Wie Sprache dazu beiträgt, in ein Spiel einzutauchen
Ein Gastbeitrag von Julia Prez.
An English version of the article can be found here.
Es ist uns doch allen schon passiert: Man will nur kurz eine Runde zocken und plötzlich sind 4 Stunden um. Das Spiel ist einfach zu verlockend und zu spannend! Dieses Phänomen wird in der Forschung als „Immersion“ bezeichnet und beschreibt eine Form des „Hineingezogen-Werdens in einen Text, ein Bild oder ein anderes Medium“[1]. Für Spieleentwickler steht ebendies an oberster Stelle: Spieler*innen zum Spielen zu motivieren, ein immersives Erlebnis zu kreieren und sie zufriedenzustellen[2]. Aus linguistischer Sicht stellte sich mir die Frage, welche Rolle dabei die Sprache spielt. Auf welche Weise trägt sie dazu bei, dass wir stundenlang in einem Spiel versinken? Welche Funktion hat Sprache also in einem Spiel?

Harry Potter und die Kammer des Schreckens (PS2-Spiel), EA. Widescreen-Mod. Quelle: Widescreen Gaming Forum.
Macht Text Computerspiele auch anziehend?
In der Linguistik spricht man von der Textfunktion. Sie beschreibt den intendierten Effekt von Autor*innen eines Textes auf Leser*innen. Sachbücher etwa sind informativ, Werbung ist appellativ und Danksagungen haben eine Kontaktfunktion. Wie ist es also bei Computerspielen, wenn man die darin enthaltenen Texte auf deren Funktion untersucht? Ist Immersion vielleicht sogar eine Textfunktion, sind Computerspiel-Texte also immersive Texte?
Um dies herauszufinden, habe ich in meiner Masterarbeit Computerspiele gemäß einem etablierten Textanalyseschema[3] zunächst als Texte[4] definiert. Dafür werden sie auf Kohärenz (also sinnhaften Wortzusammenhang), Kohäsion (Textstruktur) und bestimmte sprachliche Mittel untersucht. Im Fokus der Forschungsfrage stehen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, emotionale Sprache, die Kodierung von Regeln und Herausforderungen sowie Referenzen auf das Interface.
Dafür habe ich Adventure und Role Playing Games (im Offline- und Single Player Modus) als Textsorten untersucht, weil diese Spiele üblicherweise viel Text enthalten. Zur Textsortenabgrenzung wird zunächst ein Spiel genauestens mittels AntConc[5] untersucht, um anschließend das gesamte Korpus (23 Spiele in deutscher Sprache, 70.060 Types, 1.183.536 Tokens) unter Verwendung von LancsBox[6] vergleichend zu analysieren. (Anmerkung der Redaktion: Das Korpus besteht zu Teilen aus dem von Language at Play bereitgestellten VGCoST. Wir freuen uns drüber!)

Die häufigsten Wörter im Computerspieltext-Korpus und ihre Part-of-Speech Tags.
Wie die Sprache uns erobert
Das Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass es tatsächlich gewisse sprachliche Praktiken in Computerspiel-Texten gibt, die Spieler*innen beeinflussen und lenken, mit dem Ziel, in das Spiel hineinzutauchen. Zum Beispiel werden zentrale Figuren und Objekte sehr häufig genannt, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken und deren Bedeutung für das Spiel zu betonen – Linguist*innen nennen das thematische Kohärenz. Deiktische Mittel, also Wörter und Phrasen, die auf Personen, Gegenstände sowie Zeiten und Orte verweisen, sind wichtige Strukturmerkmale der Kohäsion in Computerspielen. Dazu gehören Wörter wie „ich“, „wir“, „hier“, „jetzt“ sowie Namen und Ortsbezeichnungen, womit ständig auf die virtuelle Ebene referiert wird, damit Spieler*innen diese Realität als die aktuelle wahrnehmen. Das Modalverb können wird oft im Kontext von Regeln verwendet, müssen beschreibt oft Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Bei Herausforderungen wird oft auf Formeln zurückgegriffen, also sich wiederholende sprachliche und strukturelle Muster, insbesondere bei Belohnungssätzen. Diese sind oft gleich aufgebaut oder enthalten die gleichen Wörter, auch spielübergreifend. Dies trägt auch dazu bei, einen zusammenhängenden Text zu schaffen. Belohnungen und Lob motivieren außerdem, weiterzuspielen. In den Spielen wird außerdem oft auf Dialoge zurückgegriffen, welche konzeptionell mündlich sind. Das bedeutet, dass sie zwar schriftlich niedergeschrieben sind, aber Mündlichkeit imitieren. Mündliche Sprache, z. B. Befehle, Auslassungen, unvollständige oder abbrechende Sätze, erzeugt Nähe und lässt den Text lebendig wirken. In Spielen nimmt man ja oft die Rolle einer Figur an, wodurch man sich mit diesem Charakter sehr gut identifizieren kann. Auch sprachlich wird deutlich, dass die Pronomen „Ich“ (aus Sicht der Figur) und „Du“ (zur Anrede der Figur) am häufigsten vorkommen. Der Text wird zusätzlich emotional aufgeladen mit Schimpfwörtern oder durch Satzzeichen wie Ausrufezeichen. Auf das Interface, also Maus, Tastatur etc., wird so wenig wie möglich verwiesen, meist am Spielanfang, damit Spieler*innen die Steuerung kennenlernen. Ansonsten würde der ständige Bezug auf die Steuerungselemente verhindern, dass wir uns in der Computerspiel-Welt verlieren, weil das Interface sich ja in der realen Welt befindet.

Die häufigsten drei-Wörter-Einheiten im Computerspieltext-Korpus.
Sprache trägt auf all diesen Ebenen dazu bei, dass wir stundenlang in eine andere Realität eintauchen. Es ist also nicht nur die tolle Grafik, der geniale Sound oder die Story, die uns fasziniert, sondern (implizit) auch wie das alles sprachlich vermittelt wird.
Falls ihr nun Lust habt, mehr darüber zu erfahren, könnt ihr das gerne hier in meiner veröffentlichten Masterarbeit nachlesen!
Über die Autorin:
Julia Prez hat Anglistik/Amerikanistik und Europäische Ethnologie/Volkskunde (B.A.) und Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft (M.A.) in Würzburg studiert. Nach einem anschließenden einjährigen Volontariat in einem Wissenschaftsverlag arbeitet sie heute als Computerlinguistin in München und „forscht“ in ihrer Freizeit weiterhin an Videospielen.
Fußnoten:
[1] Neitzel, Britta (2008): Medienrezeption und Spiel. In: Distelmeyer, Jan/Hanke, Christine und Dieter Mersch (Hg.): Game over!? Perspektiven des Computerspiels. Bielefeld: transcript Verlag, 95–110.
[2] Bertolini, Lucas (2018): Hands-on Game Development without Coding. Create 2D and 3D with Visual Scripting in Unity. Birmingham/Mumbai: Packt Publishing. Online unter: https://proquest.safaribooksonline.com/book/programming/game-programming/9781789538335/firstchapter [17.08.2020].
[3] Brinker, Klaus/Cölfen, Hermann und Steffen Pappert (8. Aufl. 2014): Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundlagen und Methoden. Berlin: Erich Schmidt Verlag.
[4] Dabei wurde Text als eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die zusammenhängen und gemeinsam eine kommunikative Funktion erfüllen, definiert (vgl. Brinker/Cölfen/Pappert 82014: 17).
[5] Anthony, Laurence (2018). AntConc (Version 3.5.0) [Computer Software]. Tokio: Waseda University. Online unter: https://www.laurenceanthony.net/software.
[6] Brezina, Vaclav/Weill-Tessier, Pierre und Tony McEnery (2020). #LancsBox v. 5.x. [Computer Software]. Online unter: http://corpora.lancs.ac.uk/lancsbox.
Eine Antwort
[…] A guest article by Julia Prez. The German version can be found here. […]