Wie Magic: The Gathering die Zaubernamen von Final Fantasy perfekt integriert
Magic: The Gathering schnappt sich das Zaubernamensystem aus Final Fantasy und macht eine neue Mechanik daraus, die super zu den vorhandenen Farben des Kartenspiels passt.
Falls ihr Language at Play noch nicht so lange lest oder überhaupt nur durch die Erwähnung des größten Trading Card Games aller Zeiten, Magic: The Gathering alias MTG, auf diesen Artikel aufmerksam geworden seid, dann wisst ihr vielleicht noch nichts von meiner Obsession mit den Namen von Zaubern in Games. Vor allem, wenn diese Namen sich verändern und dadurch andere Effekte auslösen. Klingt komplizierter als ich es meine, ihr kennt es aus Final Fantasy und Shin Megami Tensei: Feuer macht kleinen Feuerschaden, Feura etwas mehr; Agi trifft einen Gegner, Maragi mehrere. Man nennt den Aufbau dieser Worte (also, aller Worte) Morphologie, und die angehängten Schnipsel vorne Präfix und hinten Suffix. Für mich ist das ein Herzensthema: Ende 2018 habe ich einen Artikel über diese Wortveränderungen geschrieben, der so beliebt war, dass ich ihn erst für ein Fachmagazin detaillierter ausgearbeitet und schließlich meine Masterarbeit und dann ein Buch über das Thema geschrieben habe.
Ich horche entsprechend auf, wenn mein Lieblingsthema plötzlich in ein anderes Medium übertragen wird. Umso mehr, wenn dieses Medium meine neueste Obsession ist: Im April 2024 hat mich ein Freund auf ein lokales Magic-Event zum Cowboy-Gimmick Outlaws of Thunder Junction mitgenommen, seitdem ich bin großer Fan von Magic: The Gathering. Nun veröffentlicht das Trading Card Game im Juni 2025 ein großes Final-Fantasy-Crossover-Set, das Final-Fantasy-Bekanntheiten wie Chocobos und Mogrys sowie Protagonist*innen wie Cloud und Terra als spielbare Karten einführt. Und Teil davon ist auch ein neues Keyword namens Tiered, das das Zaubersystem von Final Fantasy in eine Spielmechanik verwandelt.
Üblicherweise bringen neue Magic-Sets auch neue Mechaniken mit. Oft sind das kleine Variationen oder Interpretationen existierender Spielarten. Eine immer wiederkehrende Variation ist etwa das sogenannte Modal-System. Dabei bietet eine Karte mehrere Effekte, von denen manchmal nur einer ausgewählt werden darf, manchmal auch mehrere gegen zusätzliche Kosten. Besagtes Thunder-Junction-Set etwa führte die Mechanik Spree ein, bei der Spieler*innen alle Effekte einer Karte nutzen können, wenn sie mehrere separate Manakosten bezahlen.
Tiered nun ist die neueste Variante dieser Modalität. Und sie orientiert sich an der Namensgebung der Final-Fantasy-Zauber. Schaut euch als Beispiel die Karte Ice Magic an.

Ice Magic. Quelle: Wizards of the Coast.
Die Grundvariante, Blizzard, kann ohne zusätzliche Kosten genutzt werden, also nur für Grundmanakosten in der oberen rechten Ecke, einmal blaues Mana, einmal in beliebiger Farbe. Für zwei zusätzliche Mana können Spieler*innen Blizzara nutzen, oder für sechs zusätzliche Mana – fünf egal welcher Farbe und ein blaues – Blizzaga. Die Effekte schließen einander jedoch aus, was die Zeile Choose one additional cost verdeutlicht. Das Wording ist bei Magic essenziell: Aus Platzgründen sind Anweisungen oft nur knapp beschrieben; entsprechend kommt es auf korrektes Auslesen von Satzsemantiken an. Damit ist das Kartenspiel auch eine gute Gelegenheit, um beispielsweise Englisch zu lernen oder Sprachkenntnisse aufzupolieren. Man übt sich in Klarheit und im Verstehen.
Zum Appeal dieser neuen Mechanik kommt hinzu, dass die Karten einen inhaltlichen Bezug zum Final-Fantasy-Zauber haben und die sich steigernden Effekte sinnvoll dazu passen, statt nur untereinander verwandt zu sein – das stärkt die Verbindung zur Spielereihe. Auch, wenn das manchmal über eine vorherige Sinnverknüpfung mit Magic-Conventionen geschieht. Nehmen wir noch mal Ice Magic als Beispiel.
Farben und Erwartungen: Die Semantik von MTG
Ice Magic ist zunächst eine blaue Karte und gehört nicht zu den anderen vier Farben des Spiels, Weiß, Rot, Schwarz und Grün. Das wirkt erstmal logisch, selbst wenn man sich mit den Eigenheiten der einzelnen Magic-Farben nicht auskennt: Eis = Blau.
Blaue Unterbrechungszauber (sogenannte Instants, die man auch im Gegner*innenzug spielen kann) sind berüchtigt dafür, Kreaturen zu bouncen, also vom Feld zurück auf die gegnerische Hand beziehungsweise das Deck zu geben. Der Effekt kommt in anderen Farben kaum vor. Die Steigerung dieses Effekts lässt sich in der Tiered-Liste klar sehen: Stufe 1: Zurück auf die Hand, Stufe 2: Planbar ins Deck oder Stufe 3: Zufällig ins Deck sind Eskalationsstufen voneinander.

Unsustantiate, ein typisches Vorkommen des blauen “Bounce”-Effekts. Quelle: Wizards of the Coast.
Was die Magic-Herausgeber Wizards of the Coast hier machen ist also, die Magiearten beider Franchises semantisch zu verknüpfen:
Blau als für beide passende Grundfarbe ist der Träger, um den blauen “Standard”-Effekt Bouncing mit dem blauen “Standard”-Zauber Eis zu konnotieren. Um die Bindung zu stärken und gleichzeitig die Tiered-Mechanik einzuführen, baut Wizards zwei fürs jeweilige Franchise logische Steigerungsformen simultan zusammen: die sich steigernden Zaubernamen von Final Fantasy mit den stärker werdenden Effekten aus Magic: The Gathering. Dass solche Effekte im Kartenspiel aus Fairness mit zunehmender Stärke mehr kosten müssen, hilft ebenfalls, denn auch in Final Fantasy kostet eine stärkere Zauberform mehr Magiepunkte als eine schwächere. Ganz technisch ausgedrückt könnte man also sagen, Wizards of the Coast verbindet die beiden kognitiven Frames unseres Verständnisses von Magie in Final Fantasy und ‘Magie’ (gemeint sind Sorcery– und Instant-Spells, für die peniblen MTG-Nerds unter euch) in Magic. Durch mehrere Bindeglieder – Farbe, Steigerungssystem und Kosten – wird diese Bindung verstärkt. Das klappt nicht nur beim Beispiel Eismagie. Die rote Fire Magic etwa schafft das ganz genauso gut, hier wird der Effekt “Schaden verursachen”, denn man mit Feuermagie in Fantasyspielen verbindet, mit dem typisch roten Konzept aus MTG verbunden, eine kleinere Anzahl an Schadenspunkten zu verteilen (das sogenannte pingen).

Fire Magic. Quelle: Wizards of the Coast.
Dass das hier so gut funktioniert, ist durchaus lobenswert. Manchmal gehen diese Verknüpfungen bei den sogenannten Universes–Beyond-Sets, Erweiterungen in Kooperation mit anderen Marken, durchaus in die Hose. Dass Assassin’s-Creed-Karten beispielsweise Vergünstigungen bekommen, wenn ein Commander (eine Art Deck-Anführerkarte in einem bestimmten Vier-Spieler-Multiplayerformat, die den Aufbau ihres jeweiligen Decks maßgeblich bestimmt) einen Gegner angreift, hat vermutlich hauptsächlich spielmechanische Relevanz.

Freerunning, eine der Karten aus dem Universes-Beyond-Set zu Assassin’s Creed. Quelle: Wizards of the Coast.