Epistory: Typing Chronicles – Mit der Macht der Worte durch kunstvolle Origami-Weiten
In der Culturevania Folge #17: Sprache in Videospielen habe ich Epistory: Typing Chronicles als Beispiel für ein Spiel genannt, dass Sprache als Waffe nutzt. Heute möchte ich euch das Spiel detaillierter vorstellen und zeigen, warum ich es für Spracheninteressierte, Sprachforscher und sogar Lehrer absolut empfehle.
In Epistory: Typing Chronicles steuern Spielerinnen ein junges Mädchen, dass auf einem riesigen Fuchs durch eine Umgebung aus gefaltetem Papier reitet. Diese Origami-Welt liegt in Scherben und kann nur teilweise bereist werden; erst durch das Erlangen von in der Welt versteckten Elementarfähigkeiten kann das Mädchen die zerstörten Teile der Welt erneut aufblühen lassen. Hat sie genug Inspiration gesammelt und die richtigen Kräfte erweckt, kann sie dafür sorgen, dass die fehlenden Bereiche der Spielwelt neu gefaltet werden. Aus Zeitungspapier und Krepp werden so Ozeane, verschneite Gebirge, giftige Sümpfe oder tiefe Minen. Das erste Merkmal von Epistory: Typing Chronicles ist also die Optik: Die farbenfrohen Faltwelten der sich langsam auffächernden Spielfläche laden schon visuell ausgiebig zum Erkunden ein.
QWERTZ ist mächtiger als das Schwert
Interaktionen mit dieser stilisierten Welt verlaufen dabei ausschließlich schriftlich ab. Hier ähnelt Epistory anderen Vertretern dieser ganz speziellen Art von Spiel: Ähnlich wie in Typing of the Dead: Overkill, God of Words oder Typefighters müssen Spielerinnen angezeigte Worte tippen, um bestimmte Aktionen auszulösen. Das kann, muss aber nicht zeitsensitiv passieren. Während das Mädchen in Kampfsituationen schnell genug alle angreifenden Insekten aus dem Weg schreiben muss, können außerhalb von Konfrontationen ohne Hektik Blumen zum Blühen gebracht, Bäume gefällt, Tümpel gefroren oder Truhen geöffnet werden. All das läuft über die gleiche Methode ab: Tippt die Spielerin auf der Tastatur die angezeigten Worte fehlerlos und in der richtigen Reihenfolge, reagiert das entsprechende Objekt. Jedes korrekt getippte Wort liefert zudem Inspirationspunkte, die in der ganzen Welt gegen neue Gebietsabschnitte eingetauscht werden können.
Letztendliches Ziel des Spiels ist es, die für die Fragmentierung der Welt verantwortlichen Naturkatastrophen ausfindig zu machen und zu besänftigen. Das ist jeweils an einen thematisch passenden Dungeon gekoppelt, in denen sich auch die entsprechenden Elementarkräfte verstecken: Ein Meteoriteneinschlag etwa hat ganze Waldstreifen zu Asche verwandelt und kann nur rückgängig gemacht werden, indem das Mädchen in den Krater springt und dem Meteor seine Brennkraft raubt. Im Gegenzug kann sie mit der gewonnenen Feuermacht anschließend Ranken anzünden, um neue Wege zu eröffnen; in klassischer Metroid– und Castlevania-artiger Manier eröffnet Epistory: Typing Chronicles so weitere Erkundungsmöglichkeiten.
Doch warum sticht Epistory zwischen anderen Tipp-Spielen hervor? Sicherlich nicht nur aufgrund der Papieroptik. Tatsächlich haben mich vor allem zwei Dinge so nachhaltig an Epistory beeindruckt, dass ich Sie hier nicht nur aus spielerischer Sicht, sondern auch sprachwissenschaftlich und pädagogisch empfehlen will.
Zunächst bleibt Epistory durchgehend konsequent, was seine Schreibsteuerung angeht. Während beispielsweise Typing of the Dead sich in Menüs einer Maussteuerung bedient und erst in den einzelnen Spielabschnitten auf Tippen wechselt, steuert sich Epistory vom Mausklick im Hauptmenü an über die Tastatur. Gewonnene Erfahrungspunkte werden im Spielmenü in Upgrades investiert, indem die Spielerin den entsprechenden Begriff eintippt. Soll der Fuchs schneller rennen, so muss ‘Velocity’ geschrieben werden, um geheime Truhen auf der Karte zu sehen ‘Discovery’. Auch um innerhalb des Kampfes zwischen den einzelnen Fähigkeiten des Mädchens zu wechseln, reicht kein Mausklick. Stattdessen verleiht ‘Fire’ den nächsten Worten Brennkraft, während mit ‘Spark’ versehene Tastenschwünge Bögen zwischen mehreren Gegnern schlagen. Selbst eine alternative Steuerung abseits der klassischen WASD-Bewegung bietet Epistory an, um die Hände jederzeit in idealer Schreibposition zu halten. Das sorgt dafür, dass die eigene, aufs Schreiben ausgerichtete Konzentration nie bricht, was im Zuge der sehr hektisch werdenden Kämpfe auch absolut nötig ist. Wird es dennoch einmal zu schwer, so bietet Epistory nicht nur unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, sondern auch eine Fähigkeitenerkennung an: Scheitere ich an einem Wort bestimmter Schwierigkeit und Länge zu oft, so nimmt Epistory es heimlich, still und leise aus dem Wortpool – und serviert es mir höchstens noch in besonders kniffligen Bosskampfsituationen. Natürlich lässt sich dieser Modus auch abschalten, wenn ich gerne von besonders schweren Worten überrascht und gefordert werden will, auch wenn sie mir nicht gut von der Hand gehen.
Dazu kommt, dass Epistory: Typing Chronicles usergenerierte Modifikationen unterstützt, wodurch effektiv jede gewünschte Sprache in die Auswahl der Worte aufgenommen werden kann. Die Grundversion des Spiels basiert beispielsweise auf amerikanischem Englisch und den diesem inherenten Wortformen wie “color” oder “theater”. Wer lieber ganz britisch “colour” und “theatre” oder in gutem altem Deutsch schreiben möchte, der kann die bereits integrierten Versionen des Spiels nutzen (Deutsch gibt es sogar in einer tippfreundlicheren Variante ohne Eszet zur Auswahl!). Oder eben man schnappt sich eine Mod aus dem Steam Workshop, wenn man äußerst 3l1t43r “n00b” oder “1337” eintippen oder sich als Pirat durch die gefaltete Welt von Epistory arrrrghen möchte.
Feuer und Flamme, Blitz und Donner
Desweiteren halte ich große Stücke auf Epistorys Art, einzelne thematische Felder in seiner interagierbaren Umgebung unterzubringen. Neben den nach Elementen geordneten Interaktionspunkten ist die Welt wie erwähnt gefüllt mit simplen zerstörbaren Objekten wie Hölzern, Kisten, Stalagmiten oder Vasen. Diese lösen keine besonderen Aktionen aus, sondern liefern lediglich Erfahrungs- und Inspirationspunkte und halten die Combos aufrecht, die für Punktemultiplikatoren nötig sind. Diese Objekte sind stets mit Worten versehen, die sich thematisch nach der Umgebung und dem eigentlichen Gegenstand richten. Blumen und Baumstämme etwa lassen mich diverse Pflanzennamen tippen, von simplen wie ‘oak’ bis bis zu biologischen Fachwort-Fingerbrechern wie ‘sarracenia’. Erzadern und Steinbrocken hören auf Namen wie ‘flowstone’, ‘stalagtite’ und ‘dolomite’, während elektrische Geräte mit ‘ampere’ oder ‘lightbulb’ bedient werden. Diese Aufteilung ist eine clevere spielmechanische Einpflegung kognitiver Prozesse. Unser Gehirn kann thematisch verwandte Begriffe, sogenannte semantische Felder, deutlich schneller hintereinander verarbeiten als semantisch unverwandte. So kann Epistory deutlich schnellere Eingaben verlangen, ohne merklich schwieriger zu werden. Im Gegenzug eröffnet sich das Spiel dadurch die Möglichkeit, merklich schwierigere Situationen einzuführen, in denen diese Regel durchbrochen wird, und gestaltet so insbesondere die finalen Kämpfe der einzelnen Dungeons sowie die optionalen Kampfherausforderungen gegen Ende besonders knifflig.
Zudem macht diese Gliederung der Begriffe Epistory zu einem möglichen Lernspiel: Durch das langsame Einführen neuer Themenbereiche über die stückweise Eröffnung der Spielwelt verbringen Spielerinnen genug Zeit in den jeweils bereits vorhandenen Feldern, wodurch sich unbekannte Worte innerhalb derer besonders gut einprägen. Anders ausgedrückt: Epistory ist durchaus kein schlechtes Werkzeug, um sich spielerisch einige neue Synonyme einzuprägen, gerade, wenn man es in einer anderen als der eigenen Muttersprache spielt. Zusätzlich misst Epistory auch noch interessante Informationen wie die durchschnittliche Tippgeschwindigkeit oder die Anzahl aller bisher fehlerfrei geschriebenen Worte. Entsprechend gut kann ich mir vorstellen, dass sich Ausschnitte aus dem Spiel oder ihm ähnliche Situationen für Versuchsaufbauten nutzen lassen. Wie schnell tippen Probanden bekannte, wie schnell unbekannte Worte in Stresssituationen ein? Wie reibungslos geht der Wechsel von einem semantischen Rahmen in einen anderen vonstatten, besonders wenn die Spielerinnen ihn selbst einleiten und ankündigen müssen, indem sie dem nächsten Wort ‘fire’, ‘ice’ oder ‘spark’ voranstellen?
Natürlich ist Epistory: Typing Chronicles ein ebenso spielenswertes Erlebnis, wenn ihr einfach nur Spaß mit dieser Art Spiel habt und nicht nach dem wissenschaftlichen Sinn dahinter sucht. Wer gerne schreibt oder sowieso Spaß mit Spielen wie Typing of the Dead: Overkill oder auch Letter Quest hat, der kann mit Epistory wirklich nichts falsch machen. Wer sich noch nicht sicher ist, ob dieses Spielprinzip ihr gefallen könnte, findet keinen besseren Startpunkt als Epistory. Das zauberhafte Design und die ruhige Erzählstimme in der bunten Origamiwelt erschaffen bereits für sich gesehen ein erlebenswertes Kunstwerk.
Bibliographie
Epistory: Typing Chronicles [Webseite]. Release: 30. März 2016. Version 1.3.5. Entwickler: Fishing Cactus. Publisher: Plug In Digital. Plattform: PC/Mac/Linux.