Fan Service ad nauseam? Reproduktionen, Referenzen und der Hype um »Kingdom Hearts III«
Es sind bereits 17 Jahre, acht Hauptspiele, drei Remakes und zwei Spin-offs der Spiele-Reihe »Kingdom Hearts« ins Land gezogen. Diese Jahre haben nicht nur eine schwer zu durchdringende Geschichte mit sich gebracht, sondern auch zahlreiche, bekannte Disney- und Final Fantasy-Figuren sowie an diese Erzähluniversen angelehnte Spiel-Welten. Dass der vorerst letzte Teil – »Kingdom Hearts III« – nun noch stärker auf die Welten von Disney und dem Animationsstudio Pixar baut, ist nicht verwunderlich.
Filme wie »Rapunzel – Neu Verföhnt« oder »Baymax – Riesiges Robowabohu« feierten weltweit kommerzielle Erfolge an den Kinokassen. Es herrschen somit die perfekten Voraussetzungen, um die Fan-Gemeinschaften beider Universen auf relevanten Ebenen der Produktvermarktung abzuholen (oder nicht) und dabei völlig neue Wege der Zielgruppenerschließung zu eröffnen. Das Zauberwort: Fan Service.
Dieser Artikel erschien zuerst im unabhängigen Printmagazin GAIN, Ausgabe #9. Wenn er euch gefällt, könnt die aktuelle Ausgabe #10 hier bestellen oder die GAIN abonnieren. Wenn ihr euer Abo über Steady abschließt, helft ihr uns ganz besonders! Disclaimer: Nils Bernd Michael Weber ist Gast-Autor bei der GAIN.
Weniger Final Fantasy, mehr Disney
Ein Ende der komplexen Geschichte, um Sora, Donald und Goofy ist in Sicht. Zahlreiche Welten des Disney-Universums haben die Drei durchwandert, um verschollene Prinzessinnen und letztendlich die Erschaffung des Kindgom Hearts zu verhindern. Dabei trafen sie nicht nur auf altbekannte, klassische Figuren wie Mickey und Minnie Mouse oder gar Daisy. Auch Figuren aus zeitgenössischeren Disney-Filmen fanden sukzessiv ihren Weg zu »Kingdom Hearts«. Dabei wurde das Erscheinen der Figuren aus der Spiele-Serie Final Fantasy stetig reduziert. Der damalige Clou des ersten »Kingdom Hearts« (2002), dass westliche Zeichentrick- und Animationsfiguren auf fernöstliche Videospielfiguren treffen, ist mit dem Erscheinen von »Kingdom Hearts III« nun weitestgehend passé. Selbst die Figuren Cloud und Sephitroth aus »Final Fantasy VII«, die in die Hauptstory des Spiels verwoben waren, wurden gestrichen. Lediglich das Erscheinungsbild von Sora, Kairi, Riku und anderen Figuren verweist noch auf den ursprünglichen Charakter der Spiele-Reihe.
Das mag die Fans von Final Fantasy enttäuschen. Allerdings wurde auf diese Weise mehr Raum für die Charakterzeichnung und Implementierung aktueller Disney-Figuren geschaffen, die einen Zugang für noch nicht erreichte Fan-Gemeinschaften der unterschiedlichen Disney-Franchises legen. Wer also mit Woody einmal eine Runde durch Andys Kinderzimmer oder waghalsige Kämpfe an der Seite von Buzz Lightyear aus »Toy Story« (1995) bestehen wollte: hier ist euer Spiel!
Reproduktion lässt Fans strahlen
Doch nicht nur das Auftreten der zahlreichen Disney-Figuren bedient Fans, sondern ebenso die Reproduktion von Film-Ausschnitten und der dazugehörigen musikalischen Untermalung erfolgreicher Animationsfilme. Szenen aus »Die Eiskönigin« und dem Begleitsoundtrack „Let It Go“ hielten beinah unverändert Einzug in das Spiel. Dabei wurden diese Szenen lediglich neu gerendert und durch das Auftreten von Sora und seinen Freunden erweitert, so dass sie sich nahtlos in die Spielwelt einfügten. Das ausgerechnet dieses Lied gewählt wurde, obgleich in vielen Disney-Filmen gesungen und getanzt wird, ist nachvollziehbar. Das besagte Musikstück – im Original von der Sängerin Idina Menzel – erreichte den fünften Platz der US Billboard Charts und zog eine Cover-Version des erfolgreichen US-Popstars Demi Lovato nach sich, die jedoch nicht an den Erfolg der Erstversion anknüpfen konnte. Hier wird deutlich, dass für die Spieler*innen klar erkennbare Referenzen gezeichnet werden. Waren die Welten und Narrationen der einzelnen Spielwelten in den vorherigen »Kingdom Hearts«-Spielen noch etwas loser an ausgewählte Disney-Filme angelehnt, werden diese nun stärker reproduziert.
Wiedererkennungswert macht Freude
Der Eindruck der Reproduktion filmischen Ursprungmaterials entsteht nicht nur durch »Die Eiskönigin«, sondern ebenso durch andere Disney-Franchises wie »Fluch der Karibik«, wobei in letzterem, Sora, Donald und Goofy lediglich in den Plot von »Fluch der Karibik – Am Ende der Welt« überführt wurden. Diese Reproduktion mündet letztendlich in eine Referenzbildung zu anderen Medienprodukten oder -formaten.
Mit einer solchen Art der Intermedialität scheint sich Disney gut auszukennen, denn so verwiesen beispielsweise viele Szenen und Requisiten des Films »Star Wars – Das Erwachen der Macht« (2015) auf den Klassiker »Star Wars – Eine neue Hoffnung« (1977). Durch diese Ästhetik wird für die Rezipierenden ein Wiederkennungswert bemerkbar, der durch sein Erkennen Freude bereiten kann. Nun kann die Frage gestellt werden, warum es keine Star Wars-Welt in »Kingdom Hearts III« gibt, hätte man doch hier eine große Fan-Gemeinde abschöpfen und für das Spiel begeistern können.
Die Referenzbildung und der damit verbundene Wiedererkennungswert von Kingdom Hearts fokussieren sich jedoch nicht nur auf eine Intermedialität zwischen den Disney-Filmen und deren Soundtrack, wie zuvor bereits beschrieben, sondern schlagen sich auch in dem Bereich des begleitenden Spiel-Soundtracks nieder. Die japanische Sängerin Utada Hikaru lieferte erneut ein passendes Musikstück wie schon zum ersten Teil der Spiel-Reihe. Arbeitete sie damals noch allein an dem Song „Simple and Clean“, wurden nun der US-amerikanische Produzent Jason Boyd und DJ Skrillex für die Produktion des aktuellen Soundtracks herangezogen. So entstand das Musikstück „Face My Fears“ im Dubstep-Stil, welches, aufgrund des Wiederkennungswerts der Interpreten, in der dazugehörenden Musikszene großen Anklang fand und den Aufmacher der Spiels darstellt. Selbst das damit einhergehende Musikvideo (zu sehen auf YouTube) bedient dabei den Geschmack der Fans und wurde ausschließlich aus unterschiedlichen Spielszenen und Trailer-Ausschnitten zusammengesetzt.
Alles was man sich vorstellen kann … und noch mehr!
Es ist bemerkenswert, wie das umfangreiche Paket aus Medienreferenzen ineinandergreift und verschiedene Zielgruppen aus den Bereichen Film, Spiel und Musik gleichzeitig anspricht. Doch warum sollte hier Halt gemacht werden? Neben den angesprochenen Medienprodukten und -formaten wurde der Bogen des Kingdom Hearts-Universum noch weiter geschlagen und endet in einer Welt, die die Spielenden nicht nur virtuell besuchen können: die Disney-Vergnügungsparks.
Im Kampf gegen die feindlichen Herzlosen, ist es der Spielfigur Sora möglich, sechs Attraktionen herbeizurufen, die von unterschiedlichen Fahrgeschäften der Disneyland Parks inspiriert wurden. Diese belaufen sich auf die Achterbahn „Big Thunder Mountain Railroad“, das Segelschiff „Sailing Ship Columbia“, die Karussells „Mad Tea Party“ und „King Arthur Carousel“ sowie die Wasserrutsche „Grizzly River Run“ und den Shooter „Buzz Lightyear Astro Blaster“. Für das Spiel wurden die Namen zwar angepasst, dennoch ist die Ähnlichkeit zu den jeweiligen Attraktionen verblüffend. Dies sorgt nicht nur für Aufsehen unter Vergnügungspark-Fans, sondern macht eventuell sogar Lust auf einen Besuch des Disneyland Paris oder der Disney World im US-amerikanischen Florida.
Kommt zusammen
Wohin führen nun diese Intermedialität und Referenzbildung von »Kingdom Hearts III«? Den Entwickler*innen von Disney und Square Enix ist es gelungen ein Produkt zu erschaffen, das unterschiedlichste Fan-Gemeinschaften zusammenbringt. Dabei können wechselseitige Austauschmomente zwischen diesen Gemeinschaften entstehen. Gemeint ist hiermit, dass Spieler*innen mit den Soundtracks und anderen Produkten ihr Spielerlebnis verlängern können oder Menschen aus gegenüberliegenden Fan-Gemeinschaften, wie der Dubstep-Szene, auf das Spiel aufmerksam werden.
Auf diese Art befruchten sich die zunächst konträr-wirkenden Fan-Gemeinschaften gegenseitig, was zu einem Konsum der Produkte rund um die Walt Disney Company führen und einen kalkulierbaren Hype um Spiel, Franchise und Disney im Allgemeinen auslösen kann. »Kingdom Hearts III« kann dabei als eine Akkumulation von Referenzen gesehen werden, macht es doch durch seine stetigen Verweise eventuell bislang unsichtbare Produkte für die Spielenden sichtbar. Finanziell dürfte sich eine solche mediale Aufbereitung eines Spiels definitiv lohnen, denn wer das Spiel gespielt hat, hört auch den Soundtrack, schaut auch die Disney- und Pixar-Animationsfilme und besucht vielleicht sogar das Disneyland Paris. Es ist vermutlich auch kein Zufall, dass recht zeitnah nach der Veröffentlichung des Spiels und der darin enthaltenden Toy-Box-Welt, die dem Film »Toy Story« entlehnt ist, ein Kino-Trailer zum bevorstehenden Animationsfilm »Toy Story 4« bei der Ausstrahlung des Super Bowls 2019 folgte. Disney weiß, wie es kohärente Marketing-Kampagnen konstruiert.
Ist damit der Bogen des Fan Services zum Abgreifen neuer Zielgruppen überspannt? Vermutlich eine Frage des Geschmacks und des Geduldfadens. Ich, für meinen Teil, werde mir jetzt erstmal „Face My Fears“ über meine Anlage anhören, dabei ein Wochenende im Disneyland Paris planen und mich fragen, warum die Figuren von »Star Wars« nicht in »Kingdom Hearts III« auftauchen. Na ja, immerhin hat der Antagonist Xemnas ein rotes Laserschwert mit passenden Soundeffekten.