Warum “To Each his Own” und “Jedem das Seine” nicht dasselbe bedeuten
Ich mag Piratenspiele. Besonders schöne Gefühle verbinde ich mit der ahistorischen Karibiksimulationsreihe Sea Dogs, in die ich als Kind hunderte Stunden versenkt habe. Ohne es zu wissen, denn mein heißgeliebtes Piratenspiel war damals Pirates of the Caribbean, unter Bethesdas Flagge veröffentlicht, das eigentlich nichts anderes war als der Nachfolger des baugleichen und vom selben Entwickler geschaffenenSea Dogs, nur eben mit der Black Pearl als Endgegner.
Meine Aufregung, als ich nicht nur auf gog.com die erneut veröffentlichten Versionen der Sea Dogs-Reihe (wenn auch nicht meines Fluch der Karibik-Spiels) fand, sondern auch ein neu entwickeltes Spiel der Reihe auf Steam, ist daher sicher verständlich. Sea Dogs: To Each His Own heißt der neueste Teil, der ursprünglich nichts anderes war als eine Mod zum letzten “offiziellen” Teil der Reihe, Sea Dogs: City of Abandoned Ships. Der originale Sea Dogs-Entwickler Akella verschaffte den Moddern namens BlackMark Studio jedoch Zugang zum Quellcode von City of Abandoned Ships und nahm das fertige To Each his Own schließlich als Publisher unter seiner Fittiche.

Schild im Eingangstor des KZ Buchenwald. Quelle: wikipedia.de.
Nun bin ich erstens als verantwortungsvoll in Deutschland aufgewachsener Mensch und zweitens als semantisch versierter Linguist nicht ganz auf den Kopf gefallen und stieß mir selbigen natürlich gehörig am Titelzusatz To Each His Own. ‘Jedem das Seine’, so stand es seinerzeit schließlich auf dem schmiedeisernen Eingangstor zum Konzentrationslager Buchenwald. Nicht selten habe ich den Satz in meiner Kindheit ohne böse Absicht als Sprichwort genutzt gehört, heutzutage aber halte ich die kontextlose Reproduktion dieser Phrase (wie einiger anderer auch) für unredlich. Immerhin ist sie von ihrer damaligen perfiden Zuschreibung der Eigenverantwortung des Leids an Juden und andere Lagerinsassen nicht so einfach loszulösen. Warum also benennt ein russischer Entwickler sein Videospiel, das mit seinem Kolonialismus-Setting und der mehr als problematischen Darstellung von nichtweißen Sklaven und amerikanischen Ureinwohner ohnehin genug ideologische Problemstellen aufweisen könnte, auch noch nach einem Sprichwort der Nationalsozialisten?

Primitiv, wild, kannibalistisch – die Darstellung von Ureinwohnern in der Sea Dogs-Reihe folgt kolonialistischen Narrativen und hinterfragt keine davon.
To Each his Own, Jedem das Seine – suum cuique?
Nun, ich wäre kein Linguist, wenn ich nicht Zugriff auf ein etymologisches Wörterbuch hätte, und nach kurzer Suche stellte ich fest: ‘Jedem das Seine’ ist eine Lehnübersetzung, manchmal auch Calque genannt, vom Lateinischen suum cuique, der Kurzform von suum cuique pulchrum est (wörtlich: ‘Jedem das Seine ist schön’), das aus Ciceros Feder stammen soll. Und genau das gleiche ist ‘To Each is Own’, also eine wörtliche Entlehnung einer bestehenden Phrase aus dem Lateinischen. Da sich die deutsche und die englische Sprachgeschichte, genau wie ihre kulturelle, recht stark ähneln und beide sehr von lateinischen Einflüssen betroffen waren, ist das nicht verwunderlich. Das gibt uns jedoch eine wichtige Info: Beide Übersetzungen des Sprichworts sind zwar auf die gleiche Art, aber getrennt voneinander entstanden. Es hat also nicht ein Land vom anderen abgeschrieben, sondern beide haben sich auf Cicero berufen.
Aus dieser etwas umständlichen, aber hoffentlich ausreichend ausführlichen Erklärung lässt sich demnach auch ableiten, dass To Each His Own nicht die bösartigen Konnotationen seines deutschen Pendants geerbt haben kann, es sei denn bilinguale Sprecher wie ich bringen ihren deutschen Geschichtshintergrund mit und verknüpfen ihn mit der wörtlichen Übersetzung. Es ist also wohl wahrscheinlicher, dass ich in das englische Sprichwort mehr hineininterpretiere, als die russischen Entwickler beabsichtigt haben. Denn auch wenn man im russischen Geschichtsunterricht vielleicht sogar vom Konzentrationslager Buchenwald hört, die Übertragungsleistung aus nicht nur einer, sondern in diesem Fall zwei Fremdsprachen in die eigene und damit hin zur Verbindung von Worten und Geschichtskenntnissen ist keine Selbstverständlichkeit. Wir haben es bei Sea Dogs: To Each His Own also wohl glücklicherweise nicht mit einer rechtsradikalen Phrasenschleuder zu tun. Auch wenn die Assoziationen, die ein mordender Seeräuber, der “To Each His Own!” rufend Schiffe kapert, auch nicht wesentlich menschenfreundlicher zu sein scheint.

“To Each his Own!”
Dass man den stark mit dem Konzentrationslager Buchenwald in Verbindung stehenden Satz “Jedem das Seine” nicht ohne Weiteres nutzen sollte, haben übrigens heute auch einige Entwicklerstudios erkannt. Der Historiker Björn Hennig hat zum Beispiel diese Änderung in der neu veröffentlichten History Edition von Anno 1602 gefunden, bei der eine Mission von “Jedem das Seine”zu “Gegen jeden Widerstand” umbenannt wurde. Wir finden’s gut.

In der History Edition von Anno 1602 wurde der Spruch durch einen unverfänglicheren Titel ersetzt. Quelle: Björn Hennig, Videospielhistoriker.