Ein Plädoyer für die Nutzung digitaler Spiele als Ergänzungsmöglichkeiten im Unterricht
Ein Gastbeitrag von Ann-Kathrin Engelke.
Digitale Spiele sind in den letzten Jahren immer stärker zu einem festen Bestandteil im mediengestützten Alltag vieler Schülerinnen und Schüler geworden. Jedoch wird dieser Aspekt auch in Bezug auf die Einbindung digitaler Spiele in den Bildungsbereich noch nicht ausreichend berücksichtigt, sehen viele Lehrkräfte die Einbindung digitaler Spiele für den eigenen Einbau in den Schulunterricht kritisch und für die Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler nicht geeignet. Findet ungeachtet dieser Tatsache doch ein Einbau von digitalen Spielen statt, so sind dies meist extra für den Einsatz im Unterricht konzipierte Lernspiele, die die Interessen der Schülerinnen und Schüler im Großteil nicht ansprechen. Darauf basierend gestaltet sich eine Argumentation der Nützlichkeit digitaler Spiele für den Wissenserwerb der Schülerinnen und Schüler oft schwierig. Folgend werden Anhaltspunkte und Vorteile der digitalen Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, für den Schulunterricht sowie den Einsatz im didaktischen Kontext benannt sowie erläutert. Alle digitalen Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, haben jedoch eins gemeinsam: Sie fördern meist unbemerkt unterschiedlichste Fähigkeiten und schaffen so eine Grundlage für die Herausforderungen in der Zukunft, die die Spieler sowie Spielerinnen erwarten werden.
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
(Schiller, 2000, S. 22; Erstveröffentlichung 1795)
Ganz Mensch sein bedeutet, sich von anderen Personen anerkannt zu fühlen, selbst wertschätzend gegenüber diesen zu sein sowie die Möglichkeit zu erhalten und besitzen, seine spezifischen Fähigkeiten sinnvoll in unterschiedlichsten Kontexten für die Verbesserung der (eigenen) Lebenswelt einsetzen zu können. All das geschieht meist völlig automatisch, wenn ein Individuum anfängt allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen sowie größeren Personengruppen zu spielen. Ein gemeinsames Spiel ist zudem erfolgreicher, wenn die Fähigkeiten aller Spieler und Spielerinnen sinnvoll eingesetzt werden können sowie wenn auf die Bedürfnisse aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen geachtet wird; sie dabei als ganzer Mensch betrachtet werden. Zudem erhält der oder die Spielende sofort auf seine oder ihre Tätigkeit eine direkte Rückmeldung, sodass eine Verbesserung entweder im nächsten Zug oder der nächsten Spielmöglichkeit zeitnah realisierbar ist. Diese Rückmeldung wiederum kann, ist sie sparsam eingesetzt sowie rational begründet, den Spielenden oder die Spielende für die Fortsetzung des Spieles motivieren. Dabei lernt das spielende Individuum neue Umgangsweisen, Sprachen, Objekte sowie unbekannte Welten kennen, die ihm oder ihr sonst versperrt geblieben wären. Es spielt, um zu lernen, wobei ihm oder ihr das selbst nicht bewusst ist. Hierin liegt der Vorteil des Spielens: Der Spielende oder die Spielende lernt unbewusst sowie aus eigener Motivation heraus. Dieser Fakt stellt für die Bildung eine große Chance dar, da ohne Frust, intrinsisch sowie mit direktem Feedback Lernstoff sowie Informationen und Wissen vermittelt werden kann. Dabei besteht auch für den Lehrenden oder die Lehrende beim Einsatz von Spielen die Möglichkeit, auf unterschiedlichste Materialien, Stoffe sowie Plattformen zurückzugreifen. Allerdings sollte bei der Auswahl dieser darauf geachtet werden, dass sie den Interessen der Schüler und Schülerinnen entsprechen sowie vorwiegend in ihrer Lebenswelt beheimatet sind. Gerade die heutige Gesellschaft und die Lebenswelt aller Schüler und Schülerinnen ist wie keine je zuvor so stark medial geprägt. Die Nutzung verschiedenster digitaler Endgeräte ist Alltag für die Kinder und Jugendlichen. Jedoch wird dieser Aspekt auch in Bezug auf die Einbindung digitaler Spiele in den Bildungsbereich noch nicht ausreichend berücksichtigt, da auch diese bereits einen festen Bestandteil im mediengestützten Alltag der Schülerinnen und Schüler eingenommen haben (vgl. Gabriel, 2019, S. 11f). Zudem beherrschen die immer häufiger auf den digitalen Spielen aufbauenden transmedialen Erweiterungen wie die Entwicklung von Serien, genannt werden kann hier die noch zu erscheinende Serie „The Last of Us“ (HBO, ca. 2022) zum gleichnamigen digitalen Konsolenspiel von Sony Interactive Entertainment aus dem Jahr 2013, den Alltag der Schülerinnen und Schüler zunehmend und sind zu einem festen Teil des medienkulturellen Turnus herangewachsen. Weiterhin stellt die Realisierung von Filmen, wie die bekannte Film-Reihen-Verfilmungen „Lara Croft: Tomb Raider“ (West, 2001) mit einem prominent besetzten Schauspielcast basierend auf dem Computerspiel „Tomb Raider“ (Core Design/ Crystal Dynamics/ Eidos Montreal, ab 1996), ein gutes Beispiel hierfür dar. Jedoch sehen viele Lehrkräfte immer noch die Einbindung digitaler Spiele für den eigenen Einbau in den Schulunterricht kritisch und für die Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler nicht geeignet (vgl. Kolibius, 2019, S. 152). Findet ungeachtet dieser Tatsache doch ein Einbau von digitalen Spielen statt, so sind dies meist extra für den Einsatz im Unterricht konzipierte Lernspiele, die die Interessen der Schülerinnen und Schüler im Großteil nicht ansprechen. Durch den meist fehlenden Lebensweltbezug werden die Jugendlichen und Kinder nicht ausreichend motiviert und es kann kein effektives Lernen sattfinden, obwohl ein Einbau der meist bei den Lernenden heißbegehrten digitalen Endgeräte in den Unterricht, erfolgt. Effektives Lernen kann dann möglich werden, wenn ein aktives, an Problemen orientiertes sowie auf Experimenten aufbauendes Handeln durch die Schülerinnen und Schüler möglich ist. In allen Unterrichtsvorbereitungen wird der oder die Lehrende dazu angehalten, das Lernziel bei der Vermittlung des Lernstoffes an den lebensweltlichen Kontext der Lernenden anzupassen, um so auch eine Motivationsquelle für die Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler zu schaffen (vgl. Lehner, 2009, S. 111). Alle diese Punkte sowie der Umstand, dass auch ein höherer kognitiver Trainingseffekt als bei größtenteils für das Lernen konzipierten digitalen Spielen nachweisbar ist, lassen sich auch während des Spielens von digitalen Spielen, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, wiederfinden und aufzeigen (vgl. Kolibius, 2019, S. 159.). Dennoch ist der Einsatz dieser, folgend Unterhaltungsspiele genannt, im Schulunterricht spärlich bis nicht vorhanden. Es scheint, als ist vielen männlichen und weiblichen Lehrkräften das Potenzial dieser Art von (digitalen) Spielen noch nicht bewusst. Darauf basierend gestaltet sich eine Argumentation der Nützlichkeit digitaler Spiele für den Wissenserwerb der Schülerinnen und Schüler oft schwierig. Dieser und weiterer Tatsachen folgend, möchte ich Anhaltspunkte und Vorteile der digitalen Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, für den Schulunterricht sowie den Einsatz im didaktischen Kontext benennen und erläutern. Ziel ist es, die aktuell stark eingeschränkte Sichtweise hinsichtlich dieser Art von digitalen Spielen zu ändern und nachhaltig zu beeinflussen. Dabei erfolgt keine Orientierung allein an Einzelmedien wie Computer- oder Konsolenspielen, da der Bereich der digitalen Spiele ein weitgreifender ist und umfassende Plattformen miteinbezieht. Auch zu beachten ist die Tatsache, dass die Einbindung digitaler Spiele zwar das Potenzial besitzt, die konventionelle Bildung in vielen Fächern zu ergänzen, jedoch nicht das traditionelle Lernen im Klassenplenum sowie mit analogen Medien ersetzen kann. Es sollte sich beim Einsatz dieser immer um einen komplementären Lehreinsatz handeln.
Ein bereits genannter großer Vorteil digitaler Video-, Konsolen-, oder Computerspiele, der sich so kaum in einer anderen Kunstform widerfinden lässt, ist die Möglichkeit des Spielers oder der Spielerin selbst aktiv in eine Handlung, ein Geschehen oder eine Tatsache eingreifen zu können. Er oder Sie lässt seine subjektive Weltanschauung hinter sich, wenn in Spielwelten eingetaucht wird sowie Spielwelten sogar aktiv selbst verändert oder gestaltet werden. Das Spielziel vieler Spiele wird, je nach Genre, sogar nicht explizit bekanntgegeben. Genannt werden kann das ursprünglich nur für den PC entwickelte Open-World-Spiel „Minecraft“ (2009) des schwedischen Independent-Entwicklerstudios Mojang, in dem der Spieler oder die Spielerin mithilfe von Blöcken in Würfelform eine 3D-Welt erbauen kann. Der oder die Spielende ist dabei nur durch die Regeln der Spielmechanik beschränkt und wird zum Medium des Spiels (vgl. Rautzenberg, 2018, S. 272). Digitale Spiele wie Minecraft lassen den Spieler eine neue eigene Welt erschaffen, in der dieser trotzdem nach vorgefertigten (Programmier-) Regeln handeln muss. Diese müssen eigens während des Spielens evaluiert werden, meist durch Versuch und Irrtum.
Jedoch ist das Repertoire an Spielmechaniken, mit dem der Gamer oder die Gamerin agiert, nicht zwangsläufig festgeschrieben, da sie kopierbar, veränderbar und erweiterbar sind. Diese Veränderungen des Programmcodes, durch den Einbau von Modifications ([Mods] zu Deutsch: Änderungen), sowie von CC-Inhalten (Custom Content), werden durch aktive Mitspieler und Mitspielerinnen eines Games erstellt und sind meist kostenlos oder für einen geringen Betrag im Internet als Download erhältlich. Erwähnt werden kann hier das Simulationsspiel „The Sims“ (Maxis, ab 2001), dessen Spielmöglichkeiten wie die Erstellung eines Sims, seiner Wohnmöglichkeiten oder seiner Anziehkleider, durch CC-Inhalte und Mods fortlaufend erweitert werden. Dadurch wird zudem die Möglichkeit gegeben, das Interesse das Game weiterzuspielen aufrecht gehalten. Hier kann das Interesse der Schülerinnen und Schüler für den Informatik-Unterricht erhöht werden, indem der Programmiercode eines beliebten digitalen Spieles analysiert wird, da die Erstellung eines Programmcodes sowie die Funktion der Spielmechanik mathematisches und technisches Wissen benötigt. Zudem sind die Lernenden dabei in einem festgelegten mathematischen Rahmen technisch aktiv tätig, wodurch ihre Kreativität gefördert wird.
Während des Spielens erhält der Spieler oder die Spielerin wie in keinem anderen Medium zeitnahe eine oder keine Rückmeldung, wenn er sowie sie einen Wert oder eine Zahl unpassend in das Programmfeld eingegeben hat. Der oder die Spielende erfährt Selbstwirksamkeit, während ihn sowohl verbales, visuelles und haptisches Feedback erreicht. Alle Aktionen, die im digitalen Spiel erfolgen, werden als sinnvoll sowie effektiv empfunden, haben jedoch auch immer Konsequenzen für den weiteren Spielverlauf (vgl. Gabriel, 2019, S. 16).
Dabei bieten digitale Spiele, im Gegensatz zu realen Situationen, die Möglichkeit, das Geschehene rückgängig zu machen, es interaktiv zu manipulieren und dadurch aus Fehlern zu lernen. Das 3D-Adventure-Spiel „Life is Strange“ (Dontnod Entertainment) aus dem Jahr 2015 lässt dem Spieler oder der Spielerin die Möglichkeit, seine Aktionen und Antwortmöglichkeiten im selben Spieldurchlauf noch einmal zu wiederholen. Das geschieht, indem der Spieler oder die Spielerin in die Rolle der Hauptcharakterin Max schlüpft, die die Zeit zurückdrehen kann. Dadurch ergibt sich unter anderem die Chance, physische Misshandlungen sowie Selbstmordattentate zu verhindern und Leben zu retten. Die Spielenden machen Erfahrungen, die sie im echten Leben nicht machen könnten und übernehmen Rollen, die nicht existieren oder Gefahren für sie darstellen. Hier geschieht also Lernen durch Erfahrungen, ohne das Individuum und andere Personen zu gefährden. Dabei ist das digitale Spiel nicht nur als Vermittler von narrativen Informationen tätig, sondern erlaubt es auch, Erfahrungen zu erleben, die so nicht von passiv zu nutzenden Medienangeboten wie Filmen gemacht werden können (vgl. Schmidt, 2018, S.256). Eine Möglichkeit, dies in den schulischen Bildungsweg miteinzubauen ist meines Erachtens, wenn sich im Klassenplenum oder kleineren Gruppen über diese Erfahrungen und Spielentscheidungen unterhalten wird. Dabei kann auf moralische Erfahrungen sowie sozial erwünschte Verhaltensweisen, Regeln und Normen einer Gesellschaft eingegangen werden, wenn der Spielende oder die Spielende durch die Spielmechanik dazu aufgefordert wird, „über Leben und Tod“ zu entscheiden.
Auch diese Entscheidungen werden, wie die meisten Entscheidungen, auf der Basis von Wissen gefällt. Dieses Wissen und Informationen zu bestimmten Wissensgebieten eignen sich die Spielenden auf unterschiedlichste Weise während des Spielens an. Als Beispiel hierfür kann das Action-Adventure-Game „Assassin‘s Creed Unity“ (Ubisoft, 2014), das im aufwendig sowie detailgetreu nachgebauten Paris des 18. Jahrhundert spielt, genannt werden. Der Spielende kann in einem Freispielermodus die Stadt Paris erkunden und dabei lernen, wie der Stadtbau in der damaligen Zeit erfolgte und welche Materialien verwendet wurden. Er macht Erfahrungen, die er im echten Leben nicht tätigen kann und erlernt unwissentlich Wissen über den ehemaligen Aufbau der Stadt Paris und das Leben vieler Menschen zu dieser Zeit. Zudem geschieht auch Lernen durch die Spielmechanik, wenn ich als Spielender oder Spielende meine Kommunikationstechniken in einem interaktionsbasierten Rollenspiel überdenken muss. Durch erfolgreiche Unterhaltungen sowie das Aufrechterhalten von Beziehungen können Waffen oder Ausrüstungsgegenstände sowie Verbesserungen für den eigenen Avatar erhalten werden. Gezielt in die Spielmechanik eingebaut ist dieser Fakt vor allem im Spiel „The Witcher“ (CD Project RED, 2007), da der Hauptcharakter in Verhandlungen mit Menschen und unterschiedlichsten Wesen treten muss, um die eigene Ausrüstung verbessern zu können sowie um das Spielziel zu erreichen. Der oder die Spielende verbessert seine kommunikativen Fähigkeiten und lernt, sich in andere Personen hineinzuversetzen.
Dabei erfüllt das Spiel eine Empathiefunktion, wenn er oder sie Mitgefühl entwickelt und seine Emapthiefähigkeit verbessert (vgl. Breiner, 2019, S. 117). Das Spiel „The Witcher“ bietet zudem auch die Möglichkeit durch die Spielgeschichte selbst zu lernen. Da dieses und viele weitere Spiele entweder nur mit fremdsprachlichen Dialogen oder erst einige Monate nach dem Releasedatum mit deutschsprachigen Übersetzungen erscheinen, können unbewusst neue Vokabeln gelernt oder die Lesekompetenz verbessert werden (vgl. Kolibius, 2019, S. 166). Wird der Fokus hierbei nicht nur auf Singleplayerspiele gesetzt, sondern auf Mehrspielerspiele, die MMOG‘s (Massive Multiplayer Online Games) erweitert, kann eine zusätzliche Lernmethode digitaler Spiele benannt werden. Im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung wird ein Großteil der digitalen Spiele in einer Gemeinschaft gespielt, wobei der oder die Spielende ein individueller Teil des Geschehens darstellt (vgl. Breiner, 2019, S.120). Wird in einer Gemeinschaft gespielt, dann können vor allem neue Spieler von anderen Spielenden lernen. Dies betrifft den Einsatz von Spielgegenständen, das Ausrüsten des eigenen Avatars oder der eigenen Figur, die Spieltaktik sowie die Bekämpfung von Gegnern. Gerade in MMORPG’s (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game, übersetzt ins Deutsche: Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel) entsteht die Narration, im Gegensatz zu Singleplayer-Spielen, aus der sozialen Interaktion der Spielenden untereinander sowie deren Übernahme einer Rollenfigur. Bekanntestes Spielebeispiel hierfür ist das bisher erfolgreichste MMORPG „World of Warcraft“ ([WoW] Blizzard Entertainment), das im Jahr 2004 erstmals veröffentlich wurde. In dem Spiel erstellt der sowie die Spielende sich einen Charakter und schließt sich einer Fraktion an. Ziel des Spiels ist die Maximierung der Fähigkeiten des Charakters bis zu einem Maximum-Level. Der ausgewählte Charakter besitzt spezifische Vor- und Nachteile, die von allen Spielenden gekannt und zur passenden Zeit am passenden Ort eingesetzt werden müssen. Der oder die Spielende identifiziert sich mit seinem Charakter, seiner Rollenfigur oder seinem Avatar, er oder sie lernt seine Fähigkeiten kennen und weiß, wann er oder sie diese einsetzen muss. Dabei muss erfolgreich mit anderen Spielenden kommuniziert werden, wodurch wiederum kommunikative Kompetenzen, das Wissen um diese und die Fähigkeit zur Teamarbeit gefördert werden. Der oder die Gamerin erfährt fortlaufend gegenseitige Unterstützung, während er sowie sie in einen sozialen Austausch mit Gleichgesinnten tritt. Gerade diese Tatsache, stellt einen großen Anreiz dar, digitale Spiele zu konsumieren. Dabei ist der Anteil, der spielbezogene Kommunikation enthält, relativ gering, wohingegen der Kommunikationsanteil, der zur Aufrechterhaltung der Spielgemeinschaft verwendet wird, eine höhere Menge darstellt (vgl. Ackermann, 2018, S. 307). Digitale Spiele besitzen, betrachtet man all diese Tatsachen, ein großes Potenzial, kommunikative Fähigkeiten zu fördern, soziale Interaktionen standortübergreifend zu unterstützen sowie gesellschaftliche Gruppenstrukturen nachhaltig aufzubauen und zu stärken.
Dabei liegt auch hier wieder der Vorteil darin, dass dies dem oder der Spielenden nicht explizit bewusst ist, da das gemeinsame Erreichen des Spielzieles im Vordergrund steht. Weiterhin kann dieser Fakt meines Erachtens auch in Bezug auf den überwiegend digitalen Unterricht der Schülerinnen und Schüler bedingt durch die gegenwärtige Corona-Pandemie verwendet werden. Die Lehrperson kann durch den Einbau digitaler Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, die kommunikativen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler fördern, die in Zeiten der Isolation nicht im Schulalltag wie Pausen erlernbar sind. Auch unterscheidet sich die Kommunikation der Jugendlichen untereinander, wenn eine Lehrperson den (digitalen) Raum betritt und kann hingegen im gemeinschaftlichen digitalen Spiel durch die Kommunikation mit Gleichgesinnten anderweitig gefördert werden. Der Gamer und die Gamerin tätigen Erfahrungen, die so im realen (Alltags-)Leben, nicht nur in der Corona-Pandemie, nicht möglich sind. Das bereits erwähnte Simulationsspiel „The Sims 4“ (Maxis, 2014) veröffentlichte kürzlich ein Erweiterungspack unter dem Namen „Ab ins Schneeparadies“ (Maxis, 2021), das es dem oder der Spielenden ermöglichte, an unterschiedlichste Orte, wie Schneelandschaften, Berge oder Freizeitparks zu gelangen und reagierte damit auf das ansteigende Reisebedürfnis der Gesellschaft, der das Reisen in Pandemiezeiten untersagt ist. Der Spieler oder die Spielerin hat dadurch die Möglichkeit mit der erstellten Rollenfigur, seinem „Sim“, neue Erfahrungen in fiktiven, vergangenen, oder zukünftigen Welten zu tätigen.
Dadurch ermöglichen digitale Spiele nicht nur das Erleben neuer Erfahrungen, sondern auch die Erfahrungsverarbeitung in dessen Zusammenspiel von Narration, Ästhetik, Technologie und Spieldesign (vgl. Rauscher, 2018, S. 74). Dies geschieht dadurch, dass der oder die Spielende entweder die Möglichkeit besitzt, seinen Charakter nach seinem Vorbild zu erstellen, oder dem Charakter Eigenschaften zuzuschreiben, die für ihn unerreichbar scheinen, jedoch seinen (womöglich auch nicht öffentlich formulierten) Wünschen entsprechen. Mit dem erstellten Charakter, in „WoW“ oder dem selbst erschaffenen Sims, in „Die Sims“, können neue und möglicherweise auch sozial unerwünschte Charaktereigenschaften oder die Änderung des eigenen Geschlechtes erprobt werden. Es können jedoch auch Charaktereigenschaften des sozialen Umfeldes miteingebaut werden, wenn zum Beispiel die eigene Familie oder der Freundeskreis in „Die Sims“ nachgebaut wird.
Auch die Ausgestaltung der Narration bei digitalen Unterhaltungsspielen kann im Gegensatz zu anderen, auch digitalen, Medien auf verschiedenste Weise erfolgen. Der oder die Spielende besitzt die Möglichkeit, diese aktiv zu gestalten. Dabei bieten vor allem Open-World-Spiele oder Rollenspiele wie das Action-Rollen-Spiel „Horizon Zero Dawn“ (Guerilla Games, 2017) unterschiedlichste Sub-Quests (zu Deutsch: Nebenmissionen) an, die die Handlung der Main-Quest (zu Deutsch: Hauptmission) unterstützen. Der oder Spielende kann selbst entscheiden, wann er oder sie welche Sub-Quest erledigen möchte und trägt damit zu einem einmaligen Spieleerlebnis und individuellen Erfahrungsverarbeitung bei. Zudem bieten viele Open-World-Spiele die Möglichkeit, sogenannte Freeplay-Modi freizuschalten, in denen die Welten durch den oder die Spielende frei erkundbar sind. Das digitale Spiel bietet diesbezüglich Unmengen von Möglichkeiten dem Individuum bis dato bekannte Grenzen in einem sicheren und geschützten Raum zu überwinden. Doch das digitale Spiel hilft nicht nur bei der Erkenntnis und Überwindung persönlicher Grenzen, sondern erschafft auch selbst welche. Schafft der oder die Spielende es nicht mit mehreren Anläufen ein Hindernis oder Rätsel zu lösen, kann ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit oder Frust entstehen. Diese negativen Gefühle können aber in einem geschützten Raum erlebt werden und zum Teil auch einen symbolischen Wert für die Spielenden annehmen (vgl. Rauscher, 2018, S. 65). Der Spieler sowie die Spielerin lernt, mit diesen Gefühlen umgehen zu können sowie Problemlösestrategien zu entwickeln. Bei keinem anderen Medium kann dies so unbemerkt stattfinden, wie bei diesem und bei keinem anderen Medium geschieht dies auf so unterschiedliche Weisen, wie bei digitalen (Unterhaltungs-)Spielen. Gerade konstruktivistisch orientierte Lerntheorien bauen auf dem Anspruch auf, die Problemlösefähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern (vgl. Baar & Schönknecht, 2018, S.47). Auch die Erlebnispädagogik, deren Einsatz immer weiter Einzug in den schulischen Alltag nimmt, hat sich die Steigerung der Fähigkeit der Problemlösung als eines seiner Ziele gesetzt (vgl. ebd., 2018, S.161). Der Einbau digitaler Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, ist somit auch im Rahmen dieser Pädagogik gut vorstellbar, da die meisten digitalen Spiele, die der Unterhaltung dienen, keine vorgefertigten detaillierten Lösungsansätze anbieten. Das Lösen von Problem wird durch die Spieleentwickler als zentrale Aufgabe angesehen, um das Spielziel erreichen zu können. Mit als bekannteste Beispiel hierfür kann das Spiel „Uncharted“ (Naughty Dog, ab 2007) erwähnt werden. Das Action-Adventure-Game ermöglicht es dem Charakter Nathan Drake nur dann weitere Räume und Welten zu erreichen, wenn zuvor Puzzles und Rätsel gelöst werden, die mit Voranschreiten des Spieles an Schwierigkeitsgrad zunehmen. Spielt der Gamer oder die Gamerin, werden Fehler für sie und ihn sofort erkennbar, Verhalten sowie Entscheidungen bestraft und können in neuen Situationen ohne großen Zeitverlust geändert werden. Der sowie die Spielende ist dann in der Lage unterschiedlichste Inhalte bewerten, analysieren und zu etwas Neuem verbinden zu können, wenn zum Beispiel die Reihenfolge der im Spiel vorhandenen und getätigten Hebel geändert werden muss, um die Bewegung einer Steinstatue auszulösen. Die Fähigkeit Probleme zu lösen ist eine wichtige Qualifikation, um die sich ständig ändernden Herausforderungen des zukünftigen Alltages der Schülerinnen und Schüler meistern zu können. Digitale Spiele bieten hierfür eine gute Möglichkeit, weil sie schnelle Rückmeldung auf unterschiedlichste Weise, visuell und haptisch, bieten und technische Fähigkeiten, die zu einem erfolgreichen Start des digitalen Spiels nötig sind, fördern.
Gemeinsam haben sowohl das Single- als auch Multiplayergame, dass sie dazu anregen können, sich auch nach dem Spielen mit Spielthematiken zu beschäftigen, sowie darüber hinaus Informationen über die Thematik des Spieles zu suchen. Vor allem wichtig beim gesamten Einbau digitaler Spiele in den Schulunterricht ist, die Zielsetzungen, die der oder die Lehrende bezüglich eines Spieles stellt, möglichst variabel zu formulieren. Es zeigt sich, dass nicht nur eine Verbesserung der Spielleistung, in Form eines hohen Punktestandes, sondern auch erworbene mentale Qualifikationen auch auf andere kognitive Fähigkeiten transferiert werden können (vgl. Kolibius, 2019, S. 170). In der im Jahr 2019 veröffentlichten Fortsetzung des Level-Editor-Spieles „Super Mario Maker“ (Nintendo, 2015), das Jump-‚n‘-Run-Spiel „Super Mario Maker 2“ des japanischen Publishers Nintendo, geht es darum, eigene Welten und Level mithilfe von Objekten sowie Figuren zu bauen. Dabei besitzt jeder Gegenstand sowie jede Figur unterschiedliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Der oder die Spielende muss sich daher vorstellen können, wie die entsprechende Figur, die das eigens erstellte Level anschließend meistert, die Gegenstände verwenden kann. Das Spiel kann beispielsweise dafür verwendet werden, die Raumvorstellung von Schülerinnen und Schülern spielerisch zu verbessern und diese Fähigkeit dann im mathematischen Schulunterricht einzubauen. Viele der genannten Vorteile und Möglichkeiten aus digitalen Spielen, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, können entweder direkt in einem einzigen Spiel entdeckt werden oder durch die Kombination mehrerer digitaler Spiele erlernt werden. Gestaltet der Lehrende oder die Lehrende eine didaktische Konzeption, kann er oder sie aus einer Vielzahl an Fähigkeiten wählen, die eine wichtige Zielsetzung darstellen können. Zudem sind die Lehrenden dabei nicht explizit auf eine Plattform beschränkt. Werden digitale Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, eingesetzt, so sind die Spielenden intrinsisch motiviert und werden kreativ, wenn sie die Spielziele in einer Gruppe oder allein erreichen möchten. Ihnen wird wie in keinem anderen Medium eine so große Möglichkeit geboten, aktiv in eine Handlung einzugreifen sowie bekannte Grenzen in einem sicheren und geschützten Raum auszuprobieren. Das digitale Spiel gibt wie kein anderes Medium sofort eine Rückmeldung an die Spielenden, die daraufhin Selbstwirksamkeit erfahren und ihre Fähigkeit zur Problemlösestrategie kontinuierlich verbessern können. Zudem könnte das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler während des Einsatzes digitaler Spieler verbessert werden, da die Spielenden in Multiplayerspiele voneinander lernen können und das eigene Wissen an andere Mitschüler sowie Mitschülerinnen weitergegeben wird. Des Weiteren fördern die Unterhaltungen der Spielenden untereinander während und über das Spiel hinaus die kommunikativen Fähigkeiten der Spieler und Spielerinnen. Sie lernen im Team zu arbeiten, wenn alle Charaktereigenschaften und Fähigkeiten zur Erreichung eines Spielzieles benötigt werden und können sich dadurch besser in andere Personen hineinversetzen.
Auch findet wichtiges erfahrungsbasiertes Lernen statt, wenn die sowie der Spielende seine Erfahrungen mithilfe von digitalen Spielen, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, verarbeiten und seinen Erfahrungshorizont erweitern kann. Alle digitalen Spiele, die vornehmlich der Unterhaltung dienen, haben jedoch eins gemeinsam: Sie fördern meist unbemerkt unterschiedlichste Fähigkeiten und schaffen so eine Grundlage für die Herausforderungen in der Zukunft, die die Spieler sowie Spielerinnen erwarten werden.
Über die Autorin:
Ann-Kathrin Engelke studiert Kultur- und Medienbildung mit den Schwerpunkten Film und digitale Medien sowie Theater und Literatur an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Einsatzmöglichkeiten sowie Potenzialen digitaler Spiele im pädagogischen Rahmen. Die in ihrer Freizeit entdeckten und gespielten Games finden immer wieder Einzug in ihre Arbeiten.
Literaturverzeichnis:
Ackermann, J. (2018): Gemeinschaft. In: Beil, B (Hrsg.), Hensel, T. (Hrsg.), Rauscher, A. (Hrsg.): Game Studies, Wiesbaden: Springer VS
Baar, R. & Schönknecht, G. (2018): Außerschulische Lernorte: didaktische und methodische Grundlagen, Weinheim: Beltz
Breiner, C.T. (2019): Funktionen des Spielens. In: Kolibius, L.D. (Hrsg.), Breiner, C.T. (Hrsg.): Computerspiele – Grundlagen, Psychologie und Anwendungen, Berlin: Springer VS
Gabriel, S. (2019): The Potential of Digital Games for Learning and Teaching. In: Elmenreich, W. (Hrsg.), Schallegger, R. R. (Hrsg.), Schnitz, F. (Hrsg.), Gabriel, S. (Hrsg.), Pölsterl, G. (Hrsg.) & Ruge, W. B. (Hrsg.): Savegame – Agency, Design, Engineering, Wiesbaden: Springer VS
Kolibius, L. D. (2019): Wissenserwerb und kognitive Fähigkeiten. In: Kolibius, L.D. (Hrsg.), Breiner, C.T. (Hrsg.): Computerspiele – Grundlagen, Psychologie und Anwendungen, Berlin: Springer VS
Kolibius, L. D., (2019): Das Potenzial von Computerspielen nutzen. In: Kolibius, L.D. (Hrsg.), Breiner, C.T. (Hrsg.): Computerspiele – Grundlagen, Psychologie und Anwendungen, Berlin: Springer VS
Lehner, M. (2009): Allgemeine Didaktik, Stuttgart: UTB Haupt
Rauscher, A. (2018): Story. In: Beil, B (Hrsg.), Hensel, T. (Hrsg.), Rauscher, A. (Hrsg.): Game Studies, Wiesbaden: Springer VS
Rautzenberg, M. (2018): Spiel. In: Beil, B (Hrsg.), Hensel, T. (Hrsg.), Rauscher, A. (Hrsg.): Game Studies, Wiesbaden: Springer VS
Schiller, F. (2000): Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In: Berghan, K. (Hrsg), Stuttgart: Reclam Philipp jun (Erstveröffentlichung 1795)
Schmidt, H. C. (2018): Transmedialität. In: Beil, B (Hrsg.), Hensel, T. (Hrsg.), Rauscher, A. (Hrsg.): Game Studies, Wiesbaden: Springer VS