Respektvolles Schreiben über Minderheitensprachen in Tchia
Statt die immer gleichen Eindrücke, zeigt uns Tchia, wie man unterdrückte Minderheitensprachen und indigene Kulturen auch in Spielen respektvoll darstellen kann.
In der Spielwelt Tchias liegt Spannung in der Luft. Die Bewohner*innen seiner fiktiven Inselgruppe, angelehnt an das südpazifische Neukaledonien, sind zwar nicht alle mehrsprachig, und doch hört man selbst auf den kleinsten Inseln unterschiedliche Sprachen. Die für uns gängige ist Französisch, jedoch überrascht Tchia mit Drehu, einer Sprache, die mir vorher unbekannt war und bisher in Medien keine Rolle gespielt hat. Diese Besonderheit hat mich zum Spiel gezogen, da ich mehr erfahren wollte. Mehr als aber der Klang von Drehu fiel mir auf, wie durch die Koexistenz von Sprachen im fiktiven Neukaledonien reale Machtverhältnisse sehr subtil vermittelt werden können. Immer wieder heißt es in verschiedenen Dörfern: “Kannst du uns bitte Folgendes aus unserem Nachbardorf holen? Wir können leider nicht dorthin, weil sie uns hassen, wir wissen auch nicht warum.” Das ist natürlich eine dem Spiel geschuldete Verkürzung sozialer und kultureller Probleme, von denen Sprachen vermutlich nur die offensichtlichsten sind.
Die wortwörtlichen Sprachbarrieren betreffen auch Protagonistin Tchia. Sie ist auf einer versteckten kleinen Insel von ihrem Vater großgezogen worden. Nachdem dieser plötzlich vom Gehilfen des Diktators entführt wird, zieht sie los, ihn zu befreien. Dabei muss sie viele Abenteuer bestehen, in denen sie fast beiläufig die Geschichte ihrer Familie und ihres zurückgezogenen Lebens ergründet. Sie trifft auf den Inseln sehr unterschiedliche Menschen, mit denen sie Gefallen austauscht, die uns als Spieler*innen Traditionen der Bevölkerung nahebringen. An den meisten Orten kann sie Drehu verwenden, eine der 28 noch existierenden indigenen Kanak-Sprachen Neukaledoniens, die sie auch mit ihrem Vater gesprochen hat. Für einen Behördengang aber – Tchia möchte einen Termin beim Inseldiktator ausmachen – will sie auf die Amtssprache Französisch wechseln, die sie dafür perfekt beherrschen muss. Denn das reale Neukaledonien ist eine ehemalige französische (Straf-)Kolonie und gehört noch heute zum französischen Hoheitsgebiet. Klar also, wer dort zumindest lange Zeit den Ton angab. Das gesamte Bildungssystem richtet sich nach dem des realen Frankreichs und dementsprechend werden mehr Mittel in die Vermittlung des Französischen investiert. Ohne entsprechende Kenntnisse kommt man nicht weit. Auch wenn Tchia wegen ihrer Zurückgezogenheit wohl nie eine Schule besucht hat, scheint ihr Vater sie darin ausreichend ausgebildet zu haben. Zumindest die Verständigung beim Amt ist für sie kein Problem.
Die Vorherrschaft des Französischen prägt nicht nur die Kommunikation in Tchias Welt, sondern auch die Landschaft. Die Lokale in Aëmoon, der größten Stadt der fiktiven Inselgruppe, sind zu einem großen Teil entsprechend benannt, wie das Musée d’Art Moderne d’Aëmoon de l’Administration Municipale de Meavora et Maanos (das Museum für moderne Kunst von Aëmoon der Stadtverwaltung) oder auch “Chez Georgette” (Bei Georgette). Einige Läden sind nach den Speisen, die sie anbieten und nach Aëmoon benannt, ein Waschsalon hat allerdings mit SpinClean einen generischen englischen Namen. In den Dörfern hingegen ist die Vielfalt größer. Oder eher: lokal homogen und nur von Ort zu Ort unterschiedlich, da diese nach Kulturen und Sprachen – und seien wir ehrlich: nach Hautfarben – getrennt sind.
Die französischen Siedlungen, die Vorbild für Tchia standen, sind anscheinend noch heute sehr Weiß, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man die Kolonialgeschichte Neukaledoniens betrachtet, die zuerst seitens Großbritannien und später Frankreich dort Gewalt ausgeübt haben. Die Überlebenden wurden als Sklavenarbeiter auf alle Kontinente verteilt und in Neukaledonien in Reservate gesperrt. Diese auffällige Trennung im Spiel ist also nicht nur real, sondern auch von den Kolonialmächten gewollt. Ihre Sprache und Kultur ist die Norm, die eingefordert wird. Mehrsprachigkeit ist für die ausschließlich französischsprachige Bevölkerung der melanesischen Inseln entsprechend ungewöhnlich, da nicht notwendig. Wie es aussehen könnte, diese Norm zu überwinden, zeigt das Spiel in einer Begegnung seiner Protagonistin mit einem französischen Mädchen. Sie bietet Tchia an, nur für sie Drehu zu lernen. Schön ist dabei, dass hauptsächlich Tchias Perspektive gezeigt wird, während wir durch ihre Unterhaltungen und Geschichte auch ihre Familiensprache kennenlernen.
Es gibt einige Bemühungen und Erfolge dabei, Kanaksprachen wieder zu etablieren. Die Akademie der Kanak-Sprachen entwirft, wo immer sie fehlen, entsprechende Schriftsysteme, die dabei helfen, die Sprachen auch im Schul- oder Onlinekontext verwendbar zu machen. Vier der Sprachen, unter anderem auch Drehu, können Kinder beispielsweise bereits in Schulen lernen. Dies hilft nicht nur dabei, sie wieder vom privaten in den öffentlichen Raum zu bringen, sondern auch die Sprachkenntnisse der neuen Generationen in verschiedenen Gebieten zu verbessern.
Say it with Respect: A Journalists’ Guide
Für diesen Artikel habe ich mich an diesem ausführlichen Guide zur journalistischen Berichterstattung über Minderheitensprachen orientiert: Say it with Respect: A Journalists’ Guide to Reporting on Indigenous & Minoritized Languages, Language Endangerment, and Language Revitalization
Er wurde mit indigenen Gruppen aus verschiedenen Organisationen erarbeitet und bietet eine hilfreiche Übersicht zum respektvollen Schreiben über Sprachgemeinschaften. Dabei sind die Ansätze nach Red, Yellow und Green Flags geordnet, um Denkmuster zu reflektieren und in einen breiteren Kontext zu setzen. Abwertende Formulierungen werden begründet und mit Alternativvorschlägen versehen, die dabei helfen können, bestimmte Denkmuster zu überwinden.
Es ist wichtig, Sprachen aus ihrer Sprecher*innenbasis heraus zu verstehen, zu beschreiben und sich auf ihre Sichtweisen und Handlungsfähigkeit zu konzentrieren. Als Red Flags, also Framings, die absolut zu vermeiden sind, gelten beispielsweise Formulierungen wie “sterbende Sprache”. Sie legen einen natürlichen Vorgang nahe und verschweigen Entwicklungen, die zum Minderheitenstatus geführt haben. Dieser Gedanke der Unvermeidbarkeit führt zu falschen Annahmen über die tatsächliche Situation und dazu, dass sinnvolle Förderungsmaßnahmen vernachlässigt werden könnten. Besser wäre es, von “bedrohten Sprachen” zu sprechen, da dies einen Raum schafft, um die Ursachen dieser Bedrohung zu erklären.
Green Flags, Positivbeispiele also, sind hingegen Vorschläge für eine respektvolle Herangehensweise. Sie beziehen sich zum Teil auf die verwendeten Fragestellungen: Schreibe ich wirklich aus der Perspektive der entsprechenden Community? Respektiere ich ihre Erfahrungen und Bemühungen und habe ich diese ausreichend in meinen Ergebnissen reflektiert?
Zuletzt Yellow Flags: Zu diesen zählen Äußerungen und Ausdrücke, die bei ihrer Verwendung einiger Einordnung bedürfen. Auch die Begriffe ‘Dialekt’ und ‘Jargon’ gehören dazu, da sie nicht klar definiert sind und meist mit einer impliziten oder sogar expliziten Abwertung der beschriebenen Sprachvarietäten einhergehen, da sie etwas beschreiben, das ‘keine richtige Sprache’ ist.
Respektvolle Spieleentwicklung
Auch die Entwickler*innen von Tchia haben sich um einen ähnlichen Ansatz wie dem des Guide bemüht. In einem Interview mit GamesIndustry.biz spricht Marilou Lopez-Aguilera, Team-Managerin des kanadischen Studios Awaceb, die selbst in Neukaledonien aufgewachsen ist, über ihre Bemühungen während der Spieleentwicklung, eng mit Menschen vor Ort zusammenzuarbeiten. Das Ziel des Spiels sollte es sein, der Welt nicht nur Neukaledonien, sondern auch Beispiele aus der Kanak-Kultur nahezubringen. Vor allem die Insel Lifou gab die Inspiration für die Umgebung des Spiels. Die dort vorherrschende Sprache ist Drehu, also Tchias Sprache. Dem Team sei besonders wichtig gewesen, das Leben dort durch die Augen der dargestellten Menschen zu zeigen. Ihre Ansichten, Wertvorstellungen und ihre Sprache sollten im Zentrum stehen. Es wurden nicht nur die Texte des Spiels in Drehu übersetzt, sondern dazu passende Sprecher*innen für die Gesprächs- und Gesangsszenen gesucht und gefunden, so dass auch für Spieler*innen die Inselgruppe fest mit dem Klang von Drehu verknüpft wird. Durch die in Drehu erzählten Geschichten entsteht eine stärkere Verbindung zur Lebensweise der Kanak-Kultur.
Manche kulturellen Prägungen sind allerdings schwer zu überwinden, wie Lopez-Aguilera an einem Beispiel aufzeigt, in dem es um ein Heim für Kinder ohne Eltern auf Tchias Insel geht.
“In the text, we have the word ‘orphans’ in the game, and the translator, he was able to say to us that ‘orphan’ in Drehu doesn’t exist. Because the fact that a child doesn’t have any parents doesn’t exist, because if the real parents aren’t there, if they’re dead, if they’re living, they do have other parents. Orphan is not a word that exists in Drehu.”
Hier wird deutlich, dass es in der Berichterstattung über Sprachen nie nur um unterschiedliche Klänge geht, sondern immer auch kulturelle Informationen mitgeliefert werden. Ein kommentierter journalistischer Katalog wie der beschriebene kann dabei helfen, sich diese Kontexte bewusst zu machen und auch in der Spieleentwicklung neue Wege zu gehen, statt schon ausgetretene zu nutzen.