ist einfach, Interactive Fiction als ein Relikt seiner Zeit abzuschreiben. Ihre Form war ein nötiges Mittel in einer Zeit, in der Grafik und Animation nur schwer möglich waren. Heute haben moderne Spielarten das Genre scheinbar ersetzt. Richtig ist dieser Gedankengang allerdings nicht. Denn was Interactive Fiction geleistet hat war zu zeigen, wie integral Interaktion zwischen Spieler und Spiel für das Medium ist. Die Möglichkeiten eine Geschichte zu erzählen und dem Spieler persönliche Erfahrungen zu liefern ist das, was das Medium Videospiel auch heute noch auszeichnet.
Es ist also absurd zu denken, dass das Genre der Interactive Fiction ein veraltetes Produkt sei, das an Relevanz verloren hat und gleichzeitig zu wissen, dass das menschliche Zusammenleben mit Computern und modernen Medien noch in den Kinderschuhen steckt. Spracherkennung, Künstliche Intelligenz, Soziale Medien, Smartphones, eBooks und Tablets sind Technologien, die unseren Medienkonsum grundsätzlich verändert haben. Eine Renaissance von Text Adventures, die Gebrauch von diesen neuen Plattformen machen, ist also alles andere als abwegig.
Über den Autor:
Die Gaming Eule ist der Blog eines Videospielenthusiasten, der sein Leben lang alle Formen von Videospiele erlebt hat. Hinter der Gaming Eule steckt Sascha Kretzschmar, der privat kreuz und quer durch alle Genres zockt. Für den Blog richtet er seinen Fokus auf interessante Entwicklungen in der Videospielindustrie, experimentelle Indie-Spiele oder einfach nur auf die Videospielkultur als Ganzes.
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Behandelte Spiele:
Event[0]. 2016. Entwickler/Publisher: Ocelot Society. Plattform: PC/Mac.
Zork: The Great Underground Empire. 1980. Entwickler/Publisher: Infocom. Plattform: PC/Mac/andere.
Weiterführende Literatur:
GET LAMP: The Text Adventure Documentary. GoogleTechTalks. Youtube.com. (https://www.youtube.com/watch?v=LRhbcDzbGSU)
Phelps, Andrew (November 8, 2011). Ethan Zuckerman wants you to eat your (news) vegetables – or at least have better information. Nieman Journalism Lab.
Toller Artikel, habe sehr ähnliche Gedanken zu Text bzw. gesprochenem Wort, was Videospiele betrifft. Zum einen wird es immer neue Technologien geben, auf denen man sich austoben kann, aber viel wichtiger ist, dass die menschliche Vorstellungskraft viel größeres Potential bietet als eine Verdoppelung der Polygone. Glaube, dass man über Worte einfach effektiver und kostengünstiger den Spieler erreichen kann.