Was Final Fantasy XVI von England und den Wikingern gelernt hat
Ich bin noch nicht allzu weit fortgeschritten in meinem Spieldurchgang von Final Fantasy XVI, dem neuen Titel aus der Hauptreihe von Square Enix’ monumentaler Blockbuster-Serie. Doch was mich als Anglisten bereits zu Anfang sehr gefreut und an das Spiel gebunden hat ist, wie nah sich das grundlegende Setting an der Eroberung Englands durch die Wikinger und das Danelaw im 9. Jahrhundert anzulehnen scheint, und wie wichtig dabei auch sprachliche Aspekte sind, die wir auch aus anderen Spielen bereits ähnlich eingesetzt kennen.
Dieser Text behandelt nur Plotpunkte, die in den ersten zwei Stunden des Spiels, die auch die Demo ausmachen, gezeigt werden. Er ist also nahezu spoilerfrei.

Die Karte von Valisthea, Spielwelt von Final Fantasy XVI. Ganz im Westen die Inseln des Iron Kingdom, der große Kontinent direkt östlich davon ist Storm. Der Vulkan mit dem roten Kristall dazwischen ist Drake’s Breath, das Gebiet mit dem großen Burgsymbol direkt östlich des Vulkans ist Rosaria. Quelle: Square Enix.

Das Banner des Iron Kingdom, Eileanan Iarainn in der Landessprache, zeigt Axt und Anker als stark an die Wikinger erinnernde Symbole. Quelle: Square Enix.
Spiel und Demo beginnen mit einem Flashback ins Jahr 860 der Spielwelt, im Großherzogtum Rosaria an der Westküste des westlichen, größeren Kontinents von Valisthea. Es führt kriegt mit den Ironblood, einem in Pelz gekleideten Axtkriegervolk, das von Inseln im Westen kommt, und zum Zeitpunkt des Spiels die Festung “Drake’s Breath” (den Berg mit dem roten Kristall zwischen Insel und Kontinent) hält, den jedoch auch Rosaria für sich beansprucht.
Die Ironblood sind natürlich ans Klischeebild der Wikinger angelehnt: Pelze, Äxte, und auch die Sprache: Eileanan Iarainn ist der Eigenname des Iron Kingdom, Creag Loisgte heißt die Hauptstadt. Spannenderweise ist das beides viel näher am Irischen/Gaelischen als am Altnordischen, hier wurden also zwei dem Englischen im Mittelalter sehr nahe Kulturen/Sprachen als “Eindringlinge” gemixt. Eine solche interessante Mischung aus gaelischer Sprache und nordischen Kulturmarkern nutzt übrigens nicht nur Final Fantasy XVI, um sein fiktives Wikingervolk darzustellen. Die Reihe The Witcher von CD Projekt Red und Andrzej Sapkowski tut dasselbe in seiner Kultur der Skellige-Inseln, wie an dieser Beschreibung von Häuptling Crach an Craite aus dem Witcher-Wiki sichtbar wird:
Cráite means haunted, tormented/tortured or annoying in Irish, while crach means raid. Therefore, “crach an cráite” could be translated as “raid of the tormented”, albeit being grammatically incorrect.
Neben Fantasy-Story-Gründen, die ich nicht spoilere, will Rosaria das Iron Kingdom auch deswegen von Drake’s Breath vertreiben, damit dieses von dort keinen Brückenkopf auf dem Hauptkontinent, Storm, etablieren und dort Territorium erobern kann. Dieser Punkt ist für den Brückenschlag zur Geschichte unserer Erde wenig überraschend relevanter als die Story-Gründe des Spiels.

Die Ironblood-Krieger aus dem Iron Kingdom kämpfen in stereotypischer Wikingermontur: Mit Fellen über der eher leichten Rüstung und natürlich mit einer Axt. Quelle: Square Enix.
Was hat das also nun mit England und den Wikingern zu tun?

Ungefähre Anordnung der angelsächsischen Königreiche in rot, bevor die Dänen den Status Quo aufbrachen. Quelle: Wikipedia.
Die ersten Überfalle der Wikinger auf englische Klöster sind ab dem Jahr 769 durch Dokumente der damaligen angelsächsischen Regierungen gesichert nachzuweisen. Raubzüge wie, etwa der in der TV-Serie Vikings für die Storyintegrale auf die Abtei Lindisfarne, brachten Beute, später zahlten die Angelsachsen dann “Dänengeld”, um sich von den Raubzügen freizukaufen und die Dänen von der englischen Küste fernzuhalten. Etwa 100 Jahre später änderte sich aber der Ansatz der Dänen, aus Platznot daheim: Im Jahr 866, einer Jahreszahl, der das Datum in Final Fantasy XVI beeindruckend ähnlich sieht, eroberten die Wikinger York, die Hauptstadt Northumbriens, und brachten von da Stück für Stück Northumbrien, also Nord- und Nordostengland, unter ihre Kontrolle. Nicht mehr zum Rauben, sondern als neues nordisches Siedlungsgebiet. Die angelsächsischen Königreiche, angeführt vom südlichsten, Wessex, versuchten, ihre Insel von den Eroberern zu befreien. Das hatte… mäßigen Erfolg. Innerhalb von zehn Jahren und unter mehreren toten wessexischen König*innen war Wessex das einzige noch angelsächsische Gebiet. Aus der Not heraus verhandelte Alfred von Wessex mit dem Dänenkönig Guthrum ein geteiltes Reich: Wessex im Süden und mit dem Westen von Mercia, das Danelaw (“Dänenreich”) in Northumbrien, Ost-Mercia und Ostanglien. Das Vertragsgebiet, mit Geplänkel und kleineren Grenzverschiebungen, hielt immerhin fast 100 Jahre. Und obwohl der letzte Danelaw-König 954 von der Insel vertrieben wurde und der Erbe des Wessex-Throns Edgar der Friedliche ab seiner Krönung 959 als König von ganz England, dauerte es nicht lange, bis die Dänen sich wieder sehen ließen: 1016 gewann König Knut von Dänemark gegen die Angelsachen und England fiel als Ganzes unter dänische Kontrolle. Als Knut der Große sollte jener Eroberer mit Norwegen, Dänemark und England einige Jahre lang sogar ein thalassokratisches (also auf die Herrschaft über das Meer gestütztes) Großreich halten, das gelegentlich als North Sea Empire oder auch Knutrike bezeichnet wird.

Rot markiert: Das kurzzeitige Großreich von Knut dem Großen, nachdem England bid auf wenige Zipfel vollständig in die Kontrolle der Dänen überging. Quelle: Wikimedia Commons.
Für Final Fantasy XVI heißt das, dass die Sorgen des Großherzogtums Rosaria um ihre Territorien auf Storm wahrscheinlich berechtigt sein dürften. Ohne zuvor in York Fuß gefasst zu haben hätten die Dänen nämlich vermutlich auch schlechtere Karten in England gehabt.