Unwetterwarnung: Es hagelt Toxische Männlichkeit in Overwatch
Das Phänomen der toxischen Männlichkeit ist seit einiger Zeit immer mehr zum Fokus sozio-kultureller sowie feministischer Debatten geworden. Es sind oft weiße, heterosexuelle Männerfiguren, die sich das Recht vorbehalten, in der heutigen Welt privilegierter als andere Ethnien, Geschlechter oder Menschen mit anderer sexueller Orientierung sowie Behinderungen zu sein. Die toxische Männlichkeit ist somit nicht nur in dedizierten Debatten, sondern ebenso im männer-dominierten Medienformaten anzutreffen, wie dem digitalen Spiel. Oder im konkreten Falle: in Blizzard Entertainments Overwatch.

Aktuelle Männerfiguren wirken als Vorbilder für die Männer von Morgen. © The P&G Company
HINWEIS: Der nachfolgende Text enthält krude Sprache. Sämtliche Dialoge wurden auf Grundlage eines Gedächtnisprotokolls erstellt.
Ich spiele Overwatch seit der Beta im Jahr 2015. Zuvor habe ich mich in unterschiedlichen MOBAs wie Dota 2 herumgetrieben. Hier mal ein „Schwuchtel“, da mal eine „dummer N*g*r“ oder eine „scheiß Jude“. Das ist soweit leider normal in diesen Communities.
Wenn ich die Chance zur Intervention während einer Partie hatte, habe ich sie genutzt, auch wenn ich sehr schnell von den Mitspielern, die nicht meiner Meinung waren, vom Spiel entfernt wurde. Obgleich ich immer genau ‚gendere‘, habe ich hier absichtlich das Maskulinum „MitspielER“ gewählt. Denn es sind meistens männliche Mitspieler, die einen solchen Umgangston an den Tag legen.
Bislang bin ich mit solchen Mitmenschen eher locker umgegangen. Zumindest bis sie meine Grenzen und die des guten Geschmacks überschritten haben. Doch vor einigen Tagen bin ich einem Spieler begegnet, der mir regelrecht Angst gemacht hat. Misogynie, Ausländer- und Fremdenhass sowie Homophobie und Antisemitismus. Es war ein Bouquet zahlreicher Aggressionspotenziale quer durch den sozio-kulturellen Horizont. Sie wurde alle durch Spieler_innen von Overwatch ausgelöst, die aus der Sicht des erwähnten Spielers, zu dumm zum Überleben seien.
Es kam alles anders als angenommen
Vorlesungsfreie Zeit. Also die Zeit, in der ich mich dedizierter meinen Hobbies widmen kann. Es ist Dienstagmorgen, mein PC läuft bei lauen 67 Grad Celsius unter meinem Schreibtisch. „Select a hero“, hallt es aus meinen 7.1 Surround-Kopfhörerlautsprechern. Zeit für eine Runde „Competitive Play“ in Overwatch.
Im Voice Chat wabern freundliche Stimmen meiner Mitspieler_innen und nach kurzer Bedenkzeit haben wir ein Team zusammengestellt. Es kann losgehen. Nach anfänglicher Schwierigkeiten und dem verlieren der ersten Runde, stecken wir die Köpfe zusammen, um unser Team-Komposition als Held_innen zu überdenken. Da fällt mir sofort eine männliche Stimme auf, die mit tollen Ideen zum weiteren Vorgehen aufwartet. Nach einer Umstellung des Teams und weiteren strategischen Hinweisen können wir das Match für uns entscheiden. Ich bin begeistern, was für ein Wissen diese männliche, körperlose Stimme zu bieten hat.
Weil alles so toll lief, bilden seine und meine Stimmen und unsere Lieblings-Held_innen sofort ein Team für die nächsten Runden. Und es läuft gut. Selbst die nächsten zwei Runden können wir für uns entscheiden. Ich bin begeistert. Doch Plattitüden haben ihre Daseinsberechtigung – egal wie flach sie auch sein mögen. Von nichts kommt nichts und es kommt wie es kommen muss, denn nichts hält für die Ewigkeit: Die dritte Runde verläuft gar nicht nach meinem Gusto. Doch vor allem nicht nach dem Gusto meines Mitspielers.
Aus heiterem Himmel: Es blitzt toxische Männlichkeit
Das gegnerische Team ist zu stark. Nach der ersten Hälfte des Matches stauen sich bereits Aggressionen auf. Natürlich ärgere ich mich. Doch meistens behalte ich meinen Ärger für mich. Es nützt nichts Andere anzuschreien, da es die Team-Moral nur noch weiter herunterzieht. Dass scheint meinen gerade kennengelernten Mitspieler nicht zu kümmern. Ohne Umschweife geht er verbal auf meine Team-Mitglieder los. Zuerst noch harmlos mit Fragen wie „Seid ihr dumm, oder was?“ oder „Was soll der Scheiß?“. Als sich dann eine weibliche Stimme zu Wort meldet, rastet er jedoch völlig aus.
„Du blöde Schlampe, warum kannst Du nur Mercy spielen?“, schreit er in sein Mikrophon. Ein Freund der angeschrienen Mitspielerin möchte intervenieren: „Sie kann momentan am besten Mercy spielen. Die anderen Helden kann sie noch nicht. Zudem möchte sie ein wenig üben.“ Diese Rechtfertigung scheint nicht zu genügen. „Warum spielen irgendwelche Tussis eigentlich dieses Spiel oder überhaupt Computerspiele?! Frauen sollten ihre Fresse halten! Warum dürfen die eigentlich wählen?!“.
Ich versuche ihn etwas zu beruhigen. Doch er schneit mich zwischen seinen Tiraden nicht mehr wahrzunehmen. In vollkommener Rage brüllt er ohne Punkt und Komma in die Weiten des Voice Chats. Es folgen ausschließlich Beleidigungen. Das Match geht zu Ende und ich stelle ihn in einem privaten Gruppenchat zu Rede. Was ihn so ärgere, möchte ich wissen. Die Menschen seien zu dumm um eine einfaches Spiel richtig zu spielen, meint er. Solche Menschen sollten eine Strafe erhalten. „Wenn dir etwas nicht passt, kannst Du sie ‚reporten‘“, erwidere ich. Nein, er wäre für Strafen im echten Leben. Bevor ich auf diese Aussage reagieren kann, hat das ‚Matchmaking‘ des Spiels eine neue Partie für uns gefunden.

Obgleich immer mehr weibliche Spielfiguren in Overwatch implementiert werden, möchten jedoch einige Männer reale Frauen nicht als Teil der Overwatch-Community anerkennen.© HeroesNeverDie.com
Der Blitz schlägt mehrmals an derselben Stelle ein
Vielleicht hätten wir nach der vorherigen Runde sofort getrennte Wege gehen sollen. Doch selten schlägt ein Blitz an derselben Stelle ein. Wieder falsch. Denn auch diese Runde läuft nicht positiv für unser Team und jetzt rastet er völlig aus: Nach Interventionsversuchen meinerseits, schaltet mein kürzlich getroffener Kumpane auf Rot. Ohne Punkt und Komma sprudelt es aus ihm heraus und seine Phantasien beginnen mir Angst zu machen.
„Solche Leute wie euch sollte man alle vergasen. Ihr seid das Problem, warum Overwatch keinen Spaß mehr macht. Hitler hat schon irgendwo recht gehabt.“ Eine andere Stimme aus unserem Team versucht ihn zu unterbrechen, doch es endet nur einem verbalen Chaos aus herumwabernden Wortfetzen. „Mann, es ist nur ein Spiel. Du lässt das viel zu nah an Dich ran“, kann ich der Stimme unter Anstrengung entnehmen. Da holt mein Mitstreiter zum großen Schlag aus:
„Es ist nicht das Spiel. Ihr Menschen seid das Problem! Ihr macht mir Overwatch kaputt! Solche wie euch möchte ich am liebsten alle töten. Und zwar nicht hier, sondern im echten Leben! Ihr seid es nicht wert am Leben zu sein. Ihr nehmt mir die Luft zum Atmen und seid auf dieser Erde nur Platzverschwendung und eine Verschwendung von Haut! Fickt euch alle, ihr verkackten Gehirnamputierten! Verreckt doch alle …“
Das Match geht zu Ende und bevor ich ihn erneut im Gruppenchat zu Rede stellen kann, flieht er. Irgendwie bin durch die aufsteigende Angst und Entrüstung wie versteinert. Was zur Hölle war das? Ich versuche ihm in einem Privatchat zu schreiben. Vergebens. Er hat mich bereits geblockt und ich muss mit meinen Gefühlen zurückbleiben. Was bewegt einen Menschen zu solchen Aussagen?
Warum bin ich ohne Schirm bei Regen draußen?
Ich muss mit jemandem reden und schicke der intervenierenden Stimme aus dem vorherigen Match eine Freundesanfrage. Sie nimmt an. „Was ist das gerade passiert?“, fragt mich die Stimme, „wieso hast du solche Freunde?!“ Ich erkläre mich: „Hey, ich stimme ihm da in keinen Punkten zu. Er hat mir selbst Angst gemacht. Ich habe ihn erst vor zwei Matches kennen gelernt und bin selbst baff! So etwas ist alarmierend.“
Die Stimme pflichtet mir bei. Ich bin froh, dass wir einer Meinung sind. Nur was können wir tun? Wir einigen uns darauf die Kameraden zu blocken und einen Meldung an Blizzard zu senden und hoffen, dass er zumindest für weitere Matches erst einmal gesperrt wird. Mehr können wir nicht tun. Eine solche Situation war mir bislang noch nicht widerfahren. Die Anonymität des Internet macht es möglich. Oder würde sich mein ehemaliger Mitspieler auch im echten Leben so aufführen?
Mir ist bewusst, dass ich mich in meinem Umfeld häufig in einer akademischen und demokratischen Blase bewege. Solche Ausbrüche sind mir fremd. Wenn ich von toxischer Männlichkeit lese oder davon höre, rege ich mich auf. Doch hier war ich wie gefesselt. Noch nie hatte ich toxische Männlichkeit so unmittelbar erfahren. Es waren eher Kampagnen auf YouTube-Kanälen oder Kommentarspalten, wie erst kürzlich unter dem aktuellen viralen Video der Rasierermarke Gillette (YouTube.de), die mir das Problem der toxischen Männlichkeit im kulturellen Diskurs vor Augen führte.
Ich bin enttäuscht von mir und meiner Reaktion. Ich hätte stärker intervenieren sollen. Doch würde dies etwas an seinem Verhalten oder seiner allgemeinen Haltung ändern? Ich bin verunsichert und schalte meinen Computer aus. Ich ärgere mich über mich selbst. Doch da er mich geblockt hat, kann ich auch weiterhin keinen Kontakt mehr mit ihm aufnehmen. Ich blocke ihn ebenfalls. Mit so einem Menschen möchte ich nichts zu tun haben. Das nächste Mal würde ich gleich das Spiel beenden, sollte ich nochmal an eine solche Person geraten. Eventuell verdeutlicht das meine ablehnende Haltung gegenüber einen derart menschenverachtenden Einstellung. Eines wurde mir durch dieses Ereignis jedoch wieder sehr deutlich: Wer sagt, dass toxische Männlichkeit nicht existiert, ist ein_e Lüger_in.
Es ist traurig, aber wenn man regelmäßig online spielt (insbesondere kompetitive Shooter), dann hört bzw. liest man sowas schon sehr regelmäßig. Leider bringen Vote-Kicks und Mute-Funktion aber höchstens für kurze Zeit etwas Ruhe, so dass man sich wohl damit arrangieren muss. Gerade bei großen Titeln wie eben Overwatch sehe ich aber auch die Entwickler in der Pflicht, härter durchzugreifen und Leute auch langfristig von Spielen auszusperren..
Gerne würde ich sehen, wie die Entwickler_innen durchgreifen. Perma-Bans wären eine Möglichkeit. Allerdings scheinen Sie eine zu große Angst zu haben, dass Spieler_innen diesbezüglich dem Spiel fernbleiben oder sogar Shitstorms auslösen, wenn Sie ihre Meinung beschnitten sehen. Denn Manche sind leider der Ansicht, dass “scheiß Juden” oder ähnliches, eine fundierte Meinung sei.