Wie dein Englischlevel deine Blue-Prince-Erfahrung beeinflusst
Ohne sehr gute Englischkenntnisse lässt sich der Hittitel Blue Prince nicht bis zum wirklichen Ende spielen. Und doch: Die Credits kann man vermutlich auch mit Schulenglisch erreichen. Wie geht das?
Ich musste ein wenig kichern, als ich folgenden Post über das Hit-Indie-Game Blue Prince kürzlich bei einem meiner LinkedIn-Kontakte sah:
“Blue Prince ist natürlich ein Homonym auf das englische Wort blueprints. Dieses Wortspiel funktioniert auf Deutsch zwar nicht, aber das Game selbst kommt weitenteils ohne Sprache aus.”
Der Post stammt von Tobias Nowak alias “Kollege Gamer”, einem geschätzten Kollegen und Radiojournalisten, mit dem ich auf dem gamescom congress 2024 ein sehr nettes Gespräch geführt habe. Nowak bewirbt mit dem Post seinen Radiobeitrag beim WDR5.
Nun stelle ich diesen Post aber nicht nur heraus, weil ich mich über jede Erwähnung linguistischer Konzepte wie dem Homonym in Breitenmedien freue, sondern vor allem, weil ich etwas zur zweiten Hälfte des Beitrags zu sagen habe. Denn dass man in Blue Prince ohne exzellente Englischkenntnisse weit kommt, halte ich für falsch.
Das soll an dieser Stelle keine Kritik am Autor oder dem Beitrag sein. Im Gegenteil, das meiner Meinung nach sehr empfehlenswerte Radiostück ist ein konziser fünfminütiger Bericht, in dem Nowak unter anderem klar und gut für ein Breitenpublikum einordnet, warum auf das Kritikerlob am Spiel auch ein wenig Backlash von Spieler*innen kam. Nowak konzentriert seine Einordnung darin vor allem auf die ersten fünfzehn Stunden des Spiels, in denen die meisten Spieler*innen den mysteriösen Raum 46 vermutlich finden werden. Das löst den Credits-Roll aus, und an dieser Stelle ist das Spiel vermutlich für die meisten Menschen dann auch vorbei, da sie bekommen haben, was sie wollten. Schließlich lassen sich in dieser Zeit auch einige der kleineren und über das ganze Haus verstreuten Meta-Rätsel zumindest soweit lösen, dass sich ein Gefühl des Abschlusses einstellt.

Classroom Puzzle. Quelle: Eigener Screenshot.
Nach knapp 80 Stunden Blue Prince (and counting, denn die Fangemeinde hat immer noch nicht alle Geheimnisse des Spiels aufgedeckt, und seit langem sehe ich mich hier mal wieder als Teil einer gemeinsam rätselnden Community) bin ich mir jedoch aufgrund zweier Punkte relativ sicher, dass Blue Prince erst dann so richtig Spaß macht, wenn man wirklich sehr gut Englisch kann.
Erstens, und ob das ein fürs Spiel wirklich wichtiger Punkt ist, lässt sich durchaus debattieren: Blue Prince macht sich einen großen Spaß daraus, viele Wortspielereien im Haus zu verstecken. Diverse davon sind zum Beispiel an Upgrades von Räumen gebunden, die permanent deren Funktion verändern. Mein Lieblingsbeispiel ist der “Guest Bedroom”, der sich wahlweise zum “Guess Bedroom”, zum “Quest Bedroom” oder zum “Geist Bedroom” umfunktionieren lässt. Ich würde einiges darauf verwetten, dass die Wortspiele zuerst da waren, und die Funktion der einzelnen Räume erst im Nachhinein an die Semantik der Namen angepasst wurde. Ein Großteil meiner Freude am Writing des Spiels kommt aus dieser und ähnlicher intelligenten Verwendung von linguistischem Humor.

Guest Bedroom. Quelle: Eigener Screenshot.
Zweitens: Blue Prince verschachtelt einige Lösungen seiner Rätsel in den Lösungsvorgängen vorheriger Rätsel, sodass die Notizen, die ich mir viele Stunden vorher gemacht habe, plötzlich erneut Sinn ergeben. Viel läuft dabei über linguistische Spielereien, gerade das Konzept des Homonyms wird dabei mehrfach genutzt, um aus Wortspielen konkrete Arbeitsanweisungen zu extrahieren. Auch Anagramme von Buchtiteln oder Vergleichsrätsel, bei denen man die Schreibweise von zwei abgebildeten Gegenständen miteinander in Bezug setzen muss, ziehen sich durchs Mid- und Endgame. Da reicht oft, aber nicht immer, das Gymnasialenglisch.
Mein liebstes Beispiel – Achtung, es folgt ein kleiner mechanischer Spoiler für ein mehrschrittiges Rätsel ganz im Endgame von Blue Prince – an einem bestimmten Ort findet sich das Wort CASTLE vertikal in eine Wand gestanzt, wobei jeder der Buchstaben von zwei Unterstrichen gefolgt ist. Das sieht dann etwa so aus:
C _ _
A _ _
S _ _
T _ _
L _ _
E _ _
Es ist kein Hexenwerk, der Anordnung zu entnehmen, dass man hier Buchstaben einfügen muss, um weitere Worte zu produzieren, deren Anfangsbuchstaben jeweils die Lettern von CASTLE sind. Hat man das erkannt und dann durch zahlreiche versteckte Hinweise im ganzen Haus auch noch gelöst, kommt man im Rätsel jedoch nicht mehr weiter. Denn dafür muss man das Relief mit einem anderen, zu diesem Zeitpunkt bereits gelösten Rätsel aus demselben Raum in Verbindung bringen, bei dem es um ein Schachbrett geht. Was hat Castle mit Schach zu tun? Nun, dafür braucht man sehr spezifisches Fachwissen nicht nur um einen der speziellsten möglichen Züge im Schach, sondern auch noch, wie der auf Englisch heißt. Wer hier kein C2-Zertifikat im Englischen hat (und ich wage zu behaupten, auch Muttersprachler*innen könnten hier noch hängenbleiben), schaut ganz schön alt aus.
Ich könnte noch einige andere Beispiele aufführen – von der exzessiven Verwendung von Lyrik und Reimen gerade im letzten Drittel des Spiels habe ich ja noch gar nicht angefangen – aber ich möchte an dieser Stelle auch niemanden abschrecken. Es ist völlig legitim, Blue Prince nur bis zum ersten Credits Roll zu spielen oder auch darüber hinaus noch viele der ineinander verschachtelten Rätsel zu lösen, ohne den Anspruch, das hinter einem Pepe-Silvia-artigen Marathon aus Notizen, roten Fäden und Geistesblitzen versteckte zweite oder dritte Ende des Spiels erreichen zu wollen.
Ich verstehe gleichzeitig aber auch gut, warum die Entwickler*innen und Publisher Raw Fury sich bisher dagegen entschieden haben, das Spiel in irgendeine andere Sprache als Englisch zu lokalisieren. Viele wortbasierte Lösungen sind tief in die Architektur und die 3D-Modelle innerhalb des Spiels integriert, sodass eine andere Sprachversion teilweise Räume neu gestalten müsste. Das Spiel in die Hände eines regulären Lokalisationsstudios zu geben reicht dafür also nicht. Ein ähnliches Dilemma hatten übrigens die beiden Devs hinter meinem Sprachspiel des Jahres 2024, Cryptmaster, zu lösen. Wie sie das tatsächlich zumindest für eine Sprache geschafft haben, hat Writer Lee Williams in seinem Talk auf der DevGamm in Portugal Ende letzten Jahres erklärt. Ich entlasse euch abschließend mit dem VOD dazu aus meinem Gedankengang.