Silver Gamers und Umgangston in Tom Clancy’s The Division 2
Sie waren die Ersten. Pionier*innen, kann man so sagen. Sie spielten schon in den 80ern und Anfang der 90er digitale Spiele wie SimCity, DOOM oder Myst. Die Sprache ist von Silver Gamers. Wie sie sich organisieren und in kontemporären Spielen bewegen, ist ein nur selten beleuchtetes Feld und zeigt, dass aufzeigen kann, wie vielfältig die Persönlichkeiten von Spieler*innen sein können. Mit guten Absichten ausgerüstet, dachte ich, dass ältere Personen einen niveauvolleren Umgangston an den Tag legen und sich von der zumeist toxischen jungen Gaming-Community abheben. Nur: Ist das so?
HINWEIS: Dialoge sind auf Grundlage eines Gedächtnisprotokolls wiedergegeben und aus Gründen des Persönlichkeitsrechts sowie sensibler Daten an einigen Stellen gekürzt oder verfremdet.
Was ist denn ein Silver Gamer?
Digitale Spiele sind nicht nur für junge Menschen interessant. Auch zunehmend fortgeschrittene Altersgruppen finden Anschluss in der Gaming-Szene. Entweder sind sie mit der Entwicklung der Szene gewachsen oder fangen jetzt an sich für Computer-, Konsolen- und Mobil-Games zu interessieren. Zu finden sind Silver Gamers in zahlreichen Spiele-Genres wie dem Ego-Shooter, Strategiespiel oder den Online-Multiplayer-Rollenspielen. Eine Alterspalte ist zu definieren stellt sich dabei als Herausforderung dar, denn wann sehen sich Spieler*innen selbst als „silver“?
Einige empfinden sich bereits in den 30ern als Silver Gamers. Sie können mit dem Hype um YouTube und Twitch nichts anfangen, sprechen eine andere Sprache oder legen ein anderes Verhalten an den Tag, dass sich mit jüngeren Spieler*innen nicht decken möchte. Doch auch jenseits der 30er spielen wesentlich ältere Herrschaften die unterschiedlichsten Spiele. Es entstehen Gruppen wie der schwedische Counter Strike-Squad „Silver Snipers“, der aus einer fünfköpfigen Gruppe von 57 bis 75-Jährigen besteht.[1] Doch auch noch ältere Menschen können nicht davon ablassen ihre Lieblingsspiele zu spielen. Da ist etwa die achtzigjährige Britin Doris Oram, die sich neben Stricken und Fernsehen, gerne beim Chatten mit ihren Freunden und dem Spielen zahlreicher Puzzle-Spiele auf ihrem Tablet von einer Operation erholt.[2]
Neben altbekannten Spielen wie Counter Strike oder gelegentlichen Puzzle-Spielen interessieren sich Silver Gamers auch für kontemporäre Loot-Shooter wie etwa Tom Clancy’s The Division 2, wie ich seit einiger Zeit erleben darf.
Die Gründung eines Silver-Gamers-Clan
Seit der Erscheines des Titels Tom Clancy’s The Division 2 tummeln sich mal mehr, mal weniger Spieler*innen in dem fiktiven Washington D.C., das als Schauplatz des zweiten Teils der The Division-Reihe fungiert. Da ich dem Spiel, obgleich schnell aufkommender Ernüchterung während des ersten Teils, noch einmal eine Chance geben wollte, hatte ich diesmal große Pläne: die Gründung eines Silver-Gamers-Clan. Die dafür benötigten Werkzeuge hatte ich alle zur Hand. Ich veröffentlichte einen simplen Eintrag im offiziellen, deutschsprachigen Forum des Spielevertriebs Ubisoft im Abschnitt The Division 2.
Die Prämisse des Clans war klar. Es werden Spieler*innen ab 30 Jahren gesucht, oder alle, die einen offenen, freundlichen und toleranten Umgang pflegen. Für einen Discord-Server zur verbalen Kommunikation hatte ich gesorgt. Nach wenigen Tagen und einigen Foren-Einträgen hatten sich 23 Menschen auf dem Discord-Server eingefunden. Die Anzahl der Spieler*innen des in-game Clan-Menüs zählte sogar 50. Der Clan war somit bis zum Maximum gefüllt.
Nette Gespräche und Spiele-Sessions folgten. Wir redeten über die Games-Industrie, Erziehung, sogar sexuelle Orientierung. Der Clan schien ein geeignetes Umfeld für erfahrene, tolerante und niveauvolle und lebenserfahrene Spieler*innen zu sein. Ganz nach meinen Vorstellungen. Doch hier kommt der notwendige, dramaturgische Twist meines ersten Silver-Gamers-Clan: gegenseitige Anfeindungen.
Alter schützt vor Torheit nicht
Den ersten Schluckauf erfuhr der Clan nach einer Woche der offiziellen Veröffentlichung von Tom Clancy’s The Division 2. An einem Abend spiele ich mit drei männlichen Clan-Mitgliedern an einer Nebenmission. Neben etwas Smalltalk wird auch über die deutsche Sprachausgabe und die Animationen der NPCs gesprochen. Es sei irgendwie merkwürdig, dass sich die computergesteuerten Gegenspieler*innen an zunächst an Kanten eines hohen Vorsprungs setzten, um dann sicherer in die Tiefe zu fallen, ohne dabei einen Schaden durch den Aufprall zu erleiden. Die gesteuerten Spielfiguren könnten dies nicht und würden aus ähnlichen Höhen mit einem Abzug der Lebensenergie bestraft werden.
„Unsere Spielfiguren sind nun mal echte Kerle und nicht solche Schwuchteln! Die brauchen das nicht. Die Entwickler haben ja selbst den NPCs dementsprechend deutsche Stimmen gegeben. Hilfe, eine Brandgranate, mein Kleid brennt.“
Das zwei von uns vier Spielenden dabei selbst eine weibliche Spielfigur steuerten, wurde ignoriert oder vergessen. Denn wir sind nun mal ganze Kerle! Nun ja, wir sind alle nicht perfekt. Es kann passieren, dass wir „übermannt“ werden im Eifer des Gefechts und Dinge sagen, die eventuell anderen Menschen schaden könnten. Zum Beispiel auch mir selbst als homosexuelle Person.
Fast zeitgleich wurde durch ein anderes Clan-Mitglied an mich herangetragen, dass ein solches Verhalten mancher Mitspielenden jedoch häufiger beobachtet wurde. Doch neben Themen der sexuellen Orientierung, wurden ebenfalls rassistische Äußerungen wahrgenommen. Es war also Grund genug, um nochmal an unsere Clan-Prämisse zu erinnern. Ich erstellte einen kurzen schriftlichen Eintrag auf dem Discord-Kanal des Clans, der meine Erfahrung und die des genannten Clan-Mitglieds schilderte. Einige Mitglieder reagierten zunächst mit einer leichten Verdrossenheit:
„Ich habe doch gar nichts gesagt!“
„Also ich bin das bestimmt nicht gewesen!“
Andere konnten es verstehen:
„Ist echt nicht cool. Ja, wir sollten uns schon an Umgangsformen halten!“
Die Botschaft schien bei einigen Leuten angekommen zu sein und ich hoffte fortan auf einen respektvolleren Umgang. Fehlanzeige.
Einige Tage später suchte ich im in-game Chat des Spiels nach dem einer erfahrenen mitspielenden Person. Ich hatte Fragen zu einer Mission, die sich auf meinem User-Interface nicht anwählen ließ. Nach kurzer Zeit fand ich einen hilfsbereiten Mitmenschen, der in kurzen Sätzen versuchte, den Sachverhalt zu klären. Leider halfen mir die wohl gut gemeinten Ausführungen nicht. Die gewünschte Mission verblieb ausgegraut auf meinem Bildschirm. Geduld ist eine Tugend. Manche beherrschen sie, manche nicht. Die Person auf der anderen Seite des Chats gehörte wohl zu der letzteren Spezies:
„Digga, bist Du blind oder was? Du musst doch einfach nur klicken! Wie dumm kann man denn sein?!“
„Verzeihung? Habe ich Dich gerade irgendwie beleidigt, oder warum beschimpfst Du mich? Ich hatte lediglich nach Hilfe gefragt. PS: Nenn‘ mich bitte nicht „Digga“, das mag ich nicht.“
„Mimimimimi! Was hast Du denn für Probleme? Ich nenne jeden so, wie ich möchte!“
Ich gebe es zu, ich hatte zu diesem Zeitpunkt keinen guten Tag. Nichtsdestotrotz lasse ich nur ungern mit mir reden. Besonders nicht in einem clan-internen, semi-öffentlichen Chat, in dem sämtliche Clan-Mitglieder mitlesen können. Der Person schien nicht bewusst gewesen sein, dass ich der Clan-Leader war.
„Ich habe Dir gerade gesagt, dass ich das nicht mag. Sorry, aber der Clan ist unter der Prämisse eines respektvollen Umgangs gegründet worden.“
„Na und?!“
Ich banne die Person.
Wieder einige Tage später. Es entfacht eine Situation zur Debatte um Artikel 13/17 und mögliche Einschränkung von virtuellen Inhalten im Internet. Doch statt einer fundierten Debatte, werden Ressentiment gegenüber zahlreicher Person innerhalb des Clan oder politischer Parteien geschürt oder sogar Werbung gemacht.
Beide Situationen gaben erneuten Anlass, ein Memo an alle Clan-Mitglieder zu verfassen. Ich ließ meine Mitspielenden erneut wissen, dass wir uns und letztendlich jede Person per Eintritt in den Clan, auf die oben genannte Netiquette verständigt hätten. Zudem sei der Clan kein Ort, um andere Leute aufgrund ihrer Meinung zu schelten noch aktive Wahlwerbung für politische Parteien zu machen.
Diesmal erfolgte keine Reaktion auf mein Schreiben. Der Sachverhalt schien entweder klar zu sein oder auf Desinteresse zu stoßen. Diesbezüglich kann ich nur spekulieren.
Es wurde leise
Wochen vergingen. Von Zeit zu Zeit meldeten sich stetig weniger Clan-Mitglieder im Spiel oder dem Discord-Kanal an. Ich erfuhr von einigen Mitspielenden, dass sich aufgrund mangelnder Inhalte eine rasche Abnutzungserscheinung eingestellt hatte. Die in-game Ausrüstung der Spielfiguren erschien sinnlos. Das Loot-System zu zufällig und unausgewogen. Viele warteten auf den von Ubisoft versprochenen Raid, der allerdings noch in einiger Ferne lag. Eine Ferne, auf die einige Clan-Mitglieder nicht mehr warten wollten. Geduld ist eine Tugend.
Zahlreiche Mitglieder hinterließen im Clan-Menü von Tom Clancy’s The Division 2 einen ausgegrauten Account-Namen. Sie hatten das Spiel bereits deinstalliert und somit den Clan per Nacht-und-Nebel-Mausklick verlassen. Es wurde leise.
Trotz dieses Schwunds an Mitgliedern warteten einige geduldige Division-Agent*innen durch die Inhaltsleere des virtuellen Washington D.C. Mich eingeschlossen. Schließlich wollten wir den umworbenen Raid noch zusammen erleben. Es wurde leiser.
Dann wurde es laut
Der Tag des Erscheinens des Raids war da. Doch schienen wieder einige Mitglieder gegangen zu sein. Ich und ein, zwei Mitglieder versuchten einen Raid-Trupp zusammenzustellen. Die stille klang ab.
„Spielt ihr D2 (The Divison 2) immer noch?! Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Das Spiel ist absoluter Scheiß. Ihr werdet sowieso nicht genügend Leute finden, da das Spiel jetzt schon tot ist! Und ich habe mir mal eure Ausrüstung angeschaut. Ihr scheint ja echt keine Ahnung zu haben. Mit der schafft ihr sowieso nichts!“
Wir diskutierten. Vielleicht sei es noch zu früh, das Spiel und seine Inhalte vorschnell abzukanzeln. Einen Versuch ist es wert. Da für einen Raid in Tom Clancy’s The Division 2 acht Spielfiguren benötigt werden, erwies sich die Suche nach spielbereiten Mitmenschen als eine Herausforderung. Wieder erschien dieselbe Person im Chat des Discord-Kanals.
„Habe ich euch doch gesagt, dass das nichts wird. Das Spiel ist tot und eure Ausrüstung ist immer noch grottig. Ich habe das Spiel ja schon längst deinstalliert, da ich viel wichtigere Dinge in der echten Welt zu tun habe. Schließlich ziehe ich bald nach […] und meine Freundin kommt aus […] wieder. Ich hätte sowieso keine Zeit mehr für euren Mist.“
„Wieso hast Du dann noch Zeit uns das Spiel madig zu machen?“
„Weil ich euch einfach nicht verstehen kann. Das Spiel unglaublich schlecht. Ihr scheint das aber nicht zu verstehen.“
Tagelang schrieb die Person Einträge in den Chat des Discord-Kanals. Offensichtlich hatte sich viel Frust und Wut aufgebaut. Ich schrieb der Person eine persönliche Nachricht und erkundigte mich darüber, wieso die Person so frustriert sei. Es stellte sich heraus, dass die Person schon mit Erscheinung des Spiels eine Grundskepsis und Frust mit in den Clan hineingetragen hatte. Solche Gefühle sind vollkommen okay und auch das Schildern des besagten Frusts ist gestattet. Allerdings sollte bedacht werden, dass einige Personen noch Freude an dem Spiel zu haben scheinen und ein Abwerten der Ausrüstungsgegenstände oder eine Entmutigung gegenüber des Anstrebens einer Raid-Mission kein gutes Klima im Clan schaffen.
Dann wurde es laut:
„Der Clan macht doch sowieso keinen Sinn. Ich wäre vermutlich ein viel besserer Leader. Ich habe auch viel mehr Ahnung von dem Spiel. Ihr lauft hier alle rum und denkt, ihr könntet irgendwas reißen, dabei könnt ihr nichts. Ihr hättet mich ja schon ab dem ersten Tag um Hilfe fragen können, aber ihr wolltet wohl lieber dumm sein. Darum habe ich auch kein Problem damit, jetzt meine Meinung zu sagen.“
„Einige deiner Einwände sind berechtigt. Du kannst gerne Vorschläge machen, was wir verbessern könnten.“
„Euch ist doch nicht mehr zu helfen. Wie gesagt, ich habe eigentlich auch Besseres zu tun, als hier abzuhängen und ich habe das Spiel ja schon deinstalliert. Macht doch, was ihr wollt.“
„Ich kann deine Frustration ja verstehen, dennoch ist es nicht cool negative Stimmung im Clan zu machen.“
„Ich mache keine Stimmung. Ich sage nur die Wahrheit. Die scheint ihr ja nicht zu vertragen. Ihr möchtet anscheinend dumm bleiben.“
Nach weiteren Nachrichten biete ich der Person an den Clan zu verlassen. Dies wird verneint.
„Ich habe eine Meinung und nur weil ihr die nicht hören wollt, muss ich nicht den Clan verlassen, auch wenn ich eigentlich nicht mehr spiele.“
„Das erscheint mir wenig sinnhaft.“
„Mir doch egal, ich kann hier machen, was ich will.“
Ich zähle die Person an, doch sie möchte nicht aufhören. Schließlich banne ich sie.
Weniger Minuten später erhalte ich eine weitere persönliche Nachricht. Die Person hat sich einen Zweitaccount für Discord erstellt und beleidigt mich. Es war wohl die richtige Entscheidung diese Person zu bannen. Dann wurde es still.
Keine Chatnachrichten mehr. Keine Spiel-Anfragen mehr. Nur ein Mitglied und ich spielten noch. Dann eröffnete mir das letzte Mitglied, dass es einen anderen Clan gefunden hätte, bei dem es gerne mitspielen würde. Ich bedanke mich für die nette Zeit und entlasse sie. Meine Annahme, dass ältere Menschen einen niveauvolleren Umgang in der Gaming-Szene pflegen könnten, wurde nicht bestätigt. Auch hier können Torheit und rüder Ton vorherrschen. Es wäre als vermessen zu behaupten, dass Silver Gamers einen erwachseneren Umgang pflegen. Vielleicht hat der Clan trotz seiner transparenten Prämisse des Respekts und der Toleranz dennoch die falschen Menschen angezogen.
Nichtsdestotrotz bleiben mir vereinzelt positive Erfahrungen, die jedoch als Einzelerscheinung nahezu verschwindend klein erscheinen. Seit wenigen Tagen ist der Clan nun geschlossen und ich habe das Angebot einem neuen Clan beizutreten. Momentan bin ich mir jedoch unschlüssig, ob ich dort das finden werden, wonach ich in einer Spiele-Gemeinschaft suche.
Behandeltes Spiel: Tom Clancy’s The Division 2 [Webseite]. Release: 15. März 2019. Entwickler: Massive Entertainment. Publisher: Ubisoft. Plattformen: Windows PC, Playstation 4 (Pro) und Xbox One (X).
[1] Jansen, Jonas. „Die Counter-Strike-Senioren“. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2018. Abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/silver-gamers-die-counter-strike-senioren-15638409.html
[2] Jenkin, Matthew. „Rise of the silver gamers: you don’t have to be young to play video games“. The Guardian, 2014. Abrufbar unter: https://www.theguardian.com/society/2014/jul/15/silver-gamers-older-people-technology