JRPG-Liebe auf 650 Seiten: Im Interview mit Kurt Kalata
Japanische Rollenspiele sind zu nischig? Bitmap Books will das Gegenteil beweisen. Der »Guide to Japanese Role-Playing Games« präsentiert ein Genre in atemberaubender Optik. Im Interview verrät Autor Kurt Kalata außerdem, woher seine Faszination mit JRPGs kommt, wie Shin Megami Tensei für ihn Final Fantasy abgelöst hat und wie ihn das marode Gesundheitssystem der USA beim Schreiben des Guides behinderte.
Mit ihren aufwendigen, großformatigen coffee table books sind die britischen Verleger bei Bitmap Books berühmt geworden: Große Folianten voller Hochglanzfotos von Retro-Spielecovern oder vergessenen Pixelspielen. Und auch ihr neuestes Werk macht sich gut aufgeschlagen auf einem Couchtisch, wenn man Gäste beeindrucken möchte. »A Guide to Japanese Role-Playing Games« versteht sich als ultimative Sammlung beinahe aller JRPGs, die in und außerhalb Japans jemals entstanden sind. Dieses Selbstverständnis ist gerechtfertigt. Der hochwertig produzierte, farbenfroh bebilderte Band widmet jedem Spiel, entsprechend seiner Relevanz für das Genre, eine bis vier Seiten und führt so durch die Geschichte nicht nur einer Spielegattung, sondern einer ganzen nationalen Industrie.
Nicht nur für die Augen lohnt sich der »Guide to Japanese Role-Playing Games«. Sortiert nach Reihen von Weltrang wie »Final Fantasy«, »Shin Megami Tensei« oder Falcoms »Legend of Heroes«, nach Subgenres wie Action-RPG und Taktik-RPG und nach Plattform könnte der Band genauso gut ein Museumskatalog sein, der in keiner Bibliothek mit Spielebezug fehlen sollte. Das Buch bringt die Erinnerung an Spiele zurück ins Leben, die sich längst nirgendwo mehr legal spielen lassen oder an denen noch heute entschlossene Fans übersetzen, weil sie niemals den Weg aus Japan in den Westen gefunden haben. Wer hier zu blättern beginnt, um sein Lieblingsspiel »Persona 4 Golden« zu finden, wird mit dem Stöbern so bald nicht aufhören und sicher bald Fan-Lieblinge wie »Terranigma« oder »Golden Sun« für sich wiederentdecken oder interessiert an den Artikeln über das anrüchige »Rance«-Franchise oder obskure Titel wie die »Tom Sawyer«-Umsetzung von Square hängenbleiben. Geschrieben hat das Buch der JRPG-Experte Kurt Kalata gemeinsam mit anderen hervorragenden Autor*innen aus der Spieleindustrie.
Interview mit Kurt Kalata
Kurt Kalata ist Videospielhistoriker und lebt in New Jersey, USA. Er betreibt Hardcore Gaming 101 und hat dutzende Bücher über Retrospiele veröffentlicht. Sein aktuellstes Projekt ist der »Guide to Japanese Role-Playing Games«.
Kannst du uns etwas über dich und deine Vergangenheit mit Videospielen erzählen?
Ich spiele schon, solange ich denken kann. Ich habe mit 15 in der Highschool angefangen, über Videospiele zu schreiben, damals, es müsste 1997 gewesen sein, habe ich eine Fan-Webseite namens The Castlevania Dungeon gegründet. Daraus ist 2004 HG101 entstanden, an dem ich seitdem ununterbrochen arbeite.
Wann hast du angefangen, JRPGs zu spielen? Woher kommt deine Faszination?
Mein erstes JRPG war entweder »Dragon Warrior« oder »Final Fantasy«, ich müsste etwa zehn Jahre alt gewesen sein. »Dragon Warrior« hatte ich damals ausgeliehen, aus der Videothek und vom Sohn meiner Babysitterin. Ich habe es zwar komplett durchgespielt, aber ganz ehrlich, ich mochte es nicht besonders. Selbst damals hat es sich schon sehr alt angefühlt, es sah nicht schön aus und bediente sich nicht besonders gut.
»Final Fantasy« habe ich hingegen immer geliebt. Die Nintendo Power hat einen Strategie-Guide veröffentlicht und ich habe ihn von vorne bis hinten verschlungen, noch bevor ich das Spiel zu Weihnachten bekommen hatte. Danach habe ich es mehrmals durchgespielt.
Anschließend bekam ich ein Sega Genesis, und dafür gab es leider nicht besonders viele RPGs. Erst, als ich günstig ein SNES kaufen konnte, habe ich »FF VI« und »Chrono Trigger« nachgeholt. Im selben Jahr habe ich eine PlayStation gekauft und »FF VII« gespielt. Das hat mich so richtig ins Genre eingeführt, vermutlich ging es damals vielen so. Ich habe die absurde Story geliebt. Im Nachhinein betrachtet hat mich »FF VII« wohl in die spezielle Form langer, langsamer Erzählungen eingeführt, die japanisches Storytelling ausmacht.
Hast du ein Lieblings-JRPG, oder vielleicht ein ganzes Franchise?
Vor zehn Jahren hätte ich »Final Fantasy« gesagt. Obwohl viele der Spiele recht umstritten sind, hatte ich mit fast allen sehr viel Spaß, zumindest bis zum 13. Teil. Damals hat die Serie für mich ihren Fokus verloren, und heute bin ich eher überrascht, wenn ich ein Singleplayer-»Final Fantasy« spiele und es tatsächlich mag.
Heute ist die Serie, auf die ich mich jedes Mal am meisten freue, »Shin Megami Tensei«.
Wie lange hast du am »Guide to Japanese Role-Playing Games« insgesamt gearbeitet?
Vom Zeitpunkt, an dem ich wusste, dass das Buch entstehen soll bis zu Druck waren es etwa zwanzig Monate. Aber eigentlich entstand die Idee für das Buch aus einem JRPG-Artikel für Gamasutra aus 2008, und zusammen mit all den JRPGs, die ich über die Jahre rezensiert habe, dürfte die Grundlage für das Buch die Arbeit von weit mehr als einer Dekade sein.
2020 hast du den »Unofficial Guide to Shin Megami Tensei & Persona« veröffentlicht, eine detaillierte Artikelsammlung über alle Spiele in der SMT-Serie. Hat dieses erste Buch zum Thema deine Arbeit am »Guide to JRPGs« beeinflusst?
Das SMT/Persona-Buch war sehr lange in Arbeit, mindestens sieben Jahre. Ich habe mich ständig zu anderen Projekten verleiten lassen, und währenddessen hat Atlus immer wieder neue Spiele veröffentlicht. Ich hatte ganz schön Probleme, hinterherzukommen. Mit der Hilfe einiger Freiberufler*innen habe ich endlich das meiste geschafft, aber das ganze Projekt hing an einigen der obskureren Titeln – »SMT NINE« für die erste Xbox, »Guten Megami Tensei« für PC und »DemiKids/Devil Children« für Handheld-Plattformen. Ich fand einfach niemanden, der oder die sich damit auskannte und darüber schreiben konnte. Auf Englisch gibt es kaum Infos über die Spiele, und selbst auf Japanisch sind sie nicht sonderlich gut dokumentiert. Und gut sind sie auch nicht unbedingt, es war also keine Freude, sie zu spielen!
Für den »Guide to JRPGs« hatte ich eine strenge Deadline, ich war also gezwungen, mich zu disziplinieren. Ich habe kurze Artikel für den Guide geschrieben und daraus dann längere Artikel für das SMT-Buch geschrieben. Letztendlich hat der Guide also überhaupt erst dafür gesorgt, dass ich das SMT-Buch abschließen konnte.
Wie hat deine Zusammenarbeit mit Bitmap Books angefangen? Haben sie dich aufgrund deiner Arbeit bei Hardcore Gaming 101 kontaktiert?
Der »Guide to JRPGs« hat angefangen, weil ich so genervt von meinem Job war – Leute wurden gefeuert, Boni aufgekündigt und Überstunden wurden teilweise mehrere Monate lang erwartet. Ich habe also mit dem Guide begonnen und gehofft, dass ich durch die Arbeit als Autor meinen Job kündigen kann. Ich wollte das Buch ohnehin an Sam Dyer bei Bitmap pitchen, aber dann habe ich mich auf Facebook darüber ausgelassen, wie sehr ich meinen Job hasse und dass ich etwas neues suche, und plötzlich kam Sam auf mich zu.
Leider ist Krankenversicherung hier in den USA an den Angestelltenstatus geknüpft, weswegen ich leider bis heute in meinem Job bleiben musste, vor allem aufgrund der Pandemie.
Was war der schwierigste Teil der Arbeit am Guide?
Ohne Zweifel die Pandemie. Lockdowns begannen in den USA Ende März 2020, meine Deadline war Ende Juli. In gewisser Weise half mir die Pandemie sogar: Ich bin jemand, der sich bei Stress in seine Arbeit verbeißt, und der Guide war sozusagen meine Therapie. Da wir das Haus ohnehin kaum verlassen konnten, hatte ich viel Zeit voranzukommen. Ich war mental jedoch stark belastet, es war nicht einfach.
Hat es irgendwas nicht ins Buch geschafft, das du eigentlich sehr gerne mit drin gehabt hättest?
Einige kleine Spiele musste ich aufgrund der Länge des Buches kürzen, und ich hätte gerne ein ganzes Kapitel nur über Koei geschrieben. Sie sind zwar im Kapitel über PC-Spiele aufgeführt, aber ihre späteren Titel haben in viele verschiedene Richtungen experimentiert und die Linie dessen überschritten (und verschoben), was man ein JRPG nennen würde. Ein gutes Beispiel ist »Uncharted Waters«. Es gab sehr viele solcher Grenzfälle, und als Zeit und Länge ein Problem wurden, waren das die Titel, die ich herausschneiden musste. Trotzdem hätte ich ihnen gerne ein, zwei Seiten gegönnt, da sie immer noch Teil der Genregeschichte sind.
Möchtest du uns abschließend einige Leute vorstellen, die mit dir am Guide gearbeitet haben?
Steph Sybydlo hat das absolut brilliante Cover gezeichnet. Ich habe ihre Arbeit vor Jahren auf Twitter entdeckt und als das Buch entstand, war sie meine erste Wahl.
Robert Fenner hat mir sehr mit einigen der obskuren Spiele geholfen, und zusammen mit Word on the Wind (einem Mitglied des HG101-Podcasts Top 47,858 Games of All Time) hat er das exzellente Feature über die »SaGa«-Reihe geschrieben. Ich selbst bin zwar großer Falcom-Fan, aber James Galizio kennt die »Legend of Heroes«-Spiele viel besser und hat sie toll beschrieben. Justin Guillou produziert einen Podcast über die »Xeno«-Spiele, war also der ideale Kontakt für diese Reihe, außerdem kannte er viele andere Autor*innen, die sich um die kleineren Spiele gekümmert haben. Und Carrie Wood ist die einzige »Golden Sun«-Cosplayerin, die ich kenne, sie war also perfekt für diesen Abschnitt des Buchs.
Dieser Text erschien zuerst im GAIN-Magazin, Ausgabe 18.
Eine Antwort
[…] This interview with Kurt was held when his book A Guide to Japanese Role-Playing Games was published by Bitmap Books. It was included in German in an article about the book for games culture magazine GAIN. It is now exclusively available in English here on Language at Play. If you are looking for the German interview or article, click this hyperlink. […]