Rap-Mönch meets Esperanto: Wie Metaphor: ReFantazio eine utopische Sprache cool macht
Dass Metaphor: ReFantazio gegen Ende 2024 noch einmal ein Hit werden würde, darauf deuteten im Vorhinein einige Dinge hin. Immerhin ist es der nächste Titel des Persona-Teams von Atlus, der all die Stärken der Serie mit einem neuen, aufregenden Setting und dem Aufheben diverser Restriktionen der College-RPG-Reihe verbinden sollte (und das dann auch tatsächlich tat). Seinen ersten großen viralen Moment hatte das Spiel dann aber kurz nach Release nicht aufgrund seiner ziemlich abgefahrenen Story, sondern über den Soundtrack. Genauer gesagt, über das Battle Theme des Spiels, das zunächst einmal einen genialen Reveal direkt zu Anfang des Spiels bekommt: Indem Gallica, die Begleiterin des Protagonisten im Spiel, es ihm als Motivator für seine Reise direkt in den Kopf zaubert. Das Lied wird also intradiegetisch, das heißt innerhalb der Spielwelt abgespielt, und wir Spieler*innen hören das, was auch der Protagonist hört.
Und dann wäre da auch noch das Lied an sich, um das es nun gehen soll, denn das kann man kaum anders beschreiben als als ziemlichen Banger. Nach einem ziemlich motivierenden orchestralen Aufbau geht das Lied, das unter dem Titel Warriors in Valour läuft, nämlich in eine Rap-Sequenz über, und die hat es in sich. In atemberaubender Geschwindigkeit rappt darin ein buddhistischer Mönch seinen Songtext in einer unverständlichen Sprache, bevor schließlich ein Chor einsetzt, der die Bridges zwischen den Rapsequenzen abdeckt. Am besten hört ihr selbst rein, wenn ihr das Theme noch nicht kennt:
(Aktuell gibt es noch keinen offiziellen YouTube-Upload des Soundtracks. Ich füge ihn hier ein, sobald er existiert. Bis dahin: Danke, YouTube-User MegamiButtCheeks).
In ihrer “Road to Metaphor”-PR-Aktion vor Release des Spiels hat Atlus das Lied und besagten Mönch auch zur Werbung genutzt. So singt er (seinen Namen kennen wir leider aktuell nicht) als Teil eines einstündigen Presseevents den Song live auf der Bühne:
Neben dem unglaublichen Talent des Sängers stellte sich die Community naturgemäß schnell die Frage, um welche Sprache es sich bei dem Gesang handelt. Im anglophonen Internet fiel schnell die Vermutung auf eine romanische, europäische Sprache. Das ist nicht richtig, aber gar nicht so weit weg von der Wahrheit. Denn tatsächlich singt besagter Mönch in Esperanto, das sehr viel mit europäischen Sprachen zu tun hat.
Was ist Esperanto?
Wenn ihr bereits länger auf Language at Play unterwegs seid, kennt ihr den Begriff ConLang oder Constructed Languages: Sprachen, die nicht natürlich gewachsen sind, sondern explizit gebaut wurden. Darunter zählen diverse Fantasy-Sprachen wie Hen Llinge aus The Witcher, aber auch echte Sprachen, die für tatsächlichen Sprachgebrauch entwickelt wurden. Die größte und erfolgreichste davon ist Esperanto. 1887 vom Augenarzt (ja, wirklich) L. L. Zamenhof entwickelt. Esperanto sollte Sprachdifferenzen überbrücken und faire, gleichberechtigte Kommunikation zwischen allen Menschen ermöglichen, da jede*r sie erst einmal erlernen müsse. Dieses Ziel war selbstredend reichlich eurozentrisch gedacht, besteht Esperanto doch aus einem angepassten Amalgam vor allem romanischer Sprachen, mit vielen Lateineinflüssen sowie griechischen, slawischen und germanischen Lexemen, also Worten. Das überzeugendste Argument für Esperanto als aus allen diesen Sprachen leicht zu erlernende Kommunikationssprache war ihre Regelmäßigkeit: Alle Flexionen in Esperanto sind regelmäßig und damit gut auswendig lernbar, ohne unregelmäßige Formen, wie sie zum Beispiel im Englischen (eat, ate, eaten) vorkommen. Von allen gelebten ConLangs (und es gab tatsächlich einige) ist Esperanto die erfolgreichste und nachhaltig lebendigste: Zeitweise war Esperanto im Gespräch, Landessprache mindestens eines Kleinststaats und Diskussionssprache der Vorgängerorganisation der UN zu werden. Und trotz Unterdrückung in Nazideutschland, Franco-Spanien und der stalinistischen Sowjetunion lebt die Sprache bis heute weiter, mit schätzungsweise 2 Millionen Sprecher*innen Stand 2019 und sogar etwa 1.000 Muttersprachler*innen, die Esperanto von klein auf mit ihren Eltern gesprochen haben. Außerdem existieren regelmäßige akademische Kongresse um Esperanto herum. Außergewöhnlich für eine ConLang ist auch, dass sich Esperanto tatsächlich durch seinen langen Sprachgebrauch entwickelt hat und diverse neue Wörter, Slangs und Jargons entstanden sind: Esperanto ist eine lebendige Sprache. Man kann das ein wenig mit modernem Latein vergleichen, bei dem sich die Sprachexpert*innen im Vatikan stets neue Wörter für neue Konzepte ausdenken müssen, um Verkündungen der katholischen Kirche in “Landessprache” veröffentlichen zu können.
“Esperanto” ist übrigens Esperanto und bedeutet “Hoffende Person”. Aus dem Briefverkehr Zamenhofs wissen wir, dass Esperanto als harmoniestiftende Sprache zwischen Völkern unterschiedlicher Muttersprachler gedacht war; womit der Bogen zu Metaphor: ReFantazio und dem rappenden buddhistischen Mönch wieder gespannt wäre.
Ein Lied vom utopischen Zusammenhalt?
Aktuell wissen wir leider noch nicht, wie die Lyrics von Warriors of Valour lauten; Vermutlich erhalten wir da mehr Einblick, wenn Atlus den offiziellen Soundtrack des Spiels am 15 Januar 2024 veröffentlicht. Was Fans bereits herausgearbeitet haben ist, dass es sich wohl um eine Mischung aus buddhistischen Gesängen und christlichen Gebeten handelt. Dass Esperanto als Sprache gewählt wurde, passt dabei in mehrerer Hinsicht: Nicht nur sind Fantasyspiele und künstliche Sprachen eine perfekt passende Mischung, um Fremdartigkeit zu erzeugen, der utopische Unterton einer alle Kulturen umfassenden Sprache passt auch thematisch zum Spiel, in dem nicht nur der Begriff ‘Utopia’ und unsere heutige Welt immer wieder verhandelt werden, sondern in dem es auch darum geht, unterschiedliche Stämme an anthropomorphen Menschen in einer harmonischen Welt zu vereinen. Das Spiel gibt tatsächlich mehrere Hinweise darauf, dass die Gemeinsprache, die in der Welt von Metaphor alle Stämme sprechen, tatsächlich Esperanto ist: Zwar hören wir sie, je nach Spracheinstellung des Spiels, auf Englisch oder Japanisch, alle Texte im Spiel und auch die schmückenden Texte in den Menüs sind jedoch in einem Fantasiealphabet geschrieben, das auf Esperanto basiert, wie Esperanto-Sprecher*innen recherchiert und auf Reddit veröffentlicht haben.
Atlus scheint die Sprache dabei leicht verändert zu haben, wie derselbe dem Esperanto mächtige User auf Reddit schreibt:
Atlus doesn’t seem to have separate glyphs for Ĉĉ, Ĝĝ, Ĥĥ, Ĵĵ, Ŝŝ, and Ŭŭ, which are five Esperanto-specific alphabets, but instead shares their Latin alphabet glyphs.
In addition, the Esperanto grammar in the game is a bit different from real Esperanto, some words can’t be deciphered into meaning, some words are spelled incorrectly, I guess Atlus made some modifications on the basis of Esperanto, in any case, you don’t need to stick to Esperanto grammar too much, you can just understand it roughly.
Tatsächlich wird diese Form von Esperanto im Spiel aber sehr konsistent genutzt und kommt auch in den Menüs vor. Alle Händler erhalten beispielsweise einen Esperanto-Namen, sobald man ihren Shop öffnet. Ein Beispiel: Die Wasserhändler, die es in jeder größeren Stadt zu finden gibt und die Kochzutaten verkaufen, werden im Spielalphabet als “butiko akvo komercisto” bezeichnet (Quelle). Zu Deutsch: Boutique-Wasserhändler.
Mit seinem Bezug auf unsere Welt, seinem thematischen Aufgreifen des Utopiebegriffs von Thomas Morus’ Prägung des Worts in seinem Roman, der auch im Spiel vorkommt, bis hin zum Bruch mit einem naiven Utopiebild ohne Rassismus und Diskriminierung schafft es Metaphor ohnehin bereits, aktuelle Themen in seiner Fantasywelt zu verarbeiten. Die clevere Nutzung von Esperanto halte ich dabei für ein sehr gelungenes i-Tüpfelchen. Dass die Sprache durch den großartigen Battlesong so in den Vordergrund gerückt wurde, nun vielen neuen Menschen ein Begriff geworden ist und vermutlich noch mehr Menschen erreichen wird, sobald der offizielle Soundtrack uns mehr Infos gibt, ist eine tolle Sache.
Übrigens ist Metaphor: ReFantazio nicht das einzige und auch nicht das erste Spiel, das auf Esperanto zurückgreift. Die Yuri Visual Novel The Expression Amrilato nutzt die Sprache (im Spiel Juliamo genannt) ebenfalls als Gemeinsprache einer alternativen Welt. Alle Esperanto-Texte im Spiel sind dabei von der National Esperanto Association Japan freigegeben. Wenn euch die Sprache also interessiert, schaut doch da mal rein.
Und wenn ich zum Abschluss noch eine Hoffnung mit euch teilen darf: Metaphor: ReFantazio ist bei den Game Awards 2024 am 13. Dezember nominiert. Nach dem musikalischen Auftritt zu Alan Wake II im letzten Jahr wäre es nicht ausgeschlossen, dass Geoff Keighley in diesem Jahr zusammen mit Atlus den Mönch auf die Bühne holt…