Die Tanten vom Buckelsumpf
Die Welt von The Witcher 3 ist wahrlich nicht mein liebster Schauplatz, aber eines muss ich CD Projekt Red und Andrzej Sapkowski lassen: Sie verstehen die Macht von Namen ganz vortrefflich. Orte, Gegenstände und vor allem Menschen in den Der Hexer-Büchern und der The Witcher-Spielreihe sind oft mit Begriffen versehen, die schon vom Hören ganz bestimmte Assoziationen wecken, ohne dass man den eigentlichen Ort, Gegenstand oder Menschen überhaupt kennt. Ich denke natürlich sofort an den Bloody Baron, den blutigen Baron.
Hier soll es jedoch um ein Trio von Frauen gehen, deren Wirkung im Spiel ganz maßgeblich von ihrem Äußeren und nicht von ihrem Namen abhängt. Doch Namen sind wichtig. Deshalb möchte ich euch zeigen, was hinter den Muhmen vom Buckelsumpf steckt.
Die Muhmen vom Buckelsumpf sind ein Hexentrio, ansässig im namensgebenden Sumpf von Velen, das in einer morbiden Version von Hänsel und Gretel zu leben scheint: Eltern schicken ihre Kinder einen ‘süßen Pfad’ entlang, einem Waldweg voller Süßigkeiten, bis diese in einem Waisenhaus mitten in den Marschen ankommen, das von den Muhmen kontrolliert wird.
Diese Crones of Crookback Bog, wie sie im englischen Original heißen, sind wahrlich furchterregende Hexen: Sie brauen widerliche Tränke, weben Teppiche aus Menschenhaar und fressen – natürlich – Kinder. Wer so böse ist, der braucht also auch einen Namen, der sich mit Bösartigkeit assoziieren lässt. Das Englische schafft das gut: Crones, das sind alte Frauen, aber eine ganz bestimmte Art. Bucklige, alte, versteckte, missgünstige Hexen. Solche, die man in den Ofen steckt, wenn man ein*e Märchenprotagonist*in ist. Wer hört: “Geralt, find the Crones of Crookback Bog”, der spürt sofort: das wird unangenehm.
Im Deutschen fehlt uns diese Assoziation jedoch. Was sind überhaupt Muhmen? Abgesehen davon, dass so gut wie niemand das Wort aus dem eigenen Sprachgebrauch oder auch nur dem passiven Wortschatz erkennen würde, klingt es nicht sonderlich bedrohlich. Zwei Nasale, ein langer dunkler Vokal: [mu:mə]. Muuuuhm. Das hat ein bisschen was von frühen Sprachübungen kleiner Kinder.
Staunt ihr, wenn euch jetzt sage, dass das gar nicht mal so abwegig ist? Denn was Muhme eigentlich heißt, das ist etwas ganz freundliches, ein Verwandtschaftsbegriff, den wir heute anders nennen: Tante.
Es gab eine Zeit, da haben deutsche Verwandtschaftstermini anders funktioniert als heute. In Zeiten von Mitgift, politischer Heirat und Umzügen der frisch verheirateten Frau auf den Hof des Mannes war es sehr wichtig, mütterliche und väterliche Einflüsse und Familien auseinanderzuhalten. Das galt eben auch für die Verwandschaft: Der Bruder des Vaters war, ihr kennt es, der Onkel. Der Bruder der Mutter aber nicht! Wen wir heute den Onkel mütterlicherseits nennen würden, der hieß Oheim. Parallel dazu war die Schwester des Vaters die Tante. Und nun willkommen im Buckelsumpf: Die Schwester der Mutter war die Muhme.
Diese Trennung der Geschlechter ist in der Neuzeit verloren gegangen, als die väterlichen Begriffe beide Funktionen angenommen haben. Heute nennen wir nicht nur den Bruder des Vaters Onkel, sondern auch den Bruder der Mutter, und sogar den nicht blutsverwandten Mann der Schwester oder des Bruders der Mutter. Ja sogar fremde Menschen fallen gelegentlich unter die Schirmbegriffe Tante und Onkel: “Gib das dem Onkel dort mal zurück” oder “Willst du einen Keks von der Tante?” muss keine Verwandtschaft, ja nicht einmal zwingend Bekanntschaft mit dem angesprochenen Erwachsenen anzeigen. Das zeigt, wie der Status der Blutsverwandtschaft in der Linie der Eltern an Einfluss verloren hat: Es ist kolloquial nicht mehr wichtig, zu wissen, ob Tante Emma Muttis oder Vatis Schwester ist. Entsprechend weiß auch kaum jemand mehr, was Muhme einmal bedeutet hat. Man kann das Wort also genauso gut neu belegen und dem wundervollen Begriff der crone einen altbacken genug klingenden, mysteriösen Namen geben. Well done, Lokalisationsteam von The Witcher 3.