Vom “Monku” zum “Brawler”? Metaphor: ReFantazio und die Lokalisation seiner Archetypen
Für mich eines der besten Spiele des Jahres 2024 dürfte für viele Leser*innen keine Überraschung sein, die meinen Output bereits länger verfolgen. Das aktuellste Atlus-RPG Metaphor: ReFantazio kommt vom Persona-Team, das schließlich seit Beginn meiner Karriere als Linguist meine Arbeit beeinflusst. Und auch Metaphor hat mich weit über den Soundtrack in der konstruierten Sprache Esperanto hinaus linguistisch inspiriert. Metaphors Jobsystem nämlich, bei dem man die Spielfiguren in mehr als 40 Klassen unterschiedlich ausbilden kann, benennt seine Klassen, die sogenannten Archetypen, nämlich sowohl in der japanischen Originalversion als auch in der englischen Übersetzung auf unglaublich spannende Weise. Und ich wäre nicht der Typ, der ein Buch über die japanischen und englischen Namen der Shin-Megami-Tensei-Zauber geschrieben hat, wenn mich das kaltlassen würde. Sehen wir uns also die Archetypen von Metaphor: ReFantazio aus lokalisationslinguistischer Perspektive an. Spoiler: Wer klassische Anime-Klischees wie europäische Zunftnamen in japanischen Mittelalter-Animes mag, wird hier Freude haben.
Dafür kommt hier zunächst meine Sammlung aller Archetypen in ihrer japanischen Schreibweise und der englischen Form. Wenn euch das zu trocken ist, keine Sorge: Scrollt einfach weiter und lest die einzelnen Abschnitte, in denen ich meine Beobachtungen erkläre.

Katakana-, Romaji- und englische Formen der Archetypennamen. Farblich markiert nach den Kategorien, denen ich sie zugeordnet habe (siehe unten).
Anglizismen, wohin man schaut
Die allermeisten von Metaphor: ReFantazios Archetypen sind buchstäblich wörtlich vom Japanischen ins Englische übersetzt worden, da sie bereits im japanischen Original aus Anglizismen bestanden. Um genau zu sein, sind sogar alle Archetypen-Namen bis auf eine einzige Ausnahme im japanischen Original Anglizismen. Manche davon sind lediglich auf eine andere Art übersetzt worden. Von den insgesamt 46 Archetypen im Spiel heißen nur acht Stück im Englischen nicht genau gleich wie im Japanischen, zu diesen kommen wir später. Bei den 38 verbleibenden Archetypen nutzt Atlus in der japanischen Originalversion bereits dieselben englischen Begriffe als Anglizismen, die die englische Übersetzung später aufgreift. Natürlich kommt dabei im japanischen Original jedoch die japanische Umschrift, die an die japanische Aussprache angepasst ist, zum Tragen: Seht ihr euch die Romaji, also die Umschrift der japanischen Worte in lateinischer Schrift an, bemerkt ihr dort viele Worte, die erst in der Aussprache als das zu erkennen sind, was sie sein sollen. Shiifu beispielsweise ist die japanische Schreibweise von Thief, angepasst an das japanische Silbensystem, das in fast allen Fällen eine nach hinten offene Silbe benötigt und das die <th>-Laute des Englischen, /ð/ und /θ/, nicht kennt. Ähnliches sehr ihr bei allen in der Tabelle grün markierten Namen, von Majikku Naito (Magic Knight) über Beruseruku (Berserker) bis Gannaa (Gunner).
Listige Leser*innen haben vermutlich unter den grün markierten Begriffen auch die beiden Namen Ninja und Samurai erspäht, die uns doch deutlich japanisch anmuten. Warum also bezeichne ich diese auch als Anglizismen? Die Zuordnung ist nicht ganz korrekt, da es sich tatsächlich um aus dem japanischen heraus gewachsene Begriffe handelt, sie ist jedoch auch nicht falsch. Denn: bei beiden Begriffen handelt es sich um Fremdzuordnungen aus dem Westen, die sich erst über Popkultur in der Nutzung gefestigt haben. Die verbreiteten japanischen Begriffe wären Shinobi statt Ninja und Bushi statt Samurai. Mit der Nutzung von Ninja und Samurai drücken Atlus also etwas ganz Ähnliches aus wie mit der Nutzung der Anglizismen, nämlich den Bezug zum Englischen und zu westlichen RPG-Konventionen. Zu diesen wollen wir später ebenfalls noch kommen.

Die Archetypen werden im Kampf genutzt, um Fähigkeiten einzusetzen. Hier der Archetyp Seeker von hinten, links im Bild. Quelle: Atlus
Serien-Insider für treue Fans
Ebenfalls Anglizismen, aber Sonderfälle derselben sind drei spezielle Archetypen, in der Tabelle orange markiert. Die drei Elite-Archetypen Devil Summoner, Persona Master und Soul Hacker sind Anspielungen auf die drei ebenfalls von Atlus vertriebenen Shin-Megami-Tensei-Subreihen Devil Summoner, Persona und Soul Hacker. Diverse der Spiele aus diesen Reihen wurden vom selben Entwicklerteam innerhalb Atlus’ entwickelt, das sich auch für Metaphor: ReFantazio verantwortlich zeigt. Obwohl Metaphor nicht kanonisch in derselben Realität spielt wie Shin Megami Tensei, ist es nicht nur spielerisch und vom Aufbau seiner Story daran angelehnt, es gibt auch mehrere eindeutige Verweise im Spiel auf die SMT-Titel. So ist etwa das Symbol der Masken, die Spieler*innen für den Masked-Dancer-Archetyp craften können, das exakte Symbol der Tarotkarten aus Persona 4 und die beschworenen Dämonen des Devil Summoner sind direkt übertragene Dämonen beziehungsweise Persona-Monster aus den Titeln wie beispielsweise Jack Frost. Ich bin großer Fan solcher kleinen, cleveren und trotz ihrer Offensichtlichkeit keinesfalls störenden Serienanspielungen, und wollte sie daher an dieser Stelle unbedingt erwähnen und analysieren.
So viel gleich, aber was wurde geändert?
Nun kommen wir endlich zum spannenden Teil der translationslinguistischen Analyse: Was wurde bei der Lokalisierung ins Englische bei den Archetypennamen geändert, und warum?
Geänderte Namen in der Übersetzung lassen sich bei acht Archetypen feststellen. Auch hier gilt: Was Japanischen vorher ein Anglizismus war, ist in der englischen Version danach ebenfalls ein englisches Wort, nur eben ein anderes. Nur ein Archetyp fällt aus der Reihe, er ist der einzige, der im Japanischen ein nativ japanisches Wort nutzt statt einem Archetypen. Um diese Acht geht es:
- Magishan (“Magician”) wird zu Mage
- Faitaa (“Fighter”) wird zu Warrior
- Puriisuto (“Priest”) wird zu Cleric
- Mesaia (“Messiah”) wird zu Saviour
- Monku (“Monk”) wird zu Brawler
- Kanfuu Masutaa (“Kung Fu Master”) wird zu Pugilist
- Diiraa (“Dealer”) wird zu Merchant
- Kensei wird zu Martial Artist
Wie erwähnt ist der Kensei hier die größte Ausnahme, da er als einziger Archetyp im Japanischen auch ein nativ Japanisches, ohne Kenntnisse des Japanischen unverständliches Konzept nutzt. Kensei ist ein japanischer Ehrentitel, der vor allem mit berühmten Schwertkampflehrern und Begründern historischer Kampfsportlehren genutzt wird. Da einem westlichen Publikum der Begriff kaum durchgehend bekannt sein dürfte, ergibt die Nutzung eines anderen Konzepts im Englischen Sinn. Martial Artist dafür zu nutzen ergibt sich dabei relativ ersichtlich aus der Entwicklungsreihe des Archetyps im Englischen, die insgesamt mit unbewaffneten Kampfsportarten zu tun hat: Der Brawler wird zum Pugilist wird zum Martial Artist.

Die insgesamt 46 Archetypen in Metaphor: ReFantazio haben ihr eigenes Fortschrittssystem, bei dem sich die verschiedenen Klassen aufeinander beziehen. Quelle: Atlus
Die anderen sieben Archetypen sind in ihrer Übersetzung spannend. Zwei Dinge fallen auf: Nutzt man die im Japanischen eingesetzten Anglizismen im Englischen, haben sie jeweils eine ganz bestimmte kontextuelle Bedeutung, die sie im Englischen potenziell ungeeignet macht, eine RPG-Klasse zu beschreiben. Stattdessen existieren für diese RPG-Klassen-Stereotypen etablierte Begriffe im Englischen. Womöglich ist das der Grund, warum aus Magician Mage, aus Dealer Merchant und aus Fighter Warrior wird: Ein Magician zieht eher Kaninchen aus dem Hut als mit Feuer zu schleudern, während Mage ein üblicher Begriff in RPG-Systemen von Pen and Paper über Tabletop bis CRPG ist. Ein Dealer ist im Englischen stärker mit Drogen oder mit Casino-Tischen assoziiert als mit dem Verkauf von Schwertern, während ein Merchant angemessen altertümlich klingt. Und Fighter ist entweder schlicht zu allgemein, um spezifisch einen an der Front kämpfenden Infanteristen mit Schwert zu bezeichnen, oder weckt Assoziationen an moderne Fighter Jets und mechanisierte Infanterie. Die Umbenennungen in der englischen Sprachversion lassen sich also durch RPG-Konventionen erklären.
Doch was ist mit Messiah und Kung Fu Master, ganz zu schweigen von Monk und Priest? Gerade letztere beiden sind sehr übliche Klassenbezeichnungen innerhalb von RPG-Konventionen. Es scheint, dass hier eine gewisse kulturelle Vorsicht gegenüber Religionsdarstellung die RPG-Konventionen schlägt: Während ein faustkämpfender Mönch zwar von Diablo bis Path of Exile genutzt und von vielen spielenden weltweit verstanden wird, bezieht sich das Bild vor allem auf den Stereotyp des buddhistischen Kampfmönch. Messiah, also Messias, ist insbesondere christlich stark kodiert, ebenso wie Priest, also Priester, das jedoch auch in bei anderen Religionen genutzt wird. Der Cleric, Kleriker also, ist deutlich stärker mit RPG-Konventionen besetzt und erweckt das Bild des mit Streitkolben bewaffneten Kampfpredigers – eine bereits seit den Achtzigern in Dungeons and Dragons genährte Symbolik, die sich heute tief ins kulturelle Gedächtnis aller Arten von RPG-Spieler*innen gegraben hat.
Auffällig ist also, dass die in der Übersetzung umbenannten Archetypen nicht nur ihren religiösen Bezug verlieren, sondern auch ihren asiatischen zugunsten von westlichen RPG-Archetypen einbüßen: So wird der Kung Fu Master zum Pugilist, ein eher altertümlicher Begriff für Faustkämpfer, den man heute eigentlich vor allem noch aus den Jobsystemen von Square Enix’ Final Fantasy kennt. Der Mönch, obwohl etablierte RPG-Konvention, wird zum Brawler, also zum Schläger degradiert: Hier scheint das Streichen des religiösen Bezugs die RPG-Konvention als Leitlinie der Lokalisierung geschlagen zu haben.
‘Edgy’ Japanisch geschrieben
All die Anglizismen sind schon speziell genug, sollte man meinen. Doch schaut man sich nun die japanische Version des Spiels auf der Schriftebene genauer an, wird man dazu auch noch feststellen, dass alle Archetypen-Namen in einer der japanischen Kanaschriften, dem Katakana, geschrieben sind – selbst jene, für die es eigentlich Kanji gibt. Zur Erklärung: Das japanische Schriftsystem besteht aus drei Zeichensystemen: Den aus dem Chinesischen übernommenen Symbolschriftzeichen Kanji, der runden Hiragana-Schrift und der eher eckigen Katakana-Schrift. Während Hiragana für grammatische Funktionen und japanische Umschriften genutzt wird, ist Katakana die Schrift der Fremdwörter. Anglizismen werden also auch im japanischen Alltag, zum Beispiel auf Verkehrsschildern oder Werbetafeln, in Katakana geschrieben. Soweit ergibt die Nutzung von Katakana also Sinn. Warum Worte wie Ninja oder Samurai hier ebenfalls mit Katakana und nicht mit den passenden Kanji geschrieben werden, können wir aus der oben etablierten Erklärung ebenfalls zumindest vermuten: Sie werden als Fremdwörter betrachtet, da die Verwendung im Japanischen unüblich ist. Heraus sticht an dieser Stelle erneut der Kensei: Ein japanisches Wort ohne englische Nutzung, das in Metaphor jedoch ebenfalls mit Katakana geschrieben wird. Dazu habe ich mehrere Theorien: Einerseits soll der Archetypentitel vielleicht schlicht und einfach nicht seltsam herausstechen, was er wohl tun würde, wäre er der einzige Name mit Kanji zwischen all den anderen Bezeichnungen. Andererseits, und das habe ich mir von einer Japanologin erklären lassen: Katakana zu nutzen ist in der japanischen Popkultur üblich, um etwas besonders cool oder herausstechend wirken zu lassen. In Manga beispielsweise werden Ausrufe oft nicht in Kanji, sondern in einer der Kana-Schriften geschrieben, um sie plakativ und ausdrucksstark zu gestalten. Die Wahl der Kana-Schrift folgt dabei einem ähnlichen Prinzip wie das linguistische Bouba-Kiki-Experiment: Rundes Hiragana wird oft für weiche, sanfte Textblasen genutzt, während die eckigen Katakana harte, coole, aggressive Sounds ausdrücken. Die exzessive Nutzung von Katakana in Metaphor: ReFantazio kann also auch dem Zweck dienen, einfach cool herauszustechen. Das passt zur oben formulierten Vermutung, denn auch Anglizismen werden in der japanischen Popkultursprache oft als cool angesehen. Und dass die japanische Popkultur gerne europäische Namen integriert, insbesondere wenn es um RPG-Charakterklassen geht, weiß jede*r, der*die schon einmal einen Isekai-Anime gesehen hat, wo Begriffe wie Hunter oder gleich Jäger casual in japanischen Sätzen fallen. Insofern steht Metaphor, in Begriffswahl wie in Schreibweise, in einer Traditionslinie japanischer Rollenspiele und der japanischen Adaption von Rollenspielen in anderen Medien.