Politischer Strukturpessimismus und digitale Monarchien
Ein wenig scheint es zum Medium Digitaler Spiele zu gehören, dass mit Spielbeginn alles um mich herum brennt. Wenn schon nicht buchstäblich, dann doch im übertragenen Sinne. Dahinter verbirgt sich ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Eliten und Politik, zumindest in gewissen Genres, das zu einer ganz eigenen Spannung aus Entscheidungsgewalt, Macht und Strukturpessimismus führt. Und mittendrin bin ich, allmächtige Spielerin und autoritäre Retterin vom Dienst.

Die Welt steht in Flammen, Dämonen fallen vom Himmel und niemand hilft? Verzagt nicht, ihr unschuldigen NPCs, denn eure Inquisitorin vom Dienst ist unterwegs!
Wen kümmern schon Nationalstaaten?
Die Idee von Nationalstaaten und überhaupt das Konzept einer Nation sind eine inhärent moderne Idee. Im europäischen Mittelalter kannte man das Konzept von natio, wovon auch unser moderner Begriff der Nation kommt. Im mittelalterlichen Kontext umfasst der Begriff jedoch viel mehr “Herkunft”, im Sinne eines Geburtsorts oder einer Region, als ein Land, mit dem sich ein Mensch identifizieren kann. Führende Eliten waren zwar durchaus mit Ideen von vereinten Regionen oder Ländern vertraut, doch je höher sich die Ebene befand, auf der argumentiert wurde, desto mehr standen diese Verbindungen und Loyalitäten unter ständigem Beweiszwang. Bestimmte Situationen, wie ein abwesender Herrscher, konnten den politischen Zusammenhalt schnell schmälern, während auf lokaler Ebene für die meisten Menschen ohnehin der entsprechende lokale Fürst eine deutlich größere Rolle spielte, als ein König oder Kaiser. Eine Art nationale Identität, die noch dazu unumstößlich war und sich nicht mit dem nächsten Erbgang einer Adelsfamilie komplett ändern konnte? Das kam erst viel später.
Dass Fantasy als medienübergreifendes Genre nun so oft Nationalstaaten in einem mittelalterlichen Setting abbildet, mag auf den ersten Blick ein wenig paradox erscheinen, ist aber im Grunde nur logisch. Mittelalterlich inspirierte Phantastik hat ihre Wurzeln besonders in der Mittelalterromantik des 19. Jahrhunderts und den Mittelaltervorstellungen, die in dieser Zeit besonders verbreitet wurden. Das Mittelalter wurde damals zu einer Epoche stilisiert, zu deren Zeit die Welt scheinbar noch “in Ordnung” war. Im heutigen Deutschland und andernorts bemühte man sich verstärkt um ein Nationalbewusstsein, was man durch Rückgriff auf ein gemeinsames Mittelalter zu erreichen versuchte. Eines der Dinge, von denen man dann verstärkt zu träumen begann, waren gemeinsame Nationen, geboren aus einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur. Die sprachlichen, historischen und kulturellen Realitäten waren schon damals überall in Europa um einiges komplexer, aber Nationalismus und das Verzerren von Vergangenheit und Kultur zur Konstruktion einer Identität gehen Hand in Hand.
Das angeblich so einfache, wunderschöne Mittelalter als eine “gute, alte Zeit” ist damals wie heute eine ideale Projektionsfläche für Nationalist*innen, die sich mit nationalistischen und rassistischen Ideen in bestimmten Mittelalterentwürfen identifizieren. So ganz haben uns bis heute diese Konzepte nicht verlassen, auch nicht in Digitalen Spielen. Genauso wenig sind diese Entwürfe nur eine Randerscheinung: Der Pinselstrich wurde zum Teil feiner, die Farbe dunkler, aber selbst im düstersten Mittelaltersetting stecken tiefe Sehnsüchte und Vorstellungen von Zeiten, in denen die Welt “einfach” war oder wenigstens für bestimmte Personengruppen als einfach imaginiert wurde. Vielleicht nicht immer friedlich oder schön, aber dennoch einfach. Länder werden von König*innen regiert, die im Grunde machen können, was sie wollen, unter ihnen herrscht ein bisschen Adel und vielleicht sogar etwas Klerus und eine meistens recht homogene Masse an Bauern wird von allen beherrscht und ist entweder rundum zufrieden oder wird vollkommen ausgebeutet. Selbst wenn eine Katastrophe die nächste jagt, die Welt buchstäblich in Flammen steht und irgendwie alle Leute in Machtpositionen heillos überfordert sind, bleibt die politische Lösung für diese Krisen am Ende dann doch sehr einfach: Gehe dorthin, hole dieses Artefakt, töte diesen Drachen, ermorde diesen Widersacher oder rette jene schutzlose Person deiner Wahl.

Auch in allen “Mass Effect”-Spielen schafft es keine einzige politische Institution, die großen Probleme der Welt alleine zu lösen und zwingt mich als Spielerin fast dazu, mit Ryder und Shephard die Welt aufzuräumen.
In der Krise interessieren sich alle nur für sich selbst
In einer etwas paradox anmutenden Spannung zwischen absoluter Macht und absoluter Unfähigkeit unterwerfen sich dann meistens auch Herrscher*innen selbst dieser Logik aus ständigen Krisen und relativ einfachen Lösungen. Das ist zum Teil einfach typisch für moderne Popkultur, in der ein gewisser Zynismus gegenüber Eliten und Politik immer wieder sehr prominent vertreten ist, zum anderen verschärft sich eben dieser Zynismus proportional zu der Anzahl und Art der Personen, die sichtbar die meiste politische Macht in den Händen halten. Soziale Faktoren von Treue oder Sympathie sind meistens unterentwickelt, stattdessen sind alle so lange auf ihren persönlichen Vorteil bedacht bis ein*e Spieler*in auftaucht und aufräumt.
Die daraus resultierende, personengetriebene Logik ist oft etwas zu einfach für Demokratien, die per System kompliziert und bis zu einem gewissen Grad anonym sind, funktioniert dafür aber umso besser für monarchische und aristokratische Systeme. Wirft man zum Beispiel einen Blick auf die “Dragon Age”-Reihe, insbesondere “Dragon Age: Inquisition”, dann begegnet man gleich einer ganzen Sammlung aus Institutionen und Strukturen, die den Kontinent und Schauplatz Thedas angeblich seit Jahrhunderten zusammenhalten, aber in dem Moment, in dem sich buchstäblich der Himmel auftut und es Dämonen regnet, sind alle mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit der offensichtlichen Krise. Das wiederum führt dazu, dass die titelgebende Inquisition die letzte und einzige Partei ist, die in diese Lücke treten und die Welt retten kann. Die Wurzel dafür liegt einerseits im Genre, andererseits im Medium selbst verborgen. Genretypisch wird ein Held*innenmythos aufgemacht, in dem die Hauptfigur die einzige Person ist, die entgegen aller Wahrscheinlichkeit die Welt retten kann. Das führt wiederum zu einem medientypischen Mechanismus, der möglichst viel Macht und Entscheidungsgewalt in die Hände Spielender legt.
“Dragon Age: Inquisition” ist nicht der einzige Teil der Reihe, der nach diesem Prinzip funktioniert: Sowohl in “Dragon Age: Origins” als auch in “Dragon Age 2” steht die Welt der Protagonist*innen am Abgrund – auch wenn im zweiten Teil der Reihe diese Welt mit den Stadtmauern von Kirkwall endet – und sämtliche Eliten mit Macht und Einfluss sind mit ihren eigenen Kleinkriegen und Problemen beschäftigt. Spielerisch werden sie damit zu einer Hürde, die die Held*innen durch Quests zu überwinden und von ihrem eigenen Anliegen zu überzeugen haben, während narrativ ein Setting konstruiert wird, in dem möglichst viel Druck durch die Bedrohung antagonistischer Kräfte aufgebaut wird, um die Dramatik der Auflösung dieser Bedrohung zu erhöhen. Die Zerstörung des einen Rings im letzten “Der Herr der Ringe”-Film entfaltet ihre Dramatik, weil ihr ein fast neunstündiger Leidensweg zum Schicksalsberg vorausgeht. Der Kampf gegen den Erzdämon in “Dragon Age: Origins” oder gegen Meredith in “Dragon Age 2” folgt einer ähnlichen Logik: Wenn die Spannung ihren Siedepunkt erreicht, triumphieren die Held*innen der Geschichte über das Böse und das Happy End kann eingeläutet werden.
Player Empowerment trifft auf Gritty Realism und Strukturpessimismus
Das Ganze ist deshalb so interessant, weil dieses zentralistische Verständnis von Herrschaft in Verbindung mit dem Versagen aller strukturgebender Institutionen in Digitalen Spielen genreunabhängig omnipräsent ist. Nicht alle digitale Monarchien und Aristokratien warten mit einer Rahmenhandlung mit einem Schicksalsbergmoment wie in “Dragon Age” auf, aber die meisten erzeugen dieselbe Art narrativen Druck einer Bedrohung, der Spielende in Zugzwang bringen soll und ihnen Macht verleiht. Egal ob Spieler*innen oder NPC: Wer nicht aktiv wird, um mit starker Hand alleine nach Macht zu greifen, die Krise zu beenden und das Happy End zu erzwingen, den frisst die Krise mit Haut und Haar.
Nimmt man zum Beispiel “Crusader Kings 2”, das als Strategiespiel einer ganz anderen Logik als “Dragon Age” folgt, lässt sich derselbe Mechanismus beobachten: Zeige ich als Herrscher*in Schwäche, riskiere ich Aufstände, Intrigen und im schlimmsten Fall mein eigenes Leben. Niemand meint es gut, alle kümmern sich nur um ihren Vorteil und am Ende siege ich am effizientesten, wenn ich entweder besonders gut darin bin, andere mit Intrigen zu übertrumpfen, oder ständig Krieg führe und meine Widersacher militärisch bezwinge. Strukturell gesehen ist das Mittelalter von “Crusader Kings 2” also durchgehend so in der Krise, dass jede Seuche und jeder Einfall geschlossen agierender Invasoren zur Katastrophe werden kann. Das ist natürlich Absicht, weil so eine spielerische Herausforderung konstruiert wird, narrativ gesehen bleibt aber das Motiv der durchgehend versagenden Strukturen.

Geralt von Riva wird in “Witcher 3” als der Held inszeniert, der viel in seiner Welt retten könnte, es aber trotzdem – genauso wenig wie alle anderen Vertreter*innen von Eliten – nicht tut.
Das gilt sowohl für nicht-lineare Spiele wie “Crusader Kings” als auch solche, in denen ein Verweigern von Spieler*innenseite durch ein Skript verhindert werden kann und dann zum Beispiel durch NPCs abgebildet wird. In Spielen wie “The Age of Decadence”, das einen starken Fokus auf Intrigen zulässt, gehört es geradezu zum Konzept dieser Intrigen, dass ich als Spielerin jede gescriptete Chance nutzen kann, muss und soll, oder sonst von den NPCs selbst geschlagen werde. Ähnlich und doch anders äußert sich dasselbe Verständnis von von Macht auch in “The Witcher 3”: Die entscheidende politische Krise der Nilfgaarder Invasion ist längst über alle herein gebrochen und verschlingt nun die Welt um Geralt, den Helden vom Dienst, herum. Der wiederum kann sich der Krise nur entziehen, weil er als Hexer außerhalb des politischen Gefüges seiner Welt steht oder sich ihr wenigstens so weit entziehen kann, dass er sich nicht zwingend einmischen muss. Damit ist er indirekt Teil der Eliten seiner Welt, denen das Chaos um sie herum entweder egal ist oder die sich nur um sich selbst oder um Ideale kümmern, die als vollkommen abgehoben und noch dazu verloren inszeniert werden. Geralt ist vielleicht in keiner direkten politischen Entscheidungsgewalt, gehört aber als berühmt-berüchtigter Krieger, der im Verlauf des Spiels außerdem auch mehr als einmal in politische Prozesse eingreift, wenn es ihm nutzt, zur selben Gruppe von Leuten wie der Rote Baron oder Roche: Im Moment der Krise zieht er sich zurück und profitiert so zwar nicht direkt davon wie der Rote Baron oder jagt verlorenen Träumen von zerschlagenen Reichen nach wie Roche, aber er nimmt sich dennoch selbst aus vollkommen persönlichen Gründen aus der politischen Gleichung seiner Welt.
Versagen die Strukturen und Eliten solcher Systeme einmal nicht, dann nur, um sich augenblicklich gegen Spielende zu wenden. Während ich als allmächtiges Drachenblut in “Skyrim” oder als ebenso übermächtige Heldin in “Dragon Age” frei über das politische Schicksal ganzer Königreiche entscheide, bin ich in Spielen wie “Reigns” oder “Long Live the Queen” fast machtlos gegenüber dem System. Das wiederum endet darin, dass meine Momente des Scheiterns gezielt darüber definiert werden, machtlos und zu schwach gewesen zu sein, weshalb ich den Kampf gegen das System als solches verloren habe. In “Long Live the Queen” kann ich verlieren, nur weil ich eine Schachtel Pralinen gegessen habe, und das gesamte System der “Reigns”-Spiele dreht sich darum, verschiedene Parteien in meinem Reich in einem scheinbar unmöglichen Gleichgewicht zu halten, weil ich sonst entweder einen der vielen verfrühten und meistens sehr absurden Tode sterbe oder mir auf andere Weise meine Macht entzogen wird.
Das ist ein wenig auch deshalb ironisch, weil die monarchischen und aristokratischen Systeme, die diese und ähnliche Spiele abzubilden versuchen, zwar nicht zwingend alle in mittelalterlichen Szenarien stattfinden, aber trotzdem eng an Projektionen vom düsteren Mittelalter gebunden sind. Im Zuge dessen werfen sie soziale und symbolische Faktoren von Herrschaft zugunsten von spielerischer Macht häufig fast vollständig über Bord bis nur noch nakter Egoismus übrig bleibt. Wenn ohnehin alle allein auf ihren eigenen Vorteil aus und damit potentiell korrupt sind, dann sind Sympathien und Moralvorstellungen gleichgültig und müssen für einen bestimmten Weltenentwurf auch nicht neu konstruiert werden. Das alles spiegelt vermutlich auch ein wenig den fehlenden Optimismus und dem fehlenden Willen zur Abbildung von Hoffnung, an dem insbesondere viele Spiele, aber auch aktuelle popkulturelle Entwürfe als Ganzes zu leiden scheinen. Dass die Welt immer schlimmer wird bis sie sich selbst auflöst, scheint realistisch zu sein und wird immer wieder als natürlicher Lauf der Dinge dargestellt, dass aber vielleicht doch etwas besser wird, ist eine Utopie für die letzten fünf Minuten nach dem Bosskampf.

Korruption und strukturelles Versagen steckt geradezu in der DNA der “Dishonored”-Spiele. Und wieder kann nur ein einsamer Wolf das Kaiserreich retten und das Happy End bringen.
Alle korrupt, alles verloren
Dahinter steht ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Eliten und Politik, das inzwischen popkulturell eine lange Tradition hat. Im Medium Spiel wird es nur einmal mehr zu einer Art Standardformel erhoben. Dieses Misstrauen verwandelt sich dann im Gegensatz zur generischen Bedrohung durch Terrorismus, Nazis oder Zombies in vielen Shootern in monarchischen und aristokratischen Systemen in eine Bedrohung von innen und drückt so ein grundsätzliches Angst vor allem aus, was als etablierte Institution strukturgebend sein sollte. Dass die Antwort darauf politisch darin endet, in einer recht autoritären Manier übermächtige Heilsbringer einzusetzen, bildet zweierlei Dinge ab: Zum einen funktioniert das als logische Antwort auf eine Krise nur mit der grundlegenden Annahme, dass Menschen an sich korrupt sind und Pluralismus die Allgemeinheit anfällig für diese Korruption macht. Zum anderen entlädt sich damit der so aufgebaute Druck fast zwangsweise in besagter Angst vor der Korruption von Eliten entlädt, die dann wiederum zur Folge hat, dass nichts und niemandem mehr getraut werden kann außer der Spielerfigur als einzige Person, die sich vollkommen der spielerischen Kontrolle unterwirft.
Denkt man diese Idee weiter, dann konditionieren Digitale Spiele ihre Rezipient*innen innerhalb des Mediums – wenigstens bis zu einem gewissen Grad – darauf, damit zu rechnen, dass ihnen systemisch niemand helfen wird außer ihnen selbst. In den “Dishonored”-Spielen werden die Protagonist*innen Opfer einer großen Verschwörung des Adels, in der “Mass Effect”-Reihe verstrickt sich die Eliten von jeweils der Allianz und später der Initiative inmitten von galaxiebedrohenden Krisen in Endlosstreitereien, die eine Schwäche zur Folge haben, die auf der Stelle von Feinden von außen ausgenutzt und dann von den Spieler*innenavataren Shepard und Ryder ausgeglichen werden muss, in “Skyrim” kehren die Drachen zurück und legen Himmelsrand in Schutt und Asche, aber das Kaiserreich und die Sturmmäntel haben nur ihren Bürgerkrieg im Kopf.Selbst in “Fire Emblem: Fates” genauso wie in “Fire Emblem: Awakening” dreht sich alles darum, dass korrupte und böse Eliten die Welt der Held*innen bedrohen und nur die Spielerfigur und ihr Team darum bemüht sind, diese Krise zu bewältigen.
Es wäre unseriös daraus jetzt automatisch und ohne vernünftige Daten irgendwelche Wirkungen abzulesen, als Phänomen ist diese Spannung zwischen Entscheidungsgewalt, die Spielenden übergeben wird, und einem grundlegenden Strukturpessimismus dennoch, weil es Fragen aufwerfen kann, was es entweder punktuell spiegeln oder langfristig bedeuten könnte. In Zeiten des Internets gibt es ganz automatisch eine ständige und gut sichtbare Wechselwirkung zwischen Spielerschaft und Spiel, was auch die Leute, die bei bestimmten Entwürfen lauter applaudieren als andere, stärker in den Fokus rückt.
Ich frage mich nach dem lesen deines Textes, ob es überhaupt Spiele gibt, die nicht nach diesem Muster funktionieren. Auf die Schnelle fällt mir nichts ein. Es ist zwar nicht immer etwas Staatenähnliches was entweder für oder gegen mich arbeitet, aber doch eine größere Organisation (salopp formuliert) und da heißt es entweder ich gegen die vermeintliche Übermacht oder ich als Erfüllungsgehilfe eines größeren Ganzen. Was ja auch logisch ist, denn die Identifikation läuft ja nicht über etwas abstraktes und unpersönliches wie eine Nation. Es funktioniert ja in den allermeisten Filmen über eine einzelne Person. Nicht nur im Spiel, auch in Filmen/Serien oder Büchern.
Und ich weiß auch gerade nicht, wie ein Spiel anders funktionieren kann. Ich kann ja schlecht eine Gruppe spielen. Selbst in Rollenspielen wie Final Fantasy oder Mass Effect spiele ich ja auch nur eine Person. Ebenso in einem Aufbaustrategiespiel wie Anno bin ich derjenige der über die Geschicke entscheidet und wieder in Konflikte geworfen wird. Es ist wohl ein Match made in Heaven or Hell, dass die Struktur von Spielen und den Themen die sie in den allermeisten Fällen ansprechen, so gut zusammenpassen.
Ich würde gar nicht mal denken, dass es nicht möglich ist, in einem Spiel eine ganze Gruppe zu spielen. Gerade Spiele wie z.B. Fire Emblem oder Banner Saga leben auch davon, dass ich als Spielerin mein ganzes Team aufbaue und mit allen Einzelpersonen genauso spiele wie mit der Gruppe als Ganzes und dem/der Hauptfigur. (Gerade die neueren Fire Emblems sind da ein schönes Beispiel, weil ich da ja auch noch diese Romance-Funktionen habe und dadurch alle Teammitglieder bis zu einem gewissen Grad auch unabhängig von meiner Spielerfigur spielen kann.) Beide fallen zwar auch wieder in das Schema, das ich in meinem Text aufmache, sind aber denke ich auch schöne Beispiele, dass der narrative Rahmen von “Geh und rette die Welt vor Übermacht X” eben durch dieses Zuschneiden darauf, dass sich alles um mich als Spielerin dreht, verstärkt wird und es nicht nur um einen Mythos eines einzelnen Helden geht. Und ich würde auch das Phänomen an sich nicht einmal als so alternativlos sehen, auch wenn die Gegenbeispiele rar sind. Ich muss z.B. gerade an Divinity: Dragon Commander denken, das das Muster insofern bedient als dass die Welt in dem Spiel quasi brennt und ich als Spielerin dann den unehelichen Sohn des verstorbenen Kaisers spiele, der den Bürgerkrieg zwischen seinen Halbgeschwistern beenden will, indem er sie einen nach dem anderen besiegt, aber da wird mir ein Thronfolgekonflikt präsentiert, der nur einen Teil einer sonst funktionierenden Welt darstellt. (Jetzt kann man natürlich streiten, wie weit dieser interne Konflikt mit den korrupten Thronfolgern, die sich lieber bekriegen als für Frieden zu sorgen nicht doch das Muster erfüllt, aber selbst dann ist es ein abgeschwächtes Beispiel.) Und mir fallen spontan auch noch andere Spiele (v.a. Visual Novels) über Politik und Gesellschaft/Eliten ein, die sich diesen Mustern komplett oder teilweise verweigern, weil sie den Heldenmythos eines Dragon Age oder Witcher gar nicht erst aufmachen und stattdessen ihre Geschichten ganz anders erzählen. Damit vergleiche ich natürlich ein bisschen Äpfel mit Birnen, denn es ist etwas komplett anderes, ob sich eine Handlung eines Visual Novels um eine Liebesgeschichte dreht und nebenher passieren noch irgendwelche dramatischen politischen Sachen oder ob Geralt von Riva in einem Witcher 3 durch die Open World zieht und Ciri retten will, aber ich will damit vor allem darauf hinaus, dass es Alternativen geben könnte oder die entwickelt werden könnten, wir nur gerade im AAA-Bereich sehr stark darauf konditioniert wurden, dass man kaum anders Geschichten erzählen kann. (Was auch wieder damit zusammenhängt, dass in Spielen so oft Gewalt eine quasi unausweichliche Mechanik ist etc.)
Das Beispiel aus CK2 ist in sich stimmig, verengt aber die Pluralität der Handlungsoptionen auf ein ganz bestimmtes Muster (“andere mit Intrigen […] übertrumpfen, oder ständig Krieg führe[n]”), um daraus das Fazit (“Niemand meint es gut, alle kümmern sich nur um ihren Vorteil”) abzuleiten. Diese bestimmte Spielweise führt also erst dazu, prekäre, instabile Strukturen zu schaffen, die zu Aufständen und Kriegen führen.
Stattdessen können Stabilität und Wachstum (so das denn überhaupt als eigenes Spielziel definiert wird!) u.a. durch clevere Heiratspolitik, Zusammenarbeit mit den Peers und Unterstützung durch die Kirche erreicht werden. Wenn dann doch plötzlich eine Übermacht von außen angreift, die Bündnispartner mit ihren Truppen zu Hilfe eilen und der Papst 200 Gold spendiert, um die nötigen Söldner zu bezahlen, dann zeigt sich eben genau diese Bestärkung von Vertrauen in Strukturen.
Ich würde daher CK2 als absolutes Gegenteil dessen verstehen, was Du in Deinem Artikel zu Recht in vielen anderen Spielen bemängelst.
Es gibt eine größere Bandbreite an Möglichkeiten in CK2, ja, allerdings fördert das Spiel die Strategie, alles und jeden zu beseitigen, stärker als die, Bündnisse zu schließen, zumal ich die Heiratspolitik als Gegenbeispiel ausklammern würde, weil die ja auch den Zweck hat, vielleicht irgendwann Ländereien erben oder erobern zu können, wenn die andere Dynastie in der Krise steckt. Natürlich hängt der Grad des Pessismismus teilweise bei CK2 noch immer ein wenig von der persönlichen Spielweise ab, aber egal, wie ich meine Dynastie herrschen lasse, ich brauche eine Strategie, mit der ich mir mein eigenes Umfeld bei Laune halte. Ob ich mich mit dem Papst oder anderen Adeligen anfreunde, um dann in der unausweichlichen Krise Geld und Soldaten zu haben, oder ob ich all meine Feinde vorher schon ermorde, ist da zweitrangig, weil der Druck, zu handeln und mich um meine eigenen Vasallen zu kümmern, damit sie mir nicht in den Rücken fallen können, ganz automatisch vom Spiel aufgemacht wird. (Und der Zweck jeder Variante ist eben immer der, dafür zu Sorgen, dass sich eben nicht alle gegenseitig zerfleischen und dadurch das Reich oder den gesamten Kontinent instabil machen.)