Observation – Psychedelische Prismen und beklemmender Horror
Beengte Räume und endlose Weiten, Klaustro- und Agoraphobie. Observation vereint diese beiden Ängste mit seinem Weltraumsetting und schafft damit die Grundlage für den sich langsam, aber unaufhaltsam entwickelnden, beklemmenden Horror, den das Entwicklungsstudio No Code bereits in Stories Untold (2017) wirksam inszenieren konnte.
Das Spiel beginnt damit, dass die Raumstation Observation in einen Vorfall verwickelt wurde. Emma Fisher, eines der Besatzungsmitglieder, versucht verzweifelt Kontakt zur Erde und zu anderen Besatzungsmitgliedern aufzunehmen. Als dies nicht funktioniert, ruft sie nach S.A.M.. S.A.M. ist die stationsinterne künstliche Intelligenz, die alle Abläufe auf dem Schiff regeln und steuern kann und mit einer an Hal aus 2001: A Space Odyssey (1968, Stanley Kubrick) erinnernden Stimme auf Emmas Anfragen reagiert.
Wer jetzt annimmt, dass Spielende Observation aus der Sicht von Emma erleben, der irrt. Denn gespielt wird aus S.A.M.s Perspektive. Mit dem Vorfall hat die K.I. die meisten ihrer Kenntnisse über das Schiff und seine Funktionen verloren und so bekommen Spielende zusammen mit S.A.M. nach und nach das Wissen über die Bedienung und die Beschaffenheit der Raumstation zurück. Parallel dazu entfaltet sich außerdem die Suche nach den anderen Stationsmitgliedern und nach der Antwort auf die Frage, wieso sich die Station nicht mehr im Orbit der Erde, sondern plötzlich in der des Saturns befindet.
Konterkarierende Ängste
Wieso Klaustro- und Agoraphobie so eine große Rolle in Observation spielen, ergibt sich schnell aus dem Setting. Als S.A.M. können Spielende entweder aus der Perspektive von vielen verschiedenen, stationären Kameras die Raumstation untersuchen und mit Geräten wie Servern, Bildschirmen oder Messapparaten interagieren oder sich mit einer Sphäre, von der S.A.M. Besitz ergreifen kann, in der First-Person-Perspektive durch die engen und desorientierenden Gänge der Observation bewegen. Die Raumstation ist groß und durch ein fehlendes Oben und Unten kann schnell der Überblick darüber verloren werden, durch welchen Durchgang eins gekommen ist und durch welchen eins als nächstes möchte, um an den Ort zu gelangen an dem die nächste Aufgabe wartet.
Im krassen Gegensatz dazu stehen die Spielpassagen, die außerhalb der Raumstation stattfinden. Mit der Sphäre kann S.A.M. nämlich auch in die Weiten des Weltraums vordringen und die Schäden an der Außenhülle, die sich durch den rätselhaften Vorfall ereignet haben, besser in Augenschein nehmen. Einziger Orientierungspunkt für Spielende ist hier der ferne und doch so nah wirkende Saturn, denn die Raumstation hat kaum visuelle Unterscheidungsmöglichkeiten, sodass eins schnell aus den Augen verliert, wo die Eintrittsluke und wo der Grund für den Außenspaziergang zu finden ist.
Innerhalb der Raumstation drängt sich die Angst auf, zu wenig Platz zum Atmen oder zum Navigieren zu haben. Dieser Eindruck verschlimmert sich noch durch das Verschwimmen und Rauschen des Bildes, wenn die Sphäre gegen Hindernisse stößt. Dies kommt (zu) häufig vor, steuert sich die Sphäre doch sehr schwerfällig und widerwillig und gestaltet die Bewegung durch die Raumstation bisweilen durchaus frustrierend. Auf der anderen Seite erschlägt die schiere Weite des Weltraumes und die große Entfernung zur Erde und damit allem, was vertraut ist, geradezu.
Auf der erzählerischen Ebene kommt noch die Angst vor dem Fremden, dem Außerirdischen hinzu, die sich innerhalb der Raumstation in Form von einer seltsamen, schwarzen Masse manifestiert, die weder Emma noch S.A.M. identifizieren möchte. Der Drang der leeren, beschädigten und furchteinflößenden Station zu entkommen, wird beinahe völlig verschluckt von der Angst vor den fremden und dunklen Leere Weltraums, der pure Lebensfeindlichkeit repräsentiert. Weder S.A.M. und Emma, noch Spielende können der Observation entfliehen.
“What would you like me to do?”
Mit dieser Basis beweisen No Code, dass sie es beherrschen, eine wirksame Horroratmosphäre zu inszenieren. Hinzu kommen kleinere Textschnipsel und Audiodateien, die über die Raumstation verteilt sind und dabei helfen, die Besatzungsmitglieder stärker zu charakterisieren, ihre Beziehungen untereinander zu verstehen und die Ereignisse und Beweggründe der internationalen Weltraummission in Erfahrung zu bringen.
Das Erkunden, das diese Form des Storytellings erfordert, ist eng verknüpft mit den Rätseln, aus denen das Gameplay neben der Navigation in der Raumstation besteht. In den Rätseln helfen Spielende in der Rolle von S.A.M. Emma dabei, bestimmte Daten zu sammeln (zum Beispiel den Standort der Raumstation, Statusberichte der Besatzungsmitglieder und einzelner Bestandteile der Raumstation, etc.). Diese folgen teilweise, entsprechend dem Bauzustand der Raumstation, der Ästhetik von veralteten Bordcomputern und verhelfen so auch auf visueller Ebene zu einer stimmigen, fiktionalen Welt.
Die große Anzahl der Rätsel in verschiedenen Formen und Farben ist gerade zu Beginn durchaus abwechslungsreich, jedoch entwickeln sie sich im Laufe des Spiels kaum weiter, sodass sich manche der sich wiederholenden Rätsel schnell zu einer lästigen Aufgabe werden können, statt zu einer involvierenden Suche nach der Lösung.
Was sich im Spiel als Herausforderung herausstellt, ist die Position der Rätsel beziehungsweise die nächste Aufgabe auszumachen. Mit den desorientierenden Eigenschaften der Raumstation kann sich der Weg zum Rätsel zu einer frustierenden Erfahrung entwickeln. Das liegt zum Beispiel daran, dass einzelne Räume starke Ähnlichkeiten aufweisen oder an der generellen Überforderung mit der hohen Anzahl der möglichen Räume. Dabei helfen die beiden spielinternen Hinweissysteme (eine Art Questmenü sowie die Option, Emma nach Anweisungen zu fragen) auch nur geringfügig weiter, insofern die angegebenen Ortsnamen nicht immer auf der Karte der Station verzeichnet sind. Ähnliches gilt auch für die Rätsel: Sie können, wenn sie Spielenden vollständig ohne Hinweise für die Lösung vorgesetzt werden, schnell nur noch durch bloßes Raten gelöst werden, anstatt durch gezielte Überlegungen und eigenständigem Erschließen.
Dennoch können die Rätsel oft ihre volle Wirkungskraft entfalten, denn was No Code bereits in Stories Untold gelungen war, gelingt ihnen auch hier. Wenn die Rätsel in ihrem Aufbau verstanden wurden und sie nur noch gelöst werden müssen, rufen sie das Gefühl hervor, ein Profi, ein*e Expert*in oder Codeknacker*in zu sein, beinahe wie eine wirkliche künstliche Intelligenz, was in Observation mehr denn je der Fall ist.
“Bring her”
Ohne zu viel von der Geschichte preiszugeben, handelt es sich bei Observation um klassischen Science Fiction-Horror. Gerade zu Beginn benötigt die Erzählung ein wenig Zeit, um in Fahrt zu kommen. Dies hängt aber auch damit zusammen, dass Spielende zu stark damit beschäftigt sein könnten, die Details der Steuerung und der Navigation zu verstehen. Doch einmal an Tempo aufgenommen, lässt es nicht mehr nach. Ein zentraler Satz, der im Spiel immer wieder auftaucht, ist „Bring her“ oder auf Deutsch: „Bring sie her“. Er ist ebenso kryptisch wie beunruhigend, weil er immer wieder wie eine Art Virus über das Interface von S.A.M.s Bildschirmen flackert. Ein anderes zentrales Symbol, um das sich die Geschichte spinnt, ist das Sechseck. Dies lässt sich nicht nur auf Werbematerial zum Spiel – wie zum Beispiel auf dem Titelbild sichtbar – wiederfinden, sondern auch überall auf der Raumstation, beiläufig oder offensichtlich, in bedeutungsschwangeren Symbolen, die über den Bildschirm flackern oder in einem tatsächlichen, alles Licht verschluckenden schwarzen Sechseck, das S.A.M. mehrere Male wie eine psychedelische Halluzination erscheint.
Insgesamt spiegelt die rätselhafte Symbolik im Spiel auf ästhetischer Ebene sehr beeindruckend wieder, wie sich auch die Geschichte des Spiels bis zum Ende anfühlt: Kryptisch und rätselhaft wie sie ist, lässt sich nur ansatzweise erschließen, was passiert ist und wieso etwas geschieht. Letztendlich liefert die Erzählung nur einen Bruchteil der Bestandteile, die es braucht, sie in ihrer Tiefe zu verstehen und genau das ist ihre Stärke. Dadurch, dass viele Erklärungen der eigenen Vorstellungskraft überlassen sind, kann sich ein viel beunruhigenderes Bild ergeben, als jede Erklärung es zeichnen könnte – eine moderne Interpretation des kosmischen, ‘lovecraftian’ Horrors.