Pentiments deutsche Lokalisation versteht Süddeutsch
Dass Obsidian Entertainments neuestes Rollenspiel Pentiment in Bayern spielt, ist kein Geheimnis. Zumindest, wenn man das Spiel in der deutschen Fassung beginnt, wird aber auch sprachlich sehr schnell klar, dass sich der Protagonist Andreas Maler in Süddeutschland befindet. Und damit meine ich nicht nur, dass eine der ersten auswählbaren Antwortoptionen das typisch bairische “Mei” beinhaltet.
Und nein, ich habe mich nicht verschrieben – die Sprachgruppe, die man in Bayern und Österreich spricht, und die zusammen mit Ostfränkisch und dem in der Schweiz, Baden und dem Elsass gesprochenen Alemannisch die Sprachfamilie der Oberdeutschen Sprachen bildet, wird tatsächlich mit i geschrieben. Name (und ungefähres Verbreitungsgebiet) gehen auf das bairische Stammesherzogtum im 6. Jahrhundert zurück.
Also, zurück zu Pentiments Sprache, beziehungsweise zum süddeutschen Dialekt in der deutschen Sprachausgabe. Das “Mei” ist ein offensichtlicher Marker, doch schon in den ersten Dialogen fallen noch weitere eindeutig süddeutsche Sprachmerkmale auf. Vor allem, wenn man selbst nicht aus der Gegend kommt, also etwa für Norddeutsche, dürften einige davon deutlich hervorgestochen sein. Ich gestehe, als Badner, der alemannische Dialekte gewohnt ist und seit vielen Jahren in München wohnt, musste ich einige davon zwei- oder dreimal lesen, um sie als dialekttypisch und nicht als Standarddeutsch einzuordnen.
“Der Otto”: Süddeutscher wird’s nicht
Ein sprachliches Merkmal, das Pentiment ziemlich eindeutig im süddeutschen Sprachraum verortet, ist der bestimmte Artikel vor Namen. Sätze wie “Der Otto hat mich gefragt” werden so gut wie ausschließlich in den süddeutschen, österreichischen und schweizerischen Dialekten des Deutschen verwendet. In der Mitte Deutschlands gibt es Variationen, in Norddeutschland dagegen gibt es die Formulierung so fast gar nicht, außer in bestimmten Betonungsfunktionen, beispielsweise bei Belobigungen. Der Atlas der Alltagssprache hat 2012 eine Umfrage unter fast 8.000 Menschen durchgeführt, die diese Beobachtungen deckt. Die Karte dieser Umfrage sieht so aus:
Oder wie es die beiden für die Umfrage verantwortlichen Professoren Stephan Elspaß und Robert Möller zusammenfassen: “Von der Mitte Deutschlands an nach Süden hin ist es in der Alltagssprache allgemein üblich, vor Vornamen den bestimmten Artikel zu setzen: Weiß jemand, wo der Simon / die Anna ist? Die Meldungen aus diesem Raum stimmen darin völlig überein, nur in der deutschen und belgischen Eifel gibt es einige Abweichungen. Etwas weiter nördlich, in Westfalen und im Norden von Sachsen/Thüringen sowie in Brandenburg gibt noch ein Teil der Informanten an, dass zumindest manchmal der Artikel zu hören ist, für andere ist er hier schon unüblich, wie in Norddeutschland allgemein.”
E Egal: Apokope oder Apokop?
Das zweite Merkmal, das Spieler:innen direkt im ersten Gespräch des Spiels auffallen könnte, ist ein weggefallener Buchstabe: “Würde es euch arge Umstände bereiten, die nächste Monatsmiete schon heut zu bezahlen?” Die Gastgeberin des Protagonisten lässt das e am Ende von “heute” fallen. Das klingt auf den ersten Blick total nach Dialekt. Wer würde sonst so schludern, wenn nicht die breiten Dialekt sprechende Landbevölkerung?
Die trockene Antwort ist: Wir alle. Das Fallenlassen der e-Endung ist im Deutschen massiv verbreitet. Linguistisch ist das Phänomen als Apokope bekannt und findet sich in diversen Dialekten. Die Standardsprache sieht die Apokope zwar nicht vor, das hindert aber viele Menschen nicht daran, das e im mündlichen Gebrauch wegzulassen, auch wenn wir es schreiben. Spannenderweise passiert diese Apokope nicht nur bei Endungen, die keine Bedeutung tragen (“heut” statt “heute” oder auch “müd” statt “müde” lassen dennoch keine Verwechslung zu), sondern auch bei Endungen mit Funktion. Dazu gehört der Imperativ (“Lauf” statt “Laufe”), der Dativ, etwa in “dem deutschen Volk” (statt “Volke”), aber auch das Präteritum-e. Und letzteres wiederum führt uns nach Süddeutschland, denn während die Apokope überall im Deutschen vorkommt, sind es das Alemannische und das Bairische, die sie besonders weit treiben. Diese oberdeutschen Dialekte lassen die e-Endung bei der Vergangenheitsbildung so regelmäßig weg, dass die Trennung zwischen Präsens und Präteritum oft unsichtbar wird. Man spricht dabei vom Oberdeutschen Präteritumschwund. Dass wir Süddeutschen die Apokope so hartnäckig betreiben, hat auch historische Gründe: Als zur Zeit von Martin Luthers Bibelübersetzung diverse Schriftsprachen um die Kodifizierung des Deutschen rangen, war neben Luthers favorisierter sächsischer Kanzleisprache noch ein zweiter Kandidat zumindest regional ganz oben mit dabei: Die oberdeutsche Schreibsprache, die sich über Süddeutschland, das Elsass und die österreichischen Gebiete des Habsburgerreiches verbreitete. Und die ließ das e am Ende beim Niederschreiben einfach weg – man sprach es ja “e” nicht aus.
Bayern oder Österreich?
Übrigens, wenn ihr euch nicht sicher seid, wo das fiktive Tassing in Pentiment liegen soll: Da seid ihr nicht alleine. Die am Anfang eingeblendete krude Karte wirkt, als wäre das Dörfchen im heute österreichischen Teil Bayerns verortet, und auch die im Spielverlauf wichtige Nähe zu Innsbruck deutet darauf zunächst hin. Auf die Nachfrage des österreichischen Game-Artists Thomas Feichtmeir hat sich allerdings Game Designer Josh Sawyer persönlich gemeldet: Die Karte bildet den Ort nicht richtig ab, Tassing soll im heutigen Oberbayern liegen, an der heutigen Bundesstraße 2 – der damaligen großen Reichsstraße, die auch im Spiel angesprochen wird.
Die deutsche Lokalisation kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Erfreulicherweise gibt Pentiment mittlerweile alle beteiligten Lokalisator*innen in den Credits an: Language Lead war Jan Dittrich, linguistischer Koordinator Lucas Plischke, als Übersetzer*in werden Karena Schlamann, Johanna Ortner, Andreas Gruner, Gerhard Sommer und Martin Böcking angegeben.
Eine Antwort
[…] habe ich diesen Themenkomplex in einem Beitrag auf Language at Play erklärt. Ebenfalls hat Linguistik-Professor Alexander Lasch von der TU Dresden in seiner […]